Samstag, 16. März 2013, 15:33h

Gründe für das Ansteigen der Betreuungszahlen

behrens

Bereits zweimal wurde jetzt in Fernsehsendungen darauf hingewiesen, dass seit Verabschiedung des Betreuungsgesetzes die Zahlen dramatisch angestiegen sind. Während es 1992 nur 600.000 Vormundschaften gab, gibt es mittlerweile rund 1.300.000 Millionen Betreuungen. Diese Zahlen wurden meist angeführt im Kontext von Schilderungen über vermeintlich gegen den Willen der Betreuten/Angehörigen durchgeführten Heimeinweisungen, so dass man rückschließen könnte, es gäbe jetzt erheblich mehr Menschen, bei denen Zwangsmaßnahmen angeordnet werden, als zur Zeit des Vormundschaftsgesetzes.

Mit diesem Rückschluss muss man jedoch vorsichtig sein, denn auch zur Zeit, als Menschen nicht im Rahmen von gesetzlicher Betreuung betreut wurden, sondern im Rahmen von Vormundschaften, gab es nach bestimmten Kriterien Zwangsmaßnahmen und man muss außerdem betonen, dass es heute bei einem großen Teil der Betreuungen gar nicht zu Zwangsmaßnahmen kommt.

Der Anstieg der Betreuungszahlen macht etwas ganz anderes deutlich, nämlich die Tatsache, dass immer mehr Menschen Hilfe bei der Bewältigung ihres Alltags benötigen. Wenn es bei meinen Betreuten beispielsweise um die Frage der Verlängerung der Betreuung geht und ich dies gemeinsam bespreche, dann möchte ein nicht unerheblicher Teil der Betreuten die Betreuung unbedingt beibehalten. Ich habe über dieses Thema hier auch schon geschrieben, denn natürlich gibt es zu denken, dass viele Menschen sich nicht mehr selbst helfen können, sondern professioneller Hilfe bedürfen.

Gerade weil eine rechtliche Betreuung nicht so rigoros geführt wird wie eine Vormundschaft, stellt sie auch für viele Betreute eine Hilfe und keine Einschränkung dar. Die Unterteilung der Befugnisse in verschiedene Aufgabenbereiche wie z.B. den der Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Behördenangelegenheiten e.t.c. kommt einer individuellen Problemlage viel mehr entgegen als die Vertretung in grundsätzlich allen Lebensbereichen. Die Möglichkeit des Beschwerderechts ist dabei ein weiterer Punkt, den es früher in der Form nicht gab.

Natürlich gibt es nach wie vor auch diejenigen Betreuungen mit einem umfassenden Aufgabenkreis, die auch bei Beschwerde von Seiten des Betreuten weiter geführt werden. Aber die Differenz der Steigungsrate, die ja immerhin 2.700.000 Betreuungen beträgt, setzt sich nicht vorrangig aus den gegen den Willen geführten Betreuungen zusammen.

Ein Rechtspfleger hat vor längerem mir gegenüber geklagt: „Jetzt kommen die Menschen schon zu uns ins Gericht, um für sich selbst eine Betreuung zu beantragen!“ Und das ist eine sehr bezeichnende Aussage, die deutlich macht, dass das Problem ganz woanders liegt, als in der Zunahme staatlicher Repression. Wobei andererseits aber auch unbedingt betont werden muss, dass es auch bei den sogenannten „einvernehmlich“ eingerichteten Betreuungen vielschichtige Machtstrukturen gibt, die für den Betreuten ein Abhängigkeitsverhältnis darstellen, dem er in gewisser Weise auch ausgeliefert sein kann.

Zusammenfassend kann man sagen, der Anstieg der Betreuungszahlen macht deutlich, dass heute viele Menschen Unterstützung durch rechtliche Betreuung benötigen, die früher ohne diese Hilfe auskamen, bzw. auskommen mussten. Dadurch wiederum ist ein Bereich des Lebens, der früher weitgehend von der Familie wahrgenommen wurde, institutionalisiert worden und somit ist ein Berufstand entstanden, den es früher in dieser Form nicht gab. Private Ressourcen wurden gewissermaßen ersetzt durch professionelle Hilfe. Und hierdurch hat sich auch das Konfliktpotential verlagert vom innerfamiliären privaten Bereich hin in den Bereich der rechtlichen Betreuung.

Der drastische Anstieg der Betreuungszahlen – da sind wir wieder beim Ausgangsthema – muss also in Bezug auf die entstandenen Abhängigkeitsstrukturen nicht zwangsläufig als etwas Nachteiliges angesehen werden, solange Betreuungsarbeit im Dialog mit der Öffentlichkeit steht und Kritik nicht als Bedrohung, sondern als Chance begriffen wird.

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