Donnerstag, 11. Juli 2013, 21:20h

Wie viele Betreuungen sollte ein Betreuer eigentlich führen?

behrens

Es wird immer wieder die Frage gestellt, wie viel Betreuungen ein Betreuer führen sollte, damit Qualität gewährt ist. Diese Frage kann man nur sehr schwer beantworten, da hierbei mehrere Faktoren eine Rolle spielen wie beispielsweise:

Hat der Betreuer Mitarbeiter und handelt es sich dabei um Teilzeit- oder Vollzeitkräfte?

Geht der Betreuer noch weiteren Beschäftigungen nach?

Ist der Betreuer Berufsanfänger oder hat er schon längjährige Berufserfahrung?

Ist der Betreuer gut vernetzt oder arbeitet er weitgehend isoliert?


Ich habe heute mein altes Büro aufgesucht und hatte ein interessantes Gespräch. Bei meiner Nachfolgerin handelt es sich um meine frühere Mitarbeiterin, die sich inzwischen als Betreuerin selbständig gemacht und fast alle meiner Betreuungen übernommen hat. Über diese Regelung bin ich sehr froh, denn zum Einen bin ich mir sicher, dass sie die Betreuungen mit Engagement führen wird und zum Anderen empfanden es die meisten der Betreuten als sehr positiv, dass die Betreuung nicht an eine völlig fremde Person abgegeben wurde.

Meine Nachfolgerin erzählte mir, dass sie seit kurzem Mitglied einer neu gegründeten Netzwerkgruppe ist. Es scheinen sich darin Betreuer zusammengefunden zu haben, die wesentlich weniger Betreuungen führen als diejenigen Betreuer, zu denen ich bisher Kontakt hatte. Zwar gibt es auch in dieser Gruppe jemanden, der 60 Betreuungen führt, aber der betreffende Betreuer wird hierbei durch eine Vollzeitkraft unterstützt und geht außerdem auch keiner weiteren Tätigkeit nach. Eine der Betreuerinnen der Gruppe führt prinzipiell nicht mehr als 35 Betreuungen, weil sie die Ansicht vertritt, dass die Führung einer Betreuung sonst nicht mehr persönlich genug ist.

Ich war positiv überrascht über diese Information. Viele der Betreuer, zu denen ich bisher Kontakt hatte, führen mindestens 50 bis 70 Betreuungen und manche haben dabei überhaupt keine Angestellten oder allenfalls eine Teilzeitkraft (bzw. nur Minijobberinnen). Und es gibt Betreuer, die dabei auch noch anderen Tätigkeiten nachgehen, wie beispielsweise einer Makler- oder Anwaltstätigkeit.

Man könnte jetzt das Für und Wider für hohe oder geringe Betreuungszahlen erörtern. Diejenigen Betreuer, die viele Betreuungen führen, führen oftmals an, dass die Kollegen, die weniger Betreuungen führen, sich nicht auf die vom Gesetzgeber vorgegebene rechtliche Vertretung beschränken, sondern Sozialarbeit leisten. Oder es wird argumentiert, dass diejenigen eben nicht besonders professionell sind. Mir hat einmal ein Betreuer, der selbst siebzig Betreuungen führt und dabei zusätzlich auch noch als Versicherungs- und Immobilienarbeiter arbeitet, gesagt, dass ich meine Arbeit als „Selbsterfahrung“ nutzen würde, weil ich „nur“ vierzig Betreuungen führte.

Es ist sicherlich richtig, dass die Betreuungsarbeit als rechtliche Vertretung definiert wird und nicht als Sozialarbeit. Allerdings ist dies ein weiter Begriff und auch wenn man sich strikt an die rein rechtliche Vertretung hält, so gibt es hierbei gravierende Unterschiede in der konkreten Wahrnehmung dieser Aufgabe. Man kann nach einem systemischen Ansatz arbeiten, das heißt bei wichtigen Entscheidungsprozessen (wie z.B. dem Wechsel in ein Heim) die nahen Angehörigen mit einbeziehen und dem Entscheidungsprozess dabei die erforderliche Zeit lassen oder aber man beschränkt sich auf kurze und knappe Anweisungen, da man grundsätzlich von der Richtigkeit der eigenen Vorstellungen überzeugt ist und sich somit die Einbeziehung Dritter als völlig überflüssig erweist. Man kann beispielsweise, wie ich hier ja schon mehrmals beschrieben habe, die Betreuung eines Suizidgefährdeten nach der Maxime führen „Wer sterben will, soll doch sterben“ oder man versucht gemeinsam mit dem Betreuten Perspektiven zu eröffnen, die ihm ermöglichen, sein Leben wieder als lebenswert zu empfinden. Letzteres kann sich sehr, sehr zeitintensiv gestalten und ist bei hohen Betreuungszahlen kaum leistbar.

Natürlich kann man den Vorwurf der Nichtprofessionalität auch nicht einfach ignorieren. Ich habe in Bezug auf meine Arbeit manchmal im nachherein festgestellt, dass ich mich besser hätte abgrenzen müssen und mich von sehr distanzlosen Betreuten (die es zweifellos gibt) weniger unter Druck hätte setzen lassen sollen. Gemeinsam getroffene Absprachen müssen nicht immer wieder von neuem diskutiert werden, sondern müssen eingehalten werden. Wenn beispielsweise ein Betreuter immer wieder sein Geld schon gleich am Monatsanfang ausgibt, muss der Betreffende eine Geldeinteilung auch ohne regelmäßige Diskussion akzeptieren.

Um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen – es ist schwer, die Frage nach der angemessenen Betreuungszahl zu beantworten. Nach dem Gespräch mit meiner Nachfolgerin bedauere ich es im nachherein jedoch ein wenig, nicht doch noch einen weiteren Versuch gemacht zu haben, weiter nach Kollegen zu suchen, die ähnliche Vorstellungen wie ich vertreten. Und dies hat anscheinend eben doch mit der Anzahl der geführten Betreuungen zu tun. Mag es auch von kaufmännischen Betreuern als „Selbsterfahrung“ abgewertet werden, wenn man den persönlichen Bezug zu den Betreuten in der Arbeit nicht missen möchte und Wert auf Mitbeteiligung an Entscheidungsprozessen legt – die Zeit, die man einem Menschen widmet, sagt etwas über die Wertschätzung seiner Person aus.

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Donnerstag, 27. Juni 2013, 20:27h

Ein Gedankenspiel

behrens

Bei den vielen Informationen, die ich im Laufe meiner Arbeit im Betreuungswesen und auch jetzt noch nach Beendigung meiner Tätigkeit erhalte, habe ich mir angewöhnt, mir bei manchen schwierigen Problemlagen folgende Frage zu stellen: Was wäre, wenn man ein Problem in einem konkreten Betreuungsfall verwenden würde für das Thema einer Examensklausur der juristischen Fakultät?

Wozu das Gedankenspiel gut ist? Ganz einfach, es geht dabei eben nicht um den Aspekt der schnellsten oder lukrativsten Methode, sondern schlicht und einfach um den Aspekt der optimalen. Und dies nicht auf der Ebene einer Diskussion in legerer Freizeitatmosphäre, in der man auch ruhig mal mit seiner Ansicht daneben liegen darf – nein, in der entscheidenden Situation eines Examens, das die Voraussetzung für die Ergreifung des Berufs eines Juristen ist. Man kann also mit der Beurteilung „Nicht bestanden“ abgestraft werden, wenn man sich zuwenig oder die falschen Gedanken macht.

Ich nehme mir also einen der vielen Fälle vor, in denen es strittig ist, welche Maßnahmen denn nun die besten für den Betreuten sind und welche eben nicht. Und damit es nicht so einfach ist, lautet die Fragestellung nicht nur: „Welche Maßnahmen sollten für den Betreuten ergriffen werden“ sondern hat den Zusatz:

„Welche Maßnahmen sind erforderlich, um die Lebenssituation des Betreuten optimal zu gestalten? Welche psychosoziale Situation sollte im Sinne des Wohls des Betreuten angestrebt werden und welche juristischen Mittel sind hierfür sinnvoll?“

Ich empfinde dieses Gedankenspiel als sehr interessant, weil ich mir vorstelle, was geschehen würde, wenn in der Examensarbeit genau das beschrieben werden würde, was auch in der konkreten alltäglichen Arbeit geschieht. Man kann das Gedankenspiel auch ein wenig ändern, indem man sich vorstellt, dass eine konkret geführte Betreuung geschildert wird und die Fragestellung ganz einfach lautet: „Sind die von dem/der Betreuer/in ergriffenen Maßnahmen optimal auf das Wohl des Betreuten ausgerichtet oder wären andere Maßnahmen besser geeignet um eine zufriedenstellende psychosoziale Gesamtsituation herbeizuführen“.

Natürlich ist die Fragestellung einer Examensarbeit ungleich komplexer und schwieriger gestaltet. Vielleicht sollte man sich auch einfach nur eine normale Hausarbeit oder ein Referat zum Thema rechtliche Betreuung vorstellen, in dem die fiktive Fragestellung optimal beantwortet werden muss.

Wie gesagt, dies ist mein kleines Gedankenspiel, dem ich bisweilen nachgehe und das man vielleicht auch in Bezug auf das hier beschriebene Problem übertragen könnte. Natürlich immer unter dem Aspekt, das hier nur die Sicht einer Seite beschrieben wird.

Und natürlich bin ich mir bewusst, dass auch im Falle der von mir geführten Betreuungen nicht immer das von mir veranlasst wurde, was im nachherein die optimale Lösung gewesen wäre. Ich erhebe bei weitem nicht den Anspruch darauf, alles richtig gemacht zu haben. Deswegen habe ich mein kleines Gedankenspiel auch ab und zu mit mir selbst als Protagonistin gespielt und hätte dabei wohl leider auch die ein- oder andere Prüfung nur so gerade eben bestanden. Aber eben dafür sind solche Gedankenspiele auch da - es beim nächsten Mal besser zu machen!

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Montag, 17. Juni 2013, 17:53h

Es ist zum Heulen

behrens

Seitdem mein Stiefvater vor acht Jahren einen Schlaganfall erlitt, kümmere ich mich um Antragsstellungen, Bankgeschäfte e.t.c. Nicht im Rahmen einer rechtlichen Betreuung, sondern auf Grundlage einer Bevollmächtigung, die auch überall anerkannt wird.

Heute rief ich die Hamburger Bank meines Stiefvaters an, da schon vor längerem die Auflösung und Guthabenübertragung eines Sparbuchs vereinbart wurde. Hierzu ist eine Unterschrift erforderlich und zu meinem großen Ärger verlangt die Bank jetzt, dass mein Stiefvater dort persönlich zur Abzeichnung der Vereinbarung erscheint. Mein Stiefvater ist allerdings zu 100 % schwerbehindert, besitzt die Pflegestufe I und kann sich nur mühsam im Rollstuhl fortbewegen. Aufgrund seiner Behinderung ist er bereits vor Jahren in eine behindertengerechte Wohnung im Landkreis gezogen, die rund sechzig Kilometer von Hamburg entfernt liegt. Ich habe zwar auch am Wohnart ein Konto eröffnet, aber durch eine Kontoüberziehung des Hamburger Kontos müssen auch dort immer noch Dinge geregelt werden.

All mein Argumentieren, dass ich doch schließlich bevollmächtigt bin und mein Stiefvater definitiv nicht in der Lage ist, persönlich in der Bank zu erscheinen, stößt auf taube Ohren. Dies seien nun mal die Regeln, da könne man nichts machen. Ich hatte diese unerfreuliche Diskussion vor einiger Zeit schon einmal und schrieb damals einen langen Beschwerdebrief an den Filialleiter, der auch Erfolg hatte und dazu führte, dass das erforderliche Verfahren auf dem Postweg abgewickelt werden konnte. Jetzt ist der damalige Mitarbeiter allerdings in Urlaub und zu allem Übel hat auch die Leitung der Filiale gewechselt, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als erneut einen langen Beschwerdebrief zu schreiben und darauf zu hoffen, dass dieser auch Erfolg haben wird.

Und immer wieder, wenn diese aus meiner Sicht völlig unnötigen Schwierigkeiten mich stressen und wütend machen, werde ich im Bekanntenkreis gefragt, warum ich mir diese Strapazen denn nicht erspare und eine rechtliche Betreuung anrege – zumal ich doch selbst jahrelang bis vor kurzem selbst Betreuungen geführt habe.

Die Antwort liegt allerdings schon in der Fragestellung – eben weil ich mit dem Bereich der rechtlichen Betreuungen bestens vertraut bin, möchte ich niemanden, der mir nahesteht, rechtlich betreuen lassen.

Mir klingt immer noch im Ohr, wie mir bei der Erwähnung des Umstands, dass mein Stiefvater ein Pflegeheim ablehnt, weil er seinen Lebensabend nicht mit 95,00 € Taschengeld verbringen will, von einem meiner damaligen Websitekollegen, der sich im Laufe seiner Betreuungstätigkeit diverse Immobilien zulegte, geantwortet wurde, dies sei „reines Anspruchsdenken, das unser System kaputtmachen würde.“ Und ich sehe immer noch vor meinem geistigen Auge die diversen völlig abwegigen Mandate, die dem Geschäftsführer meines damaligen Betreuungsvereins auf Kosten der Betreuten erteilt wurden. So wie ich auch besagte/n Anwaltskollegen/in vor mir sehe, der/die von einer im Hartz IV-Bezug stehenden alleinerziehenden Mutter trotz staatlichen Beratungsscheins einen hohen Vorschuss verlangte. Und last-not-least erinnere ich mich an das letzte Zusammenkommen mit einer Kollegin, welche mir bitterste Vorwürfe machte, dass ich in einer Fernshesendung sagte, ich sei mir immer bewusst, dass die Betreuertätigkeit auch für Eigeninteressen missbraucht werden könne.

Gerade diese letzte Auseinandersetzung machte mir deutlich, wie wenig Interesse daran besteht, sich auch mal mit den unschönen Dingen zu beschäftigen, die im Rahmen von Betreuungsarbeit vorfallen und die im krassen Widerspruch stehen zu dem Bild des engagierten und emphatischen Betreuers, für den einzig und allein das Wohl des Betreuten im Mittelpunkt steht.

Ja, ich weiß - es sind doch längst nicht alle Betreuer so. Aber gerade deswegen ist es längst überfällig, dass diejenigen, die ihre Tätigkeit seriös und engagiert ausführen, sich deutlich distanzieren und die Kritik Betroffener endlich einmal ernst nehmen und nicht einfach nur schulterzuckend darauf hinweisen, dass sich doch schließlich jeder beschweren könne.

Nein, mir bleibt vorerst wohl nichts anderes übrig, als mich weiterhin herumzuschlagen mit Institutionen und Menschen, denen es völlig gleichgültig ist, in welcher Notlage sich Hilfsbedürftige befinden können. Und auch weiterhin gegen Wände zu laufen, die gar nicht existieren könnten, wenn weniger werbewirksame Phrasen gedroschen würden und stattdessen mehr Bereitschaft zur Schaffung von Strukturen bestände, die auch Behinderten, Kranken und alten Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen.

Wie ich schon sagte – es ist zum Heulen!

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