Dienstag, 7. Oktober 2014, 18:55h

Entwicklungsprozesse und alte Bekannte

behrens

Als ich vor einiger Zeit Besorgungen in der Stadt erledigte, hörte ich hinter mir plötzlich laut jemand „Heil Hitler!“ rufen. Ich drehte mich um und sah einen alten Bekannten. Es handelte sich um Herrn F., einen ehemaligen Betreuten meines früheren Büropartners. Durch die über Jahre dauernde Zusammenarbeit waren mir auch viele der Betreuten meiner Kollegen gut bekannt, so auch Herr F. Schon zu Zeiten meiner damaligen Bürogemeinschaft fiel Herr F. oftmals durch sein sonderbares Verhalten auf. Allerdings äußerte sich dies damals nicht in rechtsextremen Parolen, sondern eher in einem ausgesprochen exaltierten Auftreten. Inzwischen hatte sich Herr F. so verändert, dass ich ihn zuerst gar nicht wiedererkannt hatte.

Ich begrüßte Herrn F. und fragte ihn, was denn mit ihm los sei und ob er immer noch unter Betreuung stehen würde. Herr F. bejahte die Frage aber fügte sofort sichtlich aufgeregt hinzu, dass er einen Anwalt einschalten würde. Er war äußerst verärgert darüber, dass ihm gegen seinen Willen seine Versicherung gekündigt worden waren. Das überraschte mich überhaupt nicht, denn Herr F. wird schon seit einiger Zeit nicht mehr von meinem früheren Kollegen betreut, sondern von jemandem, der auch als Versicherungsmakler tätig ist und der den Ruf hat, seinen Betreuten – ob sie dies wollen oder nicht – seine Versicherungen aufzuzwingen.

Es gibt in Bezug auf Betreute positive und negative Entwicklungen. Ohne Zweifel gibt es Faktoren, auf die ein Betreuer überhaupt keinen Einfluss hat, wie zum Beispiel auf die mit dem zunehmenden Alter verbundenen Abbauprozesse und die dadurch bedingte Pflegebedürftigkeit. Genauso verhält es sich mit anderen schweren Erkrankungen, für die es keine medizinische Heilung gibt. Allerdings ist es bei einigen Betreuern nicht unüblich, positive Entwicklungen werbewirksam als alleiniges Resultat ihrer Betreuungsarbeit darzustellen währenddessen negative Entwicklungen nicht selten lediglich mit einem Schulterzucken kommentiert werden und dem lapidarem Hinweis darauf, "dem Betreuten sei nun mal nicht zu helfen.“

Damit macht man es sich natürlich etwas einfach, denn ohne Frage gibt es neben den unabänderlichen Aspekten eines Krankheitsbildes auch diverse Faktoren, die sich krankheitsverstärkend oder krankheitslindernd auswirken. Neben dem breiten Spektrum an therapeutischen oder psychosozialen Maßnahmen, die veranlasst werden können, stehen dabei an erster Stelle der Respekt, mit dem der Betreute behandelt wird, die Achtung vor dessen Recht auf Selbstbestimmung und vor allem die Bereitschaft, sich kritisch mit dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen.

Natürlich sollte Respekt, Achtung und Kritikfähigkeit nicht nur in Bezug auf die Behandlung von rechtlich Betreuten ein unbedingtes Muss sein, sondern in allen Bereichen menschlicher Kommunikation. Aber Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen – und dazu gehört Herr F. zweifellos – reagieren noch viel empfindlicher als gesunde Menschen darauf, wenn ihnen Respekt und Achtung versagt werden. Man muss sich hierbei vergegenwärtigen, dass jemand, der rechtlich betreut wird, ohnehin schon viel an Selbstbestimmung und Autonomie eingebüßt hat. Eben gerade darum ist es enorm wichtig, nur dann gegen den Willen des Betreffenden zu entscheiden wenn es wirklich unvermeidbar ist. Und aus den gleichen Gründen ist auch respektloses und autoritäres Verhalten völlig indiskutabel.

Nicht nur Herr F. ist ein alter Bekannter von mir, sondern auch sein jetziger Betreuer. Und ich habe größte Zweifel daran, ob es für Herrn F. gut ist, von jemandem betreut zu werden, der sich durch ein extrem autoritäres Auftreten und einen ausgesprochenem Mangel an Respekt vor anderen auszeichnet. Ein Verhalten, das sich wohl auch kaum geändert haben dürfte, denn erst vor kurzem erzählte mir eine Betreuerin, dass der betreffende Betreuer sich während einer richterlichen Anhörung so beleidigend und respektlos gegenüber der Betreuten verhielt, dass diese anfing zu weinen. Dieser Vorfall stellt auch beileibe keinen Einzelfall dar, denn auch andere schildern ähnliche Situationen und selbst Kollegen geben zu, dass manche Menschen Angst vor ihm haben.

Zurück zu Herrn F. Es mag sein, dass seine psychische Erkrankung auch mit seinem früheren Betreuer oder irgendeinem anderen die gleiche Entwicklung genommen hätte. Wissen kann man dies natürlich nicht. Aber wissen sollte man, dass psychisch Kranke nicht in die Hände von extrem autoritären und respektlosen Menschen gehören.

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eine gelungene feststellung
ich hing wie gebannt an den worten , es ist sehr gut geschrieben und trifft alles ganz genau , wie ich es auch schon mehrmals erlebt habe. weiter so , ich lese gerne mit !

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Vielen Dank! Ich sehe Herrn F. mittlerweile relativ oft und bin jedes Mal erneut bestürzt über seine Entwicklung. Für mich wird einmal mehr deutlich, dass eine kaufmännische Ausbildung nicht unbedingt die geeignete Voraussetzung für den Umgang mit psychisch Kranken darstellt.

Sicher, auch ein Sozialpädagogik- oder Psychologiestudium stellt noch keine Garantie für die Eignung im Umgang mit psychisch Kranken dar. Und natürlich gibt es auch im kaufmännischen Bereich durchaus Menschen, die respektvoll und emphatisch mit psychisch Kranken umgehen. Aber bei einer derart verantwortungsvollen Tätigkeit wie der des rechtlichen Betreuers sollte sorgfältig geprüft werden, aus welcher Motivation heraus sich jemand, dessen Ausbildung schwerpunktmäßig Gewinnmaximierung zum Inhalt hat, für diese Arbeit bewirbt.

Entwicklungsprozesse können nur bei einem demokratischen Führungsstil entstehen und sind immer auch ein Ergebnis der Zeit, die für jemanden aufgewendet wird, wie ich an anderer Stelle schon einmal ausgeführt habe. Insbesondere, wenn es um traumatisierte Klienten geht – und das ist bei psychisch Kranken fast immer der Fall – darf nicht verharmlost werden, welch verheerende und krankheitsverstärkende Auswirkung mangelnder Respekt und krankhafte Dominanz im Umgang mit anderen haben kann.

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