Montag, 17. Juni 2013, 17:53h
Es ist zum Heulen
Seitdem mein Stiefvater vor acht Jahren einen Schlaganfall erlitt, kümmere ich mich um Antragsstellungen, Bankgeschäfte e.t.c. Nicht im Rahmen einer rechtlichen Betreuung, sondern auf Grundlage einer Bevollmächtigung, die auch überall anerkannt wird.
Heute rief ich die Hamburger Bank meines Stiefvaters an, da schon vor längerem die Auflösung und Guthabenübertragung eines Sparbuchs vereinbart wurde. Hierzu ist eine Unterschrift erforderlich und zu meinem großen Ärger verlangt die Bank jetzt, dass mein Stiefvater dort persönlich zur Abzeichnung der Vereinbarung erscheint. Mein Stiefvater ist allerdings zu 100 % schwerbehindert, besitzt die Pflegestufe I und kann sich nur mühsam im Rollstuhl fortbewegen. Aufgrund seiner Behinderung ist er bereits vor Jahren in eine behindertengerechte Wohnung im Landkreis gezogen, die rund sechzig Kilometer von Hamburg entfernt liegt. Ich habe zwar auch am Wohnart ein Konto eröffnet, aber durch eine Kontoüberziehung des Hamburger Kontos müssen auch dort immer noch Dinge geregelt werden.
All mein Argumentieren, dass ich doch schließlich bevollmächtigt bin und mein Stiefvater definitiv nicht in der Lage ist, persönlich in der Bank zu erscheinen, stößt auf taube Ohren. Dies seien nun mal die Regeln, da könne man nichts machen. Ich hatte diese unerfreuliche Diskussion vor einiger Zeit schon einmal und schrieb damals einen langen Beschwerdebrief an den Filialleiter, der auch Erfolg hatte und dazu führte, dass das erforderliche Verfahren auf dem Postweg abgewickelt werden konnte. Jetzt ist der damalige Mitarbeiter allerdings in Urlaub und zu allem Übel hat auch die Leitung der Filiale gewechselt, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als erneut einen langen Beschwerdebrief zu schreiben und darauf zu hoffen, dass dieser auch Erfolg haben wird.
Und immer wieder, wenn diese aus meiner Sicht völlig unnötigen Schwierigkeiten mich stressen und wütend machen, werde ich im Bekanntenkreis gefragt, warum ich mir diese Strapazen denn nicht erspare und eine rechtliche Betreuung anrege – zumal ich doch selbst jahrelang bis vor kurzem selbst Betreuungen geführt habe.
Die Antwort liegt allerdings schon in der Fragestellung – eben weil ich mit dem Bereich der rechtlichen Betreuungen bestens vertraut bin, möchte ich niemanden, der mir nahesteht, rechtlich betreuen lassen.
Mir klingt immer noch im Ohr, wie mir bei der Erwähnung des Umstands, dass mein Stiefvater ein Pflegeheim ablehnt, weil er seinen Lebensabend nicht mit 95,00 € Taschengeld verbringen will, von einem meiner damaligen Websitekollegen, der sich im Laufe seiner Betreuungstätigkeit diverse Immobilien zulegte, geantwortet wurde, dies sei „reines Anspruchsdenken, das unser System kaputtmachen würde.“ Und ich sehe immer noch vor meinem geistigen Auge die diversen völlig abwegigen Mandate, die dem Geschäftsführer meines damaligen Betreuungsvereins auf Kosten der Betreuten erteilt wurden. So wie ich auch besagte/n Anwaltskollegen/in vor mir sehe, der/die von einer im Hartz IV-Bezug stehenden alleinerziehenden Mutter trotz staatlichen Beratungsscheins einen hohen Vorschuss verlangte. Und last-not-least erinnere ich mich an das letzte Zusammenkommen mit einer Kollegin, welche mir bitterste Vorwürfe machte, dass ich in einer Fernshesendung sagte, ich sei mir immer bewusst, dass die Betreuertätigkeit auch für Eigeninteressen missbraucht werden könne.
Gerade diese letzte Auseinandersetzung machte mir deutlich, wie wenig Interesse daran besteht, sich auch mal mit den unschönen Dingen zu beschäftigen, die im Rahmen von Betreuungsarbeit vorfallen und die im krassen Widerspruch stehen zu dem Bild des engagierten und emphatischen Betreuers, für den einzig und allein das Wohl des Betreuten im Mittelpunkt steht.
Ja, ich weiß - es sind doch längst nicht alle Betreuer so. Aber gerade deswegen ist es längst überfällig, dass diejenigen, die ihre Tätigkeit seriös und engagiert ausführen, sich deutlich distanzieren und die Kritik Betroffener endlich einmal ernst nehmen und nicht einfach nur schulterzuckend darauf hinweisen, dass sich doch schließlich jeder beschweren könne.
Nein, mir bleibt vorerst wohl nichts anderes übrig, als mich weiterhin herumzuschlagen mit Institutionen und Menschen, denen es völlig gleichgültig ist, in welcher Notlage sich Hilfsbedürftige befinden können. Und auch weiterhin gegen Wände zu laufen, die gar nicht existieren könnten, wenn weniger werbewirksame Phrasen gedroschen würden und stattdessen mehr Bereitschaft zur Schaffung von Strukturen bestände, die auch Behinderten, Kranken und alten Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen.
Wie ich schon sagte – es ist zum Heulen!
... link (2 Kommentare) ... comment
Samstag, 8. Juni 2013, 13:05h
Überflüssige juristische Haarspaltereien – keine Organspende möglich bei bestimmten Patientenverfügungen?
Durch den Blog von Rentner Anton bin ich auf einen weiteren Blog mit dem Thema Pflege gestoßen und dort wiederum auf einen Beitrag, in welchem darauf hingewiesen wird, dass eine Patientenverfügung, die auf einen Behandlungsabbruch (wenn keine Hoffnung mehr auf Heilung besteht) abzielt, mit einer Organspende nicht vereinbar ist.
Ich bin darüber einigermaßen erstaunt, denn für mich spricht überhaupt nichts dagegen, dass jemand bei einer hoffnungslosen Situation, in der keine medizinische Heilung mehr möglich ist, trotzdem seine Organe spenden möchte. Aber anscheinend sehen das Juristen und auch Ärzte anders. Wer in seiner Patientenverfügung formuliert hat, dass er in einer Situation, in der Aussicht auf eine Heilung ausgeschlossen ist, keine Weiterführung der Behandlung wünscht, der verfügt damit den Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen, wie z.B. Beatmungsgerät, künstliche Ernährung e.t.c. Viele Organspenden sind jedoch nur möglich, wenn die Organe unmittelbar nach dem Versterben entnommen werden und die Transplantation zeitnah erfolgt. In der Praxis bedeutet dies, dass unter Umständen die lebenserhaltenden Maßnahmen nicht sofort abgebrochen werden können, sondern erst, wenn die Entnahme vorbereitet wird.
Ich hätte jetzt nicht erwartet, dass jemand daraus ein Problem macht. Niemand, der in seiner Patientenverfügung ausdrücklich formuliert, dass unter bestimmten Umständen lebenserhaltende Maßnahmen abgebrochen werden sollen, formuliert damit auch, dass dies zwingend sofort geschehen soll. Wenn die Verfügung ebenfalls einen Passus des Wunsches einer Organspende enthält, dann ist meines Erachtens eindeutig, dass dies Vorrang vor einer sofortigen unmittelbaren Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen darstellt.
Ich bin aus vollster Überzeugung damit einverstanden, meine Organe zu spenden und trage schon seit meinem zwanzigsten Lebensjahr einen Organspenderausweis bei mir. Und ich habe mich entschieden, dass bei einer aussichtslosen schweren Erkrankung, bei der ein Weiterleben nur durch die Zuhilfenahme von künstlicher Beatmung und künstlicher Ernährung möglich ist und somit nur der Sterbeprozess verlängert wird, die Behandlung abgebrochen werden darf. Wie bereits erwähnt, bin ich äußerst erstaunt darüber, dass man hieraus einen Widerspruch ableiten kann.
Eigentlich hätte mir die Problematik schon vorher auffallen müssen, denn in meiner eigenen Patientenverfügung, deren Vorlage ich im Internet fand, ist ein Passus eingefügt, der der Thematik Rechnung trägt:
Organspende
Ich möchte meine Organe spenden und bin somit grundsätzlich zur Spende meiner Organe und Gewebe bereit. Es ist mir bewusst, dass Organe nur nach Feststellung des Hirntodes bei aufrechterhaltenem Kreislauf entnommen werden können. Deshalb gestatte ich ausnahmsweise für den Fall, dass bei mir eine Organspende medizinisch in Frage kommt, die kurzfristige (Stunden bis höchstens wenige Tage umfassende) Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntodes nach den Richtlinien der Bundesärztekammer und zur anschließenden Entnahme der Organe.
Die Vorlage der Patientenverfügung kann unter http://www.ekd.de/download/patientenverfuegungsformular_bis_2003.pdf heruntergeladen werden. Wer sich daran stört, dass es ich bei der Verfügung um eine christliche Patientenverfügung handelt, der kann natürlich diesen Passus auch in irgendeine andere Vorlage oder in eine frei verfasste Verfügung einsetzten, wobei es natürlich auch gut möglich sein kann, dass andere Vorlagen mittlerweile diesen Passus auch enthalten.
Abschließend kann ich sagen, dass das ganze Thema Patientenverfügung für mich nicht die Sicherheit mit sich bringt, die eigentlich vom Gesetzgeber beabsichtigt wurde. Ich habe
hier hier ja schon einmal vor einigen Jahren über das Thema geschrieben und auch schon eine entsprechende Fortbildung zu der Thematik gemacht. Bei der Fortbildung wurde dann erwähnt, dass es durchaus sinnvoll sein kann, einen Betreuer zur Durchsetzung der Patientenverfügung einzusetzen. Das ist jedoch genau das, was ich gerade nicht will, denn wozu formuliere ich auf mehreren Seiten meine Wünsche, wenn dann letztendlich doch ein Betreuer benötigt wird? Und genauso wenig möchte ich im Falle eines erkrankten Angehörigen oder Freundes, dass ein Betreuer für etwas eingesetzt wird, das eigentlich durch eine Patientenverfügung schon ausreichend geregelt wird.
Mir fällt immer wieder auf, wie wenig hilfreich es ist, wenn auf ärztlicher Seite nicht mehr auf den gesunden Menschenverstand gesetzt wird, sondern stattdessen ängstlich in dem Bedürfnis nach absoluter Absicherung juristische was-wäre-wenn-Probleme konstruiert werden. Diese werden dann anscheinend von juristischer Seite dankbar aufgenommen und letztendlich wird das Thema Sterben dann wieder aus dem Familien- und Freundeskreis ausgelagert hin zu Menschen, die den Betreffenden gar nicht kennen. Gerade weil sich viele Angehörige durch Betreuer ausgebootet fühlen und gerade weil leider nicht die geringste Bereitschaft zur offenen Auseinandersetzung mit Kritik besteht, sollte man die Patientenverfügung mit gesundem Menschenverstand lesen und nicht in akribischer Suche nach Formulierungen, die eine äußerst geringe Möglichkeit der anderweitigen Interpretation bieten.
Nein, sehr viel sicherer fühle ich mich durch die existierende praktische Umsetzung des Gesetzes über Patientenverfügungen nicht unbedingt.
... link (0 Kommentare) ... comment
Sonntag, 2. Juni 2013, 03:15h
Meine Betreuten VII: Ein viel zu früher Abschied
Heute rief mich meine frühere Mitarbeiterin an und sagte mir, dass einer meiner ehemaligen Betreuten gestern in seiner Wohnung tot aufgefunden wurde. Herr M. war erst 38 Jahre alt.
Ich habe Herrn M. rund zehn Jahre betreut, in denen es immer auf und ab ging. Die Lebensgeschichte von Herrn M. ist von viel Leid gezeichnet, wobei es jedoch auch zu dieser Lebensgeschichte gehört, dass Herr M dem Leid immer wieder die Stirn geboten und gekämpft hat.
Die Mutter von Herrn M. war schon sehr früh mit der Erziehung ihres Sohnes überfordert und der Vater, der praktisch nicht präsent war, sagte Herrn M. später auch unmissverständlich, dass er kein Interesse an ihm hat. So kam es, dass Herr M. schon früh in Heime und später in Jugendwohngruppen kam. Irgendwann nahm er dann zuerst weiche und bald darauf harte Drogen. Trotzdem versuchte er ein „ganz normales“ Leben zu führen und hatte mit seiner Freundin zwei Kinder. Aber dies endete nicht viel anders als in seiner Kindheit, die Beziehung ging in die Brüche und von den Kindern ist eines schon lange in öffentlicher Erziehung. Später stieg Herr M. von den harten Drogen auf Alkohol um. Allerdings kämpfte er immer wieder hartnäckig gegen die Alkoholsucht an.
Ich lernte Herrn M. in einer akuten Notlage kennen, denn seine Wohnung stand unmittelbar vor der Zwangsräumung, so dass ich mich sofort mit dem für die Vollstreckung zuständigen Gerichtsvollzieher in Verbindung setzte, der sich auf eine Fristverschiebung einließ und durch Glück fand ich dann eine neue Wohnung. Irgendwann wollte Herr M. dann in eine stationäre Langzeittherapieeinrichtung wechseln und so zog er dann in eine Einrichtung am Rande Hamburgs. Allerdings kam es auch hier zu Konflikten und Herr M. wollte bald wieder eigenständig in einer Wohnung leben. Ich fand nichts anderes als eine etwas dubiose Wohnung, die vom Vermieter auf Grundlage einer WG-Form vermietet wurde. Die Mitbewohner litten auch alle an psychischen Problemen und eines Tages zog ein schwer psychisch Kranker in die WG, der nach einem Streit einen Brandanschlag auf Herrn M. verübte, der sich nur durch einen Sprung aus dem Fenster retten konnte. Daraufhin war Herr M. eine Zeit lang obdachlos, was mir große Sorgen bereitete, so dass ich sehr froh war, nach einigen Monaten eine geeignete Wohnung zu finden, in der sich Herr M. nach langer Zeit auch wieder wohl fühlte. Inzwischen hatte er auch eine Beziehung und die Arbeit in einer Einrichtung für psychisch Kranke lief gut. Die Beziehung ging zwar leider vor einiger Zeit auch in die Brüche, aber Herr M. hatte dies nach Absolvierung einer stationären Therapie gut verarbeitet.
Herr M. war ein sogenannter „Borderliner“. Obwohl er ein eher friedliebender Mensch war, geriet er sehr leicht in Konflikt mit der Umwelt und verlor dadurch wiederum den inneren Halt. Vielleicht kann man dies auch umgekehrt sehen und es fehlte ihm aufgrund der völlig instabilen Beziehungen in der Kindheit an innerem Halt, was wiederum die Ursache der Konflikte mit anderen darstellte. Herr M. hatte sich zum Teil schon sehr schwere Selbstverletzungen zugefügt. Durch die Drogensucht litt Herr M. nicht nur an Hepatitis C sondern war auch HIV positiv und vor einiger Zeit wurde dann auch noch eine Diabetes festgestellt. Letztere wird wahrscheinlich auch die Ursache für den plötzlichen Tod sein, da Herr M. vermutlich seine Medikamente nicht immer regelmäßig eingenommen hat.
Es berührt mich immer sehr, wenn meine Betreuten, die ja selbst nur über ein Existenzminimum verfügen, mir etwas schenken. Herr M. hatte einen guten Freund, der ihm fast jedes Jahr einen Dänemarkurlaub spendierte und immer brachte mir Herr M. von dem Urlaub etwas mit. Als ich ihm sagte, dass ich meine Tätigkeit als Betreuerin beenden möchte, war er sehr geknickt und wollte zuerst überhaupt keine Betreuung mehr, aber als er dann erfuhr, dass meine bisherige Mitarbeiterin Betreuungen übernehmen würde, war er sofort einverstanden. Er sagte mir aber bei unserem letzten Gespräch, dass ich trotzdem weiterhin Urlaubskarten bekommen würde. Im Gegenzug sicherte ich Herrn M. die Versorgung mit Kleidung zu, denn da mein Lebensgefährte den gleichen Geschmack und auch die gleiche Figur wie Herr M. hat, hatte es schon seit längerem eingebürgert, dass Herr M. die ausrangierten Kleidungsstücke erhielt. Erst vor ein paar Tagen hat Herr M. wieder eine große Tasche Kleidung erhalten.
Herr M. war handwerklich sehr begabt und so erhielt ich zum Abschied eine schöne Blumenschale mit einem selbstgemachten Geschenk. Die Schale steht jetzt auf meinem Fensterbrett in der Küche und wenn auch einige der Frühlingsblumen mittlerweile von mir ausgetopft wurden, so befindet sich das kleine Geschenk eingebettet in die immergrünen Pflanzen noch dort – ein steinernes Herz, in das Herr M. meinen Namen eingraviert hat.
... link (0 Kommentare) ... comment