Donnerstag, 18. Juli 2013, 14:06h

Mal etwas Positives. Es geht auch anders!

behrens

Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Prioritäten im Bereich der Arbeit mit Menschen ausfallen können. Gestern habe ich mich mit ein paar Freunden getroffen und bei unserem Gespräch ging es auch um das Thema Arbeit. Zwei der Freunde sind, bzw. waren in Arbeitsprojekten tätig, die im Bereich künstlerischer Gestaltung angesiedelt sind. Eines der Projekte wurde für Menschen mit einer Suchtproblematik geschaffen, das andere Projekt steht allen Ein-Euro-Jobbern offen.

Bei dem ersten Projekt geht es um Skulpturen, die für einen Parkfriedhof in Göttingen geschaffen wurden. Man kann das Resultat in einem wunderschönen Kalender oder auch auf der Website betrachten. Was meinen Bekannten sehr beeindruckte, war das Engagement und die Zuverlässigkeit, mit der die Teilnehmer an dem Projekt arbeiteten. Wer Erfahrung hat mit der Arbeit mit Suchtkranken, wird dies gut verstehen, denn die Suchtproblematik nimmt oftmals einen so großen Teil des Lebens ein, dass kaum noch Raum und Energie bleibt für etwas anderes. Umso erstaunlicher, dass die Teilnehmer dieses Projektes nach kurzer Zeit soviel Interesse und Spaß an ihrer Arbeit zeigten, dass die regelmäßige Mitarbeit kein Problem mehr darstellte. Dies wiederum schuf bei vielen wieder Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Bei dem zweiten Projekt geht es um die Verschönerung von Institutionen. Auftraggeber sind beispielsweise Heime, Wohnunterkünfte, Kitas e.t.c. Man kann sich die Resultate der Arbeit hier ansehen. Auch hier ist man erstaunt, was Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, für Ideen und Leistungen entwickeln.

Jetzt wird so mancher kontern, dass Kunst ja schön und gut ist, aber eine reelle Arbeit dadurch nicht ersetzt wird. Das mag auch nicht völlig falsch sein, dennoch müssen Menschen, die lange Zeit keiner regelmäßigen Arbeit mehr nachgegangen sind, erst wieder an einen Arbeitsrhythmus herangeführt werden. Ich selbst habe vor vielen Jahren bei meiner Arbeit in einer Betreuungsstelle für Langzeitarbeitslose/Schwervermittelbare erfahren, wie sehr bei vielen Arbeitslosen das Selbstbewusstsein unter der Arbeitslosigkeit gelitten hat, was wiederum dazu führt, sich überhaupt nichts mehr zuzutrauen. Gleichzeitig habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass bei so manchem Langzeitarbeitslosen enormes Potential vorhanden ist, wenn der/diejenige erst einmal wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gefasst hat. Aber auch abgesehen von dem eindeutig positiven Aspekt der Arbeitsmaßnahmen in Bezug auf diejenigen, die dadurch wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden, halte ich es für eine sehr gute Idee, die Aufträge für künstlerische Arbeit nicht ausschließlich an einzelne Künstler zu vergeben, sondern auch an Projekte, deren Teilnehmer einen repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft darstellen.

Was mich aber mindestens genauso beeindruckt wie die Arbeit dieser Projekte an sich, ist das Selbstverständnis derjenigen Menschen, die diese Projekte leiten, bzw. begleiten. Ein himmelweiter Unterschied zum Selbstverständnis so mancher Betreuer, die ich kenne und die es schaffen, ausnahmslos jedes Thema nach maximal fünf Sätzen auf den Aspekt des finanziellen Nutzens zu lenken. Bei den hier beschriebenen Projekten geht es weder um Gewinnmaximierung, noch um die größtmögliche Reduzierung des Arbeitsaufwands, noch geht es um einen möglichst guten werbewirksamen Eindruck, den man auf andere machen will. Es geht schlichtweg um eines – eine gute und sinnvolle Arbeit zu machen!

Als ich fragte, ob die Projektteilnehmer jetzt auch als „Kunden“ bezeichnet werden, erhielt ich nur die kurze Antwort „Quatsch!“. Und mein Bekannter unterstrich die Absurdität des Versuchs, soziale Arbeit in kaufmännische Kriterien zu zwängen und teilte meine Meinung, dass kaufmännische Kriterien zwangsläufig an der Komplexität und Individualität menschlicher Problemlagen scheitern. REFA-Verfahren mögen vielleicht bei Fließbandarbeit effektiv und vertretbar sein, in der Arbeit mit Menschen sind sie jedoch kontraproduktiv und erniedrigend.

Ich will nicht verschweigen, dass es natürlich auch in der Projektarbeit um Geld geht. Budgets müssen eingehalten, bzw. zuerst einmal mühsam erkämpft werden. Es müssen Auftraggeber gefunden und für beide Seiten akzeptable Bedingungen verhandelt werden. Im Mittelpunkt steht jedoch immer der Nutzen für das Klientel und für die Gesellschaft und nicht um die Höhe des eigenen Einkommens.

Konkret bedeutet der Kampf um das Geld für denjenigen meiner Bekannten, dessen Projekt beendet ist, jetzt eine neue Planung zu konzipieren. Es gibt auch schon eine Idee für die Neugestaltung eines äußerst hässlichen Gebäudes, das auch mir schon wegen seiner Unattraktivität auffiel. Für den anderen Bekannten besteht das Projekt zur Zeit noch, aber eventuell ist die Weiterfinanzierung nicht vollkommen sicher, so dass auch hier Ideen und Kreativität gefragt sind.

Was mir von dem gestrigen Abend so angenehm in Erinnerung geblieben ist, ist das Gefühl, dass es sehr viel Spaß machen kann, sich für eine Sache zu engagieren und Ideen zu entwickeln für Projekte, die einerseits einen Nutzen für diejenigen darstellen, die dort eine Arbeitsstelle bekommen und andererseits durchaus auch für die Gesellschaft eine Bereicherung darstellen.

Das ist vielleicht mein Resümee dieses sehr angenehmen Abends: es geh auch anders! Und es macht sogar verdammt viel Spaß.


P.S.: ruhig mal in die Websites reinsehen, es lohnt sich!

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Donnerstag, 11. Juli 2013, 21:20h

Wie viele Betreuungen sollte ein Betreuer eigentlich führen?

behrens

Es wird immer wieder die Frage gestellt, wie viel Betreuungen ein Betreuer führen sollte, damit Qualität gewährt ist. Diese Frage kann man nur sehr schwer beantworten, da hierbei mehrere Faktoren eine Rolle spielen wie beispielsweise:

Hat der Betreuer Mitarbeiter und handelt es sich dabei um Teilzeit- oder Vollzeitkräfte?

Geht der Betreuer noch weiteren Beschäftigungen nach?

Ist der Betreuer Berufsanfänger oder hat er schon längjährige Berufserfahrung?

Ist der Betreuer gut vernetzt oder arbeitet er weitgehend isoliert?


Ich habe heute mein altes Büro aufgesucht und hatte ein interessantes Gespräch. Bei meiner Nachfolgerin handelt es sich um meine frühere Mitarbeiterin, die sich inzwischen als Betreuerin selbständig gemacht und fast alle meiner Betreuungen übernommen hat. Über diese Regelung bin ich sehr froh, denn zum Einen bin ich mir sicher, dass sie die Betreuungen mit Engagement führen wird und zum Anderen empfanden es die meisten der Betreuten als sehr positiv, dass die Betreuung nicht an eine völlig fremde Person abgegeben wurde.

Meine Nachfolgerin erzählte mir, dass sie seit kurzem Mitglied einer neu gegründeten Netzwerkgruppe ist. Es scheinen sich darin Betreuer zusammengefunden zu haben, die wesentlich weniger Betreuungen führen als diejenigen Betreuer, zu denen ich bisher Kontakt hatte. Zwar gibt es auch in dieser Gruppe jemanden, der 60 Betreuungen führt, aber der betreffende Betreuer wird hierbei durch eine Vollzeitkraft unterstützt und geht außerdem auch keiner weiteren Tätigkeit nach. Eine der Betreuerinnen der Gruppe führt prinzipiell nicht mehr als 35 Betreuungen, weil sie die Ansicht vertritt, dass die Führung einer Betreuung sonst nicht mehr persönlich genug ist.

Ich war positiv überrascht über diese Information. Viele der Betreuer, zu denen ich bisher Kontakt hatte, führen mindestens 50 bis 70 Betreuungen und manche haben dabei überhaupt keine Angestellten oder allenfalls eine Teilzeitkraft (bzw. nur Minijobberinnen). Und es gibt Betreuer, die dabei auch noch anderen Tätigkeiten nachgehen, wie beispielsweise einer Makler- oder Anwaltstätigkeit.

Man könnte jetzt das Für und Wider für hohe oder geringe Betreuungszahlen erörtern. Diejenigen Betreuer, die viele Betreuungen führen, führen oftmals an, dass die Kollegen, die weniger Betreuungen führen, sich nicht auf die vom Gesetzgeber vorgegebene rechtliche Vertretung beschränken, sondern Sozialarbeit leisten. Oder es wird argumentiert, dass diejenigen eben nicht besonders professionell sind. Mir hat einmal ein Betreuer, der selbst siebzig Betreuungen führt und dabei zusätzlich auch noch als Versicherungs- und Immobilienarbeiter arbeitet, gesagt, dass ich meine Arbeit als „Selbsterfahrung“ nutzen würde, weil ich „nur“ vierzig Betreuungen führte.

Es ist sicherlich richtig, dass die Betreuungsarbeit als rechtliche Vertretung definiert wird und nicht als Sozialarbeit. Allerdings ist dies ein weiter Begriff und auch wenn man sich strikt an die rein rechtliche Vertretung hält, so gibt es hierbei gravierende Unterschiede in der konkreten Wahrnehmung dieser Aufgabe. Man kann nach einem systemischen Ansatz arbeiten, das heißt bei wichtigen Entscheidungsprozessen (wie z.B. dem Wechsel in ein Heim) die nahen Angehörigen mit einbeziehen und dem Entscheidungsprozess dabei die erforderliche Zeit lassen oder aber man beschränkt sich auf kurze und knappe Anweisungen, da man grundsätzlich von der Richtigkeit der eigenen Vorstellungen überzeugt ist und sich somit die Einbeziehung Dritter als völlig überflüssig erweist. Man kann beispielsweise, wie ich hier ja schon mehrmals beschrieben habe, die Betreuung eines Suizidgefährdeten nach der Maxime führen „Wer sterben will, soll doch sterben“ oder man versucht gemeinsam mit dem Betreuten Perspektiven zu eröffnen, die ihm ermöglichen, sein Leben wieder als lebenswert zu empfinden. Letzteres kann sich sehr, sehr zeitintensiv gestalten und ist bei hohen Betreuungszahlen kaum leistbar.

Natürlich kann man den Vorwurf der Nichtprofessionalität auch nicht einfach ignorieren. Ich habe in Bezug auf meine Arbeit manchmal im nachherein festgestellt, dass ich mich besser hätte abgrenzen müssen und mich von sehr distanzlosen Betreuten (die es zweifellos gibt) weniger unter Druck hätte setzen lassen sollen. Gemeinsam getroffene Absprachen müssen nicht immer wieder von neuem diskutiert werden, sondern müssen eingehalten werden. Wenn beispielsweise ein Betreuter immer wieder sein Geld schon gleich am Monatsanfang ausgibt, muss der Betreffende eine Geldeinteilung auch ohne regelmäßige Diskussion akzeptieren.

Um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen – es ist schwer, die Frage nach der angemessenen Betreuungszahl zu beantworten. Nach dem Gespräch mit meiner Nachfolgerin bedauere ich es im nachherein jedoch ein wenig, nicht doch noch einen weiteren Versuch gemacht zu haben, weiter nach Kollegen zu suchen, die ähnliche Vorstellungen wie ich vertreten. Und dies hat anscheinend eben doch mit der Anzahl der geführten Betreuungen zu tun. Mag es auch von kaufmännischen Betreuern als „Selbsterfahrung“ abgewertet werden, wenn man den persönlichen Bezug zu den Betreuten in der Arbeit nicht missen möchte und Wert auf Mitbeteiligung an Entscheidungsprozessen legt – die Zeit, die man einem Menschen widmet, sagt etwas über die Wertschätzung seiner Person aus.

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Donnerstag, 27. Juni 2013, 20:27h

Ein Gedankenspiel

behrens

Bei den vielen Informationen, die ich im Laufe meiner Arbeit im Betreuungswesen und auch jetzt noch nach Beendigung meiner Tätigkeit erhalte, habe ich mir angewöhnt, mir bei manchen schwierigen Problemlagen folgende Frage zu stellen: Was wäre, wenn man ein Problem in einem konkreten Betreuungsfall verwenden würde für das Thema einer Examensklausur der juristischen Fakultät?

Wozu das Gedankenspiel gut ist? Ganz einfach, es geht dabei eben nicht um den Aspekt der schnellsten oder lukrativsten Methode, sondern schlicht und einfach um den Aspekt der optimalen. Und dies nicht auf der Ebene einer Diskussion in legerer Freizeitatmosphäre, in der man auch ruhig mal mit seiner Ansicht daneben liegen darf – nein, in der entscheidenden Situation eines Examens, das die Voraussetzung für die Ergreifung des Berufs eines Juristen ist. Man kann also mit der Beurteilung „Nicht bestanden“ abgestraft werden, wenn man sich zuwenig oder die falschen Gedanken macht.

Ich nehme mir also einen der vielen Fälle vor, in denen es strittig ist, welche Maßnahmen denn nun die besten für den Betreuten sind und welche eben nicht. Und damit es nicht so einfach ist, lautet die Fragestellung nicht nur: „Welche Maßnahmen sollten für den Betreuten ergriffen werden“ sondern hat den Zusatz:

„Welche Maßnahmen sind erforderlich, um die Lebenssituation des Betreuten optimal zu gestalten? Welche psychosoziale Situation sollte im Sinne des Wohls des Betreuten angestrebt werden und welche juristischen Mittel sind hierfür sinnvoll?“

Ich empfinde dieses Gedankenspiel als sehr interessant, weil ich mir vorstelle, was geschehen würde, wenn in der Examensarbeit genau das beschrieben werden würde, was auch in der konkreten alltäglichen Arbeit geschieht. Man kann das Gedankenspiel auch ein wenig ändern, indem man sich vorstellt, dass eine konkret geführte Betreuung geschildert wird und die Fragestellung ganz einfach lautet: „Sind die von dem/der Betreuer/in ergriffenen Maßnahmen optimal auf das Wohl des Betreuten ausgerichtet oder wären andere Maßnahmen besser geeignet um eine zufriedenstellende psychosoziale Gesamtsituation herbeizuführen“.

Natürlich ist die Fragestellung einer Examensarbeit ungleich komplexer und schwieriger gestaltet. Vielleicht sollte man sich auch einfach nur eine normale Hausarbeit oder ein Referat zum Thema rechtliche Betreuung vorstellen, in dem die fiktive Fragestellung optimal beantwortet werden muss.

Wie gesagt, dies ist mein kleines Gedankenspiel, dem ich bisweilen nachgehe und das man vielleicht auch in Bezug auf das hier beschriebene Problem übertragen könnte. Natürlich immer unter dem Aspekt, das hier nur die Sicht einer Seite beschrieben wird.

Und natürlich bin ich mir bewusst, dass auch im Falle der von mir geführten Betreuungen nicht immer das von mir veranlasst wurde, was im nachherein die optimale Lösung gewesen wäre. Ich erhebe bei weitem nicht den Anspruch darauf, alles richtig gemacht zu haben. Deswegen habe ich mein kleines Gedankenspiel auch ab und zu mit mir selbst als Protagonistin gespielt und hätte dabei wohl leider auch die ein- oder andere Prüfung nur so gerade eben bestanden. Aber eben dafür sind solche Gedankenspiele auch da - es beim nächsten Mal besser zu machen!

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