Sonntag, 5. August 2012, 14:53h

Sprachliche Verwirrungen - aus Klienten werden Kunden

behrens

Schon seit längerem kann man einen merkwürdigen sprachlichen Wandel in der Sozialarbeit beobachten. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ist man dazu übergegangen, Menschen unter dem Begriff des „Kunden“ zusammenzufassen, der die zuvor verwendeten differenzierten Bezeichnungen ersetzt. Früher gab es bei den Pflegediensten Patienten, in den Heimen gab es Bewohner, in den sozialpädagogischen Beratungsstellen gab es Klienten, in den Bildungseinrichtungen gab es Teilnehmer und beim Arbeitsamt gab es Arbeitslose. Damit ist jetzt Schluss. Wir sind jetzt alle zu Kunden geworfen. Dies hat wiederum konsequenterweise die Folge, dass Heime, Pflegedienste, Sozialpädagogen und Arbeitsämter als Pendant zum Kunden zu Verkäufern geworden sind, wobei wiederum der Heimplatz, die Pflegeleistung, die Beratung e.t.c. zur Ware wird.

Was hat zu diesem Wandel geführt? Vermutlich erhofft man sich von der Einbindung in marktwirtschaftliche Begrifflichkeiten eine effektivere Arbeit, in der die zu erbringende Ware/Leistung klar festgelegt ist. Der Kunde ist kein Bittsteller mehr, sondern hat die Rechte eines Käufers. Gleichzeitig ist die Einrichtung zur Lieferung der vereinbarten Ware/Dienstleistung verpflichtet. Hört sich doch eigentlich ganz gut an, oder? Wenn da nicht der Umstand wäre, dass es zwischen einem Kunden und einem Klienten entscheidende Unterschiede gibt, denn während ein Kunde immer und grundsätzlich die Auswahl hat und seine Wahl freiwillig trifft, kann man das auch mit viel Phantasie nicht von Kranken, Heimbewohnern und Arbeitslosen behaupten.

Der Begriff Kunde reduziert einen Menschen auf seine Eigenschaft als Käufer einer Ware und die Beziehung zu einer Einrichtung auf einen Warenaustausch. Der Begriff Klient hingegen ist sehr viel komplexer und beinhaltet die unbedingte Mitberücksichtigung des sozialpolitischen Hintergrunds. Ein Arbeitsloser ist nicht einfach nur jemand, der vom Arbeitsamt Geldleistungen erhält und im Gegenzug seine Arbeitskraft anbietet. Ein Arbeitsloser ist Teil eines höchst komplizieren sozialen Gefüges. Ein Mensch, der durch seine Arbeitslosigkeit ausgeschlossen ist von vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wobei sich die Ausgeschlossenheit oft nicht nur auf ihn, sondern – so vorhanden – auf seine Familie auswirkt.

Was tatsächlich hinter diesem Wandel der Begrifflichkeit vom „Klienten“ zum „Kunden“ steckt, ist hauptsächlich das Ziel des Sparens. Soziale Arbeit wird in den meisten Fällen subventioniert. Dies hat zur Folge, dass immer wieder versucht wird, Leistungen auf das Notwendigste zu reduzieren. Die Komplexität des Begriffs des Klientels ist da hinderlich und ist dem ständigen Verdacht ausgesetzt, dass vielleicht doch mehr als das Plansoll geleistet wird. Da kommt der wirtschaftspolitische Begriff des Kunden wie gerufen. Es wird klar definiert, was zur Warenleistung gehört – nicht mehr und nicht weniger, wobei das Augenmerk eindeutig auf das „nicht mehr“ gerichtet wird. Man kann sich getrost auf die oft zitierte „Zuständigkeit“ zurückziehen und alles ausblenden, was über den reinen Warenaustausch hinausgeht. Hat aber der Wechsel der Begrifflichkeiten die erwünschte Einsparung gebracht? Mitnichten, die Kosten explodieren weiter. Wäre auch verwunderlich, denn soziale Probleme bleiben soziale Probleme, auch wenn man die Verpackung ändert.

Die eigentliche Misere bei dem Versuch, sozialpolitische Probleme in wirtschaftspolitische Begrifflichkeiten zu pressen, besteht darin, dass man damit vom Prinzip der Vernetzung zum Prinzip der Konkurrenz übergeht. Genauso wie Karstadt sich wohl kaum um die Kunden von Woolworth kümmern wird, genauso kümmert sich irgendwann die Beratungsstelle X nicht mehr um die Beratungsstelle Y. Wir Betreuer sind unserer Zeit voraus und praktizieren dies schon. Es ist Betreuer X schnurz-piepe-egal, wie Betreuer Y seine Betreuungen führt. Auch bei eventuellen Problemen mit anderen Institutionen wird sich nur derjenige Betreuer dafür interessieren, dessen eigene Betreute davon auch betroffen sind. Während sich soziale Beratungsstellen - zumindest jetzt noch – solidarisieren und reagieren, wenn Klienten in anderen Institutionen oder von staatlicher Seite in ihren Rechten beschnitten werden, ist dies bei Betreuern unvorstellbar. Das ist eben genau der Unterschied zwischen Klientel und Kundschaft.

Der Begriff Kunde ist der Versuch, etwas Negatives sprachlich positiv darzustellen, man nennt dies auch Euphemismus. Mit einem Schlag gibt es keine Kranken, Alten, und Arbeitslosen mehr – sondern überall nur noch Kunden. Unsere Gesellschaft wird dadurch zu einem Shoppingcenter, in dem jenseits sozialer Probleme munter Waren ausgetauscht werden. Vielleicht werden demnächst auch die Gefängnisdirektoren ihre Häftlinge als Kunden bezeichnen, Hospizmitarbeiter einen Sterbenden als Kunden betiteln und Pastoren sonntags die Predigt beginnen mit der Begrüßung: „Liebe Kunden und Kundinnen“…

Da dieser Beitrag in den letzten Wochen sehr oft angeklickt wurde, habe ich mir hier noch ein paar weitere Gedanken gemacht.

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Sonntag, 29. Juli 2012, 15:31h

Was machen Menschen, die krank sind und wenig Geld haben, wenn sie dringend zum Arzt müssen?

behrens

Was passiert, wenn jemand dringend zum Arzt muss? Nun, wenn man noch gehen kann, setzt man sich in die Bahn, ins Auto oder aufs Fahrrad oder geht vielleicht auch zu Fuß zur Arztpraxis. Was ist, wenn man so krank oder so gehbehindert ist, dass man den Weg nicht mehr allein schafft? Dann bittet man Verwandte oder Bekannte um die Fahrt zum Arzt oder man nimmt sich ein Taxi. Hierfür muss man allerdings Verwandte und Bekannte oder aber Geld haben. Was passiert aber, wenn man weder über das Eine noch über das Andere verfügt? Dann wird es sehr, sehr schwierig.

Zeitgleich mit der Hartz-IV-Reform wurde auch bei den Krankenkassen so einiges geändert. Früher war es in der Regel möglich, sich die sogenannte Krankentransportverordnung vom behandelnden Arzt auch noch nach der Inanspruchnahme eines Taxis austellen zu lassen und sich dann den bereits gezahlten Betrag von der Kasse erstatten zu lassen. Das ist jetzt anders, man muss vorab eine Krankentransportbescheinigung vom Arzt einholen, die dann gemeinsam mit einem Antrag auf Kostenübernahme zur Krankenkasse geschickt wird. Erst wenn der Antrag bewilligt ist, darf man den Arzt aufsuchen.

Man merkt, dass hier eine logische Lücke besteht. Denn um den Arzt um eine Verordnung zu bitten, muss man ja erstmal in seine Praxis kommen. Eventuell könnte man sich die Verordnung ja auch zuschicken lassen, wobei man anmerken muss, dass Arztpraxen generell äußerst ungern in Briefmarken investieren und dazu auffordern, sich die Verordnung zu holen. Nun gut, man könnte auch Geld hinterlegen für die Zusendung, was ich selbst übrigens auch für das Zusenden eines Rezepts so handhabe, weil ich für ein Rezept nicht extra in die Praxis gehen will. Allerdings braucht man auch hier 1 – 2 Tage für den Postweg, der sich wiederum um weitere 2 – 4 Tage für die Zusendung an die Krankenkasse plus Rücksendung verlängert. Bei akuter Erkrankung, die mit einem schnellen Behandlungsbedarf verbunden ist, fällt dies also weg.

Bleibt also nur das Selbstzahlen. Nicht ganz einfach für einen Hartz-IV-Empfänger oder für jemanden mit einer Minirente. Erst recht, wenn nicht ein Taxi sondern ein Krankenwagen benötigt wird, was dann der Fall ist, wenn jemand Rollstuhlfahrer ist und die Arztpraxis über keinen Fahrstuhl verfügt, so dass der Patient hochgetragen werden muss. Dies kostet dann mindestens 75,00 €, also rund 20 Prozent des Hartz-IV-Regelsatzes.

Als Betreuerin habe ich den Vorteil, dass ich über ein Faxgerät verfüge und mir sowohl die erforderliche ärztliche Verordnung zufaxen lasse, als auch den Antrag an die Krankenkasse per Fax weiterleite, die mir dann die Bewilligung ebenfalls zufaxt. Dann bleibt allerdings immer noch die Weiterleitung an das Krankentransport- oder Taxiunternehmen. Und es bleiben noch die Wartezeiten. Arztpraxen haben keine Anrufbeantworter, so dass ich die Sprechzeiten abwarten muss.

Wie gestaltet sich dieser enorme Arbeitsaufwand für Menschen, die keinen Betreuer haben? Oder für Familienmitglieder, die sich um ihre kranken Angehörigen kümmern? Ich selbst kümmere mich um meinen Stiefvater, der nicht in unmittelbarer Nähe wohnt. Und letzte Woche musste er (Rollstuhlfahrer, Pflegefall) dringend zum Hautarzt. Nachdem ich damit scheiterte, eine Hautarztpraxis mit Fahrstuhl (flächendeckende medizinische Versorgung ist ein anderes ebenso interessantes Thema!) zu finden, musste ich also die schon eingeholte Verordnung für einen Taxischein nochmals umschreiben lassen. Die habe ich dann sehr spät noch an die Krankenkasse geschickt in dem Glauben, dass mein Antrag mit dem Vermerk „Eilt“ auch umgehend beantwortet wird. Das war aber nicht der Fall, ich musste nochmals telefonisch nachhaken.

Ich habe übrigens meinen Eltern aufgrund der hier geschilderten Widrigkeiten ein Faxgerät geschenkt. Allerdings ist mein Stiefvater nicht in der Lage, das Gerät auch zu bedienen, was auch tatsächlich nicht so einfach ist, weil eigentlich die Anschlussbuchse von der Telekom geändert werden müsste. Hiervon haben wir bisher abgesehen, da die Zusammenarbeit mit der Telekom (auch das ist ein weiteres ebenso interessantes Thema!) ihre Tücken hat.

Ich habe eine Mitarbeiterin des für meinen Stiefvater zuständigen Pflegedienstes gefragt, wie denn die anderen Patienten das Problem der Fahrt zum Arzt lösen. Die Antwort war, dass die meisten resignieren und letztendlich die 75,00 € für den Krankentransport zahlen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass eine akute Erkrankung eine schnelle Behandlung erfordert. Und es ist kaum nachvollziehbar, dass hierfür ein Vorlauf gefordert wird, der kaum zu bewältigen ist. Und man kann sich ausmalen, dass wahrscheinlich so manche Versorgungslücken entstehen, weil die Menschen mit diesem immensen Antragsaufwand überfordert sind.

Im Falle meines Stiefvaters hat mich das ganze Prozedere gut zwei Stunden Zeit gekostet. Anschließend war ich so entnervt, dass dies auch noch einen Streit mit meinem Freund auslöste, der mir sagte: „Warum beantragst du nicht endlich eine Betreuung für deinen Stiefvater?“ Ja, warum eigentlich nicht? Ein Betreuer vor Ort hätte es wahrscheinlich mit manchem leichter. Aber da taucht dann wieder jener besagte Satz vor meinem geistigen Ohr auf, der mir von einem Kollegen entgegnet wurde, als ich erwähnte, dass mein Stiefvater nicht ins Heim möchte, weil er nach 47 Jahren harter Arbeit nicht von 95,00 € Taschengeld leben will:Das ist dieses Anspruchsdenken, das unsere Gesellschaft kaputt macht!“.

Nein, ich bringe es nicht über’s Herz, jemanden in die Hände von Menschen mit so einer Einstellung zu geben. Sicher, es sind natürlich längst nicht alle Betreuer so. Aber ich will mit der Lebensqualität meines Stiefvaters nicht Lotterie spielen…

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Mittwoch, 6. Juni 2012, 11:31h

Eine hochinteressante Dokumentation über die Betreuungspraxis

behrens

Ich habe mir gerade über die ARD-Mediathek die hochinteressante Dokumentation mit dem Titel "Wenn Betreuung zum Albtraum wird" angesehen. Hochinteressant deswegen, weil auf Polemik verzichtet wird und vier völlig unterschiedliche Fälle geschildert werden, die die Bandbreite der Betreuungspraxis deutlich machen. Ich kann nur jedem raten, der sich für das Thema Betreuung interessiert, sich diese Doku anzusehen.

Im ersten Fall ging es um eine 89jährige Frau, die nur deswegen unter rechtliche Betreuung gestellt wurde, weil eine ihrer drei Töchter sich durch die Aufteilung des Erlöses eines Hausverkaufs benachteiligt fühlte und deswegen eine Betreuung beantragt hatte. In den Augen der Tochter war damit anscheinend eine zu früheren Zeiten getroffene Erbvereinbarung zu ihren Ungunsten beeinflusst worden. Durch die Initiative der anderen Töchter fand eine erneute richterliche Prüfung statt, aber obwohl das neue ärztliche Gutachten zu dem eindeutigen Ergebnis kam, dass die Frau durchaus noch geschäftsfähig ist, wurde letztendlich weder die Betreuung aufgehoben, noch der Wunsch der Frau nach einem Betreuerwechsel erfüllt. Selbst der Einwilligungsvorbehalt – gleichbedeutend mit Aberkennung der Geschäftsfähigkeit – wurde beibehalten. Die beiden älteren Schwestern befinden sich jetzt in einem Rechtsstreit, da der auch als Anwalt tätige Betreuer eine Klage auf Rückzahlung von Geldern androht.

Es gilt natürlich auch in diesem Fall, dass man beide Seiten anhören muss, um die Situation beurteilen zu können. Aber wie ich sofort ahnte, als ich die Sendung sah – der Betreuer wollte sich zur angedrohten Klage nicht äußern.

Ein sehr ungewöhnliches Statement gab zu dem Fall ein Jurist ab, der es grundsätzlich für fragwürdig hält, wenn Juristen als Betreuer arbeiten: "Ich meine, ich bin ja selbst in dem Beruf tätig ich mache keine Betreuungen weil ich mich für nicht qualifiziert halte Betreuungen zu machen - und ich es nicht machen will. Gerade im Bereich der medizinischen Versorgung habe ich erhebliche Bedenken, dass Anwälte das machen. Ich bin der Ansicht, dass hier eben Spezialberufe geschaffen werden müssen. Aber für die Anwälte ist das natürlich ein gutes Geschäft wenn einer 30 – 40 Betreuungen hat , dann hat er auch ein gewisses Auskommen. Es gibt auch Gerichte von denen wir hören, dass wenn junge Anwälte anfangen, dann bekommen sie Betreuungsfälle, damit sie überleben können. Also auch das ist die Frage, wer wird als Anwalt Betreuer, das möchte ich jetzt hier nicht vertiefen. "

Beim zweiten Fall ist die Problematik genau entgegengesetzt, ein Gericht sah keine Veranlassung, eine Betreuung einzurichten, obwohl die Erkrankung des Betreffenden fast die Familie ruiniert hätte. Ein an einem Hirntumor erkrankter Mann, der gemeinsam mit seiner Ehefrau im betreuten Wohnen lebte, verschenkte 65.000,00 € an die Putzfrau. Als es dann dazu kam, dass er die für die Tochter erteilte Vollmacht zurückzog und die Putzfrau bevollmächtigen wollte, regte die Tochter die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung an. Der Gutachter kam erstaunlicherweise zu dem Entschluss, dass hierzu kein Grund vorläge. Das lapidare Statement des Richters: „Ein schwäbischer Geschäftsmann wird wahrscheinlich normalerweise seiner Putzfrau kein Geld geben. Das ist schon ein ungewöhnliches Verhalten, aber es muss nicht auf einem krankhaften Verkennen von irgendwas beruhen. Und das muss man selbstverständlich prüfen, ob ein Mensch dafür gute Gründe hat oder auch gar keine besonderen Gründe hat. Jedenfalls darf grundsätzlich jeder mit seinem Geld machen, was er will".

Anscheinend sind Richter und Gutachter der Meinung, die Situation des schwerkranken (kurz danach verstorbenen Mannes), „gründlich“ geprüft zu haben. Die gefällte Entscheidung ist gleichbedeutend mit einem Freibrief für Betrüger, die sich auf alte Menschen spezialisiert haben. Ich glaube, dass es wohl niemanden gibt, der im Zustand der geistigen Klarheit damit einverstanden wäre, wenn irgendwann bei Nachlassen der geistigen Kräfte niemand eingreifen würde und dadurch das – oftmals sehr hart erarbeitete – Ersparte an Fremde verschenkt wird, wodurch die Ehefrau irgendwann zur Sozialhilfeempfängerin wird. Die Herren Richter und Gutachter haben sich das Ganze wirklich erschreckend einfach gemacht und halten ihre Gleichgültigkeit wahrscheinlich auch noch für Toleranz.

Beim dritten Fall geht es um einen Mann, der nach einem Schlaganfall von seiner Frau und seiner jüngeren Tochter zuhause gepflegt wurde. Dann wollte die ältere Tochter die Betreuung übernehmen und es kam zum Konflikt, so dass es letztendlich zur Einrichtung einer rechtlichen Betreuung kam, die einer Betreuerin erteilt wurde, deren Ausbildung ein Wirtschaftstudium war. Obwohl der Mann gut gepflegt wurde, veranlasste die Betreuerin eine Heimeinweisung. Dem Mann ging es daraufhin sehr viel schlechter und er verlor gravierend an Gewicht. Die Ehefrau unternahm alles, um ihren Mann wieder nach Hause zurückkehren zu lassen – alles ohne Erfolg. Erst als der zuständige Richter berentet wurde, wurde dem Wunsch nach einem anderen Betreuer stattgegeben. Allerdings sitzt die ganze Familie jetzt auf 14.000,00 € nicht bezahlter Heimosten und kämpft darum, dass die Betreuerin, die ja für diese Kosten verantwortlich ist, für diesen Schaden aufkommen muss. Übrigens läuft seit Bestellung des neuen Betreuers - einem ehrenamtlich tätigen Pastor - sehr gut.

Auch zu diesem Fall gibt es ein Statement des schon vorab zitierten Juristen: „Mir ist nicht bekannt, dass es in irgendeinem anderen Rechtsystem oder einer Gesetzeslage in Deutschland für irgendeine Installation soviel Rechte gibt alles wegzunehmen. Gut man kann natürlich sagen, bei Straftätern, wenn sie entsprechende bestimmte Straftaten gemacht haben, dann verlieren sie die Freiheitsrechte und eventuell kann ein Teil des Vermögens eingezogen werden. Aber hier, die Freiheitsrechte ganz und auf Dauer einzuziehen, das Vermögen auf Dauer einzuziehen, und die Entscheidung über die ärztliche Versorgung, über den Postempfang und über Telefon, das alles wegzunehmen, da bin ich der Meinung, da sollte man nachdenken, ob man dann noch im richtigen Gesetz ist“.

Beim vierten Fall handelt es sich um jemanden, der aus eigenem Antrieb eine rechtliche Betreuung beantragt hat. Durch Vermüllung ist es zu einer Räumungsklage des Vermieters gekommen. Gemeinsam mit dem Betreuer – ein Vereinsbetreuer der Caritas – sieht er sich nach einem geeigneten Heim um. Letztendlich will er dann aber auch in seiner Wohnung bleiben, was der Betreuer, der sich auch die Zeit nimmt, das Heim gemeinsam anzusehen, auch akzeptiert. Der Betreute macht deutlich, dass die Betreuung für ihn eine große Hilfe ist.

Wie man sieht, ist das Thema Betreuung ein weites Feld, in dem Betreuung sowohl als existentielle Bedrohung als auch als große Hilfe empfunden wird. Und ebenfalls ist es ersichtlich, welch gravierende Unterschiede es sowohl unter den Betreuern als auch unter den Betreuungsrichtern gibt. Auch die völlig unterschiedliche Ausbildung der Betreuer ist interessant: im ersten Fall ist der Betreuer Anwalt, im zweiten Fall ist die erste Beteuerin Wirtschafswissenschafterin und der zweite Betreuer Pastor und im vierten Fall ist der Betreuer Sozialarbeiter/Sozialpädagoge. Bei den richterlichen Urteilssprechungen reichen die Extreme einerseits von selbstgerechter Ignoranz der fachärztlichen Gutachten, verbunden mit dem totalen Ignorieren des Willens des Betreuten bis hin zur als Toleranz getarnten Hilfeverweigerung. Ich muss in diesem Zusammenhang allerdings ausdrücklich betonen, dass ich persönlich glücklicherweise weder das eine noch das andere Extrem bei den Richtern erlebt habe und in fast allen Fällen versucht wird, dem Einzelfall gerecht zu werden. Und wie gesagt – für eine gerechte Beurteilung sollte man beide Seiten gehört haben. Es spricht aber für sich, dass weder die betreffenden Betreuer noch die Familienmitglieder, die auf eine rechtliche Betreuung drängen, zu einem Statement bereit waren.



http://www.ardmediathek.de/das-erste/reportage-dokumentation/entmuendigt-wenn-betreuung-zum-albtraum-wird?documentId=10748694

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