Samstag, 17. März 2018, 21:22h

Gewalt gegen alte Menschen und das Phänomen der fehlenden Lobby

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Vor ein paar Tagen wurde in einer Hamburger Seniorenwohnanlage eine 93jährige Bewohnerin von einer ehemaligen Mitarbeiterin der Anlage ausgeraubt, mit dem Messer angegriffen und schwerverletzt liegengelassen. Vor drei Jahren wurde eine 84jährige in Hamburg Wilhelmsburg überfallen, brutal misshandelt und erstickt. Persönlich betroffen war ich, als ich erfuhr, dass einer meiner Grundschullehrer und dessen Frau bei einem Raubüberfall Opfer eines Gewaltverbrechens wurden. Beide waren berentet und schon weit über achtzig Jahre, als der aus dem dörflichen Umfeld stammende 38jährige deutsche Täter in ihr Haus eindrang und sie brutal ermordete. Gibt man im Internet die Begriffe „Raubüberfall/Raubmord an Rentner“ ein, dann gibt es unzählige ähnliche Fälle. Selbst für mich, für die das Thema kein Neuland ist, ist die große Anzahl derartiger Fälle überraschend.

Eine absolute Ausnahme bei Gewalttaten gegen alte Menschen sind diejenigen Fälle, in denen es zu Gegengewalt kommt und sich die Opfer wehren. Als im Jahr 2010 in einem niedersächsischen Dorf ein Rentner von einer Gruppe von fünf albanischen Jugendlichen überfallen wurde, erschoss er einen der Täter. Bei dem Täter handelte es sich um einen 16jährigen Intensivtäter. Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Jahr 2015 in Hamburg bei einem 63jährigen Hausbesitzer, der mit seinem bettlägerigen, pflegebedürftigen Vater zusammenlebte. Als zwei Männer gewaltsam in seine Wohnung eindrangen, erschoss er einen der Täter, bei dem es sich um einen 25jährigen nigerianischen Intensivtäter handelte.

Selbstjustiz wurde auch schon mal das Thema einer Rockoper. Im Jahr 1987 inszenierte Peter Zadek das Rock-Musical „Andi“, in dem es um den Mord an dem 16jährigen Andreas Z. geht, der 1979 von einem Kioskbesitzer erschossen wurde, als dieser sich durch seine Gewaltausbrüche bedroht fühlte. Auch wenn besagter Kioskbesitzer noch nicht im Rentenalter war, sondern soweit ich es erinnere, etwa Ende fünfzig, so ging es dennoch gerade darum, dass sich älterer Mensch gewaltsam gegen die Bedrohung von Jüngeren zur Wehr setzt.

Was bei der Thematik der Selbstjustiz der hier zitierten ersten beiden Fälle so verwundert, ist die Reaktion der Angehörigen der Täter. Familie und Bekanntenkreis reagierten extrem aggressiv, im Fall des Nigerianers kam es dabei zu so massiven Bedrohungen, dass Polizeischutz angeordnet werden musste. Auch wenn Selbstjustiz auf jeden Fall abzulehnen ist, so ist es doch erstaunlich, dass die Angst und die Panik des Opfers genauso vollständig ausgeblendet werden wie die erbarmungslose Brutalität und die erschreckende Skrupellosigkeit des Täters. Alte Menschen, die sich in ihrer Panik nicht wehrlos und schicksalsergeben ausrauben, misshandeln oder ermorden lassen wollen, werden plötzlich nicht mehr als Opfer, sondern als skrupellose Killer angesehen.

Gewalt gegen alte Menschen ist zwar einerseits ein öffentlichkeitswirksames Thema, das auch immer wieder gern entsprechend von der Presse aufgegriffen wird, aber andererseits scheint dieser Thematik eine politische Dimension abgesprochen zu werden. Während die Gesellschaft beispielsweise im Fall von Gewalt gegen Frauen oder gegen Ausländer die politische Dimension klar erkannt hat und dies folglich auch entsprechend im politischen Kontext diskutiert wird, wird dies erstaunlicherweise bei alten Menschen ausgeblendet und es fehlt jegliche Auseinandersetzung, die über bloße Entrüstung hinausgeht. Im Klartext: es gibt keinerlei Lobby!

Woran mag dies liegen? Warum gibt es zwar jede Menge äußerst engagierte Menschen, die aktiv auf Gewalt und Verfolgung aufmerksam machen, aber keine, die sich dabei der Thematik der Gewalt gegen alte Menschen annehmen?

Mir fallen hierbei immer wieder einige meiner früheren Kommilitonen oder Kollegen aus der Sozialarbeit ein, die bei Diskussionen, in denen es um alte Menschen ging, gern mal den Kommentar abgaben: „Alte Menschen sind voll fascho!“. Auch wenn diejenigen, die solche Platituden äußern, glücklicherweise eine Ausnahme darstellen, so sollte es doch zu denken geben, dass ausgerechnet in einer Szene, in der das Engagement für gesellschaftlich benachteiligte Menschen im Zentrum steht, eben solche undifferenzierten Platituden geäußert werden. Und irgendwie kann man sich der Frage nicht erwehren, warum es zwar die Begriffe „frauenfeindlich“ sowie „ausländerfeindlich“ gibt, aber nicht den Begriff „altenfeindlich“.

Was immer es für Gründe haben mag, dass alles mit dem Alter Zusammenhängende ignoriert, verdrängt oder lächerlich gemacht wird – irgendwann trifft es jeden und dann wird man am eigenen Leib erfahren, wie sich Ausgeliefertsein und Hilflosigkeit anfühlt.


https://www.mopo.de/hamburg/polizei/84-jaehrige-getoetet-lebenslang-fuer-brutalen-mord---richter-hatte--gaensehaut---24790826

https://www.welt.de/print-welt/article211157/Verdaechtiger-nach-Doppelmord-gefasst.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522034.html

ttps://www.mopo.de/hamburg/wollen-die-angehoerige-nun-rache--moustapha-a----25---das-ist-der-erschossene-raeuber-von-jenfeld-1190876

http://www.zeit.de/1987/12/theatralische-null-loesung/komplettansicht

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Sonntag, 11. September 2016, 03:22h

Ein Film, der unter die Haut geht – das Miterleben des Leides eines geliebten Menschen

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Wohl bringt die Liebe uns zuletzt auch Leid, denn eines muss ja vor dem andern sterben.
Friedrich Hebbel (1813-1863)


Wie kräftezehrend und extrem belastend es ist, mit einem Pflegebedürftigen oder Schwerkranken zusammenleben, wissen wahrscheinlich nur diejenigen, die dies selbst schon erlebt haben. Der Film „Liebe“ schildert diese Situation, in der das Zusammenleben eines alten Ehepaares zur Tragödie wird, als die Frau einen Schlaganfall erleidet.

Georges und Anne, gespielt von Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva, sind schon seit langem verheiratet und führen eine glückliche Ehe. Beide zeigen noch reges Interesse an Kultur und verbringen ihren Lebensabend ohne finanzielle Sorgen in einer schönen Wohnung in Paris. All dies ändert sich von einem Tag auf den anderen, als Anne einen Schlaganfall erleidet und sich von da an nur noch im Rollstuhl fortbewegen kann und auf Hilfe angewiesen ist. Zuerst bewältigt Georges die Aufgabe der Pflege und Versorgung seiner Ehefrau noch relativ gut, aber die Situation ändert sich dramatisch, als Anne einen zweiten Schlaganfall erleidet und danach völlig hilflos ist. Während Anne zuvor noch in der Lage war, sich zu äußern, ist ihr Sprachvermögen jetzt nahezu verschwunden, nur ein Wort äußert sie noch: „Hilfe“. Georges kommt an die Grenzen seiner Kraft, zumal Anne sich zunehmend weigert, Nahrung oder Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Irgendwann kommt es zur Katastrophe und Georges erstickt seine Frau mit einem Kissen.

Georges kleidet seine Frau an und schmückt ihr Bett mit Blumen. Danach sieht Georges plötzlich seine Frau in voller Gesundheit in der Küche und wird von ihr daran erinnert, dass sie beide ausgehen wollen, was dann auch geschieht.

Es ist schwer zu beschreiben, welche Gefühle der Film auslöst. Ich würde es am ehesten mit Hoffnungslosigkeit bezeichnen. Der Regisseur Michael Haneke hat in einem Interview erklärt, bewusst die Situation eines wohlsituierten Ehepaars gewählt zu haben, um das Thema nicht auf ein Sozialdrama zu beschränken. Das war meines Erachtens eine weise Entscheidung, denn auch wenn finanzielle Mittel Krankheit und Pflegebedürftigkeit in mancher Hinsicht erleichtern können, so handelt es sich doch um eine Grenzsituation, deren Leid existentiell ist und somit unabhängig vom sozialen Status.

Der Film führt in die Welt zweier Menschen, von denen einer am Ende seines Lebens durch eine schwere Erkrankung aller körperlichen und geistigen Fähigkeiten beraubt wird und der andere diesen Verfall eines geliebten Menschen ohnmächtig miterleben muss und dadurch an die Grenzen seiner Kraft gelangt. Sicher, man kann einiges tun, um es leichter zu machen – ambulante Pflegedienste, Hospizmitarbeiter, pflegegerechte Umgebung und Hilfsmittel – aber all dies kann das Leiden nur lindern und nicht beheben. Es tut sehr weh, einen geliebten Menschen leiden zu sehen und es fordert eine fast schon übermenschliche Kraft, denjenigen in seinem Leid nicht allein zu lassen. Hanekes Film „Liebe“ macht dies einfühlsam deutlich, was sicherlich auch der enormen schauspielerischen Leistung Jean Louis Trintignants und Emmanuelle Rivas zu verdanken ist, die die beiden Protagonisten mit sehr viel Respekt und Würde darstellen.Und genau darum geht es auch bei der Betreuung von Menschen, die sich in einer derart belastenden und kräftezehrenden Situation befinden – Respekt und Würde.

In dem Film gibt es eine Szene, in der Anne von einer der Pflegerinnen sehr schroff und herrisch behandelt wird, was dazu führt, dass ihr von Georges gekündigt wird. Er begründet dies ihr gegenüber damit, dass sie für den Umgang mit Menschen völlig ungeeignet sei. Diese Ansicht teile ich voll und ganz, denn das Mindeste, was ein kranker und hilfloser Mensch und auch sein Angehöriger verdient hat, ist eine respektvolle und würdige Behandlung.

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Donnerstag, 19. Juni 2014, 01:03h

Geruchsbelästigung als Grund für Heimeinweisung gegen den Willen eines alten Menschen?

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Wenn alte Menschen durch Demenz oder Gebrechlichkeit auffallen, kommt es im Umfeld immer wieder zu der Frage, ob das Verbleiben in der eigenen Wohnung noch vertretbar ist. Wie ich es hier schon früher einmal geschildert habe, ist es erschreckend, wie schnell Angehörige, Nachbarn, Pflegedienstmitarbeiter und selbst Behördenmitarbeiter das Urteil fällen, jemand müsse so schnell wie möglich ins Heim eingewiesen werden.

Ich erinnere mich an den Fall einer Betreuten eines früheren Kollegen, deren Vermieter hochempört darüber war, dass sich der Kollege sträubte, die alte Dame gegen ihren Willen in einem Heim unterzubringen. Was waren es für Vorfälle, die solche große Empörung hervorriefen? Im Wesentlichen ging es um zwei Dinge: zum einen spazierte die Betreute manchmal barfuß durchs Dorf und zum anderen war sie nicht mehr in der Lage, die Wasserspülung ihres WCs zu bedienen. Was das Barfußlaufen betraf, so muss man sagen, dass es sich nicht im tiefsten Winter abspielte, sondern bei annehmbaren Temperaturen. Und die Probleme mit der Toilettenspülung rührten daher, dass der Spülkasten ausgetauscht worden war und jetzt nicht mehr mit einer Spülkette sondern mit einer Spültaste betätigt wurde. Selbst bei jüngeren Menschen dauert es einige Zeit, ehe sich daran gewöhnt wird – bei einem älteren Menschen mit beginnender Demenz kann es manchmal unmöglich sein, sich an so eine Veränderung zu gewöhnen. So war es auch bei der Betreuten, was zur Folge hatte, dass sie nicht mehr spülte und es dadurch zu einer Geruchsbelästigung kam. Hätte sich die Toilette in der Wohnung befunden, wäre es wahrscheinlich niemandem aufgefallen, aber da sie sich im Hausflur ihrer Einliegerwohnung befand, bekam es der Vermieter mit.

Die Betreute wurde von einer sehr engagierten Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes versorgt, die neben ihren regulären Einsätzen nochmals zusätzlich bei der Betreuten vorbeischaute, nur um die Spülung zu betätigen. Die Mitarbeiterin war genauso wie mein Kollege der Meinung, dass weder das Barfußlaufen noch das Nichtbetätigen der WC-Spülung einen Grund darstellte, die alte Damen gegen ihren Willen aus der ihr vertrauten Umgebung herauszureißen und in einem Heim unterzubringen. Aber wie in so vielen anderen ähnlichen Fällen wurde dies nicht als Respekt vor der Selbstbestimmung eines alten Menschen angesehen, sondern als Verantwortungslosigkeit gedeutet. Es kam von Seiten des Vermieter zu sehr heftigen Anschuldigungen und zu unschönen Aktionen wie dem Fotografieren eines verschmutzen Bettes. Obwohl der Pflegedienst regelmäßig vorbeikam, kam es einmal dennoch dazu, dass durch die Inkontinenz der alten Dame das Bett völlig verschmutzt war. Natürlich wurde das Bett gesäubert, als der Pflegedienst in die Wohnung kam, aber der Vermieter war schneller und nutzte die Gelegenheit, um schnell Fotos zu machen, die dann als Beweis für die Anschuldigung der angeblichen Vernachlässigung der Betreuten herhalten mussten.

Da besagter Kollege und ich zum damaligen Zeitpunkt zusammen in einer Bürogemeinschaft arbeiteten und er gern eine zweite Meinung zu der Situation einholen wollte, suchten wir die Betreute gemeinsam auf. Ich traf eine quietschfidele alte Dame an, die offensichtlich mit sich und ihrem Leben zufrieden war. Ein gezieltes Gespräch war zwar nicht mehr möglich, aber die Betreute brachte durchaus zum Ausdruck, dass sie sich in ihrer Umgebung wohl fühlte. Diesen Eindruck hatte auch die Pflegedienstmitarbeiterin, die damit konfrontiert war, dass der Vermieter auch dem Pflegedienst feindlich gegenüberstand und massiven Druck ausübte.

Wie ist die Geschichte ausgegangen? Irgendwann kam ein Zeitpunkt, an dem mein damaliger Kollege ein passendes Heim suchte und den Versuch wagte, die Betreute dort vorzustellen. Wider Erwarten gefiel es der Betreuten dort und sie fand Zugang zu den anderen Bewohnern, so dass ein dauerhafter Wechsel ins Heim veranlasst wurde. Es ist aber außerordentlich wichtig zu betonen, dass diese Reaktion eine Ausnahme darstellt und viele Betreute an dem Verlust ihrer vertrauten Umgebung zerbrechen. Aus diesem Grund kann gar nicht oft genug betont werden, wie wichtig eine sorgfältige und gewissenhafte Abwägung dieser Entscheidung ist. Manchmal kommt die Bereitschaft, die vertraute Umgebung gegen eine bessere Versorgung einzutauschen nach einiger Zeit von alleine, denn auch ein dementer Mensch kann unter Umständen den Wunsch nach mehr Sicherheit entwickeln. Soweit es möglich ist, sollte man diesen Prozess abwarten.

Worauf es mir bei diesem Beitrag ankommt, ist der Appell an mehr Verständnis für die Eigenheiten und Einschränkungen alter Menschen. Es ist sicherlich nicht angenehm, wenn es zu Geruchsbelästigungen kommt. Und es ist auch zuerst einmal auch ungewöhnlich und befremdlich, dass ein alter Mensch barfuß spazieren geht. Aber beides sind keine ausreichenden Gründe um lauthals nach Heimeinweisung zu rufen und einem Menschen seine Wohnung zu nehmen. Und genauso unfair ist es auch, Betreuern generell Verantwortungslosigkeit und Ignoranz vorzuwerfen, nur weil nicht gleich bei den ersten Problemen eine Heimeinweisung veranlasst wird.

Es wäre schön, wenn diese Problematik mehr Interesse in der Öffentlichkeit erhalten und endlich ein Dialog beginnen würde.

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Donnerstag, 15. August 2013, 15:47h

Blick über unseren westlichen Tellerrand – ein Altenheim in Myanmar

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"Home For The Aged" in Bagan/Myanmar

Seit drei Tagen bin ich aus meinen Urlaub in Myanmar zurück. Obwohl ich nicht zum ersten Mal in Südostasien war, ist es immer wieder von neuem beeindruckend, ein asiatisches Land zu bereisen. Myanmar ist ein buddhistisches Land und der Glaube wird auch gelebt. Fast jeder Mann geht mindestens einmal in seinem Leben für eine gewisse Zeit ins Kloster und man sieht auch ungewöhnlich viele Nonnen in Myanmar. Auch wenn sich an der Macht der Militärs nichts Grundlegendes geändert hat, so wurde mit der Freilassung von Aung San Sue Kyi im November 2011 der erste Schritt hin zu einer Demokratisierung getan.

Ich war sehr erstaunt, als ich Bagan, der Ansiedlung im Gebiet des großen Tempelareals, ein „Home For The Aged“ entdeckte. Ich ging immer davon aus, dass es in Asien Altenheime allenfalls in größeren Städten geben würde, da es in asiatischen Familien ein großes Verantwortungsgefühl gegenüber den Eltern/Großeltern gibt und die Familie es daher für ihre Pflicht hält, sich selbst um die ältere Generation zu kümmern.

Burma old menUnd obwohl ich im Urlaub in Bezug auf meinen Arbeitsalltag sehr gut abschalten konnte, interessierte es mich dann doch brennend, wie es in einem birmanischen Altenheim aussieht. Da wir gerade zuvor eine Tagestour mit einem Guide gemacht hatten, fragte ich unseren Guide Tun-Tun, ob er uns zu dem Heim fahren und für mich übersetzen würde, was er sofort bejahrte. Tun-Tun verdient sich durch diese Fahrten sein Studium, denn eigentlich ist er Student und spricht exzellent Englisch.

Wir wurden in dem „Home For The Aged“ von den beiden Heimbetreuern ausgesprochen freundlich empfangen und bekamen gleich Essen und Trinken angeboten. Tun-Tun übersetzte meine Fragen. Natürlich lautete meine erste Frage, wieso die Bewohner nicht bei ihren Familien leben, was damit beantwortet wurde, dass die Angehörigen zu arm seien, um ihre Eltern/Großeltern selbst zu versorgen. Aber es wurde betont, dass es in der birmanischen Gesellschaft von immens großer Wichtigkeit sei, sich um die Eltern zu kümmern und dies wirklich nur in absoluten Ausnahmefällen nicht geschehen würde.

Hier nun einige Daten zu dem besagten Home For The Aged:

Es leben 9 Frauen und 7 Männer in dem Heim, die Männer sind im Alter zwischen 74 bis 87, die Frauen zwischen 73 und 84 Jahren. Keiner von den Bewohnern ist pflegebedürftig. Das Heim ist nicht staatlich und lebt ausschließlich von Spenden. Es gibt sechs Mitarbeiter, die allerdings auf ehrenamtlicher Basis arbeiten. Zweimal monatlich besucht eine Krankenschwester das Heim, wenn jemand ernsthaft krank wird, muss er sich allerdings selbst ins Krankenhaus begeben. Die Frauen wohnen gemeinsam in einem Raum und die Männer ebenfalls.

Es gibt eine Meditationshalle, in der sich fünfmal täglich alle Bewohner zum Meditieren treffen. Burma Meditationshalle Ich wurde darauf hingewiesen, wie wichtig diese gemeinsamen Treffen zur Meditation seien. Ich fragte natürlich, ob es denn keine pflegebedürftigen Bewohner geben würde, die einer intensiveren Pflege bedürfen. Die Antwort darauf fiel ein wenig vage aus, es sei anscheinend nur einmal bei einem über Neunzigjährigen vorgekommen, dass eine Pflegebedürftigkeit bestand, was ich natürlich nicht so recht glauben konnte, denn erfahrungsgemäß wird ja jeder Mensch (ausgenommen die Fälle eines plötzlichen Herztods oder Schlaganfalls) irgendwann mehr oder weniger pflegebedürftig. Hierauf bekam ich dann die Antwort, dass dies wahrscheinlich auf die regelmäßig praktizierten Meditationen zurückzuführen sei. Diese Erklärung ist natürlich für uns Westler erstmal nicht so leicht zu verstehen. Auch wenn man um die tiefgreifenden positiven Wirkungen der Meditation weiß, so kann man sich nur schwer vorstellen, dass dadurch altersbedingte Prozesse einfach außer Kraft gesetzt werden. Tun-Tun wies dann auch noch darauf hin, dass der Leichnam von Mönchen keinen Verwesungsgeruch hätte, was ebenfalls mit der intensiven Meditationspraxis begründet wurde. Ich habe davon zwar auch schon gehört, aber wie gesagt – als jemand, der aus einer westlichen Industriegesellschaft kommt, bin ich nicht so leicht zu überzeugen.

Ich fragte außerdem, ob es denn nicht zu wenig Privatsphäre geben würde, wenn so viele Menschen gemeinsam in einem Zimmer wohnen. Die Frage stieß auf allgemeines Unverständnis, denn allein in einem Zimmer wäre es nach Ansicht der Heimbetreuer und auch Tun-Tun doch viel zu einsam.Burma Zimmer Zum Verständnis dieser Aussage muss man sich unbedingt vor Augen führen, dass die meisten Familien in Myanmar mit mehreren Personen in einem Zimmer wohnen und dabei oftmals auch das Bett geteilt wird. In einem Zimmer zu sieben oder sogar neun Personen zu wohnen ist somit etwas weitgehend Normales.

Ich möchte hier auf etwas hinweisen, das mir schon oft in Asien aufgefallen war. Während hier in Deutschland für ältere Menschen oftmals eine Sitzerhöhung für Stuhl oder WC und auch ein höhenverstellbares Bett angeschafft wird, setzen sich in Asien selbst sehr alte und gebrechliche Menschen meist mühelos im Schneidersitz auf den Boden. Anscheinend ist das ständige Hinsetzen auf den Boden der Grund dafür, dass der Körper seine Gelenkigkeit behält. So verwundert es auch nicht, dass die Meditationshalle für die Bewohner nicht mit Stühlen ausgestattet ist.

Ich fragte die Bewohner, ob ich sie fotografieren dürfe, was lächelnd bejahrt wurde. Überhaupt begegneten mir fast alle Bewohner sehr freundlich.Burma old LadyEine der Bewohnerinnen bestand lebhaft darauf, sich vor dem Foto auf die birmanische Art zu schminken, das bedeutet, sich eine Paste aus Tamarinde auf die Haut aufzutragen. Fast alle Frauen tragen regelmäßig diese ungewöhnliche gelbe Paste auf. Zuletzt wurde mir noch eine Art Gästebuch vorgelegt, in dem Touristen ihre Spenden vermerkt hatten und meist noch ein paar persönliche Worte hinzufügten. Einige Touristen hatten Brillen mitgebracht, andere gaben Geld.

Ich bin sehr dankbar, dass mir so bereitwillig Einblick in die Einrichtung gegeben wurde. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, wie z.B. die Frage nach der Versorgung schwer pflegebedürftiger Menschen. Ich vermute, dass bei dem angeblichen Nichtvorhandensein von Pflegebedürftigkeit unter anderem auch die schlechtere medizinische Versorgung eine Rolle spielt, die dazu führt, dass infolge der Nichtbehandlung von Erkrankungen wie beispielsweise Schlaganfall, Herzinfarkt oder Lungenentzündung die Menschen versterben, bevor sie pflegebedürftig werden. Es ist noch gar nicht so lange her, dass dies auch in Deutschland so war. Ich kann mich noch erinnern, dass in meiner Kindheit alte Menschen meist nach kurzer schwerer Erkrankung verstarben und der Zustand der schweren Pflegebedürftigkeit niemals über Jahre andauerte. Ich will aber auch nicht von vorneherein ausschließen, dass eine regelmäßige Meditationspraxis ihren Teil zum Erhalt der Gesundheit beiträgt.

Auch wenn es himmelweite Unterschiede zwischen dem Leben in Myanmar und dem in Deutschland gibt, Burma Moencheso stellt es eine Chance dar, einmal über seinen westlichen Tellerrand zu gucken.Insbesondere die in den Alltag integrierte Meditation ist es wert, näher betrachtet zu werden.Auch hier in Deutschland habe ich schon Menschen getroffen, die Interesse daran haben, eine Wohnform mit spirituellem Hintergrund zu schaffen. Vielleicht sollte man es einfach mal anpacken und dabei ein wenig von anderen Kulturen lernen.

Natürlich habe ich in Myanmar nicht nur Altenheime besucht. Wer sich für die anderen Eindrücke dieses wunderschönen Landes interessiert, kann hier und hier weiterlesen.

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Mittwoch, 14. August 2013, 19:39h

Der Himmel kann warten

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Veranstaltungstipp - Heaven Can Wait im St.Pauli-Theater

Wahrscheinlich ist dem einen oder anderen die amerikanische Gruppe young@heart bekannt, ein Chor, der aus Senioren besteht. Das Besondere an diesem Chor ist, dass er keine Volkslieder oder alte Schlager interpretiert, sondern Rockmusik. Die Bandbreite geht von Clash, Ramones, Talking Heads bis zu Jimi Hendrix. Näheres in dem Trailer.

Aber nicht nur die Amerikaner zeigen, was für musikalische Leistungen alte Menschen erbringen können. Wie ich gerade erfahren habe, gibt es jetzt endlich auch in Deutschland eine Gruppe rockender Senioren. Heaven Can Wait besteht aus Menschen, die mindestens 70 Jahre alt sind, das älteste Mitglied ist 87. Es werden Hits von Coldplay, Nirvana und den Toten Hosen geboten.

Wer Interesse hat: die Gruppe tritt vom 21.-25.08. im St.Pauli-Theater in Hamburg auf (jeweils 20.00 Uhr, Tel. 47110611, Karten zwischen 19,90 – 29,90 €).

Es gibt anscheinend noch kein youtube-video, aber zur Einstimmung hier der Trailer von young@heart:


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Samstag, 16. März 2013, 18:28h

Fernsehtipp zum Thema Alter und Buchtipp Demenz

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Am kommenden Montag, dem 18.03.2013 gibt es um 21.15 Uhr auf RTL die Sendung "Jenke - Das Experiment". Der 47jährige Reporter Jenke zieht in ein Appartement im Altenheim. Um sich auch körperlich in die Lage eines alten Menschen zu versetzen, trägt er einen speziellen Anzug, der Schwerfälligkeit und Zittern simuliert und außerdem eine Maske, die ihn um die 30 Jahr älter aussehen lässt.

Ich habe mir vorgenommen, mich mehr mit dem Thema Alter und Demenz zu beschäftigen (zumal das Thema ja auch bedrohlich näher rückt...) und mir das Buch "Demenz" (Annette Bruns u.a., Spiegel Buchverlag) bestellt. Ich kann das Buch nur etappenweise lesen und lege es dann wieder aus der Hand. Merkwürdigerweise ist dieses Thema für mich belastender als das Thema Locked-In-Syndrom, mit dem ich mich auch schon beschäftigt habe.

Habe noch nicht herausgefunden, was genau an dem Thema Demenz so viel erschreckender ist. Vielleicht ist der Verlust des Geistes noch furchteinflößender als der Verlust der Körperbeherrschung, da man das Gefühl hat, mit dem Geist geht auch die gesamte Persönlichkeit verloren.

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Donnerstag, 7. März 2013, 00:52h

Auf die alten Tage nach Thailand? – Fortsetzung

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Zufällig habe ich heute eine Art Fortsetzung der Sendung gesehen über den Trend, seinen Lebensabend in einem Heim in Thailand zu verbringen. Nach einem Jahr wurde eine Art Folgebesuch bei den in Thailand lebenden Senioren gemacht. Dabei erfuhr man auch ein paar Details. Zum Beispiel kostet ein Platz in einer Seniorenresidenz für Demente mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung 2.500,00 € und ein kleines Häuschen mit Vollpension in einer Seniorenresidenz für noch rüstige Rentner ohne Pflegebedarf kostet 880,00 €.

Da wurde die Rentnerin Ute gezeigt, die sich in ihrem Häuschen gar nicht so wohl fühlte, da sie in der Seniorenresidenz nicht den erwarteten Anschluss gefunden hatte. Ute gibt als Grund für die Abkehr Deutschlands „Flucht vor der Altersarmut“ an und sie will auch jetzt nicht wieder zurück in die Heimat. Kurzentschlossen sucht sie jetzt über Internetkontakte eine neue Bleibe, wobei man natürlich unterstreichen muss, dass sie noch rüstig genug ist, um die dafür nötige Aktivität zu haben.

Und da ist die gebürtige Schweizerin Elisabeth, die so dement ist, dass sie den Namen ihrer thailändischen Pflegerin immer wieder vergisst, die aber dennoch perfekt Englisch spricht und zwar so gut, dass sie der Pflegerin jetzt Sprachunterricht gibt! Ich bin höchst erstaunt, aber ich habe in der Vergangenheit auch schon einen Dementen erlebt, der zeitweilig wieder im Besitz seiner Latein- oder Altgriechischkenntnisse war.

Dann wird ein sehr dementer Mann gezeigt, der von seiner Ehefrau in das Dementenpflegeheim gegeben wurde. Sie besucht ihn jedes Jahr für einige Monate. Auf die Frage, warum sie sich dazu entschlossen hat, ihren Mann in ein thailändisches Pflegeheim zu geben, antwortet sie: „ Um ihm die Freiheit zu lassen und die Würde. Er hat in Deutschland so viele Medikamente bekommen, dass er völlig steif wurde und in Thailand wurden dann die Medikamente langsam abgesetzt“.

Und jetzt kommt noch ein ganz spezieller Fall, der zeigt, dass es eben doch nicht das Gleiche ist, ob eine Frau altert oder aber ein Mann. Gezeigt wird Reinhard, der mit einer wesentlich jüngeren Thailänderin in einem Hochhaus in Pattaya wohnt. Ihm ist die Idee gekommen, seinen weiteren Lebensabend mit seiner thailändischen Freundin zu verbringen, weil „die Leute hier bekannt dafür sind, dass sie die Alten sehr gut pflegen“. Er lobt, dass seine Freundin „nicht raucht, nicht trinkt und nicht spielt“. Lediglich Geld würde sie nicht ablehnen (das mag wohl auch der Grund ihrer Motivation für die Beziehung sein…). Er besucht dann auch tatsächlich die auf dem Land lebende Familie der Freundin, die ihn sehr herzlich grüßt und dabei schätzt er schon mal ab, ob man mit einem Rollstuhl im Haus herumfahren könnte.

In dem kleinen Dorf wird dann noch ein Zeremoniell an einem speziellen Festtag für ältere Menschen gezeigt; es werden zur Bezeugung des Respekts die Hände der alten Menschen gewaschen.

Ich muss gestehen, dass ich den Gedanken der Versorgung deutscher Pflegebedürftiger in Thailand nicht mehr so befremdlich empfinde wie bei der ersten Sendung. Es machte nicht den Eindruck, dass jemand der vier gezeigten Menschen unglücklich war. Zwar hat Elisabeth gefragt: „Why I’am here and not in Switzerland?“ aber es machte eher den Eindruck einer Frage aus reiner Neugier, als aus Bedauern oder Kummer.

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Donnerstag, 29. November 2012, 23:26h

Auf die alten Tage nach Thailand?

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Um es gleich vorab zu sagen: ich bin ein absoluter Asien-Fan. Ich liebe buddhistische Länder, den Dschungel und den Mekong, die asiatische Küche und quirlige Basare. Ich muss mindestens jedes zweite Jahr nach Asien fliegen, damit ich nicht an Fernweh erkranke. Aber trotzdem würde ich nicht in ein asiatisches Pflegeheim ziehen, wenn der Zeitpunkt kommt, wo ich auf pflegerische Hilfe angewiesen sein werde. Warum? Ich habe hier meine Wurzeln, habe hier meinen Freundeskreis und meine Familie, hier wird meine Sprache gesprochen und ich bin an die hier herrschenden Umgangs- und Kommunikationsformen gewöhnt. Und ich vermute, dass ich mich darin auch nicht völlig von den meisten Menschen unterscheide.

Warum geben jetzt Familien ihre pflegebedürftigen oder dementen Angehörigen ausgerechnet in ein Pflegeheim, das sich auf der anderen Seite der Welt befindet? Weil es erheblich billiger ist. Man kann in Thailand eine Eins-zu-Eins-Pflege – also eine Betreuungsperson ganz für sich allein – zum gleichen Preis erhalten, wie hier in Deutschland für einen ganz normalen Heimplatz mit einem Personalschlüssel von vielleicht Acht zu Eins*. Es geht also nicht nur darum, einfach nur die billigere Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, sondern auch um Qualität. Aber geht diese Rechnung tatsächlich auf? Funktioniert es wirklich so reibungslos, einen alten Menschen in eine für ihn völlig fremde Umgebung zu geben? Mit einem Kontakt zur Familie, der sich allein aufs Skypen beschränkt?

Es gibt nicht nur in Thailand Heime, die sich auf deutsche Heimbewohner einstellen, sondern auch in Osteuropa. Auch hier gibt es deutschsprechendes Personal mit dem Bestreben, sich nicht nur auf einheimische Heimbewohner, sondern auch auf deutsche einzustellen. Ich las vor kurzem einen Leserbrief zu diesem Thema, der nachdenklich macht: „Jetzt gehen unsere alten Menschen nach Osteuropa, weil dort ein Heimplatz billiger ist und gleichzeitig kommen aus den osteuropäischen Ländern Arbeitskräfte zu uns, weil sie hier mehr verdienen“.

Ich mag mir gar nicht meine längst verstorbene Oma vorstellen, die zweimal durch den Krieg ihre Heimat verlor. Zum einen wäre es ihr in Thailand viel zu heiß und schwül (da geht es mir übrigens nicht anders) und zum anderen würde sie alles vermissen, an das sie sich hier gewöhnt hat. Und je älter sie war, desto schwieriger war die sprachliche Verständigung und man musste etwas schon sehr exakt aussprechen, damit sie es verstand. Genauso, wie wir Deutschen uns manchmal merkwürdig anhören, wenn wir eine asiatische Sprache sprechen, so ist es auch umgekehrt der Fall. Es gibt ältere Menschen, die es lieben, wenn Ärzte oder Pflegepersonal auf plattdeutsch mit ihnen sprechen, weil es mit vielen Heimaterinnerungen verbunden ist. Obwohl meine Oma gern auch mal chinesisch essen ging, wäre sie auf die Barrikaden gegangen, wenn sie nicht mindestens fünfmal wöchentlich ihre typisch pommersche Hausmannskost erhalten hätte. Und irgendwie kann ich mir meine Oma bei aller Phantasie nicht vor einem Laptop beim Skypen vorstellen, denn sie hat sich schon geweigert, ein Tastentelefon (früher gab es Wählscheiben) zu bedienen.

All diese vielen Einzelheiten, die das Gefühl von Heimat ausmachen, kann man darauf wirklich einfach so verzichten?

Es gibt zu diesen Thema auch noch eine Art Fortsetzung

* Da hat mich mein subjektiver Eindruck arg getäuscht, wie man hier lesen kann!

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Montag, 27. August 2012, 13:06h

Altersdiskriminierung

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Man weigert sich,
solange man im jugendlichen Drang
den wechselvollen Alltag genießt,
in den Greisen das eigene Schicksal zu sehen.

Simone de Beauvoir (1908-1986)

Ich habe schon seit längerem vor, mich mehr dem Thema Alter zu widmen. Anfangen will ich mit den Vorurteilen, die aus allen Bereichen heraus gegenüber alten Menschen bestehen. Ich erinnere mich noch gut, dass es sogar im Studium der Sozialpädagogik, in dem ja eigentlich Vorurteile abgebaut anstatt vertreten werden sollen, auch hier und da heftig gegen alte Menschen ausgeschlagen wurde. „Ich habe keinen Bock auf alte Menschen, die sind alle voll fascho!“ äußerte ein Kommilitone. Auch wenn die meisten anderen Studenten diese Ansicht mit Sicherheit nicht teilten, so hat doch niemand den Mund aufgemacht, was wahrscheinlich auch daran lag, dass es sich nicht lohnt, auf so platte Aussagen zu reagieren. Allerdings wäre dies mit großer Wahrscheinlichkeit doch etwas anderes gewesen, wenn sich so eine platt verallgemeinernde Aussage gegen andere Gruppen, wie zum Beispiel Ausländer oder Jugendliche, gerichtet hätte. „Alte Leute sind doch alle voll fascho“ sagte auch eine frühere Kollegin aus einer Drogenberatungsstelle. Mit einer differenzierten Sichtweise können alle möglichen Bevölkerungsschichten rechnen – alte Menschen jedoch nicht.

Auch hier unter den Bloggern habe ich mal einen (sehr unerfreulichen) Dialog mit jemandem geführt, der gegen einen von mir veröffentlichten Beitrag über die Vermarktung der Sexualität unter anderem mit einem Argument konterte, das genauso platt wie diskriminierend ist:

Ich sitze schließlich nicht in einem Altenheim unter zu Betreuenden, sondern mitten im Leben unter jungen Menschen zwischen zwei bis sechzig und älteren.

Abgesehen davon, dass zu Betreuende nicht nur im Altersheim anzutreffen sind, sondern ein großer Teil der Betreuungen quer durch alle Altersklassen verläuft, also auch weit unter 60, drückt diese Aussage die ganze Armseligkeit eines Vorurteils aus. Da gibt es also zum einen diejenigen, die „mitten im Leben stehen“ weil sie ihr Leben unter jungen Menschen verbringen. Die anderen – also diejenigen, deren Beruf mit alten Menschen zu tun hat, bekommen vom eigentlichen Leben nichts mehr mit. Und selbstredend ist die erste Gruppe weltoffenen und allem Neuem aufgeschlossen und letztere kleinkariert und erzkonservativ. Man muss also noch nicht einmal selbst alt sein, sondern es reicht aus, dass man seine berufliche Zeit mit alten Menschen verbringt. Anscheinend geht besagter Blogger davon aus, dass die „Krankheit“ Alter ansteckend ist. Und selbstredend nimmt er für sich in Anspruch, jung geblieben zu sein. Dies trifft merkwürdigerweise auf viele zu, die platte Vorurteile gegen das Alter vertreten, obwohl gerade unter diesen Vertretern so mancher ist, der eher oberlehrerhaft als jugendlich und tolerant wirkt.

Ich komme zurück auf das Zitat von Simone de Beauvoir. Für mich ist Beauvoir, die auch im hohen Alter noch publiziert hat, ein positives Beispiel dafür, dass man die Auseinandersetzung mit dem Thema Alter auch anders angehen kann. Ohne platte Vorurteile, sondern mit Respekt und im Bewusstsein der Wichtigkeit dieses Themas, das in unserer Gesellschaft so gern verdrängt wird, weil es einen selbst – und darauf ist so mancher offensichtlich sehr stolz – ja überhaupt nicht betrifft.

Die bittere Ironie des Schicksals der ewig Jungen besteht darin, dass es wenn der Zeitpunkt dann doch irgendwann eintritt (was nicht zu verhindern ist), zu spät ist, sich aktiv für seine Belange einzusetzen.

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Sonntag, 18. November 2007, 21:09h

Der Ruf nach Heimeinweisung

behrens

Als Betreuerin ist man immer wieder mit der Situation konfrontiert, überprüfen zu müssen, ob jemand noch in der Häuslichkeit verbleiben kann oder aber in ein Heim wechseln muß. Bei jemanden, der selbst den Wunsch nach einem Heim äußert, stellt dies kein besonderes Problem dar, denn dann muß nur nach einem geeigneten Heim gesucht werden und der Umzug und die Wohnungsauflösung müssen organisiert werden.

Ein nicht geringer Teil der Betreuten will aber nicht ins Heim ziehen sondern um jeden Preis in der eigenen Wohnung bleiben. Was bedeutet das für mich als Betreuerin?

Zuerst einmal den einfacheren Fall: ein Betreuter ist zwar schwerkrank, aber nicht mehr in der Lage, seine Wohnung zu verlassen sondern bettlägerig. Hier ist der Wunsch nach dem Verbleiben in der eignen Wohnung noch relativ einfach realisierbar, denn es gilt nur, einen guten Pflegedienst zu finden und die häusliche Pflege so umfangreich wie möglich zu organisieren, Beantragung einer angemessenen Pflegestufe, Beantragung möglicher Hilfsmittel in der Wohnung und falls möglich zusätzliche Besuchsdienste. Letzteres ist schwierig, wenn es sich um einen Betreuten ohne Geld handelt. Dennoch ist es hier fast immer möglich, dem Betreuten in seinem Wunsch nach dem Verbleiben in der Wohnung zu entsprechen.

Jetzt der schwierigere Fall: der Betreute ist gebrechlich und hilfsbedürftig und noch in der Lage, sich innerhalb der Wohnung und vielleicht sogar außerhalb fortzubewegen. Es kommt zu Stürzen und der Betreute liegt unter Umständen stundenlang, im schlimmsten Fall sogar einige Tage, hilflos in seiner Wohnung. Oder der Betreute verläßt die Wohnung ohne Schlüssel und schließt sich selbst aus, Nachbarn informieren die Polizei und nur über einen Schlüsseldienst kann der Betreute wieder in seine Wohnung. Nach kurzer Zeit werden jetzt Nachbarn, der Hausarzt, die Familie, die Polizei, der inzwischen informierte Sozialpsychiatrische Dienst und wer sonst noch davon mitbekommen hat, den unvermeidlichen Satz äußern: „Wieso kommt der nicht in ein Heim?“ Eventuell werden die Vorwürfe auch viel schärfer formuliert und es wird dem Betreuer Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit und Nichtstun vorgeworfen. Man braucht ein dickes Fell um jetzt einen klaren Kopf zu behalten. Einige Betreuer – meist männlichen Geschlechts – zucken in dieser Situation manchmal nur mit den Schultern und äußern lapidar „Ob jemand ins Heim kommt, ist allein meine Entscheidung“. Ich persönlich bin da (leider?) nicht so zweifelsfrei.

Was ist, wenn der Betreute einen Wasser- oder Feuerschaden anrichtet? Was passiert, wenn der Betreute jeden zweiten Tag wegläuft und von der Polizei aufgegriffen wird? Was geschieht, wenn der Betreute regelmäßig nachts seine Nachbarn aus dem Bett klingelt? Was bedeutet es, wenn der Betreute infolge von Stürzen immer wieder ins Krankenhaus eingeliefert werden muß?

Es gibt hier leider keine allgemeingültige Antwort. Ich bin der Meinung, solange es keine unmittelbare Gefahr für Dritte gibt, sollte trotzdem versucht werden, jemanden solange wie möglich in seiner Wohnung bleiben zu lassen. Stürze geschehen auch im Heim und sogar im Krankenhaus, weil auch dort nicht immer jemand in unmittelbarer Nähe ist.

Was ist allerdings, wenn der Betreute zu einer wirklichen Belastung für die Nachbarn wird und dies deren Wohnqualität erheblich einschränkt? Auch ich möchte nicht jede Nacht mehrmals wachgeklingelt werden. Auch ich möchte nicht ständig das beängstigende Gefühl haben, daß der Nachbar eventuell mal irgendeine Katastrophe in seiner Wohnung anrichtet. Meiner Erfahrung nach kann es in einigen Fällen gelingen, Nachbarn von dem Ruf nach einem Heim abzubringen, wenn man sich die Zeit dafür nimmt, die Situation ausführlich mit all ihren Schwierigkeiten zu erklären. Manchmal nützt aber auch dies nichts und man ist auch weiterhin den Vorwürfen der Unverantwortlichkeit und des Nichtstuns ausgeliefert.

Bei der Diskussion um das Thema Heim sollte man sich unbedingt einmal vergegenwärtigen, daß es jede Menge Menschen gibt, die vielleicht schon längst im Heim gelandet wären – wenn sie zur Gruppe der alten Menschen gehören würden. Ich denke hier an diejenigen Menschen, die immer wieder gewalttätig werden und die zwar manchmal (auch nicht immer!) für einige Zeit in Haft kommen, aber denen man noch längst nicht die Wohnung wegnehmen würde. Ich denke an die vielen Jugendlichen, die ganz offensichtlich auch selbstschädigend handeln und die trotzdem nicht ins Heim müssen und die nicht ihr Recht auf eine Jugendwohnung oder Jugendwohngruppe verlieren. Vor diesem Hintergrund wird es dann plötzlich fragwürdig, warum auf der einen Seite ein alter Mensch das Recht auf seine Wohnung verlieren soll, nur weil er die Nachbarn nervt, aber auf der anderen Seite ein gewalttätiger Mensch, der eine reale Gefahr für die Umwelt darstellt, sich unbehelligt ohne jede Einschränkung weiter frei bewegen darf. Ein Jugendlicher, der durch seinen Drogenkonsum unweigerlich dem Abgrund entgegen steuert, ist nicht weniger gefährdet, als ein alter Mensch, der infolge seiner Gebrechlichkeit stürzen könnte.


In der Betreuungsarbeit macht man die traurige Erfahrung, daß einige Menschen nach dem Wechsel in ein Heim ihren Lebenswillen verlieren und manchmal schon kurze Zeit später sterben. Es ist paradox, daß daraus selten ein Vorwurf an den Betreuer gemacht wird, denn der alte Mensch war ja bestens versorgt. Ich habe die Situation zweimal erlebt und obwohl ich von keiner Seite auch nur im geringsten kritisiert wurde, habe ich im nachherein an meiner Entscheidung Zweifel.

Da Menschen sehr unterschiedlich sind, kann auch eine Wohnung einen sehr unterschiedlichen Stellenwert haben. Manche Menschen sind oft umgezogen und verbinden mit ihrer Wohnung nur einen von vielen Orten, der in ihrem Leben eine Rolle gespielt hat. Bei manchen Menschen ist die Wohnung jedoch ein Rückzugsort höchster Wichtigkeit. Die eigene Wohnung ist ein Ort der Autonomie und der Möglichkeit der Selbstgestaltung. Eingerichtet nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen und voll mit Erinnerungen. Hier hat man gelebt, als man noch im Vollbesitz der geistigen und körperlichen Kräfte war. Ein früherer Betreuter von mir drückte sich einmal so aus: „meine Wohnung - das bin ich“. Das entsprach auch den Tatsachen, denn die Wohnung des sehr belesenen und an Kunst und Kultur interessierten Herrn war gestaltet mit vielen, liebevoll ausgesuchten Gegenständen, die Bücherregale quollen über von literarischen Kostbarkeiten. Ich hatte solange gewartet, bis der demenzkranke Betreute von selbst in ein Heim ziehen wollte und ihn auch selbständig die mitzunehmenden Dinge aussuchen lassen. Trotzdem war mit dem Wechsel in ein Heim eine deutliche Veränderung zu beobachten und auch dieser – körperlich nicht kranke – Betreute verstarb bald.

Wenn man einen kranken, gebrechlichen oder verwirrten Menschen das Recht auf den Verbleib in seiner Wohnung gibt, ist von der Umwelt eine Menge Toleranz und Geduld erforderlich. Von Seiten der Betreuer wäre es wiederum erforderlich, dieses Problem mehr an die Öffentlichkeit zu rücken und zu thematisieren. Eine informierte und sensibilisierte Öffentlichkeit wird mehr Verständnis für ihre alten Menschen zeigen – auch wenn diese mal nachts an der Tür klingen.

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