Samstag, 5. Februar 2011, 01:56h

Wirklich das Schlimmste?

behrens

Vor einiger Zeit bei einem Gespräch über Betreuer hörte ich folgenden Satz: „Das Schlimmste, was ich im Zusammenhang mit Berufsbetreuern gehört habe, ist, dass ein Betreuer seine Betreute geheiratet hat!“. Es gibt ja zugegebenermaßen sehr viel, was ich an Betreuern kritisiere, aber dies ist ausnahmsweise einmal etwas, woran ich nichts wirklich Schlimmes entdecken kann. Es fiel in der Diskussion das Argument der Unprofessionalität. Nun ja, Liebe ist vielleicht wirklich nichts, das man als professionell bezeichnen kann – aber Liebe ist auch nicht steuerbar und Liebe hält sich vor allen Dingen nicht an Kriterien wie die des Betreutseins und des Betreuens.

Man müsse sich in einem therapeutischen Beruf abgrenzen, lautete ein weiteres Argument. Stimmt zweifellos. Man darf bei Betreuten – und bei allen anderen Klienten innerhalb helfender Professionen ist dies genauso – nicht den Eindruck einer Freundschaft oder eines Eltern/Kind-Verhältnis erwecken, denn dies schafft falsche Hoffnungen und endet erwartungsgemäß mit einer großen Enttäuschung. Nur mit angemessener Distanz kann man auf lange Sicht wirklich jemandem helfen.

Aber dennoch – Betreuer und Betreute sind noch weitaus mehr als eben nur Betreuer oder Betreute. Ein Mensch ordnet sich nicht zwangsläufig einer anderen Spezies zu, nur weil er betreut wird. Es gibt bestimmte Bereiche, in denen ein Betreuter Hilfe benötigt. In anderen wiederum kann er aber einem Betreuer vielleicht auch überlegen sein. Einen Menschen über einen einzelnen Aspekt seiner Existenz zu definieren, halte ich für sehr bedenklich. Darüber hinaus dauern Betreuungen nicht zwangläufig immer ein Leben lang, sondern sind manchmal auch nur für eine bestimmte Zeit lang erforderlich, was eine starre Zuordnung noch fraglicher macht.

Gerade solche neuen Ideen wie die des Experienced Involvement zeigen ein neues Verständnis von Krankheit und Abweichung vom Normalen. Hier geht man endlich einmal weg von der starren Definition des Gesunden im Kontrast zum Kranken. Mir fällt in diesem Zusammenhang eine Kollegin ein, die sehr gern den Satz benutzt: “Der/Die ist ja fast wie ein Betreuter!”. Anscheinend besteht bei ihr die Vorstellung zweier völlig verschiedener Spezies, von der die eine über- und die andere unterlegen ist. Und anscheinend scheint es wichtig zu sein, ausdrücklich darauf hinzuweisen und gewissermaßen betont man hierdurch sein Perfektsein.

Zurück zum Ausgangspunkt, also zum Umstand, dass ein Betreuer seine Betreute geheiratet hat. Man sollte bedenken, wie unendlich schwierig es ist, die wahre Liebe zu finden und auf denjenigen zu trefffen, der wie kein anderer zu einem passt. Und dass wirkliche Liebe, die nicht nur aus gemeinsamen Haus und gemeinsamen Bausparverträgen besteht, sondern die die Verbindung zweier Menschen darstellt, die füreinander geschaffen sind, nur sehr Wenigen widerfährt. Hält man sich all dies vor Augen, dann gibt es wirklich Schlimmeres, als die Tatsache, dass es sich zufällig um Betreuer und Betreute handelt, oder?

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Ich könnte mir einen Umstand vorstellen, unter dem das Heiraten der Betreuten tatsächlich bedenklich wäre – wenn die Ehe nämlich zum Ziel hätte, eine reiche, todkranke Frau zu beerben, aber das wird hier nicht der Fall gewesen sein, sonst wäre die Empörung größer gewesen, und die, die sich am Vermögen der Betreuten bereichern möchten, finden bekanntlich andere, weniger auffällige Wege.

Wäre es abwegig, hinter der Kritik an der "mangelnden Abgrenzung", an der "Professionalität" des Betreuers, Neid zu vermuten?

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Der Umstand einer rein aus finanziellen Interessen bestimmten Heirat stellt natürlich eindeutig ein Ausnahmekriterium dar (hoffentlich bringt man jetzt niemanden erst auf den Gedanken...)

Ich glaube nicht, dass es Neid ist, der hinter der Kritik der mangelnden Abgrenzung liegt. Ein Mitarbeiter einer sozialen Einrichtung, der diese Kritik teilt, hat diese mit einer Erfahrung begründet, die er als Berufsanfänger damit gemacht hat, eine zu große Nähe zu einem Klienten aufgebaut zu haben, was dann bei seinem Weggang zu einem Suizidversuch geführt hatte. Für mich besteht aber ein Unterschied in mangelnder Distanz und dem Umstand, jemanden so zu lieben, dass man sein Leben mit ihm verbringen will. Letztendlich wäre dann Labilität oder psychische Erkrankung ein Ausschlusskriterium für Liebe, was ja wohl niemand ernsthaft anstreben wird – hoffe ich zumindest, denn dann blieben wahrscheinlich viel mehr als erwartet auf der Strecke.

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Die Frage ist doch, inwieweit vorher ein Abhängigkeitsverhältnis bestand, dass sich in einer Beziehung fortsetzen würde. Ich halte das Risiko in Sachen Betreuung für nicht so hoch wie z.B. in bzw. nach einer Psychotherapie. Aber gewisse Abstinenzregeln kann ich durchaus nachvollziehen. Zudem müsste sich insbesondere der Überlegene (ich bezeichne ihn denn mal einfach so angesichts Mangel an besserem Ausdruck dafür) über seine Motive klar sein. Es gibt immer wieder Menschen, die das Bewundertwerden von auf sie Angewiesenen mit Liebe verwechseln, und im Grunde befriedigen sie dann ein vorrangig narzisstisches eigenes Bedürfnis, wenn sie eine Beziehung eingehen. Der oder die Betreute/Patient(in)/etc. hat möglicherweise weder das Bewusstsein noch die Kraft, die eigenen Motive zu hinterfragen. Angehörige des helfenden Berufes machen eben oft großen Eindruck, weil es ihr Job ist, sich um Menschen zu kümmern, und für die Be-Kümmerten ist das Gefühl des bedingungslosen Angenommenseins verführerisch und schnell verwechselt mit Liebe (auch wenn es auf die eine oder andere Art natürlich tatsächlich eine - wenn auch berufsmäßige - Liebe ist).

Letzte Garantie gibt es keine, weder für das Scheitern noch das Gelingen einer solchen Beziehung. Aber ich teile durchaus die Meinung, dass so etwas einen missbräuchlichen Charakter bekommen kann. Psychische Krankheit ist natürlich kein Ausschlusskriterium für eine Liebesbeziehung. Aber Menschen in helfenden Berufen haben eine besondere Verantwortung für die, denen sie helfen, und dazu gehört eben vor allem die Prüfung der eigenen Motive, um einen Missbrauch des anderen auszuschließen, gegen den sich dieser möglicherweise nicht wehren kann.

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Ich bestreite nicht, dass so eine Beziehung problematisch ist. Und in dem Fall, in dem es nur um einen Flirt oder eine Liebelei gehen würde, muss dies auf jeden Fall ein Ausschlusskriterium darstellen. Aber wenn es um tiefe Gefühle geht und sich zwei Menschen entscheiden, miteinander zu leben, dann sollte dies meiner Ansicht nach nicht an der Tatsache der Konstellation Betreuer – Betreute scheitern müssen.

Das Machtgefälle und das Abhängigkeitsverhältnis darf man nicht unterschätzen, da gebe ich Dir Recht. Und in der Tat sollte man genauestens hinterfragen, ob es nicht das bedingungslose Angenommensein und die Bewunderung sind, die mit dem Gefühl der Liebe verwechselt werden. In der Beziehung Analytiker – Analysant im Rahmen einer Psychoanalyse würde ich auch größte Bedenken haben. Wobei selbst dort nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass Liebe nicht zwangsläufig nur auf Übertragung, bzw. Gegenübertragung beruht.

Beim Thema Betreuung muss man bedenken, dass Betreuungen manchmal nur einen Teilbereich des Lebens darstellen, beispielsweise nur den Bereich der Finanzen oder nur den Bereich der Vertretung gegenüber Behörden. Ein Betreuer befindet sich folglich nur in einem Lebensbereich in einer überlegenen Position, in anderen kann der Betreute durchaus autark und kompetent sein.

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