Samstag, 25. Dezember 2010, 01:31h

Ich habe keinen Korpsgeist

behrens

Gestern hat mich ein Kollege mit dem Begriff „Korpsgeist“ vertraut gemacht. Ehrlich gesagt war mir dieser Begriff überhaupt nicht geläufig. Ich kenne Begriffe wie Solidarität, Kollegialität, Sozialverhalten. Aber all diese Begriffe haben nur entfernt etwas mit Korpsgeist zu tun.

Korpsgeist gab es in den Ritterorden, im preußischen Militär, in den studentischen Verbindungen und heutzutage sogar in den Bereichen der Betriebsführung. Einer für alle – alle für einen. Hört sich nicht schlecht an. Klingt irgendwie doch ein bisschen nach Solidarität – die ich mir ja schon so lange und so sehnlichst wünsche. Ein gemeinsames Ziel verfolgen, etwas gemeinschaftlich erkämpfen und durchsetzen, anderen bei Angriffen den Rücken stärken und im Gegenzug selbst den Rücken gestärkt bekommen. Aber wenn all dies gleichbedeutend mit Korpsgeist wäre, dann würde man ja diesen Begriff und nicht den der Solidarität verwenden.

Es muss also einen entscheidenden Unterschied geben. Und es muss etwas sein, das mir persönlich fehlt, denn von einigen Kollegen wurde vorgeworfen, dass es eben jener Korpsgeist ist, an dem es mir mangeln würde. Begründet wird dies mit dem Vorwurf, dass es der Korpsgeist zwingend gebietet, Kritik - selbst wenn sie berechtigt ist - nicht öffentlich zu äußern, wenn es sich dabei um das Verhalten der eigenen Gruppenmitgliedern handelt.

Ich glaube, ich habe den Unterschied zu den mir geläufigen Begriffen eben herausgefunden. Korpsgeist bedeutet Gleichschritt. Und zwar ganz gleich in welche Richtung. Korpsgeist kann bedeuten, sogar großen Unsinn, böse Schweinereien oder absurde Aktionen mitzumachen und mitzutragen. Es ist nicht ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Haltung, durch die eine Verbindung mit den anderen Korpsmitgliedern entsteht – nein, es ist lediglich eine mehr oder weniger zufällige und auch nur partielle Zugehörigkeit zu einem Stand oder einer Gruppe. Und zu allem was immer dieser Stand oder diese Gruppe dann tut, muss konsequent genickt werden. Der Korps hat keine andere Funktion als die, sich selbst zu nützen. Eine Zweckgemeinschaft, deren einziger Zweck sie selbst ist.

Ob jemand andere Menschen ausnutzt, ob jemand menschenverachtende Positionen vertritt, ob jemand lügt und betrügt oder ob jemand kompletten Schwachsinn veranstaltet – all dies muss ausnahmslos mitgetragen werden. Mit anderen Worten – das Gehirn bleibt draußen. Das Gewissen im Zweifelsfall auch.

Und deswegen habe ich keinen Korpsgeist. Ich will nicht im Ritterorden an Kreuzzügen teilnehmen. Ich will auch nicht im preußischen Stechschritt marschieren. Ich will auch in keiner schlagenden Burschenschaft an Trinkgelagen teilnehmen. Ich will nicht in irgendeinem Betrieb als Heldin der Arbeit gefeiert werden. Und vor allem will ich weder ducken vor Betreuern, die sich wie Obersturmführer aufführen noch vor Betreuern, die in den Betreuten nichts anderes als eine Einnahmequelle sehen.

Da wo Korpsgeist herrscht, zählt nichts anderes mehr als das Wohl derjenigen, die zum Korps gehören – das aller anderen wird bedeutungslos. Korpsgeist ist ein Euphemismus für Cliquen- und Vetternwirtschaft.

Ich habe keinen Korpsgeist. Und ich will auch keinen.

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Was für Wörter so manche Leute benutzen - das ist schon entlarvend. Mir fallen bei "Korpsgeist" zuerst die "Freikorps" ein, die Leute, die Walter Rathenau erschlagen und Hitler den ersten Putsch durchgeführt haben.

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Auch bei mir löst der Begriff des Korpsgeistes alles andere als positive Assoziationen aus. Natürlich traue ich keinem Betreuer einen Mordanschlag oder andere tätliche Gewalt zu. Was ich aber aufgrund meiner Erfahrungen nicht mehr ausschließen kann, ist die billigende Duldung von Missbrauch des Betreueramtes – Straftaten dabei nicht ausgeschlossen. Die moralische Verpflichtung gegenüber dem Klientel ist grundsätzlich nachrangig in Bezug auf die moralische Verpflichtung gegenüber den Kollegen.

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