Mittwoch, 15. Dezember 2010, 15:25h

Welches Fachwissen brauchen Betreuer?

behrens

Was die Betreuungsarbeit so schwierig macht, ist der Umstand, dass für die Ausübung dieses Berufs ein äußerst breites Spektrum völlig unterschiedlicher Wissensbereiche erforderlich ist. Die Arbeit eines Betreuers erfordert kaufmännisches, juristisches und sozialarbeiterisches Fachwissen.

Man kann dies vielleicht mit einem Beispiel deutlich machen. Nehmen wir den Fall eines Betreuten, der an beginnender Demenz leidet und deswegen auf lange Sicht in seiner Wohnung nicht mehr ausreichend versorgt ist. Und nehmen wir an, es ist aufgrund der beginnenden Demenz schon zu folgenschweren Versäumnissen gekommen, wie z.B. Kontoüberziehung, nicht bezahlte Miete, Strom, e.t.c.. Und nehmen wir an, dass der Vermieter deswegen schon die Kündigung ausgesprochen hat, so dass eventuell eine Zwangsräumung droht.

Der in diesem Fall entstandene Handlungsbedarf erstreckt sich auf mindestens drei Bereiche. Es muss schnellstens die rechtliche Situation geprüft werden, um zu klären wie die Kündigung rückgängig gemacht werden kann. Außerdem muss umgehend ein geeigneter Pflegedienst beauftragt werden, damit sichergestellt wird, dass der Betreute angemessen versorgt ist. Wegen des überzogenen Kontos müssen mit der Bank Abzahlungsmöglichkeien verhandelt werden und das zur Verfügung stehende Geld muss genauestens für den täglichen Bedarf und die Begleichung der Zahlungsrückstände eingeteilt werden. Gleichzeitig muss abgeklärt werden, auf welche staatlichen Zuschüsse ein Anspruch bestehen könnte. Zum Betreuten muss ein vertrauensvoller Kontakt aufgebaut werden, damit eingeschätzt werden kann, ob noch genug Selbständigkeit für das Leben in einer eigenen Wohnung vorhanden ist oder ob der Wechsel in ein Heim unvermeidbar ist. In dem Zusammenhang muss auch geklärt werden, ob vielleicht eine ärztliche Behandlung und die Gabe von Medikamenten erforderlich ist.

Um alle diese Probleme zu lösen, braucht der Betreuer juristische Grundkenntnisse im Mietrecht und er braucht kaufmännisches Wissen für die Verwaltung der Finanzen. Außerdem braucht der Betreuer Kenntnisse über die bestehenden Möglichkeiten staatlicher und eventuell ehrenamtlicher Hilfen und er braucht soziapädagogisches Wissen, um die richtige Perspektive für den Betreuten zu finden und umzusetzen.

Jetzt könnte man den Fall noch weiter komplizieren, indem man annimmt, dass sich nach einigen Monaten irgendwo in der Wohnung doch noch Sparbücher, Wertpapiere oder vielleicht sogar eine große Summe Bargeld anfindet. In der Praxis ist nicht ungewöhnlich und kommt immer wieder vor. In diesem Fall müssen die gerade beantragten Zuschüsse wieder zurückgezahlt und das Geld angelegt werden. Bei der Geldanlage muss eine sogenannte „mündelsichere“ Anlage gewählt werden, die aber gleichzeitig auch noch optimale Zinsen erzielt. Für den Betreuer heißt dies, dass er im Bereich der Geldanlage über einen umfassenden und auch aktuellen Kenntnisstand verfügen muss.

Zusätzlich können noch viele kleine Schwierigkeiten auftauchen, wie etwa die Erfordernis, ein durch die Demenz nicht mehr nutzbares Fahrzeug abzumelden und zu verkaufen. Vielleicht gibt es auch ein Haustier, mit dessen Versorgung der Betreute jetzt überfordert ist und das anderweitig untergebracht wird. Vielleicht ist der Betreute auch so dement, dass er orientierungslos ist und nachts bei den Nachbarn klingelt oder wegläuft. Dies bedeutet dann wiederum, dass regelmäßig Beschwerden der Nachbarn und Nachfragen die Polizei eingehen, mit denen der Betreuer sich auseinandersetzten muss. Es wäre außerdem denkbar, dass die Angehörigen die Betreuung ablehnen und jede veranlasste Regelung erschweren.

Zugegeben – dies ist ein Fallbeispiel, das so ziemlich alle der möglichen Schwierigkeiten auf einmal beinhaltet. Aber auch wenn es im Betreuungsalltag nicht immer so extrem zugeht, so handelt es sich dennoch sehr selten um lediglich ein einzelnes Problem. Altersgebrechlichkeit, Demenz und psychische Erkrankung lösen eine Kettenreaktion aus, die eben nicht nur ein gesundheitliches Problem darstellt, sondern die auch andere Lebensbereiche, wie den der Finanzen oder den der Wohnungsangelegenheiten, in Mitleidenschaft ziehen.

Und hiermit nähern wir uns wieder der Ausgangsthese, dass die Erfordernis von vielen unterschiedlichen Wissensbereichen eine grundsätzliche Schwierigkeit in der Betreuungsarbeit darstellt. Es kann nämlich durchaus sein, dass jemand sehr gut mit Menschen umgehen kann und dadurch schnell in der Lage ist, herauszufinden, was der Betreute wirklich braucht und was zu veranlassen ist. Aber nicht jeder, der diese Fähigkeit hat, verfügt zwangsläufig auch über professionelles kaufmännisches Wissen. Der Betreute erhält dann vielleicht auf jeden Fall die geeigneten persönlichen Maßnahmen, aber vielleicht wird sein Geld nicht so gewinnbringend angelegt, wie es theoretisch möglich wäre.

Auf der anderen Seite ist es vorstellbar, dass jemand sich mit der Verwaltung des Geldes und dessen gewinnbringendster Anlage sehr gut auskennt, aber nicht in der Lage ist, den erforderlichen guten persönlichen Kontakt zum Betreuten aufzubauen, der erforderlich ist, um die optimale Hilfestellung und die optimale Wahl des Lebensumfeldes herauszufinden.

Es ist auch vorstellbar, dass jemand zwar gleichermaßen über gutes kaufmännisches und gutes sozialarbeiterisches Fachwissen verfügt, aber in der Betreuung auch höchst komplizierte juristische Fragestellungen auftauchen. Andersherum kann es auch sein, dass jemand über ein komplexes juristisches Fachwissen verfügt, aber trotzdem das soziale Hilfsangebot mit seinen diversen Variationen nicht kennt.

Auch wenn die Frage des persönlichen Engagements hier nicht thematisiert werden soll, so darf nicht vergessen werden, dass es natürlich auch durchaus vorstellbar ist, dass jemand trotz der Tatsache, gleichermaßen über professionelle juristische, sozialarbeiterische und kaufmännische Kenntnisse zu verfügen, diese nicht ausschöpft, weil es an persönlichem Interesse für den Betreuten oder an der Bereitschaft zur Aufwendung der erforderlichen Zeit fehlt. Hierdurch relativiert sich dann wiederum jegliches Fachwissen. Und natürlich relativiert sich auf der anderen Seite auch die Frage des persönlichen Engagements, denn ohne Fachwissen reicht dieses noch nicht für gute Betreuungsarbeit.

Resümee: Wenn es zur Erfordernis einer Betreuung kommt, weil jemand nicht mehr in der Lage ist, sein Leben selbständig zu regeln, dann umfasst dies meist mehr oder weniger alle Lebensbereiche. Und so wie sich die Probleme über alle Lebensbereiche erstrecken, so muss ein Betreuer auch in all diesen verschiedenen Bereichen über das jeweils erforderliche Fachwissen verfügen. Eine vielschichtige Problemlage erfordert ein genauso vielschichtiges Fachwissen. Es kommt eben nicht nur auf die bestmögliche Verwaltung des Geldes an, nicht nur auf das juristische Ausschöpfen aller möglichen Rechtsmittel, nicht nur auf die bestmögliche soziale und pflegerische Versorgung.

Es kommt – und das macht eine gute Betreuungsarbeit so schwierig – darauf an, alles gleichermaßen gut zu erfüllen.

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sagen sie mal, wenn ich gerne einen betreuerwechsel hätte, darf ich mal anfragen, im raum 40...

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Was ist denn mit "Raum 40" gemeint? Ist die Frage ernst gemeint und geht es um den Betreuer von Angehörigen/Bekannten? Ein Betreuerwechsel ist grundsätzlich möglich, aber in der Regel muss das der Betreute selbst veranlassen.

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(Postleitzahlen 40xxx, also Düsseldorf.)

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@pappnase
Ich werde einfach mal ganz ernsthaft antworten. Man muss sich an das zuständige Amtsgericht wenden und dort seine Kritik vorbringen. Wie bereits erwähnt, ist das Beschwerderecht in erster Linie für den Betreuten selbst gedacht. Der kann auch jederzeit einen Betreuerwechsel beantragen. Aber natürlich kann jeder andere auch bei berechtigter Kritik an das Amtsgericht schreiben und seine Kritik mitteilen. Normalerweise wird dann die zuständige Betreuungsstelle eingeschaltet, die vor Ort recherchiert. Am erfolgversprechendsten wäre es sicherlich, den Betreuten bei seinem Wunsch nach einem anderen Betreuer zu unterstützen, so dass der selbst die Beschwerde vorbringt.

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Normale Alltagskompetenz
Was bei den genannten Aufgaben so schwierig sein soll, ist nicht ganz nachvollziehbar. Hier handelt es sich um normale Alltagskompetenzen, die im Rahmen von Vollmachten oder ehrenamtlicher Betreuungen in der Mehrzahl der Fälle innerhalb der Familien erledigt werden. Wo es spezieller wird, besteht für jeden die Möglichkeit, sich kundig zu machen und an den Aufgaben zu lernen.
Schwierig mag allein die Tatsache sein, diese Aufgaben für viele Menschen gleichzeitig zu übernehmen, was andererseits aber wieder Kenntnisroutinen mit sich bringen kann.

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Wenn man nur drei Betreuungen führen würde, wäre dies vielleicht der Fall – dann hätte man den ganzen Tag Zeit, um sich irgendwo zu erkundigen. Die Tatsache, dass viele Familienmitglieder völlig überfordert mit den anfallenden Aufgaben sind, zeigt auch, dass es eben nicht nur um normale Alltagskompetenz geht.

Ein gutes Beispiel ist meine Mitarbeiterin, deren Großmutter vor kurzem pflegebedürftig wurde und die mir sagte, dass sie vieles nur deswegen regeln konnte, weil sie durch die Arbeit in unserem Büro mit diesen Dingen vertraut war. Beantragungen von Pflegestufe, von Pflegezusatzleistungen nach § 43 (die kaum jemand kennt), Beantragung der Heimkostenübernahme (hierzu muss man die Freibeträge kennen), Kenntnis darüber, dass es auch Kurzzeitpflege (als Testphase) gibt, Versorgung mit den geeigneten Hilfsmitteln, Kenntnis über die Möglichkeiten zusätzlicher Angebote, wie z.B. Besuchsdienste, Tagesstätten, Essen auf Rädern, Auswahl eines geeigneten Heims.

Ein weiteres ebenso treffendes Beispiel ist eine Berufsanfängerin, die wie viele andere Berufsbetreuer auch, an unserer Mailliste teilnimmt. Diese Kollegin hat schon nach drei Monaten die Arbeit hingeschmissen, obwohl sie sich für die Aufgabe mit Fortbildungen vorbereitet hat. Die Probleme, die eine einzelne Betreuung aufwirft, können so komplex und so kompliziert sein, dass man schon mit drei Fällen völlig ausgelastet ist. An den Fragen der Mailliste merke ich auch immer, wie selbst „Profis“ immer wieder vor Aufgaben stehen, bei denen man zuerst einmal nicht weiter weiß.

Wenn ich selbst meine Arbeit mit den anderen Berufsfeldern vergleiche, in denen ich vorher tätig war, dann ist die Komplexität der erforderlichen Kenntnisse überhaupt nicht vergleichbar. Und vor allem ist auch der zeitliche Rahmen, in dem sich die Arbeit abspielt, nicht vergleichbar. Im Arbeitsamt hatte ich beispielsweise nur 30 Klienten, und bei denen war ich nur für einen winzigen Aufgabenbereich (den der Arbeitssuche) zuständig. Im Frauenhaus oder in der Drogenhilfe waren die Fallzahlen noch geringer.

Sozialhilferecht
Verwaltungsrecht
Mietrecht
Erbrecht
Pflegeversicherungsgesetz
Leistungsspektrum der Krankenkasse
Steuerrecht
Kenntnisse der Versorgungsstruktur des Stadtteils
Kenntnisse über den gesamten Bereich der psychischen Erkrankungen
Geriatrische Kenntnisse
Kenntnisse in Gesprächsführung
Kenntnisse in der Krisenintervention

Diese Liste enthält bei weitem noch nicht alles und wird von mir noch vervollständigt.

Ergänzend sei noch gesagt, dass sich die Betreuungsarbeit nicht in einem Rahmen abspielt, der Ruhe und Zeit für die Bearbeitung lässt. Es gibt jeden Tag einen Berg von Post und Unmengen von Anrufen. Der Anrufbeantworter ist oftmals voll: eine Reparatur ist dringend erforderlich, es muss jemand sofort ärztlich behandelt werden und die Einwilligung für ein Operation muss abgegeben werden, ein Betreuter hat kein Geld mehr und droht mit der Bildzeitung, Nachbarn beschweren sich, weil ein Betreuter die ganze Nacht ohrenbetäubende Musik gehört hat, auf ein Wohnungsangebot muss sofort reagiert werden, ein alter Mensch ist wieder einmal gestürzt, hat sich wieder einmal ausgeschlossen oder aber wurde von der Polizei verwirrt aufgegriffen.

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