Mittwoch, 27. Oktober 2010, 14:02h

Hans Jonas: Furcht, Hoffnung und Verantwortung

behrens

Hoffnung ist eine Bedingung jeden Handelns, da es voraussetzt, etwas ausrichten zu können, und darauf setzt, es in diesem Fall zu tun…Aber dass schon das unmittelbare Gelungene und erst recht sein Weiterwirken im unabsehbaren Fluss der Dinge wirklich das dann noch Erwünschte sein wird, das kann bei allem, was das Handeln sich selbst zutraut, immer nur eine Hoffnung sein. Immer muss der Wissende darauf vorbereitet sein, später einmal wünschen zu müssen, er hätte nicht oder anders gehandelt.

Verantwortung ist die als Pflicht anerkannte Sorge um ein anderes Sein, die bei Bedrohung seiner Verletzlichkeit zur „Besorgnis“ wird. Als Potential aber steckt die Furcht schon in der ursprünglichen Frage, mit der man sich jede aktive Verantwortung beginnend vorstellen kann: was wird ihm zustoßen, wenn ich mich seiner nicht annehme? …Fürchten wird selbst zu ersten präliminaren Pflicht einer Ethik geschichtlicher Verantwortung werden. Begründete Furcht, nicht Zaghaftigkeit; vielleicht gar Angst, doch nicht Ängstlichkeit; und in keinem Falle Furcht oder Angst um sich selbst.


Hans Jonas (1903 – 1993) aus „Das Prinzip Verantwortung"

„Immer muss der Wissende darauf vorbereitet sein, später einmal wünschen zu müssen, er hätte nicht oder anders gehandelt.“ Das trifft den Kern des Problems bei existentiellen Entscheidungen. Weil bei der „Sorge um ein anderes Sein“ die einzelnen Interessen und Positionen oftmals höchst kompliziert und darüber hinaus gar nicht immer für andere klar erkennbar sind, gibt es keine Garantie dafür, ob eine Entscheidung richtig sein wird. Und anders als im kaufmännischen Denken, in dem es immer nur um die Maxime der Arbeitseffektivität und der Gewinnmaximierung geht, geht es in der Sozialarbeit bei der Suche nach Problemlösungen um äußerst komplexe und vielschichtige Zielsetzungen.

Das menschliche Handeln mit all seinen Facetten und seiner Vielschichtigkeit ist nicht berechenbar und somit auch niemals vorhersehbar. Das könnte jetzt als Trost gelten, wenn man eine falsche Entscheidung getroffen hat, bzw. eine falsche Entscheidung nicht ausreichend bekämpft hat. Dennoch sollte man diesen Trost nicht als bequeme Entschuldigung missbrauchen. Es bleibt die Frage nach dem Warum für eine falsche Entscheidung. In wieweit haben dabei auch Projektionen oder Übertragungen eine Rolle gespielt? In wieweit hat man eine Entscheidung vielleicht unterschwellig auch deswegen getroffen, weil diese vor der Konfrontation mit unbequemen Auseinandersetzungen und Kämpfen bewahrt hat?

Die Konfrontation mit den Gründen für eine Entscheidung sollte man sich niemals ersparen. Zumindest dann nicht, wenn zu dem Selbstverständnis von Arbeit auch der Wunsch nach Veränderung gehört. Und dies stellt einen ganz entscheidenden Unterschied der Positionen dar: erschöpfen sich die Zielsetzungen lediglich in der formalen Erfüllung meiner Aufgabe? Oder gehört zur Zielsetzung auch das Streben nach struktureller Veränderung und Beseitigung von Missständen?

Oder noch einfacher: Stillstand oder Entwicklung?

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