Samstag, 8. Juni 2013, 13:05h

Überflüssige juristische Haarspaltereien – keine Organspende möglich bei bestimmten Patientenverfügungen?

behrens

Durch den Blog von Rentner Anton bin ich auf einen weiteren Blog mit dem Thema Pflege gestoßen und dort wiederum auf einen Beitrag, in welchem darauf hingewiesen wird, dass eine Patientenverfügung, die auf einen Behandlungsabbruch (wenn keine Hoffnung mehr auf Heilung besteht) abzielt, mit einer Organspende nicht vereinbar ist.

Ich bin darüber einigermaßen erstaunt, denn für mich spricht überhaupt nichts dagegen, dass jemand bei einer hoffnungslosen Situation, in der keine medizinische Heilung mehr möglich ist, trotzdem seine Organe spenden möchte. Aber anscheinend sehen das Juristen und auch Ärzte anders. Wer in seiner Patientenverfügung formuliert hat, dass er in einer Situation, in der Aussicht auf eine Heilung ausgeschlossen ist, keine Weiterführung der Behandlung wünscht, der verfügt damit den Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen, wie z.B. Beatmungsgerät, künstliche Ernährung e.t.c. Viele Organspenden sind jedoch nur möglich, wenn die Organe unmittelbar nach dem Versterben entnommen werden und die Transplantation zeitnah erfolgt. In der Praxis bedeutet dies, dass unter Umständen die lebenserhaltenden Maßnahmen nicht sofort abgebrochen werden können, sondern erst, wenn die Entnahme vorbereitet wird.

Ich hätte jetzt nicht erwartet, dass jemand daraus ein Problem macht. Niemand, der in seiner Patientenverfügung ausdrücklich formuliert, dass unter bestimmten Umständen lebenserhaltende Maßnahmen abgebrochen werden sollen, formuliert damit auch, dass dies zwingend sofort geschehen soll. Wenn die Verfügung ebenfalls einen Passus des Wunsches einer Organspende enthält, dann ist meines Erachtens eindeutig, dass dies Vorrang vor einer sofortigen unmittelbaren Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen darstellt.

Ich bin aus vollster Überzeugung damit einverstanden, meine Organe zu spenden und trage schon seit meinem zwanzigsten Lebensjahr einen Organspenderausweis bei mir. Und ich habe mich entschieden, dass bei einer aussichtslosen schweren Erkrankung, bei der ein Weiterleben nur durch die Zuhilfenahme von künstlicher Beatmung und künstlicher Ernährung möglich ist und somit nur der Sterbeprozess verlängert wird, die Behandlung abgebrochen werden darf. Wie bereits erwähnt, bin ich äußerst erstaunt darüber, dass man hieraus einen Widerspruch ableiten kann.

Eigentlich hätte mir die Problematik schon vorher auffallen müssen, denn in meiner eigenen Patientenverfügung, deren Vorlage ich im Internet fand, ist ein Passus eingefügt, der der Thematik Rechnung trägt:

Organspende
Ich möchte meine Organe spenden und bin somit grundsätzlich zur Spende meiner Organe und Gewebe bereit. Es ist mir bewusst, dass Organe nur nach Feststellung des Hirntodes bei aufrechterhaltenem Kreislauf entnommen werden können. Deshalb gestatte ich ausnahmsweise für den Fall, dass bei mir eine Organspende medizinisch in Frage kommt, die kurzfristige (Stunden bis höchstens wenige Tage umfassende) Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntodes nach den Richtlinien der Bundesärztekammer und zur anschließenden Entnahme der Organe.


Die Vorlage der Patientenverfügung kann unter http://www.ekd.de/download/patientenverfuegungsformular_bis_2003.pdf heruntergeladen werden. Wer sich daran stört, dass es ich bei der Verfügung um eine christliche Patientenverfügung handelt, der kann natürlich diesen Passus auch in irgendeine andere Vorlage oder in eine frei verfasste Verfügung einsetzten, wobei es natürlich auch gut möglich sein kann, dass andere Vorlagen mittlerweile diesen Passus auch enthalten.

Abschließend kann ich sagen, dass das ganze Thema Patientenverfügung für mich nicht die Sicherheit mit sich bringt, die eigentlich vom Gesetzgeber beabsichtigt wurde. Ich habe
hier hier ja schon einmal vor einigen Jahren über das Thema geschrieben und auch schon eine entsprechende Fortbildung zu der Thematik gemacht. Bei der Fortbildung wurde dann erwähnt, dass es durchaus sinnvoll sein kann, einen Betreuer zur Durchsetzung der Patientenverfügung einzusetzen. Das ist jedoch genau das, was ich gerade nicht will, denn wozu formuliere ich auf mehreren Seiten meine Wünsche, wenn dann letztendlich doch ein Betreuer benötigt wird? Und genauso wenig möchte ich im Falle eines erkrankten Angehörigen oder Freundes, dass ein Betreuer für etwas eingesetzt wird, das eigentlich durch eine Patientenverfügung schon ausreichend geregelt wird.

Mir fällt immer wieder auf, wie wenig hilfreich es ist, wenn auf ärztlicher Seite nicht mehr auf den gesunden Menschenverstand gesetzt wird, sondern stattdessen ängstlich in dem Bedürfnis nach absoluter Absicherung juristische was-wäre-wenn-Probleme konstruiert werden. Diese werden dann anscheinend von juristischer Seite dankbar aufgenommen und letztendlich wird das Thema Sterben dann wieder aus dem Familien- und Freundeskreis ausgelagert hin zu Menschen, die den Betreffenden gar nicht kennen. Gerade weil sich viele Angehörige durch Betreuer ausgebootet fühlen und gerade weil leider nicht die geringste Bereitschaft zur offenen Auseinandersetzung mit Kritik besteht, sollte man die Patientenverfügung mit gesundem Menschenverstand lesen und nicht in akribischer Suche nach Formulierungen, die eine äußerst geringe Möglichkeit der anderweitigen Interpretation bieten.

Nein, sehr viel sicherer fühle ich mich durch die existierende praktische Umsetzung des Gesetzes über Patientenverfügungen nicht unbedingt.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 24. Mai 2013, 12:17h

Wohnungslosigkeit

behrens

Gerade eben sah ich mir einen kurzen Bericht über die Wohnungssituation in Hamburg an. Diese kann nur als katastrophal bezeichnet werden:

Es gibt keine Plätze für die 700 bis 800 Personen, die in öffentliche Unterbringung gebracht werden müssen (…)„Ein Schlafplatz in der Wohnunterkunft bleibt Luxus

Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission stehen schon seit langem vor völlig unlösbaren Problemen, da es selbst für Familien mit Kindern keine Möglichkeit mehr gibt, Hilfe anzubieten.

Das Positive an Hamburg ist, es gibt eine Fachstelle für Wohnungsnotfälle. Das Negative daran ist, dass diese Stelle überhaupt keine Handlungsmöglichkeit mehr hat. Hamburg baut zwar an allen Enden und Ecken, es wird überall saniert aber all dies ändert nichts daran, dass dies nur Menschen mit gehobener Einkommensklasse zugute kommt.

Auch im Bereich der Betreuungsarbeit stellt die Wohnungslosigkeit ein großes Problem dar, das kaum lösbar ist. Ich habe in meinem Umgang mit Vermietern immer versucht, zwischen Betreuten und Vermieter zu vermitteln. Auf lange Sicht zahlt sich dies dann manchmal auch tatsächlich aus und man stößt nicht nur auf taube Ohren bei der Wohnungssuche für die Betreuten. Allerdings gibt es auch Vermieter, die schon die Tatsache stört, dass ein Bewerber eine rechtliche Betreuung hat, weil dies auf zu erwartende Probleme hinweist. Zwar ist es den großen Wohnungsgesellschaften oftmals angenehm, dass sie im rechtlichen Betreuer einen (mehr oder weniger) verlässlichen Ansprechpartner haben, aber da Betreuung ja nicht zwangsläufig eine Dauereinrichtung ist, kann es natürlich dazu kommen, dass nach der eventuellen Aufhebung zu Problemen mit dem Mieter kommt.

Mein Wunsch war ja immer gewesen, unter uns Betreuern eine Art „Wohnungsbörse“ aufzubauen, denn dadurch dass Menschen in ein Heim oder ins betreute Wohnen ziehen, werden Wohnungen frei. Auch im Falle des Versterbens eines Betreuten sind Betreuer zwar offiziell nicht mehr zuständig, aber dennoch kann ja die Information über die freistehende Wohnung von großem Nutzen für die Kollegen sein, die gerade eine Wohnung für jemanden suchen.

Meine Idee hat leider noch nicht einmal ansatzweise Interesse erregt. Schade.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 23. Februar 2013, 00:58h

Sage nicht, du kennst einen Menschen, bevor du nicht ein Erbe mit ihm geteilt hast

behrens

Diesen weisen Ausspruch des Philosophen Johann Kaspar Lavater (1741-1801) kann man erweitern um den Zusatz „Sage nicht, du kennst einen Menschen, bevor du nicht die Verantwortung für einen hilfebedürftigen Angehörigen mit ihm geteilt hast."

Damit ist gemeint, dass beim Auftreten der Verpflichtung, sich um die alten Eltern oder Großeltern kümmern zu müssen, viele latent vorhandene Unstimmigkeiten und Konflikte zum Ausbruch kommen können. Und dabei kommen dann oftmals längst vergessene Gefühle wie Eifersucht, Neid, das Gefühl des Benachteiligtseins und Rachegelüste zum Vorschein. Und nicht selten geht es dabei auch um Geld und um das zu erwartende Erbe.

Die Konstellationen sind vielfältig. Da gibt es zum einen die Situation, in der sich ein Geschwisterteil um den Vater oder die Mutter kümmert. Sind beide Eltern mittellos dann wird sich vielleicht irgendwann bei der sich kümmernden Tochter bzw. dem sich kümmernden Sohn ein Gefühl des Ärgers auf diejenigen Geschwister entwickeln, die sich der Verantwortung entziehen. Haben die alten Eltern jedoch Vermögen, eine hohe Rente oder ein eigenes Haus und die sich kümmernde Tochter, bzw. der Sohn lebt dort gemeinsam mit dem Elternteil, dann hat dies nicht selten Neid zur Folge bei denjenigen Geschwistern, die nicht bei den Eltern wohnen. Es kommt dann oft zu sehr unguten Vorwürfen, bei denen vorgerechnet wird, dass man für das mietfreie Wohnen oder für das Profitieren von der elterlichen Rente doch viel mehr für die Eltern leisten müsste.

Es gibt den unschönen Ausdruck „Erbschaftsschutz“. Damit ist beispielsweise gemeint, dass Massnahmen, die von Angehörigen für ein gebrechliches Familienmitglied veranlasst werden, beeinflusst werden von der Aussicht auf das zu erwartende Erbe. Es kann zum Beispiel sein, dass nahe Angehörige die gebrechlichen Eltern nicht in eine geeignete Einrichtung geben wollen, weil sich durch die zu entrichtenden Heimkosten das zu erwartende Erbe schmälert. Solange die Eltern sich in der eigenen Häuslichkeit wohlfühlen, ist dies natürlich auch in deren Sinne, aber es gibt sehr wohl auch alte Menschen, die sich in einer Heimeinrichtung oder einer Einrichtung des betreuten Wohnens wohler und sicherer fühlen oder die vielleicht gern eine Tagespflegestätte besuchen würden.

Es kann auch die ungute Situation geben, dass der pflegebedürftige Elternteil gern zuhause wohnen bleiben möchte, hierfür aber für die Bezahlung einer umfassenden Pflege durch einen ambulanten Pflegedienstes erhebliche Mehrkosten entstehen, so dass unter Umständen ein Heim billiger sein würde, zumal in Bezug auf ambulante Pflege natürlich auch die gesamten Wohnungskosten weiterbezahlt werden müssen. Manchmal wird aus Gründen der Kostenersparnis die Pflege auch nicht durch einen Pflegedienst erbracht, sondern durch Angehörige. Wenn dies vom Elternteil auch so gewünscht wird, ist dagegen selbstverständlich auch überhaupt nichts einzuwenden. Wenn dies allerdings gegen den Willen des Pflegebedürftigen nur aus Gründen der Vermeidung des Einsatzes der Ersparnisse geschieht, ist dies nicht vertretbar.

Und letztendlich kann man leider nicht ausschließen, dass selbst bei der Entscheidung über existentielle Maßnahmen wie dem Einsatz einer Ernährungssonde oder die Durchführung einer Reanimation der finanzielle Aspekt eine Rolle spielt. Dies gilt in beide Richtungen – sowohl in Bezug auf die Befürwortung einer möglichen lebensverlängernden Maßnahme, als auch deren Ablehnung. Im ersten Fall kann die weiter zur Verfügung stehende hohe Rente eine Rolle spielen, im zweiten Fall die Sorge um die Verringerung von Vermögenswerten.

Aber auch ohne Vermögen gibt es noch genug Konfliktpotential, denn eine Wohnung auflösen, ein Heim suchen und sich um sämtliche anfallenden Formalitäten kümmern, ist eine sehr zeitaufwendige und oftmals auch belastende Aufgabe, die immer wieder Zündstoff für Streit unter den Angehörigen bietet. Denn nicht immer geschieht dies von Seiten der Geschwister in inniger Eintracht. Und selbst wenn es gelingt, die Arbeit gleichmäßig zu verteilen, kommen oft alte Geschichten wieder zutage und es wird beispielsweise gegenseitig vorgerechnet, dass ein Geschwisterteil von den Eltern eine teure Ausbildung erhalten hat, während andere Geschwister ihren Lebensunterhalt schon in jungen Jahren ohne jegliche Unterstützung der Eltern allein finanziert haben. Und erwachsene Kinder, die in ihrer Kindheit von ihren Eltern völlig vernachlässigt wurden, tun sich meist schwer damit, ihren Pflichten gegenüber den jetzt hilfsbedürftigen Eltern genauso nachzukommen, wie diejenigen Geschwister, die bevorzugt behandelt wurden.

Die Beispiele könnten noch um unzählige andere erweitert werden, zumal man auch noch die speziellen Konstellationen von Familien mit Enkelkindern und von Patchworkfamilien mit einbeziehen muss. Denn vielleicht wurde sich um die Enkelkinder des in der Nähe lebenden Kindes sehr intensiv gekümmert, während dies bei den Enkelkindern der entfernt wohnenden Kinder gar nicht möglich war. Und Kinder aus erster Ehe werden erfahrungsgemäß nicht selten gegenüber denjenigen aus der zweiten Ehe benachteiligt und „stiefmütterlich“ behandelt. All das, was es an Zwistigkeiten und familiären Dramen in der Familie gab und gibt, kommt zum Ausbruch, wenn die belastende Situation der Pflegebedürftigkeit eines Elternteils eintritt.

Und weil dies dann oftmals zu Lasten einer angemessenen Versorgung des alten Menschen geht, kommen manchmal wir Betreuer ins Spiel. Die Situation, in die wir dann geraten, ist alles andere als einfach. Es ist kaum möglich, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Und nicht selten wird versucht, den Betreuer zu instrumentalisieren und auf eine Seite zu ziehen. Manchmal gelingt es zumindest etwas zwischen den Fronten zu vermitteln. Meist scheitert dies aber den verhärteten Standpunkten. Und im schlechtesten Fall sind sich die ansonsten völlig zerstrittenen Parteien dann doch in einem einig – der Betreuer macht seine Arbeit falsch! Damit rutscht der Betreuer dann in die Rolle des Sündenbocks, der für alle anfallenden Probleme verantwortlich ist. Die Situation ist dann so verfahren, dass man im Grunde nur mit von außen kommender professioneller Hilfe eine Lösung erreichen wird. Hierzu muss zum einen die Bereitschaft der Angehörigen vorhanden sein zum anderen auch die des Betreuers.

Wenn es zu Machtkämpfen zwischen Geschwistern oder zwischen Angehörigen und dem Betreuer kommt, ist immer der Betreute als schwächstes Glied in dem sozialen Gefüge der Leidtragende. Derjenige, um dessen Wohl es doch eigentlich allen gehen sollte.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 29. Juli 2012, 15:31h

Was machen Menschen, die krank sind und wenig Geld haben, wenn sie dringend zum Arzt müssen?

behrens

Was passiert, wenn jemand dringend zum Arzt muss? Nun, wenn man noch gehen kann, setzt man sich in die Bahn, ins Auto oder aufs Fahrrad oder geht vielleicht auch zu Fuß zur Arztpraxis. Was ist, wenn man so krank oder so gehbehindert ist, dass man den Weg nicht mehr allein schafft? Dann bittet man Verwandte oder Bekannte um die Fahrt zum Arzt oder man nimmt sich ein Taxi. Hierfür muss man allerdings Verwandte und Bekannte oder aber Geld haben. Was passiert aber, wenn man weder über das Eine noch über das Andere verfügt? Dann wird es sehr, sehr schwierig.

Zeitgleich mit der Hartz-IV-Reform wurde auch bei den Krankenkassen so einiges geändert. Früher war es in der Regel möglich, sich die sogenannte Krankentransportverordnung vom behandelnden Arzt auch noch nach der Inanspruchnahme eines Taxis austellen zu lassen und sich dann den bereits gezahlten Betrag von der Kasse erstatten zu lassen. Das ist jetzt anders, man muss vorab eine Krankentransportbescheinigung vom Arzt einholen, die dann gemeinsam mit einem Antrag auf Kostenübernahme zur Krankenkasse geschickt wird. Erst wenn der Antrag bewilligt ist, darf man den Arzt aufsuchen.

Man merkt, dass hier eine logische Lücke besteht. Denn um den Arzt um eine Verordnung zu bitten, muss man ja erstmal in seine Praxis kommen. Eventuell könnte man sich die Verordnung ja auch zuschicken lassen, wobei man anmerken muss, dass Arztpraxen generell äußerst ungern in Briefmarken investieren und dazu auffordern, sich die Verordnung zu holen. Nun gut, man könnte auch Geld hinterlegen für die Zusendung, was ich selbst übrigens auch für das Zusenden eines Rezepts so handhabe, weil ich für ein Rezept nicht extra in die Praxis gehen will. Allerdings braucht man auch hier 1 – 2 Tage für den Postweg, der sich wiederum um weitere 2 – 4 Tage für die Zusendung an die Krankenkasse plus Rücksendung verlängert. Bei akuter Erkrankung, die mit einem schnellen Behandlungsbedarf verbunden ist, fällt dies also weg.

Bleibt also nur das Selbstzahlen. Nicht ganz einfach für einen Hartz-IV-Empfänger oder für jemanden mit einer Minirente. Erst recht, wenn nicht ein Taxi sondern ein Krankenwagen benötigt wird, was dann der Fall ist, wenn jemand Rollstuhlfahrer ist und die Arztpraxis über keinen Fahrstuhl verfügt, so dass der Patient hochgetragen werden muss. Dies kostet dann mindestens 75,00 €, also rund 20 Prozent des Hartz-IV-Regelsatzes.

Als Betreuerin habe ich den Vorteil, dass ich über ein Faxgerät verfüge und mir sowohl die erforderliche ärztliche Verordnung zufaxen lasse, als auch den Antrag an die Krankenkasse per Fax weiterleite, die mir dann die Bewilligung ebenfalls zufaxt. Dann bleibt allerdings immer noch die Weiterleitung an das Krankentransport- oder Taxiunternehmen. Und es bleiben noch die Wartezeiten. Arztpraxen haben keine Anrufbeantworter, so dass ich die Sprechzeiten abwarten muss.

Wie gestaltet sich dieser enorme Arbeitsaufwand für Menschen, die keinen Betreuer haben? Oder für Familienmitglieder, die sich um ihre kranken Angehörigen kümmern? Ich selbst kümmere mich um meinen Stiefvater, der nicht in unmittelbarer Nähe wohnt. Und letzte Woche musste er (Rollstuhlfahrer, Pflegefall) dringend zum Hautarzt. Nachdem ich damit scheiterte, eine Hautarztpraxis mit Fahrstuhl (flächendeckende medizinische Versorgung ist ein anderes ebenso interessantes Thema!) zu finden, musste ich also die schon eingeholte Verordnung für einen Taxischein nochmals umschreiben lassen. Die habe ich dann sehr spät noch an die Krankenkasse geschickt in dem Glauben, dass mein Antrag mit dem Vermerk „Eilt“ auch umgehend beantwortet wird. Das war aber nicht der Fall, ich musste nochmals telefonisch nachhaken.

Ich habe übrigens meinen Eltern aufgrund der hier geschilderten Widrigkeiten ein Faxgerät geschenkt. Allerdings ist mein Stiefvater nicht in der Lage, das Gerät auch zu bedienen, was auch tatsächlich nicht so einfach ist, weil eigentlich die Anschlussbuchse von der Telekom geändert werden müsste. Hiervon haben wir bisher abgesehen, da die Zusammenarbeit mit der Telekom (auch das ist ein weiteres ebenso interessantes Thema!) ihre Tücken hat.

Ich habe eine Mitarbeiterin des für meinen Stiefvater zuständigen Pflegedienstes gefragt, wie denn die anderen Patienten das Problem der Fahrt zum Arzt lösen. Die Antwort war, dass die meisten resignieren und letztendlich die 75,00 € für den Krankentransport zahlen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass eine akute Erkrankung eine schnelle Behandlung erfordert. Und es ist kaum nachvollziehbar, dass hierfür ein Vorlauf gefordert wird, der kaum zu bewältigen ist. Und man kann sich ausmalen, dass wahrscheinlich so manche Versorgungslücken entstehen, weil die Menschen mit diesem immensen Antragsaufwand überfordert sind.

Im Falle meines Stiefvaters hat mich das ganze Prozedere gut zwei Stunden Zeit gekostet. Anschließend war ich so entnervt, dass dies auch noch einen Streit mit meinem Freund auslöste, der mir sagte: „Warum beantragst du nicht endlich eine Betreuung für deinen Stiefvater?“ Ja, warum eigentlich nicht? Ein Betreuer vor Ort hätte es wahrscheinlich mit manchem leichter. Aber da taucht dann wieder jener besagte Satz vor meinem geistigen Ohr auf, der mir von einem Kollegen entgegnet wurde, als ich erwähnte, dass mein Stiefvater nicht ins Heim möchte, weil er nach 47 Jahren harter Arbeit nicht von 95,00 € Taschengeld leben will:Das ist dieses Anspruchsdenken, das unsere Gesellschaft kaputt macht!“.

Nein, ich bringe es nicht über’s Herz, jemanden in die Hände von Menschen mit so einer Einstellung zu geben. Sicher, es sind natürlich längst nicht alle Betreuer so. Aber ich will mit der Lebensqualität meines Stiefvaters nicht Lotterie spielen…

... link (1 Kommentar)   ... comment


Donnerstag, 26. April 2012, 15:17h

Das Meer in mir - Todeswunsch und Lebenswille

behrens

Gestern sah ich den spanischen Film „Das Meer in mir“, dem die wahre Geschichte eines gelähmten Mannes zugrunde liegt, der für sein Recht auf Sterben kämpfte. Ramón Sampedro, der im Alter von 25 Jahren einen Unfall erlitt, aufgrund dessen er von Kopf bis Fuß gelähmt war, wollte nach 28 Jahren, die er nur im Bett liegend verbracht hatte, vor Gericht das Recht auf Sterbehilfe erkämpfen. Obwohl er den Prozess verlor, war seine Freundin bereit, ihm aktiv dabei zu helfen und verabreichte ihm im Jahr 1998 eine Zyankalisösung.

Ich zappte eine Weile nach dem Ende des Films herum und landete bei einer Talkshow, in der es auch um das Leben eines von Kopf bis Fuß Gelähmten ging, nämlich um den jungen Samuel, der vor etwa einem Jahr bei einem Unfall in der Sendung „Wetten, dass?“ schwer verletzt wurde.

Zwei Schicksale, die sich ähneln und die dennoch völlig unterschiedlich sind. Während Ramón Sampedro sein Leben als würdelos empfand, will Samuel auf jeden Fall leben. Zwei Aussagen stehen sich gegenüber: „Es ist ein würdeloses Leben als Gefangener meines Körpers“ und „Glücklichsein kann man auf jedem Niveau“. Man darf natürlich nicht ignorieren, dass Roman 55 Jahre alt war, als er sich entschloss, zu sterben und Samuel erst 23 Jahre alt ist. Vielleicht hat auch Samuel in vielen Jahren nicht mehr die Kraft, ein Leben unter so schweren Bedingungen zu leben.

Was für mich bei den beiden Lebensgeschichten so entscheidend ist, ist die Tatsache, dass beide von Menschen umgeben waren, bzw. sind, die ihnen helfen und von denen sie geliebt werden. Die Entscheidung der Freundin Ramons, aktive Sterbehilfe zu leisten, war keine übereilte Entscheidung, die aufgrund von Argumentationsgängen getroffen wurde. Sie liebte Ramon und erkannte die Bedeutung, die der Todeswunsch für ihn hatte. Erst nach einem langen Prozess war sie bereit, ihm dabei zu helfen, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Der Film „Das Meer in mir“ berührt sehr. Der Anblick von Samuel, der mit einem bewundernswerten Willen für ein lebenswertes Leben kämpft, berührt genauso.

Und deswegen kann die Frage, danach, wann ein Leben lebenswert ist und wann nicht, überhaupt nicht allgemeingültig beantwortet werden und es gibt kein allgemeingültiges Richtig oder Falsch. Es gibt die Entscheidung, für sein Leben zu kämpfen und es gibt die Entscheidung, sein Leben nicht mehr leben zu wollen. Entscheidend ist bei dem Wunsch nach der Beendigung seines Lebens, dass sich nicht irgendwelche Außenstehenden anmaßen, diese Entscheidung beurteilen zu können. Nur Menschen, die wirklich Anteil am anderen nehmen, sind überhaupt in der Lage, die Situation des anderen annähernd zu beurteilen. Nur diese Menschen können beurteilen, ob es vielleicht noch andere Wege als den des Todes gibt. Und nur diese Menschen werden sich die Mühe machen und sich die erforderliche Zeit nehmen, nach den anderen Wegen zu suchen.

Menschen, die mit dem Blick auf die Uhr eine möglichst schnelle Entscheidung fällen wollen, sind bei solchen existentiellen Entscheidungen völlig fehl am Platz. Dies trifft auch auf Menschen zu, denen der zwischenmenschliche Respekt vor andern fehlt und die eigene Entscheidungen für unfehlbar halten. Meine Ansicht deckt sich mit der von Sherwin B. Nuland, für den die Sterbehilfe in die Hand derjenigen Ärzte gehört, denen der Patient langjährig vertraut ist. Wobei für mich auch nahe Angehörige den Platz von Ärzten einnehmen können.

... link (1 Kommentar)   ... comment


Sonntag, 26. Februar 2012, 00:29h

Ein Ort zum Sterben – aber bitte nicht in der eignen Nachbarschaft

behrens

Vor einiger Zeit hatte ich über ein Hospiz einer benachbarten Kleinstadt. geschrieben. Im Hamburger Süden gibt einen Hospizverein, der schwerkranke Menschen ambulant betreut. Der Verein strebt schon seit langem die Einrichtung eines stationären Hospizes an und vor kurzem hat man nun endlich ein Gebäude gefunden, das die Bedingungen für die Einrichtung eines Hospizes erfüllt. Es könnte also schon in Kürze losgehen – wenn...ja, wenn es nicht Menschen geben würde, die mit Hilfe eines Anwalts gegen die Einrichtung des Hospizes in ihrer Nachbarschaft vorgehen würden. Nicht, dass die Anwohner etwas gegen ein Hospiz an sich hätten, natürlich ist sich jeder bewusst, wie wertvoll so eine Einrichtung für die Gesellschaft ist. Nur eben bitte nicht in der eigenen Nachbarschaft. Argumentiert wird mit der Befürchtung, dass ein Hospiz in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Wertverlust der Grundstücke führen könnte.

Um was für einen Stadtteil handelt es sich? Eine kleine Eigenheimsiedlung mit Einfamilien- und Reihenhäusern. Saubere, verkehrsberuhigte Straßen, akkurat angelegte Vorgärten und gepflegte Hausfassaden ohne Graffitischmierereien. Ein Stadtteil ohne Hartz-IV-Problematik, in welchem die meisten der Kinder eine höhere Schule besuchen und Reit- oder Ballettunterricht erhalten.

Diese nette kleinbürgerliche Idylle soll nun kaputtgemacht werden durch ein Haus, in dem keine netten Familien mit Kindern wohnen, sondern Todkranke. Das können sich die netten Familien natürlich nicht gefallen lassen.

Ich kann kaum ausdrücken, welch Übelkeit mir das Verhalten der netten Familien auslöst. Ich hatte schon sein langem gehofft, dass endlich ein Hospiz in der Nähe entstehen würde, weil es sehr wichtig ist, dass ein Sterbender nicht in eine völlig fremde Gegend verfrachtet wird, wo ihn Freunde und Verwandte nur unter Schwierigkeiten besuchen können. Und jetzt wird es zunichte gemacht durch die netten Familien. Ich frage mich, wer in unserer Gesellschaft eigentlich die Asozialen sind….

... link (3 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 4. Januar 2012, 16:45h

Jobcenter - wie gewohnt und auch mal anders

behrens

Ich war gerade dabei, eine kleine Begebenheit mit dem Jobcenter aufzuschreiben, die wieder einmal sehr unerfreulich verlief, als ich einen Anruf bekam, der ein Beispiel dafür ist, dass es doch auch Mitarbeiter beim Jobcenter gibt, denen die ihnen anvertrauten Menschen nicht völlig gleichgültig sind.

Fangen wir dennoch mit der unerfreulichen Begebenheit an. Vor einiger Zeit habe ich für einen Betreuten einen Reha-Antrag beim Arbeitsamt gestellt, da dieser sehr gern in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten würde. Es hatte in der Vergangenheit bereits ein Beratungstermin stattgefunden, der aber negativ verlief, weil man im Arbeitsamt der Meinung war – die ich nicht teile – dass mein Betreuter erstmal andere Angebote wahrnehmen sollte. Nachdem der zweite Beratungstermin im November stattfand, schickte ich, ohne mir dabei etwas Böses zu denken, der Reha-Abteilung eine kurze Mail, in der ich anfragte, was der Termin ergeben hatte.

In der vergangen Woche rief die Vertretung der zuständigen Sachbearbeiterin an und da ich nicht im Büro war, nahm meine Mitarbeiterin den Anruf entgegen. Dann folgte ein Wortwechsel, über den meine Mitarbeiterin noch langer verärgert war. Es begann damit, dass die Sachbearbeiterin betonte, dass sie nicht sagen dürfe, um wen und um was es sich handeln würde, da meine Mitarbeiterin ja „nur“ eine Mitarbeiterin und nicht die Betreuerin war. Nachdem ihr meine Mitarbeiterin dann doch entlocken konnte, um welchen meiner Betreuten es sich handelte, folgte ein langer Vortrag darüber, wie es angehen könne, dass ich als Betreuerin nicht über das Gesprächsergebnis informiert sei. Meine Mitarbeiterin versuchte wacker, der Sachbearbeiterin zu erklären, dass meine Nachfrage etwas völlig Normales wäre. Dies sah die Sachbearbeiterin allerdings nicht ein und wies darauf hin, dass ich den Betreuten hätte begleiten müssen, wenn ich Informationen hätte haben wollen.

Ich könnte jetzt noch weiter dieses unerfreuliche und darüber hinaus durch und durch überflüssige Gespräch beschreiben, was aber zu nichts führen würde. Ich habe ja selbst einige Jahre im Arbeitsamt gearbeitet und hatte daher Gelegenheit, diesen Persönlichkeitstypus kennenzulernen, der sich durch ein völliges Unverständnis gegenüber all denen auszeichnet, die nicht in die amtsinternen Abläufe eingeweiht eingeweiht sind und logischerweise daher manche Dinge erfragen müssen. Und genau dieser Typus zeichnet sich wiederum meist durch ein äußerst lückenhaftes Fachwissen aus. Jeder Behördenmitarbeiter muss wissen, dass rechtliche Betreuer in der Regel auch Mitarbeiter haben, die befugt sind, Anrufe entgegenzunehmen und Schreiben zu bearbeiten – anders wäre die Arbeit als Berufsbetreuerin gar nicht machbar. Genauso sollte unbedingt bekannt sein, dass ein Betreuer nicht über das Zeitbudget für eine persönliche Begleitung verfügt. Und natürlich hat ein rechtlicher Betreuer auch nicht automatisch mit beruflichen Rehaverfahren zu tun, da es jede Menge Betreuungen gibt, bei denen so eine Maßnahme gar nicht in Frage kommt. Und die Tatsache, dass zwar eine Ablehnung in schriftlicher Form erfolgt, eine Bewilligung aber nicht, mag zwar einer Behördenmitarbeiterin logisch erscheinen, dem Rest der Welt wahrscheinlich aber nicht.

So, und nun die positive Erfahrung, die mich eben gerade gemacht habe: Es handelt sich um die Schwester meiner Betreuten, die ich momentan noch gar nicht gesetzlich betreue, sondern im Rahmen einer Vollmacht. Die Leistungen des Jobcenters wurden eingestellt, da aufgrund der vorhandenen Behinderung eine Erwerbstätigkeit gar nicht möglich wäre. Damit ich schnellstmöglich Grundsicherungsleistungen beantragen kann, wäre eine Schweigepflichtentbindung erforderlich. Die Schwester meiner Betreuten ist sich aber der Wichtigkeit nicht bewusst und hat den vereinbarten Termin nicht wahrgenommen. Heute ruft mich die Sachbearbeiterin an und teilt mir mit, dass sie übermorgen sowieso in der Gegend wäre, und daher auch einen kurzen Hausbesuch machen könnte. Ich war darüber äußerst erstaunt und fragte, ob dies öfter vorkäme, worauf die Sachbearbeiterin mir sagte, dass sie ab und zu Hausbesuche machen würde, wenn sie das Gefühl hätte, dass es sich um Arbeitslose handeln würde, die Schwierigkeiten haben, die in den Behördenschreiben formulierten Anliegen überhaupt zu verstehen.

Ich kann zu letzterem Beispiel nur sagen, dass wahrscheinlich so manche gesetzliche Betreuung gar nicht erforderlich wäre, wenn man in der Behörde realisieren würde, dass es sich nicht immer zwangsläufig um eine – wie in den Schreiben formulierte – "Verweigerung der Mitarbeit" handelt, sondern schlichtweg um Menschen, die mit der adäquaten Bearbeitung von Behördenangelegenheiten überfordert sind.

Es gibt sie also doch – Menschen, die nicht nur in der Lage sind, sich in andere hinein zu versetzen, sondern die auch bereits sind, hilfsbedürftigen Menschen Hilfe anzubieten!

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 27. August 2011, 13:37h

Keine Geschenke für Hartz-IV-Kinder

behrens

Nur aufgrund von Formfehlern hat jetzt das Bundessozialgericht zugunsten einer Familie entschieden, die Klage gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes eingelegt hatte. Grundsätzlich muss ein Geldgeschenk an Kinder als Einkommen angerechnet werden. Konkret ging es um eine Familie, in der die drei Kinder von der Oma einen Betrag von insgesamt 510,00 € als Geschenk erhalten hatten. Kinder von Hartz-IV-Empfängern dürfen allenfalls Sachgeschenke aber keine Geldgeschenke erhalten. Wenn es also Verwandte oder Freunde gibt, die versuchen, die soziale Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Familien ein wenig abzuschwächen, dann wird dies durch die Anrechnung als Einkommen verhindert.

In der Konsequenz bedeutet diese Rechtssprechung, dass Kinder von Menschen mit einem Einkommen finanzielle Unterstützung erhalten dürfen, Kinder von Hartz-IV-Empfängern jedoch nicht. Das mutet paradox an, da ja gerade die Kinder von Hartz-IV-Emfängern finanziell benachteiligt sind. Reisen sind beispielsweise mit einem Hartz-IV-Einkommen genauso wenig möglich wie Ausflüge in Zoos, Vergnügungsparks e.t.c. Und auf eins sollte man in diesem Zusammenhang unbedingt hinweisen – es gibt ja schon lange eine immer größer werdende Zahl von Menschen, die trotz einer Arbeit so wenig verdienen, dass sie das Gehalt noch mit Hartz-IV aufstocken lassen müssen. Auch deren Kinder – und es geht hier um die Kinder – dürfen keine Geldgeschenke erhalten.

Mir ist durchaus bewusst, dass Hartz-IV eine Sozialleistung ist, die lediglich das Notwendigste abdecken soll und mir ist ebenfalls bewusst, dass diese Leistungen aus den Steuergeldern der Arbeit anderer finanziert werden. Mir ist ebenfalls bewusst, dass es auch die Gruppe derer gibt, die sich in ihrer Arbeitslosigkeit eingerichtet haben und die gar nicht mehr das Interesse haben, an ihrer Situation etwas zu verändern. Hält man sich nur diese Gruppe vor Augen, mag das Urteil gerechtfertigt erscheinen. Aber es gibt eben nun mal nicht nur diese Gruppe, sondern auch die große Gruppe derer, die trotz aller Anstrengungen nicht aus ihrer Situation herauskommt, weil Arbeit nun mal Mangelware ist.

Die Rechtssprechung mag man vielleicht vor diesem Hintergrund als konsequent und richtig empfinden. Und es wird wieder unermüdliche Zustimmung von all denen geben, die die Position vertreten, dass dieses Anspruchsdenken unsere Gesellschaft kaputt macht. Denkt man aber ganz konkret an die Kinder – um die geht es hier nämlich bei dieser Rechtsauffassung – dann bleibt ein mulmiges Gefühl. Es ist kein Zuckerschlecken, Kinder in einer Gesellschaft aufzuziehen, in der alles auf Konsum gesetzt wird. In der schon die Sendungen des Kinderfernsehprogramms mit Werbung unterbrochen werden. In der Geburtstage nicht mehr einfach mit Topfschlagen und Schokokusswettessen ausgerichtet werden, sondern als Event im Vergnügungspark oder in einer eigens dafür gebuchten Übernachtung im Indianerzelt des Völkerkundemuseums. Eine Gesellschaft, in der ein Kind, das in selbstgenähter Kleidung zur Schule kommt, als Lachnummer dasteht und in der ein Jugendlicher ohne Handy und Mailadresse als Trottel angesehen wird.

Da ist es dann schon ein Glück, dass es Omas oder Tanten gibt, die ein wenig aushelfen. Und genau das wird durch die Rechtsprechung verhindert.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 13. April 2011, 20:53h

Geplatzte Träume und doch Hoffnungsschimmer

behrens

Mir wurde gerade von einer Kollegin ein Hinweis auf einen interessanten Artikel gegeben:

http://www.sozialarbeiter.in/2010/11/04/der-zerplatzte-traum/

Wie der Name schon sagt, geht es um die unerfüllten Träume der Sozialarbeiter. In erster Linie wird dabei auf die Strukturen und die Arbeitsbedingungen in der Sozialarbeit eingegangen. In der Einleitung wird geschildert, wie enthusiastisch die angehenden Sozialarbeiter nach Beendigung ihres Studiums ihre Arbeit antreten und wie der Enthusiasmus irgendwann einer Resignation Platz macht. Für mich sind dies Worte wie aus einer anderen Welt:

Denn ihr Antrieb ist es, anderen Menschen etwas zu geben, sie zu unterstützen, Menschen zu helfen, die es im Leben nicht so gut getroffen haben, wie sie selber. So starten sie voller Vorfreude auf die Arbeit mit ihren neuen Kollegen.

Diese Worte sind so unendlich weit entfernt von Aussagen wie „Wir möchten einen guten Eindruck machen“ und dem Vorwurf des „Anspruchsdenkens“ an Menschen, die nicht in ein Heim möchten, weil sie ihren Lebensabend nicht mit einem winzigen Heimtaschengeld verbringen wollen. Hier geht es tatsächlich noch um die Motivation, die darin besteht, Menschen, die in dieser Gesellschaft benachteiligt sind, darin zu unterstützen, eine gleichberechtigte Position zu erlangen.

Auch wenn der Artikel den politischen und gesellschaftlichen Wandel nicht thematisiert, so drückt er doch sehr gut aus, wie soziales Engagement an der Realität zerrieben wird und schließlich scheitert. Wobei es nicht bei dieser deprimierenden Erkenntnis bleibt, sondern durchaus Vorschläge zu Abhilfe gemacht werden, die sich in erster Linie auf die Ausbildungsschwerpunkte im Studium und auf die Anforderungen an Führungskräfte beziehen.

Für mich ist der Artikel eine Erinnerung an die „alte“ Welt der Sozialarbeit. Trotz aller geschilderten Probleme ein kleiner Hoffnungsschimmer: es gibt sie also doch noch – Menschen, die sich jenseits von Gewinnmaximierung und Werbewirksamkeit um die Zukunft der Sozialarbeit Gedanken machen. Vielleicht gelingt es ja, Antworten auf die vielen Probleme zu finden. Zumindest ist das, was dafür unverzichtbar ist, geschehen: den Vorhang des guten Eindrucks zur Seite zu ziehen und einen Blick auf die dahinter vorborgene Realität zu werfen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 23. Februar 2011, 13:30h

Neues aus der Jugendwohngruppe – ein Besuch im Gefängnis

behrens

Die Jugendlichen aus der Wohngruppe, in der mein Freund arbeitet, werden demnächst einen Besuch im Gefängnis machen. Grund hierfür ist der Umstand, dass fast alle Jugendlichen schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Da der geplante Besuch noch nicht erfolgt ist, kann ich darüber auch noch nichts schreiben. Allerdings fiel mir sofort eine Sendung ein, die ich während meines Studiums angesehen hatte und die am nächsten Tag unter uns Studenten heftig und kontrovers diskutiert wurde.

In der Dokumentation von Stefan Troller wurde ein amerikanisches Projekt aus West Virginia gezeigt, in dem straffällige Jugendliche ein Gefängnis besuchten. Beim Besuch ging es allerdings nicht um ein Schlendern durch die Zellen, sondern um die Konfrontation mit den Strafgefangenen. Bei denen handelte es sich um lebenslang Inhaftierte, die schwere Kapitalverbrechen begangen hatten. Deren Motivation war nach eigenen Aussagen, der Wunsch, Jugendliche davon abzuhalten, einen Weg einzuschlagen, der unweigerlich im Gefängnis enden muss.

Es ist mir ausnahmsweise mal gelungen, bei YouTube die Doku ausfindig zu machen. Wer auch nur ein kleines bisschen Interesse an der Thematik hat, sollte sich den Ausschnitt unbedingt ansehen – es lohnt sich auf jeden Fall.

Die Initiatoren des Projekts machten sich zwei Dinge zunutze: zum einen die Tatsache, dass Inhaftierte auf Jugendliche einen weitaus größeren Eindruck machen, als Sozialarbeiter. Zum anderen die Tatsache, dass die Inhaftierten nicht über etwas dozieren, sondern einen realen Einblick über den Alltag im Knast geben. Einblick in eine Hierarchie, in der niemand Mitleid mit dem anderen hat und in der der Schwächere dem Stärkeren gehorchen muss, wenn er überleben will.

Schonungslos wurde den Jugendlichen erklärt, dass zum Knastleben auch sexuelle Gewalt gehört. Drastisch wurde deutlich gemacht, was bedingungsloser Gehorsam im Knast bedeutet: "Zieht eure Klamotten aus" werden die Jugendlichen angebrüllt - und sofort ziehen alle Jugendlichen ihre Kleidung aus. Als ein Jugendlicher seine Kleidung wiederhaben will, stellen sich die Inhaftierten davor und er traut sich nicht mehr. "Seht mal, wie er Schiss hat", kommentiert der Häftling "so ein Baby wie der wird hier im Knast fertiggemacht". Dann zeigt er auf einen anderen Jugendichen und sagt: "der gefällt mir, der wird mein Bettjunge. Der darf für mich anschaffen".

Damals während meines Studium war die Reaktion der Studenten auf das amerikanische Projekt ziemlich negativ. „Man muss das System verändern, die Ursachen von Jugendgewalt bekämpfen und die im Knast herrschende Gewalt nicht auch noch pädagogisch zur Abschreckung nutzen“. Obwohl ich diese ersten beiden Argumente bedingungslos bejahe, hielt ich schon damals das Projekt für eine sinnvolle Idee, Jugendliche mit der Realität vertraut zu machen.

Nichts hat mehr Priorität, als Ursachen zu erforschen und zu bekämpfen und das zugrundeliegende System zu verändern. Aber „das System“, das man verändern möchte, ist so komplex und verselbständigt, so von Wechselwirkungen, Abhängigkeiten und Eigendynamik durchdrungen, dass es illusorisch ist, zu hoffen, dass man Veränderungen einfach so am Reißbrett planen kann. Die Beschränkung auf die in der Zukunft angesiedelte Veränderung des Systems können wir uns nicht erlauben, es müssen auch schon im Hier und Jetzt Maßnahmen erfolgen.

Mir gefiel schon damals der Gedanke, dass man Jugendliche mit der Realität konfrontiert. Und das man dies diejenigen tun lässt, die in dieser Realität leben. Die die gleiche Sprache sprechen und deren Biographie der der straffälligen Jugendlichen ähnelt. Diejenigen, die wissen, wovon sie sprechen – besser als Sozialarbeiter.

Ich bin gespannt, was mir mein Freund vom Gefängnisbesuch berichten wird.

Also, unbedingt ansehen:

Die Doku ist mehrteilig, erster Teil und weitere:
Teil 1: http://www.youtube.com/watch?v=BomRZF69rBM
Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=qkho4Fag6_A
Teil 3: http://www.youtube.com/watch?v=MiVpexU_H9Q
Teil 4: http://www.youtube.com/watch?v=Hh-YbFuRcY8
Teil 5: http://www.youtube.com/watch?v=fIN1xqYiomI

... link (0 Kommentare)   ... comment