Mittwoch, 28. Juni 2017, 13:08h

Opfermythos als verhängnisvolles Pendant zum Feindbild - warum Sozialarbeit auf der Stelle tritt

behrens

Ich möchte hier drei Begebenheiten aus meiner Arbeitspraxis schildern, die exemplarisch für eine Einstellung stehen, die Menschen grundsätzlich von jeglicher Verantwortung freispricht, sofern diese Menschen Minderheiten angehören. Statt Eigenverantwortlichkeit wird bei diesem Personenkreis die Verantwortung für Fehlverhalten ausnahmslos bei der Gesellschaft gesehen. Alle Begebenheiten ereigneten sich im Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit, was nachdenklich macht, denn gerade in diesem Sektor hat es verheerende Folgen, wenn Menschen in die engen Kategorien von Feind und Opfer gepresst werden.

Eine der Begebenheiten ereignete sich während meiner Arbeit im Frauenhaus. Es handelt sich um eine Diskussion, in der eine Kollegin uns den Wandel in ihrer Einstellung gegenüber Gewalttätern beschrieb. Sie erzählte, wie sie und auch andere Weggenossinnen vor Beginn ihrer Arbeit im Frauenhaus die Ansicht vertrat, „man müsse alle Straftäter aus den Gefängnissen freilassen." Erst durch die Konfrontation mit der brutalen Gewalt, welche die Frauenhausbewohnerinnen erlebt hatten, änderte sich die Einstellung der Kollegin und sie empfand die Inhaftierung von Gewaltverbrechern nicht mehr wie zuvor als Menschenrechtsverletzung. Mir fehlen die Worte für diese schon ins Groteske mündende Naivität, der zufolge jeder Straftäter ausschließlich als ein Opfer gesellschaftlicher Missstände angesehen wird, das in keiner Weise verantwortlich für seine Handlungen ist und somit auch auf keinen Fall zur Rechenschaft gezogen werden darf.

Außer Frage muss Kriminalität immer im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse gesehen werden und Verbrechensbekämpfung muss immer auch auf die Veränderung der ursächlichen Faktoren abzielen. Aber deswegen Menschen, die eine Bedrohung für andere darstellen, nicht zur Verantwortung zu ziehen, ist nicht nur naiv, sondern grob fahrlässig. Darüber hinaus werden die Interessen des Opfers völlig vernachlässigt und bagatellisiert.

Eine weitere Begebenheit ereignete sich ebenfalls während meiner Zeit im Frauenhaus. Während einer großen Fortbildungsveranstaltung in einem Landhaus standen unvermutet drei Männer vor uns, die uns um eine Auskunft baten. An Sprache und Aussehen war klar erkennbar, dass es sich nicht um Deutsche, sondern offensichtlich um türkisch- oder arabischstämmige Männer handelte. Einer der Männer fragte immer wieder „Wo ist Chef?“ und als wir dies nicht beantworten konnten, fragte er aufgeregt noch weitere Male: „Wo ist der große Chef vom Haus?“. Als die drei gegangen waren, entrüstete sich eine meiner damaligen Kolleginnen: „Wer hat diesen Männern bloß ihr Deutsch beigebracht?“, denn für sie stand außer Frage, dass eine derartige Wortwahl auf keinen Fall von den betreffenden Männern selbst stammen, sondern nur durch einen fragwürdigen Unterricht durch Deutsche vermittelt worden sein konnte. Hierbei ist die Hintergrundinformation sehr wichtig, dass im damaligen Selbstverständnis der Frauenhausbewegung Hierarchien und damit verbundene offizielle Leitungsfunktionen rigoros abgelehnt und als patriarchalisch verdammt wurden. Gleichzeitig herrschte allerdings auch die Ansicht, alle sozialen Probleme, die Migranten betreffen, seien ausschließlich auf deren Diskriminierung und Benachteiligung zurückzuführen. Mit anderen Worten: verhält sich ein Migrant in irgendeiner Weise fragwürdig oder vertritt inakzeptable Werte, können die Gründe dafür niemals bei ihm selbst liegen, sondern zwangsläufig ist ausschließlich die Gesellschaft dafür verantwortlich..

Allerdings spiegelt gerade diese Begebenheit eine völlige Unkenntnis wieder, was das Thema des hierarchischen Wertesystems betrifft, denn ich habe in meiner Arbeit als Sozialarbeiterin (und auch privat) immer wieder die gänzlich gegenteilige Erfahrung zu der Einschätzung meiner damaligen Kollegin gemacht, denn gerade unter türkisch- oder arabischstämmigen Mitbürgern spielt es oftmals eine entscheidende Rolle, wie die hierarchische Rangfolge verläuft und wer die Position des Chefs innehat. Selbst im Kindergarten löcherte mich ein kleiner Afghane endlos mit der Frage, wer von den drei in der Leitung arbeitenden Mitarbeitern denn nun, wie er sich ausdrückte, „der Boss“ ist. Von all dem wusste meine damalige Kollegin jedoch nichts, denn sowohl privat als auch beruflich hatte sie überhaupt keine Kontakte zu Nichtdeutschen.

Ein letztes Beispiel, das ich anführen möchte, wurde von mir schon mal hier erwähnt im Zusammenhang mit der Thematik sexueller Gewalt. Bei den Recherchen für ein Referat zum Thema Gewalt gegen Frauen stieß ich mehr oder weniger zufällig auf den überproportionalen Ausländeranteil in Bezug auf Vergewaltigung. Als ich einer Sozialarbeiterin davon erzählte, erntete ich nicht nur einen sehr bösen Blick, sondern auch den Kommentar: „Dieser hohe Anteil kommt sicherlich daher, dass Frauen eher bereit sind, einen Ausländer anzuzeigen als einen Deutschen“. Mit anderen Worten – nicht die Tatsache des erheblich höheren Ausländeranteils bei Vergewaltigungen bedarf der Thematisierung, sondern das Verhalten der vergewaltigten Frauen. Damit umgeht man geschickt ein ungeschriebenes Gesetz, nämlich das unumstößliche Tabu, Wertvorstellungen anderer Kulturen kritisch hinterfragen zu dürfen. Und was noch schlimmer ist: man macht die Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern.

Alle drei hier beschrieben Begebenheiten machen eine verheerende Entwicklung deutlich: das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit ist dem des Opfermythos gewichen. Es ist zum Tabu geworden, Menschen Verantwortung zuzumuten, solange es sich dabei um Menschen handelt, die in irgendeiner Form gesellschaftlich benachteiligt sind. Wer dieses Tabu bricht, riskiert den Vorwurf der Kollaboration mit denjenigen, die in der Sozialarbeit gern als "die Herrschenden“ bezeichnet werden oder aber gegebenenfalls den Vorwurf des Rassismus. Das möchte sich niemand unterstellen lassen und so trägt man stillschweigend seinen Teil dazu bei, dass in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen eine Opferrolle für sich beanspruchen und die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln regelrecht verlernt haben. Auch hier kann ich ein Beispiel nennen, eine Diskussion im Bereich der Drogenarbeit, in der es um afrikanische Asylsuchende ging, die beim Dealen mit Kokain nicht davor zurückschreckten, dieses auch Kindern anzubieten. Als ich mein Unverständnis darüber äußerte, dass Menschen, die in einem Land Asyl beantragen, sofort dessen Gesetze brechen, konterte eine Kollegin wortwörtlich, dass „solche Menschen wie ich verantwortlich für Rassismus und Nationalismus sein“.

Wir sind in unserem Handeln schon seit langem blockiert durch den verhängnisvollen Irrtum, soziale Randgruppen seien per se von jeglicher Eigenverantwortung freizusprechen, während die sogenannten „Herrschenden“ zu Allmächtigen fantasiert werden, die wiederum per se schuldig an allem Übel der Welt sind. Anscheinend ist es nicht mehr möglich, das Prinzip der Selbstverantwortung gleichermaßen sowohl für denjenigen anzuwenden, die an den Schalthebeln der Macht sitzen als auch für denjenigen, die dieser Macht ausgeliefert sind.

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Samstag, 27. Mai 2017, 14:38h

Das Bonmot zum Mittag

behrens

Wer nicht widerspricht, stimmt zu.
Deutsches Sprichwort

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Samstag, 1. April 2017, 12:58h

Eine Mauer mitten durchs Büro – (k)ein Aprilscherz?

behrens

„Wenn zwei Geizige sich paaren,
mög‘ die anderen Gott bewahren.
Knausern beide im Verein,
wird es unerträglich sein“.
Otto Julius Bierbaum (1865-1910)

Manchmal höre ich Dinge von meinen früheren Betreuerkollegen, bei denen ich mir nie so ganz sicher bin, ob es ernst gemeint ist oder es sich um einen Scherz handelt. So passt dieser Beitrag auch bestens zum 1. April. Es geht um zwei in Bürogemeinschaft arbeitende Betreuerinnen, die sich dazu entschlossen, quer durch ihr Büro eine Wand mauern zu lassen. Was könnte wohl ein Grund für so eine merkwürdige Entscheidung sein? Vielleicht die Wahrung des Datenschutzes, weil durch die Anwesenheit eines weiteren Kollegen die Vertraulichkeit von Gesprächen mit den Betreuten nicht möglich ist? Nein, dies nehmen viele Betreuer gar nicht als Problem wahr. Oder war es vielleicht das Bedürfnis, mehr Ruhe beim Arbeiten zu haben? Auch das trifft nicht zu, denn dann hätten sich die betreffenden Betreuerinnen wohl kaum ganz bewusst für ein gemeinsames Büro entschieden.

Nein, der Grund war ein völlig anderer. Es ging um einen Streit über die Stromrechnung, die wie allgemein üblich durch die Anzahl der Büropartner geteilt wurde. Irgendwann jedoch wurde einer der beiden Betreuerinnen bewusst, dass der gemeinsame Kühlschrank von ihr gar nicht genutzt wurde, woraufhin sie sich dann weigerte, weiterhin ihren hälftigen Anteil zu zahlen, da sie sich finanziell unangemessen benachteiligt fühlte.

Was hat dies nun mit der besagten Mauer zu tun, die daraufhin quer durchs Büro gezogen wurde? Die Mauer wurde erstaunlicherweise von den Betreuerinnen als einziger Ausweg angesehen, um dieses von beiden als äußerst schwerwiegend empfundene Problem eines einstelligen Eurobetrags aus der Welt zu schaffen. Weder kam es infrage, weiterhin die Abschlagssumme gemeinsam zu tragen, noch kam es infrage, die Summe um einige Euro zu reduzieren – nur der Bau einer Mauer ermöglichte die weitere Nutzung des Büros.

Die ganze Begebenheit an sich ist an Absurdität und Lächerlichkeit kaum zu überbieten, aber zieht man in Betracht, dass beide Betreuerinnen einen Beruf ausüben, der sich oftmals sehr konfliktreich gestaltet und zu dessen Aufgaben infolgedessen auch die Findung konstruktiver Kompromisse gehört, dann bekommt man unweigerlich Mitleid mit den von ihnen abhängigen Betreuten. Wer schon im Falle einer lächerlichen Lappalie völlig unfähig ist, einen angemessenen Kompromiss einzugehen, der wird natürlich erst recht außerstande sein, wenn es sich um schwerwiegendere Sachverhalte handelt, vor allem wenn dazu auch meist gar keine Notwendigkeit besteht, weil Betreute oftmals gar nicht in der Lage ist, sich angemessen für ihre Anliegen einzusetzen. Und wer sich nicht entblödet, aus einem lächerlich geringen Betrag ein derartiges Drama zu machen, der wird auch in seiner Arbeit jede Entscheidung einzig und allein nach monetären Kriterien fällen. Hier treffen gleich zwei äußerst unangenehme menschliche Eigenschaften aufeinander: extremer Geiz und ebenso extreme Rechthaberei.

Übrigens verstanden sich die beiden Betreuerinnen anfangs ausgesprochen gut. Ganz nach dem Motto – niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen. Aber bei Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf und im Falle mancher Betreuer ist dies sogar dann der Fall, wenn es sich lediglich um ein paar lausige Euros handelt.

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