Donnerstag, 10. März 2016, 18:51h

Wenn auf einmal alles völlig anders gesehen wird – weil man plötzlich selbst betroffen ist. Und ein Zitat von Hannah Arendt

behrens

Es erstaunt mich immer wieder, zu welch enormen Meinungswechsel Menschen fähig sind, wenn sie von Dingen, die sie zuvor nur vom Hörensagen kannten, irgendwann selbst betroffen sind.

Ich hatte hier ja schon einige Male erwähnt, dass ich vor meiner Selbständigkeit als rechtliche Betreuerin zwei Jahre in einem Betreuungsverein beschäftigt war, der nach sieben Jahren von behördlicher Seite aufgrund äußerst fragwürdiger Arbeitsweisen geschlossen wurde. In der lokalen Presse und der Öffentlichkeit löste es damals relativ viel Empörung aus, dass die Geschäftsführer eines gemeinnützigen Vereins ihre Arbeit für den privaten Profit missbrauchten. Zu denjenigen, die diese Reaktion überhaupt nicht verstanden, gehörte ausgerechnet auch einer meiner Bekannten, der die von mir geteilte Empörung als völlig übertrieben und unangemessen abwertete und sich außerdem jegliche Diskussion darüber verbat. Eben jener Bekannte nahm vor einigen Jahren bei einem der früheren Geschäftsführer eine Arbeit auf, denn besagter Geschäftsführer hatte sich nach der Schließung des Betreuungsvereins sofort wieder selbständig gemacht – diesmal mit einem sogenannten „Betreuungsservice“, bei dem mein Bekannter nun angestellt war. Vor kurzem hörte ich nun, dass mein Bekannter sich mit Geschäftsführer überworfen und eine neue Stelle gesucht hatte. Was war passiert? Nun, der Geschäftsführer stand mit Gehaltszahlungen im Rückstand und außerdem stellte sich heraus, dass er seit längerem im Rahmen von Lohnzahlungen weiterzuleitende Gelder einfach für sich selbst einbehalten hatte. Letzteres ist juristisch übrigens eindeutig als Betrug zu werten. Während mein Bekannter mir zuvor Kleinlichkeit und Unangemessenheit in der Reaktion auf die Vorkommnisse vorwarf, sah er dies jetzt in eigener Sache ganz anders und ging direkt zur Polizei um eine Strafanzeige zu stellen.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass meine Empörung während meiner damaligen Arbeit im Betreuungsverein in erster Linie nicht auf dem Umstand beruhte, selbst um einen Teils meines Lohns betrogen worden zu sein (denn auch mir ist dies genauso wie meinem Bekannten wiederfahren), sondern auf den Betrug an den Betreuten, die sich in einer wesentlich abhängigeren Position als ich befanden und die sich aufgrund ihrer Hilfsbedürftigkeit gar nicht wehren konnten.

In meinem damaligen Kollegenkreis fiel die Reaktion übrigens ähnlich aus wie die meines Bekannten und ich erntete Unverständnis und Vorwürfe für meine Kritik, wobei immer wieder darauf hingewiesen wurde, wie „rufschädigend“ diese doch sei. Keine Spur von Mitgefühl für die betrogenen Betreuten, keine Spur von Empörung über das schamlose Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen.

Wieso gelten bei eigener Betroffenheit plötzlich völlig andere Maßstäbe? Wieso wird alles zuvor vehement Vertretene plötzlich verworfen? Ganz einfach: weil eine Schweinerei anscheinend erst dann zur Schweinerei wird, wenn die eigene Person davon betroffen ist.

Gestern gab es eine sehr ausführliche Dokumentation über die Philosophin Hannah Arendt. Eine ihrer Erkenntnisse lautet, dass manche Menschen in der Lage sind, die Situation und das Leid anderer voll und ganz auszublenden. Sie spricht in dabei von einem „denkbar zuverlässigstem Schutzwall gegen die Gegenwart anderer, und daher gegen die Wirklichkeit selbst“. Das traurige Resümee dieser äußerst zutreffenden Aussage ist: der Schutzwall verliert seine Zuverlässigkeit erst dann, wenn die Situation der anderen plötzlich zu eignen wird.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Samstag, 12. September 2015, 02:29h

Was wäre wenn…die Arbeitsgrundlagen rechtlicher Betreuung auch in anderen Bereichen öffentlicher Aufgaben angewandt würden? Ein beunruhigendes Gedankenspiel.

behrens

Auch diejenigen, die persönlich kaum etwas mit Behörden oder öffentlichen Einrichtungen zu tun haben, werden bestimmte Vorstellungen haben, wie dieser Bereich arbeitet und strukturiert ist. So wird wahrscheinlich jeder grundsätzlich davon ausgehen, dass mit öffentlichen Aufgaben betraute Einrichtungen eingegliedert sind in Verwaltungsstrukturen, die sich auszeichnen durch gesetzliche Vorgaben, klar definierte fachliche Weisungen und Kontrollorgane, durch die die Arbeit beaufsichtigt und unterstützt wird. Sollte also jemand in die Situation kommen, auf die Hilfe einer bestimmten öffentlichen Leistung angewiesen zu sein, wird jeder es als selbstverständlich voraussetzen, dass man diese Leistung nicht von einer einzelnen privaten Person erhält, die ihre Aufgabe freiberuflich und ohne jegliche behördliche Zuordnung wahrnimmt, sondern von einer für das Anliegen zuständigen Abteilung der betreffenden Behörde.

Für den Bereich der rechtlichen Betreuung trifft jedoch genau dies nicht zu, hier erfolgt die Hilfe nicht in einem behördlichen Rahmen, denn ein rechtlicher Betreuer ist kein Mitarbeiter einer Behörde oder einer sozialen Einrichtung, sondern ein Freiberufler, der frei entscheiden kann, ob er in einer Bürogemeinschaft oder allein arbeitet. Über die Höhe seines Einkommens entscheidet folglich auch kein klar definierter Tarifvertrag, sondern allein die Höhe der Anzahl seiner Betreuten, die wiederum allein vom Betreuer bestimmt wird.

Was wäre die Folge, wenn dieses Prinzip plötzlich nicht nur für rechtliche Betreuer gelten würde, sondern auch auf andere Bereiche ausgeweitet wird? Stellen wir uns beispielsweise die Mitarbeiter eines Jugendamtes vor, die eine bestimmte Anzahl von Jugendlichen, bzw. Familien zu betreuen haben und die dies plötzlich nicht mehr im Rahmen einer angestellten Tätigkeit tun würden, sondern auf freiberuflicher Basis. Selbstverständlich wäre auch hier der gesetzliche Rahmen nach wie vor geregelt, genauso wie auch die Tätigkeit rechtlicher Betreuer durch entsprechende rechtliche Grundlagen geregelt ist. Allerdings würden die Mitarbeiter jetzt nicht mehr innerhalb einer klar gegliederten Verwaltungsstruktur angesiedelt sein, sondern hätten eigene Büros, die weder zusammenarbeiten noch miteinander kommunizieren.

Nehmen wir jetzt also an, es tritt der Fall ein, dass eine Familie mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert ist, es kommt zur Vernachlässigung und das Jugendamt wird darüber informiert. Normalerweise wird daraufhin innerhalb des Jugendamtes nach Absprache die Zuständigkeit geregelt und ein Mitarbeiter mit dem Fall betraut. Der betreffende Mitarbeiter ist eingebunden in ein Team und wird sich über die Führung des Falles trotz eigenständigen Arbeitens in seinem Team austauschen und der Vorgesetzte muss über wesentliche Schritte informiert sein. Die Grundlage für die Arbeit geht weit über juristische Aspekte hinaus und zeichnet sich aus durch eine enge Vernetzung mit anderen Stellen wie beispielsweise Schule, Verwandte, Therapeuten etc. und wird ist an sozialwissenschaftlichen Richtlinien ausgerichtet. Die Teilnahme an regelmäßigen Fortbildungen und Supervision sind fast immer selbstverständlich und bei schwierigen Fällen erfolgen zusätzliche Fachgespräche.

All dies fiele plötzlich weg, wenn so gearbeitet werden würde, wie es die Praxis im Bereich rechtlicher Betreuung ist. Der entscheidende Unterschied läge jedoch nicht nur im Wegfall wichtiger Strukturen, sondern in dem Umstand, dass man es bei einer Umstellung von einer behördlichen auf eine freiberufliche Struktur plötzlich nicht mehr wie gewohnt mit einer Einrichtung zu tun hat, sondern mit – einer Firma! Und somit konkurriert die Prämisse der fachlichen Qualität jetzt mit der Prämisse der Wirtschaftlichkeit. Nicht mehr geringe Fallzahlen stellen das Ziel dar, sondern hohe. Die zuvor für die Arbeit als qualitätssteigernd geschätzte Teamarbeit und Vernetzung weicht dem Prinzip der Konkurrenz.

Ein weiterer oftmals unterschätzter Aspekt ist der Wegfall jeglichen wissenschaftlichen Hintergrunds. In Bereichen, in denen soziale Hilfestellungen, gleich welcher Art, geleistet werden, findet die Arbeit auf der Grundlage einer sozialwissenschaftlichen Ausbildung statt. Zum Studium der Sozialen Arbeit gehören beispielsweise unter anderem Soziologie, Psychologie, Recht, Methodik sozialer Dienste, Erziehungswissenschaften, sowie diverse Spezialgebiete, wie Jugendarbeit, Arbeit mit alten Menschen, Arbeit im Strafvollzug etc. Da sich die Gesellschaft ständig verändert, müssen sich auch Arbeitsansätze, Methodik und Erklärungsmodelle ständig wandeln und neuen Erkenntnissen muss Rechnung getragen werden. Lagert man allerdings ein Aufgabenfeld aus diesem Kontext aus und überlässt es durch die Struktur der Freiberuflichkeit ganz allein dem Einzelnen, welchen Stellenwert er fachtheoretischem Wissen beimisst, dann besteht die Gefahr, dass dieses durch betriebswirtschaftliche Interessen verdrängt wird.

In den sechzehn Jahren, in denen ich als rechtliche Betreuerin arbeitete, habe ich kaum Betreuer kennengelernt, die an Hintergrundwissen Interesse zeigten. Themen wie zunehmende Verschuldung, Pflegenotstand in Heimen, Aspekte des Alterns in unserer Gesellschaft, Suizidprävention etc. – diese Themen werden von rechtlichen Betreuern für die Ausübung ihrer Arbeit nicht als wichtig erachtet. Während in anderen gesellschaftlichen Bereichen sozialer Arbeit neue Ansätze entstehen und auf gesellschaftliche Veränderungen mit neuen Konzepten und entsprechenden Maßnahmen reagiert wird, herrscht im Bereich rechtlicher Betreuung eine ausgeprägte und besorgniserregende Stagnierung.

Gehen wir wieder zurück zu dem Gedankenspiel, bei dem es um das Problem der Vernachlässigung eines Kindes geht und das Jugendamt die angeordnete Intervention einem freiberuflichen Mitarbeiter überträgt, der weder einem Team angehört, noch einer Fachaufsicht unmittelbar vor Ort unterliegt. Was ist, wenn sich die Betreuung der Familie – aus welchen Gründen auch immer – sehr zeitaufwendig gestaltet? Wer kontrolliert, ob der Betreuer dann tatsächlich den erhöhten Zeitaufwand in Kauf nimmt, oder aber ob er grundsätzlich nicht über ein bestimmtes Zeitmaß hinausgeht, weil es sich dann „nicht mehr rechnet“? Wer prüft, ob der Betreuer tatsächlich die geeignete Maßnahme veranlasst und mit der richtigen Methodik vorgeht? Wer kontrolliert, ob der Betreuer sich nicht im Ton vergreift, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt? Wer hindert den Betreuer daran, mit einem autoritären Führungsstil zu arbeiten?

Die verheerendsten Auswirkungen auf die Arbeitsqualität würden in diesem Gedankenspiel allerdings dabei auftreten, wenn im Falle der Einführung des Prinzips der Freiberuflichkeit innerhalb der Jugendarbeit die zwingende Verbindlichkeit einer spezifischen berufliche Qualifikation wegfallen würde. Damit gelten dann die gleichen Bedingungen wie in der Praxis der rechtlichen Betreuung und es wäre somit keine Ausbildung als Sozialpädagoge, Erzieher oder Psychologe mehr gefordert, sondern es könnte auch ein Bankkaufmann, eine Industriekauffrau oder ein Immobilienmakler mit der Verantwortung für eine Familie oder für Jugendliche betraut werden. Wenn man sich vor Augen hält, dass es sich dabei auch um Probleme wie beispielsweise Misshandlung, Suizidalität oder Drogensucht handeln könnte, muss man schon sehr optimistisch sein, um keine Bedenken zu haben. Kann man wirklich davon ausgehen, dass kaufmännische Kenntnisse ausreichen um auf gravierende Probleme angemessen zu reagieren? Und kann man davon ausgehen, dass Menschen, deren Berufswahl eindeutig aufgrund kaufmännischer Interessen erfolgte, sich tatsächlich dafür eignen, hilfsbedürftigen Menschen emphatisch zur Seite zu stehen?

Die meisten Menschen interessieren sich für nur dann für Probleme, wenn sie unmittelbar davon betroffen sind. Aber schneller als man denkt kann man selbst oder die eigenen Angehörigen betroffen sein. Alter ist unausweichlich und Krankheit oftmals leider auch. Beides kann mit Hilfsbedürftigkeit einhergehen, die von anderen abhängig macht.

Ich möchte mit meinem hier geschilderten Beispiel deutlich machen, wie absurd es ist, einer wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe wie der der rechtlichen Betreuung den ihr angemessenen Rahmen einer Einbindung in eine Behörde oder einen sozialen Träger zu versagen und dadurch dem Risiko der durch die Freiberuflichkeit möglichen Willkür preiszugeben. Die Wahrnehmung einer hohen sozialen Verantwortung bedarf nicht nur einiger gesetzlicher Vorgaben, sondern vor allem auch fachlich fundierter Richtlinien. Und die Einhaltung dieser Richtlinien wiederum darf nicht auf Freiwilligkeit beruhen, sondern muss verbindlich durch kompetente Fachaufsicht gewährt werden.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 27. Juni 2015, 01:43h

Wenn ein Betreuer plötzlich erkrankt - und eine kleine Anmerkung zum Begriff des Korpsgeistes

behrens

Wenn ein Betreuer sich entschließt, seine Tätigkeit zu beenden, ist dies nie von einem Tag auf den anderen möglich. Eine Betreuung wird erst dann beendet, wenn ein neuer Betreuer gefunden wurde, der zeitgleich ernannt wird. Erfahrungsgemäß dauert dies mindestens drei Wochen, kann sich aber auch über zwei Monate hinziehen, da ja nicht immer sofort jemand für die Weiterführung gefunden wird und in manchen Fällen außerdem auch eine richterliche Anhörung erforderlich ist. In den Fällen, in denen ein Betreuer plötzlich ernsthaft erkrankt , kann diese langwierige Verfahren zu einer großen Belastung werden, da der Betreuer immer noch in der Verantwortung steht und im Grunde die Arbeit gar nicht unterbrechen kann.

Als ich vor zwei Jahren meine Betreuertätigkeit beendete, war ich zwar gesundheitlich sehr angeschlagen, aber dennoch in der Lage, meine Betreuungen ordnungsgemäß abzugeben, nicht zuletzt auch deswegen, weil meine damalige Mitarbeiterin sich spontan entschloss, mein Betreuerbüro zu übernehmen und dies auch vom Gericht akzeptiert wurde. Dadurch blieb mir auch die mit viel Arbeit verbundene Büroauflösung erspart und alles in allem hatte ich also nochmal Glück gehabt.

Weniger Glück hatte hingegen eine Kollegin, die schwer erkrankte und binnen kurzer Zeit nicht mehr in der Lage war, ihre Arbeit auszuführen. Mir war die betreffende Kollegin gut bekannt, denn ich hatte mit ihr früher sowohl in einem Betreuungsverein als auch anschließend in einer Bürogemeinschaft zusammengearbeitet. Obwohl wir jahrelang gut zusammengearbeitet hatten, gingen wir vor einigen Jahren im Streit auseinander. Trotz des Streits war ich jedoch geschockt, dass es der Kollegin so schlecht ging, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihre Arbeit ordnungsgemäß zu beenden.

Wie fiel die Reaktion der Kollegen aus, als die Kollegin plötzlich krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte? Die Kollegen der Bürogemeinschaft, der die Kollegin noch nicht allzu lange angehörte, mussten notgedrungen sämtliche durch die plötzliche Beendigung anfallenden Arbeiten, wie Aktenübergabe etc. mit übernehmen. Aber es gab nicht nur die Bürogemeinschaft, sondern auch noch einen weiteren Betreuerkreis, dem jene Kollegin angehörte. Da sogar auch bei mir mittlerweile angefragt wurde, wie denn die Kollegin zu erreichen sei, erkundigte ich mich bei der Betreuergruppe, woraufhin mir geantwortet wurde, dass man ebenfalls nichts Genaues wüsste, da niemand aus der Gruppe versucht hatte, Kontakt zu der Kollegin aufzunehmen.

Außenstehende können kaum ermessen, wie verheerend es für einen rechtlichen Betreuer sein kann, wenn er durch eine akute Erkrankung plötzlich nicht mehr in der Lage ist, seine Arbeit ordnungsgemäß zu beenden und abzugeben. Einige Aufgaben können von Mitarbeitern oder Kollegen übernommen werden, aber es gibt auch solche Aufgaben, die personengebunden sind und ausschließlich vom betreffenden Betreuer selbst ausgeführt werden dürfen. Bei einem plötzlichen Ausfall kann es folglich äußerst schnell zu Unmengen von schweren Versäumnissen kommen, für die der Betreuer persönlich haftbar ist. Ein nicht rechtzeitig gestellter Rentenantrag, eine nicht fristgerecht übergebene Wohnung, eine unterlassene Einschaltung einer dringenden ärztlichen Behandlung – all dies kann verheerende Folgen haben, die die Gefahr hoher Regressansprüche mit sich bringen.

Eben aufgrund jener nicht auszuschließenden Regressansprüche frage ich in der Betreuergruppe auch danach, ob denn der Kollegin zumindest mitgeteilt worden war, dass aufgrund einer Gesetzesänderung vor kurzem eine hohe Steuererstattung für alle rechtlichen Betreuer beschlossen worden war, was zweifellos gerade in der schwierigen Situation einer Erkrankung eine äußerst wichtige und hilfereiche Information darstellte. Aber auch hier erhielt ich die Antwort, dass dies bisher wohl niemand aus der Gruppe getan hat und wohl auch nicht für notwendig erachten würde.

Ich war eine Weile hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung, mich aus dem Ganzen rauszuhalten oder aber der Kollegin die Info über den Möglichkeit der Beantragung der Steuererstattung zukommen lassen. Schließlich waren wir beide im Streit auseinandergegangen und daher war ich mir auch überhaupt nicht sicher, ob die Kollegin eine Mail von mir überhaupt öffnen würde. Mit einem etwas mulmigen Gefühl entschloss ich mich dennoch, die Kollegin über die Erstattung und vor allem über den erforderlichen Verfahrensweg zu informieren.

Aber was ist eigentlich davon zu halten, dass sich in einer Gruppe von Betreuerkollegen niemand im Mindesten dafür zu interessieren scheint, wie es einer offenbar schwer erkrankten Kollegin geht? Und wie ist es einzustufen, dass sich dies ausgerechnet in einem Arbeitsfeld abspielt, dessen Hauptaufgabe in der Unterstützung und Begleitung von hilfsbedürftigen Menschen besteht und in dem unaufhörlich das große soziale Engagement betont wird? Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die plötzliche Erkrankung eines Kollegen nicht nur ihn selbst, sondern auch dessen Betreute betrifft, deren angemessene Versorgung durch den plötzlichen Ausfall ihres Betreuers nicht mehr garantiert ist.

An dieser Stelle möchte ich den Zusammenhang zu der Überschrift dieses Beitrags erklären, denn der Begriff des „Korpsgeist“ gehört normalerweise nicht zu meinem Vokabular. Verwendet wurde dieser Begriff von eben jener Betreuergruppe, als es vor einigen Jahren um eine von mir geäußerte Kritik ging und mir daraufhin ein ”Mangel an Korpsgeist” vorgeworfen wurde, der zu einem umgehenden Ausschluss führte. Führt man sich vor Augen, dass ausgerechnet jene Menschen für sich den Begriff des Korpsgeistes beanspruchen, die mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der eine Kollegin aus ihrer Gruppe ausgeschlossen wird, eine erkrankte Kollegin einfach links liegenlassen, dann bleibt vom besagten Korpsgeist nicht allzu viel übrig. Vielleicht ist dies gar nicht so verwunderlich, denn wo Klienten zum Kunden gemacht werden, werden aus Kollegen zwangsläufig Konkurrenten – und warum sollte man für Konkurrenten Mitgefühl zeigen?

Man mag jetzt einwerfen, dass es sich bei dem hier Geschilderten um eine alte Geschichte handelt, die längst abgehakt ist. Aber Geschehnisse sind nur dann tatsächlich abgehakt, wenn die Beteiligten ihr Verhalten kritisch hinterfragen und dadurch eine Wiederholung ausgeschlossen wird. Davon kann in diesem Fall jedoch keine Rede sein, denn niemand der betreffenden Betreuer hat das eigene Verhalten jemals hinterfragt. Und so bleibt die Frage aktuell, in wieweit eine gleichgültige und empathiearme Haltung unbedenklich und geeignet ist für einen Arbeitsbereich, in dem es um die Unterstützung von Menschen mit existentiellen Problemen und hohem Hilfebedarf geht. Manche Betreuer beantworten diese Frage mit dem Hinweis darauf, dass es sich um ein ganz normales Verhalten und eine ganz normale Arbeit handelt und beispielsweise in einer Versicherung, einer Bank oder einem Maklerbüro auch nicht anders mit Kollegen umgegangen wird. Abgesehen von der Strittigkeit einer Ansicht, derzufolge ein fragwürdiges Verhalten allein dadurch legitimierbar wird, dass es auch bei anderen anzutreffen ist, wird durch diese Haltung verständlich, dass so mancher sich damit schwertut, den Bereich der rechtlichen Betreuung als vertrauenswürdig zu empfinden.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Montag, 27. April 2015, 01:33h

Szenewechsel – es geht auch anders

behrens

Seit nunmehr über einem Jahr bin ich wieder im Bereich der Sozialen Arbeit tätig und führe keine rechtlichen Betreuungen mehr. Vieles ist anders und manches ist gleich. Was in meiner Arbeit nach wie vor identisch ist, ist das Klientel und damit auch die Grundproblematik: Hartz IV, psychische Erkrankungen und soziale Verelendung. Was meine jetzige Arbeit jedoch von meiner Arbeit als rechtliche Betreuerin unterscheidet, ist die Einstellung der Kollegen zu ihrer Arbeit und damit verbunden auch die Behandlung des Klientels. Wenn optimale Betreuung im Fokus steht und nicht Gewinnmaximierung, bedingt dies zwangsläufig auch erhebliche Unterschiede im Umgang mit dem Klientel.

Was ist somit alles anders? Da wäre zuerst einmal die Tatsache zu nennen, dass Arbeit, die im Angestelltenbereich ausgeführt wird immer einer fachlichen Kontrolle durch Vorgesetzte vor Ort unterliegt. Auch wenn rechtliche Betreuer das Gegenteil behaupten mögen – die Kontrolle durch das Betreuungsgericht konzentriert sich hauptsächlich auf die Vermögensführung und kaum auf die übrigen Teilbereiche. Zwar werden für grundsätzliche Entscheidungen wie z.B. psychiatrische Unterbringung, Wohnungsauflösung, Erweiterung der Aufgabenkreise etc. natürlich immer rechtliche Beschlüsse eingeholt, aber was den konkreten Umgang mit dem Betreuten, wie Miteinbeziehung in Entscheidungen, Umfang und Auswahl der Veranlassung konkreter Hilfeangebote und letztendlich auch der Respekt vor dem Betreuten und dessen Angehörigen betrifft, so hat das Gericht wenig Möglichkeiten und auch kaum die erforderliche Zeit zur Kontrolle.

Im Bereich der Sozialen Arbeit sieht dies völlig anders aus, denn es gibt klare und eindeutige fachliche Weisungen und die Umsetzung der Zielformulierungen unterliegt der ständigen Kontrolle durch Vorgesetzte. Im Gegensatz zu rechtlichen Betreuern müssen Sozialarbeiter in der Regel an Fachgesprächen, Fortbildungen und Supervision teilnehmen. Zwar werden auch rechtliche Betreuer von der Betreuungsstelle dazu aufgefordert, aber es gibt definitiv keine Verpflichtung. Rechtliche Betreuer führen gern an, dass sich Betreute bei Problemen ja bei Gericht beschweren können, dies ist trifft jedoch auf die meisten Betreuten definitiv nicht zu, denn wenn sie in der Lage wären, sich angemessen für ihre Rechte einzusetzen, ständen sie nicht unter Betreuung. Während der Zeit, in der ich als rechtliche Betreuerin tätig war, habe ich in unserem Bezirk erst einmal erlebt, dass einer Kollegin die Betreuungen entzogen wurden und in diesem Fall handelte es sich um eindeutig nachweisbaren Betrug im Bereich der Vermögenssorge.

Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen rechtlicher und sozialer Betreuung liegt in der kollegialen Zusammenarbeit. In meiner jetzigen Arbeitsstelle ist es eine Selbstverständlichkeit, dass für die Arbeit relevante Informationen weitergegeben werden, da das Prinzip der kollegialen Unterstützung und nicht das der Konkurrenz gilt. Ein Prinzip, von dem die Qualität der Arbeit und somit auch das Klientel profitiert.

Wie sieht es eigentlich mit der Zeit aus, die für den einzelnen Klienten zur Verfügung steht? Rechtliche Betreuer führen gern an, dass ihr Zeitbudget ja ungleich geringer ist als das der Sozialarbeiter. Dies trifft sicherlich auch zu, aber dafür entfallen besonders zeitintensive Tätigkeiten wie Begleitung zu Behörden, ausführliche Gespräche, Miteinbeziehung von Angehörigen etc. und die meisten der administrativen Aufgaben werden sofort zeitsparend an die Mitarbeiter delegiert. Der Bereich der Sozialen Arbeit ist definiert durch einvernehmliche Zusammenarbeit mit dem Klienten und die Unterstützung von Entwicklungsprozessen, wodurch sich die Umsetzung von Zielen zwangsläufig sehr viel zeitintensiver gestaltet als im Bereich rechtlicher Betreuung. Bei der Gegenüberstellung der zur Verfügung stehenden Zeit muss man sich vor Augen halten, dass im Bereich der rechtlichen Betreuung einzig und allein der jeweilige Betreuer entscheidet, wieviel Betreuungen er führt und wieviel Zeit er folglich in die einzelne Betreuung investieren kann, wobei die Zahl der geführten Betreuungen dabei von 25 bis weit über hundert (im Extremfall sogar 160!) variieren. Ein in einem Angestelltenverhältnis arbeitender Sozialarbeiter kann nie willkürlich über seine Klientenzahl entscheiden, sondern unterliegt ganz klar den fachlichen Weisungen seines Trägers.

Was ich ehrlicherweise revidieren muss, ist meine zu pauschale Beurteilung der für kaufmännische Aufgaben zuständigen Mitarbeiter, denn auch hier gibt es große Unterschiede in der Arbeitsauffassung. Menschen, die sich bewusst auf eine Stelle bei einem sozialen Träger bewerben, haben in der Regel eine Einstellung, die mit den Zielen des Arbeitgebers übereinstimmt, selbst wenn sie nicht im pädagogischen Bereich tätig sind. Dies äußert sich in eigenverantwortlichen und engagiertem Arbeiten und Interesse für die Situation des Klientels. Eine Mitarbeiterin, wie die Bürohilfe meines früheren Kollegen, die mir völlig aufgebracht die Bitte nach einer Kopie abschlug mit der Begründung, "dies ist nicht mein Arbeitsvertrag", sucht man in sozialen Einrichtungen glücklicherweise vergeblich, denn dort geht es nicht um die Einhaltung kaufmännischer Formalien, sondern um eigenverantwortliches Mitdenken.

Und wie sieht es eigentlich mit dem Typus aus, den ich gern als "Alphamännchen" bezeichne? Es wäre Augenwischerei, soziale Einrichtungen als Arbeitsstätten ohne jegliche Hierarchie anzusehen, denn natürlich unterliegen soziale Träger ähnlich wie Betriebe der freien Wirtschaft einer Struktur, in der Entscheidungen nicht basisdemokratisch sondern in erster Linie auf der Leitungsebene gefällt werden. Was allerdings die Mitarbeiter außerhalb leitender Funktionen anbetrifft und insbesondere deren Umgang mit dem Klientel, so gilt ganz klar, dass jemand vom Typ Alphamännchen mit absoluter Sicherheit schon in der Probezeit seinen Abschied nehmen müsste. Vielleicht ist dies der entscheidendste Unterschied zum Bereich der rechtlichen Betreuung – für Menschen, die Aussagen machen wie "ich bin hier der Chef" oder die auf Kritikäußerungen mit der Androhung von Unterlassungsklagen reagieren, ist in der Sozialen Arbeit kein Platz. Nur im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit wie er in der rechtlichen Betreuung gegeben ist, hat autoritäres und dominantes Auftreten keinerlei Konsequenzen.

Was die Frage der Verantwortung angeht, so ist unbestritten, dass diese im Bereich der rechtlichen Betreuung sehr hoch ist. Auch wenn viele der unzähligen zeitaufwendigen administrativen Arbeiten delegiert werden können, so gibt es Maßnahmen, die einzig und allein vom jeweiligen Betreuer veranlasst werden dürfen bzw. müssen, wie zum Beispiel die zwangsweise psychiatrische Unterbringung oder die Auflösung der Wohnung. Viele rechtlich Betreute unterliegen erheblichen psychosozialen oder gesundheitlichen Einschränkungen, die einen großen Aufwand an Betreuung bedingen. Erschwerend ist der Umstand, dass viele Betreuungen oftmals nicht im Einverständnis erfolgen, wodurch sich die Wahrnehmung der Betreuungsaufgaben sehr schwierig gestalten kann. Die Alleinverantwortlichkeit und das zum Teil erhebliche Ausmaß der zu erfüllenden Aufgaben stellen meines Erachtens das Hauptmerkmal und auch die Hauptbelastung der Arbeit rechtlicher Betreuer dar.

Was das Einkommen betrifft, so gilt das Gleiche wie für den Zeitaufwand – alles hängt von der Anzahl der Betreuungen ab. Die meisten rechtlichen Betreuer meines Bezirks führen mindestens 60 Betreuungen und auch wenn rechtliche Betreuer sich weitaus mehr als Sozialarbeiter über ihren geringen Verdienst beklagen, liegt das Einkommen in diesen Fällen ganz eindeutig weit über dem eines angestellten Sozialarbeiters.

Resümee

Stelle man die einzelnen Aspekte der unterschiedlichen Arbeitsfelder gegenüber, wird das eigentliche Problem der Beurteilung rechtlicher Betreuung deutlich. Denn die Einheitlichkeit, die es in den einzelnen Bereichen der Sozialen Arbeit gibt, fehlt im Bereich rechtlicher Betreuung. Wie kann man einen Bereich vergleichen, in dem völlig unterschiedliche Arbeitsauffassungen herrschen? Ein Betreuer, der siebzig Betreuungen führt und nebenbei noch als Immobilienmakler tätig ist, lässt sich schwerlich mit einem Betreuer vergleichen, der maximal 30 Betreuungen führt und keiner weiteren Beschäftigung nachgeht. Ein Betreuer, der eine Suizidproblematik abhandelt mit dem Satz „Wer sterben will, soll doch sterben“ lässt sich nicht vergleichen mit einem Betreuer, für den es selbstverständlich ist, einen suizidalen Betreuten durch Gespräche und Vermittlung geeigneter suizidprophylaktischer Hilfsangebote beizustehen (so wie es im Übrigen selbstverständlich auch jeder bei seinen Angehörigen tun würde…).

Dennoch gibt die Gegenüberstellung der Arbeitsfelder der rechtlichen und der sozialen Betreuung einen entscheidenden Hinweis auf das, was den eigentlichen Unterschied ausmacht – eine Struktur, die es ermöglicht, dass Menschen den Beruf des rechtlichen Betreuers ergreifen, deren vorrangiges Ziel das der Gewinnmaximierung ist. In den verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit gibt es diese Möglichkeit nicht. Wer den Beruf eines Sozialarbeiters oder eines Sozialpädagogen ergreift, ist sich darüber im Klaren, dass er ein den Tarifbedingungen entsprechendes Gehalt beziehen wird, sein Handeln durch Fach- und Dienstaufsicht kontrolliert wird und klar definierten Zielformulierungen unterliegt, die er zwingend akzeptieren muss. Auch wenn sich Sozialarbeiter und Sozialpädagogen erheblich in ihrer Arbeitsauffassung unterscheiden können – das Interesse an diesem Beruf gilt nicht der Gewinnmaximierung, sondern der Aufgabe, gesellschaftlich Benachteiligten die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Es ist längst an der Zeit, darüber nachzudenken, ob die Struktur der Sozialen Arbeit nicht vielleicht geeigneter für die Umsetzung des Reformgedankens des Betreuungsgesetzes ist, als die Struktur der Freiberuflichkeit.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 25. Dezember 2014, 19:47h

Alles hat ein Ende – die frohe Botschaft zum Jahreswechsel

behrens

- weil das Betreuungsrecht den Betreuten ein Mitwirken an Entscheidungen einräumt und somit mit bevormundender autoritärer Behandlung nicht vereinbar ist...

- weil in einer Demokratie auch – oder gerade – behinderte, kranke oder alte Menschen den Schutz einer menschenwürdigen Hilfestellung erhalten müssen, die sich klar abgrenzt von beleidigendem und respektlosem Verhalten...

- weil Menschen, die rechtliche Betreuungen führen, in der Lage sein müssen, Konflikte durch Bereitschaft zum Dialog zu lösen und nicht durch das Androhen von Unterlassungsklagen oder Einschaltung der Polizei...

- weil es bedenklich ist, wenn Menschen, die Betreuungen führen, es für erwägenswert halten, politische Forderungen mit bewaffneter Gewalt durchzusetzen...

- weil die Qualität in der Betreuungsarbeit abhängig ist von kollegialer Kooperation, die nicht vereinbar ist mit der Absicht, Kollegen bei Gericht anzuschwärzen oder Überlegungen anzustellen, wie man Kollegen daran hindert, „die Preise zu verderben....

- weil es moralisch unvertretbar und mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar ist, im Falle von Suizidalität ausschließlich nahen Angehörigen die größtmögliche Hilfe zukommen zu lassen, während im Falle von suizidalen Betreuten lediglich der Grundsatz vertreten wird: „Wer sterben will, soll doch sterben....


löst es bei so manchem Erleichterung aus, wenn jemand seine Betreuertätigkeit beendet, der keinen dieser Grundsätze jemals beachtet hat und dessen Arbeitsweise selbst von Mitarbeitern des Amtsgerichts wörtlich als „Bauchschmerzen verursachend“ bezeichnet wird. Auch wenn diese Entscheidung nicht durch Einsicht begründet ist, sondern durch den simplen Umstand, für alle Zeiten finanziell ausgesorgt zu haben – ich schließe mich all jenen an, die aufatmen und es als einen Grund ansehen, positiv ins neue Jahr zu blicken!

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 7. Oktober 2014, 18:55h

Entwicklungsprozesse und alte Bekannte

behrens

Als ich vor einiger Zeit Besorgungen in der Stadt erledigte, hörte ich hinter mir plötzlich laut jemand „Heil Hitler!“ rufen. Ich drehte mich um und sah einen alten Bekannten. Es handelte sich um Herrn F., einen ehemaligen Betreuten meines früheren Büropartners. Durch die über Jahre dauernde Zusammenarbeit waren mir auch viele der Betreuten meiner Kollegen gut bekannt, so auch Herr F. Schon zu Zeiten meiner damaligen Bürogemeinschaft fiel Herr F. oftmals durch sein sonderbares Verhalten auf. Allerdings äußerte sich dies damals nicht in rechtsextremen Parolen, sondern eher in einem ausgesprochen exaltierten Auftreten. Inzwischen hatte sich Herr F. so verändert, dass ich ihn zuerst gar nicht wiedererkannt hatte.

Ich begrüßte Herrn F. und fragte ihn, was denn mit ihm los sei und ob er immer noch unter Betreuung stehen würde. Herr F. bejahte die Frage aber fügte sofort sichtlich aufgeregt hinzu, dass er einen Anwalt einschalten würde. Er war äußerst verärgert darüber, dass ihm gegen seinen Willen seine Versicherung gekündigt worden waren. Das überraschte mich überhaupt nicht, denn Herr F. wird schon seit einiger Zeit nicht mehr von meinem früheren Kollegen betreut, sondern von jemandem, der auch als Versicherungsmakler tätig ist und der den Ruf hat, seinen Betreuten – ob sie dies wollen oder nicht – seine Versicherungen aufzuzwingen.

Es gibt in Bezug auf Betreute positive und negative Entwicklungen. Ohne Zweifel gibt es Faktoren, auf die ein Betreuer überhaupt keinen Einfluss hat, wie zum Beispiel auf die mit dem zunehmenden Alter verbundenen Abbauprozesse und die dadurch bedingte Pflegebedürftigkeit. Genauso verhält es sich mit anderen schweren Erkrankungen, für die es keine medizinische Heilung gibt. Allerdings ist es bei einigen Betreuern nicht unüblich, positive Entwicklungen werbewirksam als alleiniges Resultat ihrer Betreuungsarbeit darzustellen währenddessen negative Entwicklungen nicht selten lediglich mit einem Schulterzucken kommentiert werden und dem lapidarem Hinweis darauf, "dem Betreuten sei nun mal nicht zu helfen.“

Damit macht man es sich natürlich etwas einfach, denn ohne Frage gibt es neben den unabänderlichen Aspekten eines Krankheitsbildes auch diverse Faktoren, die sich krankheitsverstärkend oder krankheitslindernd auswirken. Neben dem breiten Spektrum an therapeutischen oder psychosozialen Maßnahmen, die veranlasst werden können, stehen dabei an erster Stelle der Respekt, mit dem der Betreute behandelt wird, die Achtung vor dessen Recht auf Selbstbestimmung und vor allem die Bereitschaft, sich kritisch mit dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen.

Natürlich sollte Respekt, Achtung und Kritikfähigkeit nicht nur in Bezug auf die Behandlung von rechtlich Betreuten ein unbedingtes Muss sein, sondern in allen Bereichen menschlicher Kommunikation. Aber Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen – und dazu gehört Herr F. zweifellos – reagieren noch viel empfindlicher als gesunde Menschen darauf, wenn ihnen Respekt und Achtung versagt werden. Man muss sich hierbei vergegenwärtigen, dass jemand, der rechtlich betreut wird, ohnehin schon viel an Selbstbestimmung und Autonomie eingebüßt hat. Eben gerade darum ist es enorm wichtig, nur dann gegen den Willen des Betreffenden zu entscheiden wenn es wirklich unvermeidbar ist. Und aus den gleichen Gründen ist auch respektloses und autoritäres Verhalten völlig indiskutabel.

Nicht nur Herr F. ist ein alter Bekannter von mir, sondern auch sein jetziger Betreuer. Und ich habe größte Zweifel daran, ob es für Herrn F. gut ist, von jemandem betreut zu werden, der sich durch ein extrem autoritäres Auftreten und einen ausgesprochenem Mangel an Respekt vor anderen auszeichnet. Ein Verhalten, das sich wohl auch kaum geändert haben dürfte, denn erst vor kurzem erzählte mir eine Betreuerin, dass der betreffende Betreuer sich während einer richterlichen Anhörung so beleidigend und respektlos gegenüber der Betreuten verhielt, dass diese anfing zu weinen. Dieser Vorfall stellt auch beileibe keinen Einzelfall dar, denn auch andere schildern ähnliche Situationen und selbst Kollegen geben zu, dass manche Menschen Angst vor ihm haben.

Zurück zu Herrn F. Es mag sein, dass seine psychische Erkrankung auch mit seinem früheren Betreuer oder irgendeinem anderen die gleiche Entwicklung genommen hätte. Wissen kann man dies natürlich nicht. Aber wissen sollte man, dass psychisch Kranke nicht in die Hände von extrem autoritären und respektlosen Menschen gehören.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 17. Juli 2014, 02:25h

Schein und Sein

behrens

Gestern habe ich einen Anruf einer Angehörigen eines Betreuten erhalten, die dringend einen neuen Betreuer für ihren Sohn sucht. Ich war äußerst erstaunt, dass mich jemand auf einer Nummer erreichte, die nur wenigen bekannt ist. Der Sohn der Betreffenden befindet sich zur Zeit in einer psychiatrischen Einrichtung und die Mutter und der Sohn sind mit der jetzigen Betreuerin nicht zufrieden. Meinen Namen hat sie von den behandelnden Ärzten erhalten, da diese anscheinend nicht wussten, dass ich nicht mehr als Betreuerin arbeite. Ich kann nicht leugnen, dass ich ein wenig stolz darauf war, vom Krankenhaus weiterempfohlen zu werden. Allerdings ist dies nicht der Grund, warum ich diese Begebenheit hier erwähne, auch wenn mir dies mit Sicherheit von einigen Kollegen unterstellt werden wird.

Was die Beschwerde über einen Betreuer betrifft, so ist es auch mir schon passiert, dass Betreute oder Angehörige mit meiner Arbeit nicht zufrieden waren und einen Betreuerwechsel wünschten. Wenn ich nachrechne, müsste dies so um die drei bis vier Mal passiert sein. Und ich selbst habe in Bezug auf meine Arbeit im nachherein auch längst nicht bei allen Betreuten das Gefühl, dass ich alles so gemacht habe, wie es optimal gewesen wäre.

Mit der Betreuerin, mit der der Betreute und seine Mutter nicht zufrieden waren, hatte ich früher schon zu tun gehabt. Als ich vor etwa einem Jahr ein Fernsehinterview gab, machte sie mir anschließend bitterste Vorwürfe, da ich in dem Interview auch erwähnte, dass es so manches gibt, das dringend verbessert werden sollte. Ich erinnere mich noch an den Wortlaut der Vorwürfe: „Kritik darf nicht in einer solchen Sendung vorgetragen werden, jeder Betreute hat schließlich die Möglichkeit, sich bei Gericht zu beschweren“. Abgesehen davon, dass ein Großteil der Betreuten definitiv nicht in der Lage ist, sich für seine Rechte einzusetzen und sich selbst zu beschweren (sonst hätten diejenigen wohl kaum eine Betreuung erhalten) steht diese Einstellung für eine Überzeugung, die davon ausgeht, dass es grundsätzlich keinen Grund zur Kritik gibt, da Betreuer ausnahmslos mit allerhöchsten Qualitätsanforderungen an sich selbst und somit fehlerfrei arbeiten. Diesen Eindruck hat man übrigens sofort, wenn man sich die Homepage – die es selbstverständlich gibt – ansieht. Diverse Fortbildungen und Abschlusse werden aufgelistet und als Leitbild wird formuliert „Der betreute Mensch steht im Focus“. Alles weist darauf hin, dass die Arbeit so qualifiziert und vorbildlich gemacht wird, dass es niemals einen Grund für berechtigte Kritik geben wird.

Aber wie passt dieses Bild absoluter Perfektion damit zusammen, dass es anscheinend doch vorkommt, dass jemand sich nicht gut betreut fühlt? Ein Einzelfall ist dies übrigens nicht, denn auch eine meiner früheren Betreuten, die ich zufällig traf und die nach Beendigung meiner Tätigkeit von besagter Betreuerin übernommen wurde, hatte einen Betreuerwechsel beantragt und wird inzwischen von jemanden betreut, bei dem sie sich nach eigenen Aussagen wohler fühlt. Man könnte jetzt anführen, dass es sich vielleicht bei der Mutter des Betreuten um eine besonders quenglige und renitente Angehörige handelt. Den Eindruck machte die Betreffende beim Telefonat jedoch nicht, denn sie erhob weder überhöhte Ansprüche noch äußerte sie sich in irgendeiner Form abfällig über die Betreuerin. Der Angehörigen ging es lediglich darum, dass nicht über den Kopf ihres Sohnes hinweg entschieden werden soll, sondern er mitbestimmen möchte.

Um es nochmals zu betonen – es geht mir nicht darum, Urteile darüber zu fällen, ob jemand seine Arbeit gut oder schlecht macht. Was mir jedoch immer ein großes Anliegen war und auch weiterhin sein wird, ist die Auseinandersetzung mit der Frage, in wieweit Anspruch und Realität des Betreuungsgesetzes übereinstimmen und wie man der zunehmenden Kritik an Betreuern konstruktiv begegnen könnte. Die Inszenierung eines Bildes der Perfektion ist dabei genauso wenig hilfreich wie das Totschweigen von Kritik, denn beides verhindert den dringend erforderlichen Dialog mit der Öffentlichkeit.

Während all der Jahre, die ich als Betreuerin gearbeitet habe, habe ich immer wieder festgestellt, dass sich gerade diejenigen Kollegen engagiert und mit dem Ansatz eines demokratischen Führungsstils um ihre Betreuten kümmern, denen die Inszenierung einer Außendarstellung gleichgültig ist und die kein Problem damit haben, dass aus den eigenen Reihen auch Kritik geäußert wird. Und auf der anderen Seite sind gerade mit denjenigen Betreuern, die Auseinandersetzung mit Kritik vehement ablehnen und die sehr viel Wert auf ein ausschließlich positiv inszeniertes Außenbild legen, viele nicht besonders zufrieden.

Ich habe diesem Beitrag den Titel „Schein und Sein“ gegeben, denn genau darum geht es – um das Bild, das nach außen vermittelt wird und um das, was tatsächlich dahinter steckt. Dies ist beileibe kein Thema, dass nur den Bereich der Betreuungen betrifft, denn inzwischen werben auch Pflegeheime, Jungendeinrichtungen, Beratungsstellen etc mit Selbstdarstellungen, die keinerlei Informationen mehr enthalten, sondern stattdessen lediglich aus Aneinanderreihungen positiver Attribute und hochkarätiger Zielformulierungen bestehen. Eigentlich müsste man überall nur noch hochzufriedene überglückliche Menschen antreffen, wenn all dies tatsächlich zuträfe – was natürlich nicht der Fall ist.

Gehen wir doch wieder ein wenig mehr ins Sein, anstatt uns dem Schein zu widmen. Lassen wir doch einfach Kritik zu, anstatt uns als perfekt darzustellen. Die Betroffenen würden es uns sicher danken…

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 3. Juli 2014, 01:55h

Betreuer und Pflegedienste – wenn aus Zusammenarbeit fragwürdige Alliancen entstehen

behrens

Können es Betreuer eigentlich beeinflussen, ob ihnen Betreuungen zugewiesen werden? Eigentlich nicht, denn im Grunde gibt es hierfür einen klar geregelten Ablauf: die behördliche Betreuungsstelle schlägt für die einzurichtenden Betreuungen einen aus ihrer Sicht geeigneten Betreuer vor. Seltener, aber durchaus auch möglich ist der direkte Vorschlag durch einen Betreuungsrichter. Näheres habe ich hier schon früher beschrieben.

Allerdings habe ich jetzt von einer dritten Variante gehört, die wenig vertrauenerweckend wirkt: für den Patienten eines Pflegedienstes wird eine Betreuung beantragt und die Betreuungsstelle kontaktet einen Betreuer, den sie als geeignet erachtet und es wird die Übernahme der Betreuung eingeleitet. Dann passiert jedoch etwas eher Unübliches, denn ein anderer Betreuer meldet sich bei der Betreuungsstelle und empfiehlt sich selbst als geeigneten Betreuer, obwohl die Wahl schon auf jemand anderen gefallen ist. Der ihm bekannte Pflegedienst hat über die anstehende Betreuungseinrichtung informiert und offenbar bestand Einigkeit darüber, dass man die Chance nutzen sollte, um die Auswahl der Betreuungsstelle zu beeinflussen.

Was ist daran so heikel? Pflegedienste und Betreuer arbeiten oftmals eng zusammen. Mit der Zeit kristallisiert sich auf beiden Seiten heraus, mit welchen Betreuern und mit welchen Pflegediensten man gut und kooperativ zusammen arbeitet. Daran gibt es prinzipiell auch überhaupt nichts auszusetzen, sondern es ist der ganz normale Lauf der Dinge, wenn ein Betreuer sich einen Pflegedienst sucht, bei dem er seine Betreuten als gut versorgt empfindet und wenn ein Pflegedienst es befürwortet, dass seine Patienten einen Betreuer erhalten, der sich optimal um seinen Betreuten kümmert. Heikel wird es allerdings in dem Moment, wo es gar nicht um die gegenseitige gute Zusammenarbeit und um die gleichen Vorstellungen von Arbeitsqualität geht, sondern darum, dass man sich quasi gegenseitig mit „Kunden“ versorgt. Frei nach dem Motto „Ich schlage dich als Betreuer vor und du beauftragst mich mit der Pflege.“

Auch ich habe im Laufe meiner Arbeit Pflegedienste kennengelernt, mit denen die Zusammenarbeit besonders gut war und deren Vorstellung einer optimalen Versorgung der meinen entsprach. Ehrlicherweise muss ich auch zugeben, dass auch ich schon von Pflegediensten vorgeschlagen wurde, wobei man allerdings betonen muss, dass es ein Vorschlagsrecht im eigentlichen Sinne gar nicht gibt. Es gibt lediglich die Möglichkeit, bei der Recherche der Betreuungsstelle eigene Erfahrungen mit Betreuern zu erwähnen und natürlich wird jeder Pflegedienst dann diejenigen Betreuer nennen, mit denen gute Erfahrungen gemacht wurden.

Aber genau darum geht es eben nicht, wenn es sich lediglich um einen Deal handelt, der einzig und allein zum Ziel hat, neue „Kunden“ zu erhalten. Auch wenn sich die Betreuungsstelle in ihrer Auswahl eines geeigneten Betreuers vielleicht in einem Einzelfall irren kann, so stellt sie dennoch eine neutrale Instanz dar, deren alleiniges Ziel es ist, für einen Menschen, der eine rechtliche Betreuung benötigt, den für ihn am besten geeigneten Betreuer auszusuchen.

Es ist auch für die Betreuungsstelle kein Geheimnis, dass so mancher Betreuer hauptsächlich mit einem bestimmten Pflegedienst zusammenarbeitet und dabei längst nicht immer primär das Wohl des Betreuten im Mittelpunkt steht. Ein Betreuer, der sehr oft den gleichen Pflegedienst für seine Betreuten einsetzt, kann mit Sicherheit mit sehr viel Entgegenkommen rechnen. Kein Pflegedienst wird sich das Verhältnis zu einem Auftraggeber verscherzen, wenn dieser ein „Großkunde“ ist. So kommt es dann dazu, dass so manches an Extraservice geleistet wird, was normalerweise nicht üblich wäre. Natürlich stellt dieser Aspekt keinen Nachteil für den Betreuten dar. Problematisch ist es jedoch, wenn der Pflegedienst sich aufgrund seiner verstärkten wirtschaftlichen Abhängigkeit gezwungen sieht, auch solche Verhaltensweisen des Betreuers zu akzeptieren, die völlig inakzeptabel sind. Und genau dies machen sich gerade denjenigen Betreuer gezielt zunutze, die für ihren autoritären Führungsstil bekannt sind. Sicher, dieser Typus stellt glücklicherweise nicht die Mehrheit der Betreuer dar. Aber dennoch darf dieses Problem nicht verharmlost werden, zumal es in diesen Fällen sogar dazu kommt, dass Betreuer den Pflegedienst gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten wechseln.

Es ist weder akzeptabel, wenn Betreuer sich mithilfe eines Pflegedienstes selbst vorschlagen und damit die neutrale Instanz der Betreuungsstelle aushebeln und einen von dort vorgeschlagenen Kollegen ausbooten, noch ist es akzeptabel, wenn Betreuer unselige Alliancen mit Pflegediensten eingehen, die nicht auf das Wohl des Betreuten ausgerichtet sind, sondern der Festigung der eigenen Machstellung dienen. Letztendlich hat dies nur einen einzigen Grund – erforderliche Auseinandersetzungen zu vermeiden um Zeit zu sparen und hierdurch mehr Betreuungen führen zu können. Das oft zitierte Wohl des Betreuten bildet bei der Rangfolge dieser Prioritäten das traurige Schlusslicht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 10. April 2014, 01:00h

Ein Vorher-Nachher-Gespräch und eine unbequeme Frage, um die man nicht herum kommt

behrens

Vor kurzem traf zufällig eine frühere Mitarbeiterin der Betreuungsstelle meines Bezirks. Zur Information: jeder Bezirk hat eine Betreuungsstelle, bei der die Anregungen für die Einrichtung einer Betreuung eingehen und deren Mitarbeiter, die in der Regel Sozialpädagogen sind, daraufhin zu einem geeigneten Betreuer Kontakt aufnehmen und ihn gegebenenfalls für die Führung der Betreuung vorschlagen.

Als ich meine Arbeit als rechtliche Betreuerin im Jahr 1997 begann, war das Betreuungsgesetz erst fünf Jahre in Kraft. Bis zum Jahr 1992 galt das Vormundschaftsgesetz und Vormundschaften wurden unter anderem auch in behördlichen Stellen geführt. Entsprechend waren die damaligen Mitarbeiter der für mich zuständigen Betreuungsstelle zuvor alle als Vormund tätig. In einer mehrjährigen Übergangsphase wurden dann von den Mitarbeitern die ehemaligen Vormundschaften als Betreuungen geführt, während dann später alle behördlich geführten Betreuungen an freiberufliche Betreuer übertragen wurden. Die Mitarbeiter hatten also alle auch selbst Erfahrungen sowohl im Führen von Betreuungen als auch im Führen von Vormundschaften.

Die inzwischen berentete Frau X. sprach mich sofort an und es entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch über die Veränderungen in der Betreuungsarbeit im Verlauf seiner Einführung bis zum jetzigen Zeitpunkt. Dabei sprach ich eine Bemerkung von Frau X. an, die sie gleich zu Beginn meiner Tätigkeit mir gegenüber gemacht hatte und bei der es um die die monatlich stattfindenden Betreuertreffen ging. Zur damaligen Zeit durften an den Betreuertreffen nur freiberufliche Betreuer teilnehmen, so dass für mich als angestellte Betreuerin keine Teilnahme möglich war. Frau X. sagte mir damals wörtlich, dass ich nichts versäumen würde, denn es ginge bei den Treffen doch mehr oder weniger nur um Vergütungsfragen und sie äußerte dabei auch ihren Unmut über manche Vergütungsabrechnungen, die unglaubwürdig und extrem überhöht waren. Ich habe diese Bemerkung nie vergessen, zumal sie die Meinung von jemanden wiedergab, der selbst jahrelang in der Betreuungsarbeit tätig war und der somit bestens beurteilen kann, wie hoch der tatsächliche Aufwand im Führen einer Betreuung ist.

Jetzt kamen wir wieder auf die Veränderungen in der Arbeitsweise vieler Betreuer zu sprechen und Frau X. erwähnte, dass zu Beginn des Betreuungsrechts bei den Betreuern noch die Bereitschaft bestand, bei der anstehenden Einrichtung einer Betreuung die Betreuten zuvor aufzusuchen, damit diese mitentscheiden können, ob sie den betreffenden Betreuer möchten oder nicht. Dies sei in den letzten Jahren aber immer rigoros abgelehnt worden, da es ja unnötig Zeit kosten würde, die nicht vergütet wird. Dadurch kommt jedoch ein wichtiger Aspekt der Reform nicht mehr zum Tragen, nämlich der der Mitbestimmung des Betreuten. Es ist eindeutig, dass der Grund für die Ablehnung eines Vorgesprächs in dem Umstand begründet ist, dass viele Betreuer, die damals maximal 40 Betreuungen führten, inzwischen mindestens 60 Betreuungen führen, wodurch zwangsläufig Abstriche in der Qualität gemacht werden.

Ich habe bei Beginn meiner Selbständigkeit insgesamt fünf Betreuungen von Mitarbeiterinnen der Betreuungsstelle übernommen. Und es war bei der Übernahme eine Selbstverständlichkeit, dass sich vor dem Betreuerwechsel die betreffende Mitarbeiterin mit mir zu einem gemeinsamen Gespräch bei dem Betreuten traf, damit die Entscheidung nicht über den Kopf des Betreuten gefällt wurde. Eine weitere Selbstverständlichkeit bestand auch darin, dass ich bei noch zu klärenden Fragen grundsätzlich einen Rückruf erhielt. Heute ist das Gegenteil der Fall - es ist selbstverständlich, dass der vorherige Betreuer nicht zurückruft. Argumentiert wird hierbei: „Abgegebene Betreuungen gehen mich nichts mehr an, das kriege ich ja nicht vergütet“. Aber auch abgesehen von der Möglichkeit der Rücksprache waren die Betreuungen von Behördenmitarbeitern immer einwandfrei geführt und es gab keine Versäumnisse, die aufgearbeitet hätten werden müssen. Bei den Übernahmen von freiberuflichen Kollegen war dies leider nicht immer der Fall.

Bei dem Vergleich der Arbeit der behördlichen und der freiberuflichen Betreuer kommt man um eine wichtige Frage nicht herum::

Wieso war damals den Behördenmitarbeiterinnen eine Arbeitsweise möglich, die heute von den freiberuflichen Betreuern vehement als zu zeitaufwendig abgelehnt wird?

Auch die Mitarbeiter der Betreuungsstellen haben 60 Betreuungen geführt und hatten dabei zusätzlich noch die sehr umfangreiche Aufgabe der Vorermittlung bei Betreuungseinrichtungen sowie die der Bearbeitung von Beschwerden über laufende Betreuungen.

Wer jetzt mit der guten personellen Ausstattung durch Verwaltungskräfte argumentiert, erliegt einem Irrtum, denn für fünf bis sechs Mitarbeiter standen weniger als zwei Vollzeitverwaltungskräfte zur Verfügung. Und wer hartnäckig daran festhält, dass freiberufliche Betreuer ja wesentlich weniger verdienen, der möge sich vergegenwärtigen, dass bei 60 Betreuungen immerhin rund 8.500,00 € monatlicher Umsatz anfällt. Zieht man die Kosten für Personal und Büromiete etc ab und legt eine Altersversicherung zugrunde, die der eines vergleichbaren Angestelltenverhältnis entspricht, dann stellt man unschwer fest, dass ein Behördenbetreuer auf keinen Fall mehr verdient hat als ein freiberuflicher Betreuer, sondern eher weniger. Vergessen sollte man bei dieser Rechnung auch nicht, dass bei einem nicht unerheblichen Teil der Betreuer inzwischen die Tendenz zur Führung von mehr als 60 Betreuungen besteht.

Aber zurück zu meinem Gespräch mit Frau X, die mir erzählte, dass die Einführung des Betreuungsgesetztes auch ein Ergebnis der Arbeitsgruppen der Behördenmitarbeiter war, in denen immer wieder an Vorschlägen und Ideen für eine Reform des Vormundschaftsgesetzes gearbeitet wurde. Ein sehr wichtiger Aspekt, denn Reformen sind nicht vorstellbar ohne das Interesse an Entwicklung von Konzepten zur Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen. Entsprechend groß ist der Stellenwert, den dieser Aspekt innerhalb eines Sozialpädagogikstudiums einnimmt - ohne Entwicklung von Konzepten ist jede Arbeit unweigerlich zum Stillstand verurteilt.

Frau X. erzählte mir außerdem, dass sie nach ihrer Berentung eine Zeitlang als Besuchsdienst für einen Betreuer gearbeitet hat. Allerdings übernahm sie dabei zusehends Arbeiten, die eigentlich zum Aufgabenbereich des Betreuers gehört hätten. Dies deckt sich wiederum mit dem Vorhergesagten – die Tendenz, möglichst viele Betreuungen zu führen, führt zwangsläufig dazu, möglichst wenig für den einzelnen Betreuten zu tun und hierbei an Dritte Aufgaben zu delegieren, die eigentlich dem Betreuer obliegen.

Fasst man die hier geschilderten Aspekte zusammen und vergegenwärtigt sich dabei die steigende Kritik an Betreuern, die bei weitem nicht nur von Angehörigen, sondern auch von sozialen Einrichtungen, Pflegediensten und Behörden kommt, dann führt kein Weg vorbei an der Erkenntnis, dass die Arbeit der behördlichen Betreuer im Vergleich mit der Arbeit der freiberuflichen Betreuer in vielen Fällen besser abschneidet. Und es führt ebenfalls kein Weg vorbei an der Erkenntnis, dass man hierfür nicht einfach die besseren Arbeitsbedingungen oder die bessere Bezahlung ins Feld führen kann, weil beide Argumente einer Überprüfung nicht standhalten.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 4. Februar 2014, 17:18h

Abschluss - Rückblick - Ausblick

behrens

Die Abgabe der letzten Betreuung liegt schon Monate zurück, aber da mein ehemaliges Büro erst vor kurzem vollständig aufgelöst wurde, ist erst jetzt der eigentliche Abschluss vollzogen. Es gab jede Menge Altakten, die ich privat oder in meinem Keller untergebracht habe und jede Menge Dinge, die entsorgt werden mussten.

Unvermeidbar, dass dabei Erinnerungen an die Arbeit der vergangenen Jahre geweckt werden. Die sechzehn Jahre Betreuungsarbeit ermöglichten mir einen tiefen Einblick in das Leben anderer und ich wurde mit nahezu allen Problemlagen konfrontiert, in die Menschen geraten können. Bei manchen meiner Betreuten lag der Grund für die Erfordernis einer Betreuung in den Spätfolgen, die durch schwere Traumatisierungen infolge von Misshandlung oder Missbrauch entstanden. Viele meiner Betreuten haben noch den Krieg miterlebt (in Ausnahmefällen sogar noch beide Kriege) und dabei Hunger und Entbehrung erlitten und einige haben ihre Familie, ihre Gesundheit, ihre gesamte Habe oder ihre Heimat verloren.

Meine Arbeit hat mich sowohl mit dem Leid konfrontiert, das durch Krankheit oder Alter entstehen kann, als auch mit dem Leid, das durch Armut entsteht, wobei die Wechselbeziehung zwischen beiden offensichtlich ist. Auf der einen Seite führt Alter und Krankheit oftmals zur Verarmung und auf der anderen Seite begünstigt Armut das Entstehen von Erkrankungen und kann die mit dem Alter verbundenen Einschränkungen sowie den Alterungsprozess an sich verstärken.

Nicht verschweigen möchte ich, dass es auch unter den Betreuten Menschen mit einer kaum vorstellbaren Anspruchshaltung gibt, denen jegliches Sozialverhalten fehlt. Betreute, die auch kleinstes Eigenbemühen empört verweigern und die trotz der Tatsache, selbst noch nie etwas für andere getan zu haben, ein Optimum an Einsatz anderer erwarten. Die Mitarbeiter des Pflegedienstes und die Betreuer werden meist nur als Handlanger angesehen, die beliebig kommandiert und beleidigt werden dürfen.

Durch meine Arbeit wurde ich nicht nur mit meinen Betreuten, sondern meist auch mit deren Angehörigen konfrontiert. Dadurch konnte ich einen hautnahen Einblick darin erhalten, wie eine psychische oder dementielle Erkrankung Angehörige an den Rand der Belastbarkeit bringen kann. Auf der anderen Seite habe ich auch miterlebt, wie Angehörige Entscheidungen ausschließlich vom eigenen finanziellen Vorteil abhängig machen und es mitunter sogar zu skrupellosen Bereicherungen kommt. Eine überraschende Erfahrung war für mich der Umstand, dass häufig gerade jene Angehörigen zu einer großen Anspruchshaltung und ungerechtfertigten Vorwürfen neigen, die sich der Verantwortung für ihre Verwandten entzogen haben, während die sich kümmernden und engagierten Angehörigen dankbar für die Unterstützung des Betreuers sind und sich die Zusammenarbeit oftmals kooperativ und konstruktiv gestaltete.

In der Betreuungsarbeit wurde ich Zeuge einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich darin äußert, dass immer mehr Menschen ihre Fähigkeit verlieren, den Alltag ohne fremde Hilfe zu bewältigen, wodurch die Abhängigkeit von der Unterstützung professioneller Helfer besorgniserregend zunimmt. Während die älteren meiner Betreuten es nicht selten schafften, trotz einer äußerst geringen Rente Ersparnisse anzulegen, so ist die Fähigkeit der Geldeinteilung bei vielen jüngeren gänzlich verschwunden und es muss wie bei kleinen Kindern eine Taschengeldeinteilung vorgenommen werden, damit Miete gezahlt wird und Geld für Lebensmittel vorhanden ist. Eine Generation ist herangewachsen, die zwar virtuos mit Computer, Smartphone etc umgeht, die aber nicht mehr in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass am nächsten Tag noch etwas zu Essen im Kühlschrank ist.

Die schmerzhafteste Erfahrung in meiner Arbeit war (und ist es auch immer noch), dass ich mitansehen musste, wie viele Betreute trotz eines harten und arbeitsamen Lebens ihren Lebensabend in Armut und sozialer Isolation verbringen müssen. Diese Betreuten hatten zuvor meist nie etwas mit Behörden zu tun und sind daher mit dem Procedere des Kampfes um das Geld völlig überfordert, den sie zudem als Demütigung empfinden. Auch ich in meiner Funktion als rechtliche Betreuerin habe leider oftmals viel weniger ändern können, als ich mir gewünscht hätte.

Genauso vielfältig, wie meine Erfahrungen mit den Betreuten sind, so sind auch die Erfahrungen mit den Kollegen. Das Spektrum reicht vom Betreuer mit einer Betreuungszahl von maximal 25 bis hin zum Betreuer mit einer Betreuungszahl von 160, die möglichst noch gesteigert werden soll. Jurastudium, Sozialpädagogikstudium, kaufmännische Ausbildung oder andere Studiums/Lehrabschlüsse – alles ist unter den Kollegen vertreten. Der eigentliche Unterschied zwischen den Betreuern besteht allerdings nicht in der Ausbildung oder in der Betreuungszahl, sondern in den Prioritäten. Es gibt Betreuer, deren Fokus die optimale Lebensgestaltung des Betreuten ist und es gibt Betreuer, deren Fokus auf Gewinnmaximierung liegt. Auf der einen Seite gibt es Betreuer, für die respektvoller und empathischer Umgang mit den Betreuten selbstverständlich ist und die regelmäßig an Supervision teilnehmen um sich kritisch mit ihrem Handeln auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite gibt es Betreuer, die rigoros jede Kritik an ihrem Handeln verbieten und leider ist es keine Übertreibung, dass bei einigen von ihnen das Auftreten zeitweilig an das eines Obersturmführers erinnert.

Ich habe in diesem Blog ja schon oft darüber geschrieben, welche Blüten die Fixierung auf Gewinnmaximierung treibt. Hohe Betreuungszahlen sind zwangsläufig mit Zeiteinsparung verbunden und diese wiederum geht zu Lasten der Individualität in der Betreuungsarbeit. Die darüber hinausgehenden Folgen sind jedoch noch tiefgehender: ein respektvoller Umgang mit den Betreuten und den Angehörigen sowie den involvierten Mitarbeitern der sozialen Einrichtungen ist bei hohen Betreuungszahlen kaum noch möglich. Das gleiche gilt für einen demokratischen Führungsstil, der zwangsläufig durch einen weniger zeitintensiven autoritären ersetzt wird.

Wenn ich abgesehen von dieser allgemeinen Beurteilung nochmals meine ganz individuellen Erfahrungen während meiner Zeit als Betreuerin Revue passieren lasse, dann schockieren mich nicht so sehr die grenzwertigen Praktiken oder konkreter Betrug, von dem ich durch meine Arbeit erfahren habe, sondern die darauf erfolgte Reaktion der Kollegen. Die kann man eigentlich nur mit einer konsequenten Nicht-Reaktion beschreiben. Auch in anderen Arbeits- und Berufsfeldern kommen Unregelmäßigkeiten vor, aber an meinen früheren sozialpädagogischen Arbeitsplätzen wäre es undenkbar, dass die Kollegschaft geschlossen den Mund hält, wenn Klienten übervorteilt werden. Wobei es ein interessantes Phänomen ist, dass die Kollegschaft und auch die Mitarbeiter des Gerichts durchaus Kritik an der Arbeitspraxis einiger Kollegen äußern – nur eben grundsätzlich in deren Abwesenheit und immer ohne wirkliche Konsequenzen.

Damit wären wir bei einem zentralen Punkt, der schon längst kritisch hinterfragt hätte werden müssen. Dieser Punkt ist die Freiberuflichkeit der rechtlichen Betreuer. Der frühere Fachreferent der Betreuungsbehörde – selbst zuvor als Betreuer tätig – hat mir einmal ohne Umschweife gesagt, dass er dafür plädiert, rechtliche Betreuer in die Behörde oder in freie Träger einzubinden. Ein Arzt, der aufgrund seiner Gutachtertätigkeit sehr viel mit Betreuungen zu tun hat, sagte mir genau das gleiche und auch ich würde eine Diskussion dieses Vorschlags begrüßen. Eine Einbindung in behördliche oder freie Träger wäre der Rahmen, in dem berechtigte Kritik nicht mehr einfach verhallen, sondern Konsequenzen mit sich bringen würde. Verbindliche Arbeitsrichtlinien und Vorschriften, die durch unmittelbare Vorgesetzte kontrolliert werden, schaffen Strukturen, in denen sowohl die Auseinandersetzung mit Kritik verbindlich ist, als auch die Einhaltung und Kontrolle der Arbeitsqualität. Das freiberufliche Prinzip der Konkurrenz würde ersetzt werden durch kollegiale Vernetzung, die sowohl den Vorteil des Informationsaustausches und der Möglichkeit gezielter Aktionen als auch den der sozialen Kontrolle mit sich brächte. Last-not-least würde sich der Schwerpunkt kaufmännischer Aspekte auf sozialpolitische Aspekte verlagern – für die Betreuten der eigentliche Pluspunkt.

Ein weiterer Vorteil einer Einbindung in eine Behörde oder eine soziale Einrichtung wäre eine qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit, die aus fundierter Information und nicht aus kaufmännischen Werbephrasen besteht, denn ein nicht unerheblicher Teil der Unzufriedenheit mit rechtlichen Betreuern besteht aus falschen Erwartungen und Unkenntnis der tatsächlichen Aufgabenstellungen. Websites, in denen sich Betreuer als hochqualifiziert und engagiert bezeichnen, erweisen dem Ansehen rechtlicher Betreuer keinen guten Dienst, zumal bezeichnenderweise gerade diejenigen Betreuer mit positiven Attributen für sich werben, deren konkrete Arbeitspraxis oftmals eher negativ beurteilt wird. Informative Öffentlichkeitsarbeit wäre wegbereitend für den Dialog mit der Öffentlichkeit – und dies wäre wiederum ein Schritt hin zur Verwirklichung des eigentlichen Ziels des Reformgedanken des Betreuungsrechts – mehr Demokratie!

... link (1 Kommentar)   ... comment