Dienstag, 18. Oktober 2011, 02:59h

Zuständigkeit versus Verantwortlichkeit – rechtliche und pädagogische Betreuung

behrens

Vor einigen Monaten habe ich die Betreuung für eine 50jährige Frau übernommen. Zur Einrichtung einer rechtlichen Betreuung kam es, weil die Betreute eines Tages von ihrer Schwester blutend auf dem Boden liegend gefunden wurde und man im Krankenhaus eine Magenoperation durchführen wollte und dabei Zweifel daran hatte, ob die Betreute einwilligungsfähig sei. In so einem Fall geht das gerichtliche Prozedere sehr schnell, der Betreuer wird nach Aktenlage bestellt und gibt dann die notwendigen Erklärungen ab. Die Betreute hat eine starke Lernbehinderung und die Ärzte hatten zu Recht Zweifel daran, ob sie Art und Ausmaß des Eingriffs verstehen würde. Es wurde eine Krebserkrankung im fortgeschrittenen Stadium festgestellt aufgrund der fast der ganze Magen entfernt werden musste.

Bei einem Hausbesuch lernte ich dann die Betreute und auch deren Schwester kennen, mit der sie schon seit ihrer Geburt zusammenwohnt. Sehr schnell wurde ersichtlich, dass auch die Schwester an einer Lernbehinderung litt. Die häusliche Situation war völlig chaotisch, denn als vor einem Dreivierteljahr die Mutter verstarb, die ebenfalls mit den beiden zusammenlebte, waren beide Schwestern völlig überfordert mit der Regelung ihrer Angelegenheiten. Sie waren weder in der Lage, die ARGE-Bescheide zu verstehen, wodurch es zu einer Leistungsreduzierung kam, noch waren sie in der Lage, die geforderte Umschreibung des Mietvertrags vornehmen zu lassen. Auch zur erforderlichen Einrichtung eines eigenen Kontos waren beide nicht in der Lage. Es war reine Glücksache, dass es zu keiner Überziehung des Kontos der Mutter kam. Ich veranlasste sofort die notwendigen Formalien und musste, da die ARGE allen Ernstes von der schwerkranken Betreuten einen Umzug verlangte, erstmal Widerspruch einlegen, was ich übrigens auch für die nicht von mir betreute Schwester tun musste, da beide ja als Bedarfsgemeinschaft gelten.

Mittlerweile sind die Formalitäten weitgehend erledigt, der Widerspruch hatte glücklicherweise Erfolg und zumindest eine der Schwestern hat jetzt ein Konto. Allerdings sind die Heilungsaussichten der Betreuten alles andere als gut und der Zustand hat sich leider verschlechtert. Beide Schwestern waren seit ihrer Kindheit nicht mehr bei einem Arzt in Behandlung gewesen und so konnte die Krebserkrankung meiner Betreuten auch erst bei Durchbruch des Geschwürs erkannt werden.

Was mir ein wenig bitter aufstößt bei dieser Betreuung, ist die Tatsache, dass die im vergangenen Jahr verstorbene Mutter eine rechtliche Betreuerin hatte. Formal endet die Betreuung mit dem Tod des Betreuten und die betreffende Betreuerin hat dies auch ohne Wenn und Aber befolgt. Da gibt es zwei lernbehinderte Frauen, die noch nie auf eigenen Füßen standen und nach dem Tod der Mutter plötzlich allein darstehen und mit fast allen Alltagsangelegenheiten völlig überfordert sind. Und da gibt es eine Betreuerin, die nicht die mindeste Veranlassung sieht, jemanden über den Hilfebedarf zu informieren, sondern die die beiden einfach allein ihrem Chaos überlässt. Ohne viel Aufwand hätte man einfach kurz bei einem der vielen PPM-Träger anrufen und um einen Hausbesuch bitten können. Aber das kostet Zeit, vielleicht zehn, vielleicht fünfzehn oder vielleicht sogar zwanzig Minuten. Und da kommt dann der jedes Handeln bestimmende Satz: "Das krieg ich ja nicht bezahlt!"

Szenewechsel. Vor einiger Zeit hatte ich hier über den tragischen Tod eines meiner Betreuten geschrieben. Der Betreute wurde schon seit Jahren im Rahmen einer sogenannten PPM-Maßnahme – personenbezogene Hilfe für psychisch kranke Menschen – betreut. Dem pädagogischen Betreuer war bekannt, wie eng die Bindung zwischen meinem Betreuten und dessen Bruder war, der selbst große psychische Probleme hatte. Und bei einem Telefonat erfuhr ich, dass der pädagogische Betreuer sich deswegen große Sorgen machte und daher mit dem Bruder gesprochen und ihm Hilfe bzw. Gespräche angeboten hatte.

Früher hätte ich so ein Verhalten als etwas völlig Normales empfunden. Inzwischen bin ich da realistischer und weiß es sehr zu schätzen, dass sich jemand seinen Mitmenschen gegenüber verantwortlich zeigt. Dass jemand die Sorge um einen anderen Menschen einen höheren Stellenwert einräumt als der formalen Zuständigkeit. Auch ein PPM-Betreuer – der übrigens sehr viel weniger als ein rechtlicher Betreuer verdient – bekommt nach dem Tod seines Betreuten keinen Cent mehr bezahlt. Aber offenbar scheint es doch möglich zu sein, dass es auch noch um etwas anderes als um Geld zu geht. Das gibt Anlass zum Hoffen und mir fällt Hans Jonas ein, für den Verantwortung und Hoffnung untrennbar zusammenhängen.

Vielleicht ist es das, was man sich immer wieder vor Augen halten muss, wenn man seine Hoffnung nicht verlieren will – es gibt nicht nur diejenigen, für die es ohne Zuständigkeit auch keine Verantwortung gib, sondern eben auch all jene, die sich der Verantwortung anderen gegenüber bewusst sind.

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Samstag, 13. August 2011, 02:12h

Locked-in-Syndrom und die große Liebe

behrens

Auf MDR wurde eben in der Sendung „Unter uns“ die besondere Geschichte eines Ehepaars vorgestellt. Kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes fiel die Ehefrau in einen Koma-ähnlichen Zustand, der als Locked-in-Syndrom (was damals allerdings anders bezeichnet wurde) diagnostiziert wurde. Seit diesem Zeitpunkt pflegt der Ehemann seine Frau. Man muss hierzu sagen, dass die Ehefrau mittlerweile nicht mehr völlig unfähig ist, zu kommunizieren. Zum einen kann sie sich schriftlich verständlich machen, in dem sie mit einem Stift eine Computertastatur bedient und zum anderen kann sie Laute formulieren. Es ist sehr beeindruckend zu sehen, dass der Ehemann mittlerweile in der Lage ist, diese für andere unverständlichen Laute zu verstehen und sie für andere zu übersetzen.

Das Ehepaar lernte sich kennen, als der Ehemann sechzehn Jahre alt war und die Ehefrau vierzehn. Der Ehemann erzählt, dass für ihn nach 90 Minuten klar war, dass er dieses Mädchen liebt. Nach vier Jahren heirateten die beiden und bekamen zwei Söhne. Die plötzliche Erkrankung trat auf, als der zweite Sohn etwa 5 Monate alt war. In der damaligen DDR war es nur nach vielen Kämpfen möglich, einen Elektrorollstuhl zu bekommen. Auch die ärztliche Versorgung ließ zu wünschen übrig. Mittlerweile sind es schon 27 Jahre, in denen der Ehemann sein Frau rund um die Uhr pflegt und umsorgt.

Man kann sich kaum vorstellen, wie enorm schwierig es für jemanden sein muss, zwei kleine Kinder zu erziehen und Tag und Nacht den Ehepartner zu pflegen. Die meisten Ehen zerbrechen an solchen Problemen und wenn sie es nicht tun, dann handelt es sich meist um ältere Ehepaare, die ihr Leben schon gelebt haben und erst im Alter mit der Umsorgung des anderen konfrontiert sind. Man sollte auch nicht verschweigen, dass es meist auch die Ehefrau ist, die den Mann pflegt und nicht umgekehrt.

Bei der Talkshow „unter uns“ sind es nie die großen Stars oder schillernden Exzentriker, die vorgestellt werden. Es sind meist kleine Leute aus einfachen Verhältnissen, die oftmals unter vielen Widrigkeiten ihr Leben meistern. Es fehlt das Grelle, das Spektakuläre und das Laute, das normalerweise charakteristisch für Talkshows ist. Das, was mich eher davon abhält, mir länger als ein paar Minuten so eine Sendung anzusehen. Auch „unter uns“ sehe ich eher zufällig beim Zappen. Heute habe ich diesen Zufall nicht bereut. Denn es hat mich sehr berührt, zu sehen, was Liebe vollbringen kann. Die Liebe ohne große Worte, die sich in Taten äußert. Es scheint sie tatsächlich zu geben. Ein Mann, der wie ein Schuljunge von seiner Frau spricht, wenn er beschreibt, dass er schon nach neunzig Minuten wusste, dass er diese Frau und sonst keine will.

Das Locked-In-Syndrom ist eine schreckliche Krankheit. Aber es tut unendlich gut, zu sehen, dass der Schrecken dieser Erkrankung gegen Liebe nichts ausrichten kann. Ein bisschen wie im Märchen…

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Montag, 27. Juni 2011, 14:21h

Master and Servants – die Philosophie des Delegierens

behrens

„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' getrost den anderen zu.“

Inzwischen ist einige Zeit seit meiner Fortbildung vergangen und ich habe genug Abstand, ein wenig darüber zu schreiben, was mir bei der Fortbildung im Magen lag – nämlich das Prinzip des Delegierens. Zum einen betone ich vorab, dass die Fortbildung zum Thema Büroorganisation für Betreuer mir viele Anstöße gegeben hat, wie ich meine Arbeit besser und rationeller organisieren kann. Zum anderen möchte ich ebenfalls betonen, dass Delegation in einem gewissen Rahmen sowohl völlig normal als auch unverzichtbar ist. Beispielsweise organisiere ich als Betreuerin die Haushaltshilfe für Kranke und Behinderte und führe diese nicht selbst aus, genauso wenig wie ich selbst die Begleitung für Spaziergänge übernehme, sondern hierfür Besuchsdienste suche. Und ich habe seit einigen Jahren eine Mitarbeiterin, die für mich einen großen Teil der administrativen Arbeiten erledigt.

Wenn das Delegieren also etwas völlig Normales ist, warum ist es dann nicht voll und ganz zu bejahen und warum schreibe jetzt einen Beitrag darüber? Die Antwort lautet: weil es eine Form des Delegierens gibt, die weit über den eigentlichen Zweck und Sinn hinausgeht und die einen mehr als fragwürdigen Umgang mit anderen Menschen mit sich bringt.

Bei vielen Themen im Fortbildungsseminar ging es darum, wie man zeitsparender arbeiten kann und der Seminarleiter schilderte ausführlich, dass er mit vielen Aufgaben seine Mitarbeiter und vor allem Praktikanten beauftragt. Auch ein Teil der Heimbesuche werden von Praktikanten durchgeführt und sogar das Schreiben von Berichten. Sämtliche Aufgaben wie Schriftverkehr, Kontenführung, Aktenführung e.t.c. werden ohnehin grundsätzlich von Mitarbeiterinnen und nicht vom Betreuer selbst ausgeführt. Der ewige Streitpunkt, wer bei einer Krankenhauseinweisung notwendigen Dinge wie Kleidung und Hygieneartikel bringt, wurde von dem Seminarleiter ganz klar dahingehend entschieden, dass der Pflegedienst hierfür zuständig ist. Mein Einwand, dass der Pflegedienst genauso wenig wie wir Betreuer dafür bezahlt wird, wurde sofort entgegengebracht, dass dies im zeitlichen „Gesamtbudget“ enthalten sein müsse – ein etwas gewagter und darüber hinaus sehr nebulöser Standpunkt, wie ich finde.

Jeder einzelne Punkt für sich genommen ist wahrscheinlich durchaus im gewissen Rahmen akzeptabel und begründbar. In der Summe allerdings ergibt sich ein Bild von der Betreuungsarbeit, in dem der Begriff „Betreuer“ seltsam unpassend wirkt und man eigentlich viel mehr das Bild eines Managers oder Verwalters vor Augen hat. Aber selbst dies wäre vielleicht noch kein Grund, das Prinzip des Delegierens völlig in Frage zu stellen. Was am Prinzip des Delegierens so befremdlich ist, ist die Tatsache, dass es sich zu einem Selbstzweck entwickelt, in dem es primär darum geht, allen anderen Beteiligten so viel wie möglich aufzuladen. Dabei werden dann auch noch mit Vorliebe Menschen eingesetzt, die nicht bezahlt werden sondern zum Nulltarif arbeiten, wie Praktikanten und Ehrenamtliche.

Die Regel des Delegierens lautet:

Das Recht des „So-wenig-wie-möglich“ gilt ausnahmslos für die eigene Person. Für alle anderen gilt strikt die Pflicht des „So-viel-wie-möglich“.

Aus kaufmännischer Sicht eine Praxis, die professionell und clever ist. Aus sozialer Sicht einfach nur eine professionelle Form des Ausnutzens und des uneingeschränkten Egoismus.

Was kommt eigentlich bei dem Prinzip des Delegierens unterm Strich für die Arbeit im Betreuungswesen heraus? Ganz einfach – anstatt vieler Betreuer mit geringer Fallzahl gibt es nur wenige Betreuer mit hoher Fallzahl. Auf der anderen Seite muss ehrlicherweise auch erwähnt werden, dass in ersterem Fall auch weniger Praktikantenplätze und weniger Aufgaben für Ehrenamtliche zur Verfügung stehen. Allerdings ist eine geringere Fallzahl auch zwangsläufig mit mehr Arbeitsplätzen für Betreuer verbunden.

Wie sieht es denn ganz konkret für den einzelnen Betreuten aus? Ist es besser von jemandem betreut zu werden, der viele Betreute und somit viele Praktikanten und Mitarbeiter hat oder ist es besser, von jemandem betreut zu werden, der nur wenige Betreute hat? Es wäre falsch, von vorneherein davon auszugehen, dass eine geringe Fallzahl gleichbedeutend mit besserer Betreuung ist, denn es ist durchaus möglich, viele Menschen optimal zu betreuen und auf der anderen Seit ist eine geringe Betreuungszahl noch kein Garant für eine gute Betreuung. Die entscheidende Frage ist aber, ob es wahrscheinlich ist, dass jemand, der eine rigorose und strikte Form des Delegierens praktiziert und vertritt, seinen Schwerpunkt tatsächlich noch auf dem gerade von diesem Betreuertypus gern so oft zitierten „Wohl des Betreuten“ hat? Hat jemand, der sich ständig mit der betriebswirtschaftlichen Frage des Einsparens von Arbeitszeit beschäftigt, überhaupt noch Zeit und wirkliches Interesse für die vielen anderen Fragen, die sich aus der Arbeit mit Betreuten ergeben?

Eins steht fest - für die vielen Menschen, die auch in die Betreuungsarbeit involviert sind, ist der Umgang mit einem Menschen, der das Delegieren schon fast zwanghaft betreibt, alles andere als angenehm. Handwerker, die „mal eben“ etwas umsonst machen sollen, Pflegedienste, die Tätigkeiten übernehmen müssen, die überhaupt nicht zu ihren Aufgaben gehören, Heimpersonal, von denen Extraarbeiten erwartet werden, die kaum leistbar sind – die Liste derer, die man einspannen kann für Dinge, die sie überhaupt nicht machen müssen, könnte noch beliebig verlängert werden.

Das erste Mal wurde ich übrigens mit der Thematik des Delegierens konfrontiert, als ich als Berufsanfängerin gemeinsam mit meiner ebenfalls neuen Kollegen eine Stelle in der Arbeitslosenberatung antrat. Ich führte mit der Kollegin eine Diskussion darüber, dass sie mit dem Hinweis auf ihre hohe Qualifikation jegliche Kontrolle der Arbeitszeit verweigerte. Die Kollegin sagte mir, dass sie schon immer eine Arbeitstelle angestrebt hätte, in der sie selbständig arbeiten und die Arbeit delegieren könne. Schon damals war ich äußerst verwundert darüber, dass es jemanden so ausdrücklich wichtig ist, Arbeit zu delegieren. Wie bereits erwähnt, gehört Delegation zu den meisten Tätigkeiten in irgendeiner Form dazu. Für manche Menschen allerdings scheint das Delegieren fast schon mit einem Lustgewinn verbunden zu sein. Endlich mal ohne Begründung anderen Ordern geben dürfen. Endlich mal die Tätigkeiten abwälzen, auf die man selbst keine Lust hat. Endlich mal jemand sein, der den Ton angibt und vorschreibt, wo’s längs geht. Endlich mal – der Master sein und nicht mehr einer der vielen Servants.

Ach ja, wie lang ist’s her das ich das andere Extrem erlebt habe – die rigorose Gleichheit. Mein Zwischenpraktikum absolvierte ich im Frauenhaus. Und dort war in der Satzung ausdrücklich festgelegt worden, dass es auf keinen Fall eine Leiterin geben darf. Alle waren gleich und hatten überall und jederzeit Mitspracherecht. Mich würde brennend interessieren, ob dies auch heute noch so praktiziert wird. Denn schon damals lief vieles dadurch sehr chaotisch. Auf Besprechungen tauchte das ganze 9köpfige Team – einschließlich Praktikantinnen und Hausmeisterinnen – auf und meist waren gar nicht genug Stühle vorhanden, um gemeinsam zu tagen. Wenn ich den damaligen Personalschlüssel mit meiner heutigen Fallzahl vergleiche, werde ich grün vor Neid. Denn während ich 36 Betreuungen allein führe, war damals das 9köpflige Team für weniger als 20 Frauen (die genaue Zahl erinnere ich nicht mehr, wahrscheinlich sogar weniger) zuständig. Aber dennoch habe ich Respekt vor Menschen, denen gleichberechtigtes Arbeiten wichtig ist und die Entscheidungen gemeinsam fällen und tragen möchten.


Last not least gehören Menschen, die eine rigorose Form des Delegierens vertreten auch fast immer zu den Menschen, die Entscheidungen über den Kopf anderer fällen. Das ist kein Zufall, denn wer sich auf der einen Seite dazu berechtigt fühlt, die Maßstäbe dafür festzulegen, wann und wo etwas delegiert wird, der fühlt sich ebenso dazu berechtigt, die Maßstäbe dafür festzulegen, wann und wo etwas einzig und allein von ihm selbst ausgeführt werden darf. Das Prinzip ist nämlich haargenau das Gleiche: Master and Servants.

Und jetzt möchte ich – damit mir nicht wieder der (nicht ganz unberechtigte) Hinweis auf meine pessimistische Grundhaltung gemacht wird, auf eine Dokumentation aufmerksam machen, in der über einen Betreuer berichtet wird, der lediglich 19 Betreuungen führt und sich für jeden einzelnen sehr engagiert:

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1308508/Ein-knallharter-Job?bc=sts%3Bsuc#/beitrag/video/1308508/Ein-knallharter-Job

Sollte es irgendwann bei mir selbst der Fall sein, eine Betreuung zu benötigen – diesem Kollegen würde ich bedingungslos vertrauen.

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Mittwoch, 8. Juni 2011, 12:07h

Das Kreuz mit den Telefonanbietern

behrens

Ich glaube, dass es im Betreuungswesen keinen Bereich gibt, der sich in den letzen 12 bis 15 Jahren so von Grund auf gewandelt hat, wie der Bereich der Telekommunikation. Man erinnere sich an früher: Man hatte ein einziges Gerät, das man nie gewechselt hat und es gab einen einzigen Nahtarif, nämlich 23 Pfennig für 8 Minuten, Ferngespräche waren teuer.

Natürlich gab es auch damals Menschen, die so viel telefoniert haben, dass die Rechnungen nicht mehr bezahlt wurden. Dann wurde der Anschluss gesperrt. Schluss. Punkt. Aus. Keine andere Ausweichmöglichkeit außer Briefe schreiben oder in die Telefonzelle gehen.

Das hat mit der heutigen Telefonwirklichkeit nichts mehr gemeinsam. Der unendliche Tarifdschungel wird offensichtlich noch nicht einmal von den betreffenden Mitarbeitern verstanden. Wer Schulden hat, geht zum nächsten Anbieter oder telefoniert irgendwann nur noch mit dem Handy. Wer dann auch bei den Handyanbietern auch überall Schulden hat und infolgedessen rausgeflogen ist, kauft sich letztendlich ein Kartenhandy. Der Betreuer hat dann manchmal einen ganzen Order voll mit Schreiben von Anbietern, Rechtsanwälten und Inkassobüros und nicht selten kommt es zu einer Kontopfändung. Der Bereich der Telekommunikation hat sich somit für uns Betreuer von einem zeitlich fast gar nicht ins Gewicht fallenden Bereich in einen äußerst zeitintensiven und nervenaufreibenden Bereich gewandelt.

Aber nicht nur die Betreuten geraten mit den Telefonanbietern aneinander. Auch ich habe vor kurzem eine Mahnung erhalten, weil ich einen Betrag von rund 128,00 € nicht bezahlen will. Es handelt sich dabei um eine Vorwahlnummer, die über Jahre eine der billigsten Vorwahlmöglichkeiten für Auslandsgespräche war. Da ich Verwandtschaft in Frankreich habe, habe ich die betreffende Vorwahlnummer gleich zusammen mit der eigentlichen Telefonnummer einprogrammiert. Alles lief gut, bis ich plötzlich zusätzlich zu meiner Flatrate einen Betrag von 128,00 € in Rechnung gestellt bekam. Was war passiert?

Der Anbieter war von einer anderen Firma aufgekauft worden und die hatte den eigentlichen Tarif von ca. 4 Cents pro Minute auf den Betrag von 1,53 € pro erhöht. Also eine Preiserhöhung von mehr als 3.800,00 %!!!

Ich habe jetzt die Wahl, die Rechnung zu bezahlen, oder aber es auf einen Prozess ankommen zu lassen, dessen Ausgang ungewiss ist. Aber da ich Betreuerin bin, und mich schon seit Jahren herumärgere mit dieser Sorte von Anbietern, werde ich wahrscheinlich den Kampf aufnehmen. Ich sehe dabei nicht nur mich, denn ich wäre in der Lage, die 128,00 € zu bezahlen. Ich sehe auch die vielen Menschen, denen nur Hartz IV zur Verfügung steht oder die im Gegensatz zu mir geringverdienend sind (anders als die Kollegen sehe ich uns Betreuer ja nicht als geringverdienend an…). Was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass zu allem Übel das zuständige Amtsgericht in Euskirchen liegt und ich in Hamburg wohne…

Schon lange bin ich der Meinung, dass in Bezug auf die neuen Medien mehr Verbraucherschutz erforderlich ist. Immer mehr Menschen geraten in Verschuldung, weil es die Fülle der Anbieter und die Menge an völlig unübersichtlichen Tarifen und Vertragsbedingungen es unmöglich machen, den Überblick zu behalten. Besonders betroffen sind ältere Menschen, die zu einer Klärung von Problemen mit dem Telefonanbieter überhaupt nicht mehr in der Lage sind. Man kann ja schon seit langem nicht mehr einfach bei der Telekom – alte Menschen sagen noch „Deutsche Post“ – anrufen, sondern man hängt Ewigkeiten in Warteschleifen, in denen man dann irgendwelche Ziffern eingeben muss. Bei Neuabschlüssen durch Umzug wird dann plötzlich ein Tarif aufgeschwatzt, der nicht nur überflüssig ist, sondern zu allem Übel einen frei kündbaren Vertrag in eine Zweijahresbindung wandelt. „Steht doch alles in den Vertragsbedingungen“ wird dann bei Nachfragen geantwortet. Die sind allerdings so klein geschrieben, dass man zum Lesen eine Lupe benötigt.

Meine Vorstellung ist, dass die Anbieter verpflichtet werden müssen, die Verbraucher – an denen sie ja schließlich verdienen – ausreichend zu informieren. Und es muss möglich sein, aus Verträgen kurzfristig auch wieder aussteigen zu können. Zweijährige Vertragsbindungen, aus denen man ums Verrecken nicht herauskommt, sind unzumutbar. Und solche Angebote wie z.B. das „SCHUFA-Handy“ – gibt es tatsächlich! – sollten auf Risiko des Anbieters laufen. Wenn sich Bedingungen grundlegend verändern, was ja im Bereich der Telekommunikation unübersehbar ist, müssen sich auch rechtliche Grundlagen ändern.

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Montag, 9. Mai 2011, 23:52h

Verknüpfung des Betreuungswesens mit dem Sozialrecht

behrens

Ich habe hier gekürzt einige interessante Gedanken zusammengefasst aus dem Artikel „Herausforderung Inklusion: Betreuung weiterentwickeln“. Der von Professor für Sozialpsychiatrie Dr. W. Crefeld verfasste Artikel stammt aus der Zeitschrift unseres Berufsverbandes

Bei der Entstehung des Betreuungsrechts lag von Anfang an der Schwerpunkt auf der zivilrechtlichen und justiziellen Ausgestaltung der Reform, während die sozialrechtlichen, sozialpolitischen und sozialgrundrechtlichen Inhalte vernachlässigt wurden. Dies ist besonders erstaunlich, da die entscheidenden Impulse, das alte Entmündigungsrecht grundlegend zu reformieren, nicht aus der Rechtspolitik, sondern aus der Ende der 60er Jahre einsetzenden Psychiatriereformbewegung und einigen Verbänden der Behindertenhilfe.

Bis heute existieren keine validen empirischen Untersuchungen über die Lebenslage der 1,3 Millionen von Betreuung betroffenen Menschen und der Probleme, die zur Feststellung der Betreuungsbedürftigkeit geführt haben. Außerdem hat das Betreuungsrecht bis heute keine Infrastruktur-Revision erlebt. Allerdings gibt es eine im Jahr 2009 erhobene ISG-Studie, die besagt, dass es trotz der Tatsache, dass psychische Beeinträchtigungen Menschen aller Schichten betreffen, die soziale Lage ist, die eine Berufsbetreuung erforderlich macht. Berufsmäßige Betreuung dient heute vorrangig Menschen, die wegen ihrer psychischen Beeinträchtigung mit den Angelegenheiten nicht ihres Vermögens, sondern ihres Lebensalltags nicht zurückkommen, keine Hilfe finden oder gar nicht erst danach suchen, verwahrlosen oder schließlich – oft gegen ihren Willen – in en Heim verpflanzt werden.

Zu den Gründen für den steigenden Bedarf an Betreuungen gehört auch die zunehmende Verrechtlichung von immer mehr Lebensbereichen und die Komplexität und Zergliederung unseres Sozialleistungsrechts. Es gibt einen Dschungel an vorhandenen wie auch der andernorts anzutreffenden Wüstengebiete fehlender psychosozialer und medizinischer Hilfeangebote. Es kann dazu kommen, dass rechtliche Betreuer zu Ausfallbürgen für unzureichende oder fehlende gemeindepsychiatrische Hilfen geworden ist.

Dies ist der Grund, warum jetzt ein „Paradigmenwechsel“ gefordert wird zu einer vorrangig sozialpolitischen Betrachtung des sich im gesellschaftlichen Wandel äußernden Bedarfs an Betreuung und damit auch zu einem Blick auf die Lebenslage der Menschen, bei denen die Gerichte Betreuungsbedürftigkeit feststellen. Angestrebt wurde damals nicht nur eine Verbesserung der Rechtsposition, sondern eine umfassende Verbesserung der Lebenslage der Betroffenen. Damit bekam die Reform auch eine sozialstaatliche Dimension. Damals war ein sozialrechtlicher Teil des Betreuungsrechts geplant, der aber durch die Ereignisse der Wende damals zurückgestellt wurde. Bis heute ist das damalige Anliegen nicht realisiert worden.

Viele Personen insbesondere mit psychisch bedingten Behinderungen bedürfen heute eines „Unterstützungsmanagements“, aber nicht unbedingt eines gerichtlich bestellten Vertreters. In jedem Fall des unzureichenden Selbstversorgungssvermögen sollte ein Anspruch auf diese Sozialleistung der Unterstützungsmanagements bestehen. Sollte dies den Bedarf an Betreuung nicht abdecken, könnte die Leistung des Unterstützungsmanagements zusätzlich durch die Anordnung einer rechtlichen Betreuung ergänzt werden.

Man darf nicht übersehen, dass die heute existierenden Leistungen des Sozialrechts wie z.B. das betreute Wohnen oder Soziotherapie (SGB V) ihre Existenz den Ideen verdanken, die im Rahmen der Psychiatriereformdiskussion entstanden sind.


Hier wird also doch einmal das thematisiert, was unter Betreuern meist kein Thema ist – gesamtpolitische und gesellschaftliche Veränderungen und Zusammenhänge. Die eigene Rolle als rechtlicher Betreuer wird reflektiert und eine Standortbestimmung vorgenommen. Der Standort ist allerdings immer noch der gleiche wie zu Beginn der Betreuungsreform, ohne auch nur im Geringsten auf den gesellschaftlichen Wandel reagiert zu haben. Eigentlich sehr unüblich für Sozialarbeit, deren Zielsetzungen und inhaltlichen Bestimmungen ja grundsätzlich immer eine Reaktion auf die Gesellschaft sind, bzw. sein sollten.

Und das ist es, was bei dem ansonsten sehr zutreffenden Artikel von Prof. Crefeld zu kurz kommt – die Beschäftigung mit der Rolle der rechtlichen Betreuer, die über das Alltagsgeschäft hinausgeht. Die Thematisierung der Frage, wie Betreuer die theoretischen Ansätze in die Praxis umsetzen. Nehmen Betreuer irgendwo Einfluss? Gibt es Fachausschüsse z.B. für einzelne Institutionen wie z.B. Heime, Psychiatrien? Gibt es Fachausschüsse für die einzelnen Rechtsgebiete wie SGB II oder SGB VII? Gibt es Fachausschüsse für spezielle Gruppen wie z.B. alte Menschen oder psychisch Kranke? Gibt es sozialpolitische Arbeitsgruppen, die sich bei sozialpolitischen Entscheidungen einklinken? All dies ist notwendig, um eine Reform lebendig zu erhalten.

Eine Reform steht oder fällt mit den Menschen, die sich für die Umsetzung und Verbesserung dieser Reform einsetzen.

Mit der von Betreuern geäußerten Zielformulierung „Wir möchten einen guten Eindruck machen“ oder „Andere Betreuer sind meine Konkurrenz" hält man Reformen nicht am Leben. Im Gegenteil - man läuft Gefahr, sie zu leblosen Mumien verkommen zu lassen.

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Dienstag, 5. April 2011, 00:46h

Warum explodieren Kosten? Ein verspäteter Aprilscherz

behrens

In meinem Beitrag darüber, wie wir Betreuer unser Geld verdienen, hatte ich das der Betreuungsarbeit zugrundeliegende Vergütungssystem näher erläutert und dabei geschildert, dass seit 2005 die detaillierte Einzelvergütung durch eine Pauschalvergütung abgelöst wurde.

Am Ende des Beitrags habe ich darauf hingewiesen, dass die Umstellung auf eine Pauschalvergütung die Konsequenz der Kostenexplosion im Betreuungswesen war. Und ich hatte angekündigt, einmal einen Vergleich zweier Rechnungen anzustellen. Denn es ist ja eine spannende Frage, ob die Kostenexplosion darauf zurückzuführen ist, dass Betreuer früher mehr (zuviel?) Zeit in ihre Arbeit investiert haben oder ob es vielleicht auch daran gelegen haben könnte, dass manche Betreuer den Umstand der Schwierigkeit einer Kontrolle zu ihrem Vorteil ausgenutzt haben.

Und hier jetzt einmal zwei Gegenüberstellungen zum Vergleich:

Ein Betreuer hat im Jahr 2001/2002 für die Betreuung eines Heimbewohners einen Aufwand von 4,7 Stunden pro Monat geltend gemacht, was eine Jahresrechnung von etwa 2.070,00 € ergab.

Meine eigenen Rechnungsbeträge für die Betreuung von Heimbewohnern lagen in der Zeit vor der Pauschalierung in einer Spanne von 400,00 € bis 1.500,00 € bei Heimbetreuungen, die schon länger als ein Jahr bestanden. Eine Rechnung in Höhe von 2.070,00 € für Betreuungen bei Heimbewohnern hatte ich noch nie, obwohl ich in der Zeit meine Betreuten alle 4 bis 8 Wochen besucht habe. Die Rechnungsummen meiner damaligen Büropartner waren mit meinen vergleichbar.

Was könnte die Ursache sein für eine um einige hundert Euro höhere Rechnungssumme? Da gibt es so manches. Zum Beispiel ein erheblicher zeitlicher Mehraufwand, weil eine Erbschaft angetreten wurde, ein Haus geräumt und veräußert werden musste, eine schwere chronische Erkrankung ständige Kontakte mit den Ärzten erforderlich machte oder eine psychische Erkrankung ständig Kriseninterventionen erforderte. Die Liste könnte man noch um einiges verlängern. Oder die hohe Rechnungssumme könnte vielleicht auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich um einen Betreuer handelt, der sehr viel Wert auf regelmäßige monatliche Besuche legte oder der ständigen Kontakt zu den Angehörigen pflegt.

All dies trifft aber bei der besagten Rechnung in keiner Weise zu – die Gründe für eine derartig hohe Rechnungssumme bleiben geheimnisvoll im Dunkeln. Was jedoch nicht heißt, dass sich niemand Gedanken darüber macht. Angehörige, Pflegepersonal, Besuchsdienste oder vielleicht auch der Betreute selbst stellen die Seriosität solcher Rechnungen in Frage. Und ab und zu kommt es zu einer Beschwerde. Auf diese Weise ist auch die hier zitierte Rechnung zu mir, bzw. zu meiner damaligen Bürogemeinschaft gelangt, denn ein Angehöriger war hochempört über diese Rechnung - zumal der Betreuer den Betreuten kein einziges Mal besucht hat - und fragte uns nach unserer Meinung. Ich kramte daraufhin einige meiner Rechnungen heraus, die sich aber alle in der Höhe (bei gleichwertigem Aufwand) erheblich unterschieden. Meine beiden damaligen Kollegen waren genau wie ich der Meinung, dass eine derartige Rechnungssumme nicht plausibel ist. Trotzdem haben wir alle schön brav den Mund gehalten – ein Betreuer hackt dem anderen schließlich kein Auge aus. Das so oft zitierte Wohl des Betreuten blieb das, was es in Wahrheit ist – eine leere Floskel. Und nebenbei bemerkt: einen positiven Eindruck, auf den einige Kollegen ja so immensen Wert legen, macht solche Arbeitspraxis mit Sicherheit auf niemanden.

Warum ich jetzt nach so langer Zeit darüber schreibe? Weil ich inzwischen so meine Erfahrungen gemacht habe, mit Betreuern vom Schlage derer, deren gesamtes Denken um die Gewinnmaximierung kreist und denen dabei jedes Mittel recht ist, ihr Handeln zu verteidigen. Und nicht zu vergessen all diejenigen, die nicht müde werden, genau diesen Betreuern mit ganzer Kraft den Rücken zu stärken.

Und mit so einem Kollegen habe ich heute gesprochen. Auf meine Frage, ob man nicht zumindest einen Hauch von schlechten Gewissen haben sollte, wenn man solchen Arbeitspraktiken tatenlos zusieht, bekam ich dann prompt eine denkwürdige Antwort:

„Betreute haben die Möglichkeit, sich bei Gericht zu beschweren und da die Angelegenheit dann überprüft wird, sind sie auch nicht rechtlos“.

Auweia – es bleibt wirklich nur zu hoffen, dass so eine Einstellung nicht Schule macht, denn dies wäre gleichbedeutend mit einem Freibrief für muntere Phantasierechnungen. Mit dem dumpfen Hinweis auf die Möglichkeit der Beschwerde und der Überprüfung wäre dann jeder Handwerker, Zahnarzt, Steuerberater und wer-auch-immer dazu berechtigt, seine Rechnungen ein wenig aufzustocken. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass viele Betreute gar nicht mehr in der Lage sind, sich zu beschweren und die Gerichte auch so schon überlastet sind und eben auch diese Arbeitspraxis zu der Umstellung auf eine Pauschalierung geführt hat – wie kann man allen Ernstes grünes Licht geben für den Missbrauch einer Vertrauensstellung?

Aber egal wie viele begründete Bedenken es gegen so eine fragwürdige Einstellung auch geben mag – man wird sie alle einzig und allein darauf zurückführen, dass diejenigen, die diese Bedenken äußern, sich moralisch überhöhen wollen (oder wie besagter Kollege es gern ausdrückt: „beweihräuchern)“. Und last und least kommt dann mit absoluter Sicherheit das Totschlagargument: jeder hat doch schon mal irgendwo geschummelt! Jeder ist schon mal schwarzgefahren, jeder hat schon mal bei der Steuererklärung gemogelt, in der Pubertät eine Telefonzelle demoliert oder ein paar Stunden schwarz nebenbei gearbeitet. Warum also aufregen?

Ich kann so einen Unsinn nur damit entschuldigen, dass es sich irgendwie um einen verspäteten Aprilscherz handeln muss...

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Montag, 4. April 2011, 00:19h

Die gesetzliche Grundlage der Betreuung

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§ 1901 BGB
Umfang der Betreuung, Pflichten des Betreuers

(1) Die Betreuung umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten nach Maßgabe der folgenden Vorschriften rechtlich zu besorgen.

(2) Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

(3) Der Betreuer hat Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Dies gilt auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will. Ehe der Betreuer wichtige Angelegenheiten erledigt, bespricht er sie mit dem Betreuten, sofern dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft.

(4) Innerhalb seines Aufgabenkreises hat der Betreuer dazu beizutragen, dass Möglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Wird die Betreuung berufsmäßig geführt, hat der Betreuer in geeigneten Fällen auf Anordnung des Gerichts zu Beginn der Betreuung einen Betreuungsplan zu erstellen. In dem Betreuungsplan sind die Ziele der Betreuung und die zu ihrer Erreichung zu ergreifenden Maßnahmen darzustellen.

(5) Werden dem Betreuer Umstände bekannt, die eine Aufhebung der Betreuung ermöglichen, so hat er dies dem Betreuungsgericht mitzuteilen. Gleiches gilt für Umstände, die eine Einschränkung des Aufgabenkreises ermöglichen oder dessen Erweiterung, die Bestellung eines weiteren Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1903) erfordern.“

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Montag, 21. März 2011, 23:55h

Kontrolle der Häufigkeit der Besuchskontakte

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Vor einiger Zeit kam ein Schreiben des Gerichts in Umlauf, in dem der Standpunkt vertreten wurde, dass es sei notwendig sei, die Häufigkeit der sozialen Kontakte zu den Betreuten verbindlich vorzuschreiben. Obwohl das Schreiben sich in erster Linie auf die die Führung von Vormundschaften von Minderjährigen bezieht, ist es auch im Gespräch, für uns rechtliche Betreuer eine verbindliche Vorschrift in Bezug auf die persönlichen Kontakte zu erlassen. Ohne, dass dies schon spruchreif wäre, taucht immer wieder die Vorschrift eines einmal monatlich zu erfolgenden persönlichen Kontakts auf. Es ist aber fraglich, ob eine so starre Vorschrift sinnvoll und durchführbar ist.

Die Betreuungsarbeit gestaltet sich so komplex und so individuell, dass die Vorschrift eines monatlichen Besuchs dieser Komplexität gar nicht gerecht werden kann. Nicht jeder Betreute will seinen Betreuer jeden Monat sehen – immerhin gibt es ja auch einige Betreute, die gar nicht mit einer Betreuung einverstanden sind. Wenn die Aufgabenkreise sich nur auf Teilbereiche erstrecken, wie z.B. auf die Vermögenssorge oder auf die Geltendmachung von Ansprüchen, dann steht nicht der persönliche Kontakt im Mittelpunkt, sondern administrative Tätigkeiten. Außerdem muss auch berücksichtigt werden, in wieweit der Betreute sozial eingebunden ist und ein verlässlicher Informationsaustausch zu anderen Diensten, wie z.B. Pflegedienste, PPM-Betreuer, Besuchsdiensten oder Verwandten besteht.

Bei der Ansicht, wie oft ein persönlicher Kontakt zum Betreuten erforderlich ist, gibt es himmelweite Unterschiede unter den Betreuern, die von überhaupt nicht bis mindestens einmal monatlich reichen. Allerdings gab es einen Bruch in der Praxis der Kontakthäufigkeit, denn seitdem es eine Vergütungspauschale für die Betreuungstätigkeit gibt, gibt es auch einen teilweisen Rückgang der persönlichen Kontakte zu den Betreuten, was im Klartext heißt, dass seitdem nicht mehr so oft Besuche erfolgen. Für diesen Umstand gibt es zwei konträre Erklärungen.

Die eine lautet, dass die Pauschale unsere tatsächlich aufgewandte Arbeitszeit nicht abdeckt und deswegen mehr Betreuungen geführt werden müssen, da es sonst zu einer Verdiensteinbuße kommen würde. Der dadurch bedingte erhöhte Arbeitsanfall führt zwangsläufig dazu, dass Tätigkeiten wie Besuche der Betreuten wegfallen müssen.

Die andere Erklärung lautet, dass es dadurch, dass jetzt nicht mehr jede Tätigkeit detailgenau vergütet wird, auch weniger für den einzelnen Betreuten getan wird und die Betreuer versuchen, die Betreuungstätigkeiten auf ein Minimum zu begrenzen, um auf jeden Fall zeitlich unter der Stundenpauschale zu bleiben. Diese Reduzierung auf das nur unbedingt Notwendige wiederum ermöglicht die Erhöhung der Betreuungsfälle, was mit einer Einkommenserhöhung verbunden ist.

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Samstag, 22. Januar 2011, 01:50h

Heim oder eigene Wohnung - wie es weitergeht

behrens

Der Zustand meiner Betreuten, den ich ausführlich in meinem Beitrag ”Heim oder eigene Wohnung?” beschrieben habe, hat sich weiter verschlechtert, so dass Frau E. vor zwei Wochen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Sie ist kaum noch ansprechbar, weint nur und außerdem hat sich an den Füßen und am Steiß plötzlich ein Dekubitus gebildet.

Anfang der Woche kam dann ein Anruf vom Pflegeheim, bei dem die Betreute auf der Warteliste steht, überraschend ist ein Appartement freigeworden. Ich habe also in Anbetracht der massiven gesundheitlichen Verschlechterung zugesagt und vor zwei Tagen ist Frau E. dann vom Krankenhaus ins Heim verlegt worden. Es geht ihr allerdings so schlecht, dass sie dies kaum noch wahrnimmt.

Ich werde, so wie ich zuvor auch geschrieben habe, die Wohnung nicht sofort kündigen, sondern noch etwas abwarten. Damit sich Frau E. aber nicht völlig fremd im Appartement fühlt, habe ich ihr aber schon ein paar ihrer Kleinmöbel bringen lassen.

Heute habe ich mit dem Bezugspfleger darüber gesprochen, dass Frau E. kaum noch isst – sie nimmt nur einen Bissen und verschließt dann den Mund. Allerdings ist nicht klar erkennbar, ob dies eine Folge ihres Kräfteverfalls ist oder ob sie einfach nicht mehr essen möchte. Da sie nicht mehr in der Lage ist, sich zu äußern, wird irgendwann die Frage auf mich zukommen, ob möglicherweise eine sogenannte PEG-Sonde gelegt werden sollte. Dies ist eine Magensonde, über die zusätzlich flüssige Nahrung zugeführt wird. Eine eindeutige Indikation ist z.B. die einer starken Schluckstörung und oftmals kann bei Heilung dann auch wieder auf die Sonde verzichtet werden. Aber meist ist nicht eindeutig erkennbar, ob eine Magensonde wirklich sinnvoll ist – nämlich in den Fällen, in denen sich jemand schon im Sterbeprozess befindet und die Nahrungsverweigerung ein Zeichen dafür ist, dass derjenige nicht gegen den Sterbeprozess ankämpfen möchte.

Und genau wie die Frage, ob jemand in der Wohnung oder im Heim besser aufgehoben ist, fällt auch die Frage nach der Notwendigkeit einer PEG-Sonde in den Bereich des Spekulativen. Wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, seinem Willen Ausdruck zu geben, kann man nur erahnen, was in dem anderen vorgeht. Das macht es unendlich schierig.

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Freitag, 31. Dezember 2010, 00:58h

Heim oder eigene Wohnung?

behrens

Diese Frage ist leider nicht immer eindeutig zu beantworten. Bei einer meiner Betreuten hat sich seit einiger Zeit der gesundheitliche Zustand so verschlechtert, dass es fraglich ist, ob sie in der eigenen Wohnung noch am besten aufgehoben ist. Das Problem ist, dass meine Betreute selbst nicht weiß, was sie will. Ich möchte dies hier einmal näher schildern:

Frau E. ist 66 Jahre alt und geistig behindert. Sie wohnt schon fast ihr ganzes Leben in ihrer Wohnung. Als die Mutter vor ungefähr 9 Jahren verstarb, wurde ich zur Betreuerin bestellt, weil Frau E. aufgrund ihrer Dyskalkulie überhaupt nicht in der Lage war mit Geld umzugehen und außerdem auch mit dem Beantragen von Sozialleistungen völlig überfordert war. Jahrelang konnte sich Frau E. selbst versorgen und es wurde von mir nur eine sogenannte PBW – Pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum veranlasst, da Frau E. überhaupt keine sozialen Kontakte hatte. Sie nahm diese Hilfe, die inzwischen auf eine „sogenannte“ Wohnassistenz umgestellt wurde sehr gut an.

Vor etwa einem Jahr hat sich mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen der gesundheitliche Zustand völlig verschlechtert. Frau E. stürzte und konnte zeitweilig nicht mehr aufstehen und auch die gründliche ärztliche Untersuchung im Krankenhaus konnte dafür keine Erklärung finden. Frau E. hat zunehmend die Orientierung verloren und kann sich nicht mehr allein versorgen, so dass ich einen Pflegedienst beauftragte. Trotzdem kommt es jetzt ab und zu dazu, dass sie verwirrt auf die Straße rennt. Aber was vielleicht noch schlimmer ist – Frau E. weint sehr oft und scheint sehr unglücklich zu sein.

Obwohl sie früher schon bei dem Wort „Heim“ sofort zu weinen anfing, habe ich gemeinsam mit ihr ein Pflegeheim besucht. Und wider Erwarten gefiel es ihr auch ganz gut, zumal wir uns ein schönes Einzelzimmer angesehen hatten. Trotzdem ist sie in ihrem Wunsch nicht eindeutig, was erheblich dadurch erschwert wird, dass sie sich kaum mehr klar äußern kann und meist nur zusammenhanglose und schwer verständliche Sätze formuliert. Mit anderen Worten – ich kann nur ahnen und spekulieren, was sie möchte und was für sie gut wäre.

Im Heim hätte Frau E. soziale Kontakte und wäre nicht so isoliert. Außerdem wäre immer Pflegepersonal anwesend. Es würden auch Veranstaltungen stattfinden, zu denen sie ohne lange Wegzeiten und Transportprobleme gelangen könnte.

Aber trotzdem habe ich Bedenken. Frau E. lebt ihr ganzes Leben lang in ein- und derselben Wohnung. Dies stellt einen festen Orientierungsrahmen für sie dar. Alles ist so, wie es schon immer war. Wenn sie plötzlich aus diesem vertrautem Umfeld herausgerissen wird, wäre nicht auszuschließen, dass sie den Rest ihrer Orientierung vollständig verliert. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass sie durch die sozialen Kontakte wieder auflebt. Dies ist zwar meiner Erfahrung nach eher die Ausnahme, aber ist eben auch nicht ausgeschlossen.

Ich war heute gemeinsam mit der sehr engagierten Betreuerin der Wohnassistenz bei Frau E. und habe versucht, mir ein Bild zu machen. Aber das war alles andere als einfach, da Frau E. nicht mehr klar antworten kann. Sie scheint auch aufgrund ihrer geistigen Behinderung überhaupt nicht zu wissen, was mit ihr passiert ist und warum sie plötzlich für die meisten Verrichtungen Hilfe benötigt. Sie möchte beispielsweise gern ihre Pantoffeln anziehen, aber weiß nicht mehr, wie sie dies machen kann. Zur die Toilette kann sie nur sehr, sehr langsam gehen.

Ich muss jetzt eine Entscheidung fällen, über deren Folgen ich nur spekulieren kann. Glücklicherweise war es möglich, für Frau E. ein bisschen Geld anzusparen, so dass es machbar ist, die Wohnungsmiete für zwei bis drei Wochen auch trotz des Heimkostenanteils weiter zu bezahlen. Auf diese Weise kann ich eine Art Probewohnen veranlassen und nur wenn Frau E. sich in dieser Zeit im Heim wohl fühlt, bleibt sie dort. Wenn sie im Heim noch unglücklicher als zuhause ist, wird sie wieder in ihre Wohnung zurückkehren.

Sollte der Zustand von Frau E. unverändert sein, dann stehe ich allerdings wieder vor dem gleichen Problem wie jetzt…

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