Sonntag, 17. Juli 2011, 21:51h

Wer weiß Rat, was man mit einer Leiche im Keller tut?

behrens

Manchmal kann eine einzige Frage mit einem Schlag sofort wieder alte Traumen in Erinnerung ruft. Gestern stellte mir ein guter Freund so eine Frage. „Warum hast Du nichts unternommen, als Du von den Betrügereien Deines Anstellungsträgers erfuhrst?“ fragte er mich. Ja, warum nicht – frage ich mich seit dem gestrigen Abend selbst wieder. Die ganze alte Geschichte, in der ich nicht das Rückgrat hatte, adäquat einzugreifen. In der ich mich nicht getraut hatte, das zu tun, was man tun sollte, wenn jemandem, der sich selbst nicht wehren kann, massives Unrecht zugefügt wird. Wenn Menschen sich wie Herrenmenschen aufführen, für die andere nur Untermenschen sind, die man nach Belieben für seine Zwecke missbrauchen kann.

Das ist meine ganz persönliche Leiche im Keller. Ich weiß nicht, wie man mit so einer Leiche umgeht. Und wünsche mir sehnlichst einen Rat.

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Worin besteht die "Leiche"? Darin, dass Du damals nichts getan hast, oder darin, dass Du damit nicht zurecht kommst?

So, wie ich Dich einschätze, hast Du hohe moralische Maßstäbe, an Dich selbst wie auch an Dein Umfeld. Du schreibst ja selbst, Du habest nicht das "Rückgrat" gehabt. Ich glaube, dass Du aber mit der ganzen Geschichte erst dann besser wirst umgehen können, wenn Du da nachsichtiger und milder mit Dir selbst bist. Du hast getan, was Du konntest, und rückblickend nützt es schon mal gar niemandem, wenn Du haderst und Dich dafür fertig machst.

Wir alle sind menschlich, und das solltest Du Dir selbst auch zugestehen. Dass Dein eigenes "Versagen" in dieser Sache so schwer wiegt, heißt im Grunde ja nichts anderes, als dass Du möglicherweise damit noch nicht fertig bist. Sind's denn überhaupt Deine eigenen Maßstäbe, die Du da anlegst? Hast Du tatsächlich kein Rückgrat gehabt, oder beurteilst Du Dich vielleicht zu streng? Und wenn ja, warum?

Ein wenig wirkt es auf mich, als hättest Du das Bedürfnis, generell viele Dinge in Ordnung bringen zu wollen, unter Kontrolle haben zu wollen, ausgleichen zu wollen, wo Verhalten aus der Bahn läuft oder Zwischenmenschlichkeiten anderen schaden. Ist das wirklich Deine Aufgabe, das immer, an jeder Stelle und unter allen Bedingungen zu tun? Was bringt es Dir, wenn Du Dich so verhältst?

Ich will keine Unterstellungen machen, aber das sind so die Gedanken, die mir dazu kommen. Vielleicht hilft Dir ja was davon. Ich denke nämlich, dass es sinnvoll sein kann, sich zu fragen, welche Gründe es für die eigenen Gefühle und Wünsche gibt.

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Das mit dem „Dinge in Ordnung bringen wollen“ mag zutreffen. Aber etwas unter Kontrolle bringen möchte ich eigentlich nicht – im Gegenteil, ich hasse es, Menschen zu kontrollieren. Ob es meine Aufgabe ist, ist eine Frage der Sichtweise. Aus kaufmännischer Sicht stellt es überhaupt kein Problem dar, Betrügereien oder Grenzüberschreitungen von Geschäftsführern oder Kollegen hinzunehmen. Aus Sicht des Auftrags im Sinne von Sozialarbeit ist das aber nicht so. Ich kann mir definitiv nicht einen einzigen meiner früheren Kollegen (aus den davorliegenden Arbeitsstellen) oder meiner damaligen Kommilitonen vorstellen, die bei den von mir beschriebenen Zuständen nicht eingeschritten wären. Auftrag in der Sozialarbeit ist ganz klar „Menschen dabei helfen, ihre Rechte wahrzunehmen und gesellschaftlichen Benachteiligungen entgegenwirken“.

Ich muss mich momentan gleich um zwei Pflegefälle im Familien/ Bekanntenkreis kümmern. Und manchmal packt mich heftige Angst, dass meine Angehörigen auch über den Tisch gezogen werden könnten. Und dass sie dabei auch auf Menschen wie meine damaligen Kollegen treffen, denen das am Arsch vorbeigeht. Die dann als Krönung und Rechtfertigung ihres Verhaltens auch noch den Vorwurf erheben, man wolle sich „moralisch erhöhen“ oder „sich auf die Schulter klopfen“. Ich habe mir geschworen, dass, wenn ich es nicht mehr schaffen solle, mich um meine Angehörigen zu kümmern, lieber meine Arbeit aufgeben werde, als es zur Einrichtung einer Betreuung kommen zu lassen.

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Rein sachlich finde ich es schon nachvollziehbar, warum Du Dir wünschst, Dich mehr engagiert zu haben. Die Frage ist, warum es Dich noch so beißt, es nicht getan/gekonnt zu haben...

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lass die vorwürfe zu, die du dir wegen deines nicht handelns machst...wenn du darunter leidest, lass das leid zu...
lass es dir einfach richtig scheisse gehen, weil du zu feige warst zu handeln...
geht es dir dann so richtig mies ensteht vielleicht der wunsch, nie wieder in so eine gefühlslage zu kommen...und um nie wieder in eine solche gefühlslage zu kommen bleibt dir das nächste mal nur das handeln...

bei mir funktionierte diese technik...auch was diverse situationen in der altenpflege betrifft...

lg und möglichst viel gutes dir

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@aussagekarzinom: Schön wäre es nur, wenn man beim Handeln nicht völlig allein stehen würde. Vergleichbare Situationen in früheren Arbeitsfeldern verliefen völlig anders, weil man gemeinsam gehandelt hat.

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@Sturmfrau: Ich glaube, die Antwort ist einfach – weil einer meiner Gründe für mein Nichteinschreiten Rücksicht auf die damaligen Kollegen war und eben diese Kollegen mir mit Karacho in den Rücken gefallen sind und auf Geheiß des Alphamännchens für meinen Ausschluss gestimmt haben. Allerdings hat meine Freundin mir etwas gesagt, das mich nachdenklich macht: „Ich wäre nie und nimmer mit solchen Menschen in eine Bürogemeinschaft gegangen!“. Und damit hat sie Recht – das war gedankenlos und naiv von mir. Wichtig, diesen Eigenanteil zu erkennen und – bestenfalls – beim nächsten Mal vorsichtiger zu sein..

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Für Deine Kollegen in die Bresche zu springen ist allerdings auch kein Zeichen für Charakterschwäche, zumal Du nicht wissen konntest, dass sie sich ihrerseits so unkollegial verhalten würden. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass Du Dir Deine damals noch geringe Berufserfahrung ebenso wie den Glauben an das Gute im Menschen zugute hältst und Dich dafür nicht verurteilst. Es ist leicht gesagt, dass man mit solchen Menschen eben keine Bürogemeinschaft eingehen sollte... Du bist heute klüger und hast andere Erfahrungen gemacht.

Ich frage mich nur, ob es irgendeinen Zweck erfüllt, dass Du Dir selbst da so gar nicht verzeihen kannst. Hast Du das Gefühl, diesen Fehler von damals irgendwie wieder gut machen zu müssen? Und bezieht sich das Gefühl wirklich auf den Fall von damals, oder ist es möglicherweise noch viel älter? Aber das sind nur so Gedanken, die mir gerade kommen.

Es sagt sich leicht, aber sei nicht so streng mit Dir. Du bist auch nur ein Mensch.

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