Mittwoch, 24. März 2010, 00:00h
Solidarität - ein lang vermisstes Verhalten
Momentan gibt es in unserem Berufsstand große Diskussionen darüber, dass wir Berufsbetreuer eventuell unsere seit Jahren gezahlte Mehrwertsteuer erstattet bekommen. Dies wäre gleichbedeutend mit einer mehrere Tausend Euro betragenden Finanzspritze – worüber verständlicherweise jeder mehr als froh wäre. Allerdings hängt alles davon ab, ob ein vor dem Europäischen Gerichtshof gefälltes Einzelurteil auch auf nationaler Ebene Anerkennung findet. Wenn dies der Fall wäre, würden wir gleichgestellt werden und eine Menge Geld erstattet bekommen. Aber ob es tatsächlich eine entsprechende Rechtssprechung geben wird, steht noch in den Sternen.
Anstatt sich allerdings darüber ganz normal auszutauschen, wird jetzt der Berufsstand in Schwarzmaler und in Richtigdenker eingeteilt. Momentan gibt es noch keinen genauen Verfahrensweg, der eindeutig eingeschlagen wurde. Voraussetzung ist auf jeden Fall eine Einspruchseinlegung – die allerdings erstmal zu einer Ablehnung führt, da die entscheidende Rechtsprechung ja wie erwähnt noch aussteht. Die meisten der Kollegen haben erstmal prophylaktisch Einspruch eingelegt und warten ab. Ohne mir etwas Böses dabei zu denken, habe ich den von mir eingeschlagenen Rechtsweg in unserer Mailliste dargestellt und dabei auch betont, dass ich einfach nur meinen Weg vorstellen möchte. Das hätte ich lieber nicht tun sollen, denn Folge war eine ziemliche harte Zurechtweisung durch eine Kollegin, die anscheinend meinen Weg ideologisch in die Schwarzmaler-Kategorie einordnete.
Ich hatte mich über den Rüffel der Kollegin geärgert, aber ließ die Sache erstmal auf sich beruhen, zumal weder negative noch positive Reaktionen kamen. Heute habe ich dann allerdings doch ein – weitgehend nettes – kleines Statement abgegeben. Dann kam überraschenderweise eine Resonanz. Eine mir nicht bekannte Berufsbetreuerin hinterließ eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter, in der sie mir mitteilte, dass sie genau meiner Meinung sei und die besagte Reaktion überhaupt nicht nachvollziehen konnte.
„Ich möchte Ihnen dies nur mitteilen, damit Sie wissen, dass sie nicht allein dastehen“. Diesen Satz habe ich während der letzten 13 Jahren meiner Tätigkeit als Berufsbetreuerin nicht mehr gehört. Wenn irgendwelche ungerechtfertigten Angriffe kamen, sei es von Angehörigen, Kollegen, Rechtspflegern oder meinen früheren Chefs, stand ich dem immer völlig allein gegenüber. Allein in der Auseinandersetzung um die Betrügereien des Betreuungsvereins, allein vor dem Sozialgericht, als meine früheren Chefs mir einen Teil meines Lohns streitig machten und allein bei ziemlich heftigen Beleidigungen von KollegInnen. Und jetzt, bei einer relativ harmlosen Angelegenheit, ruft mich plötzlich ein Wildfremder an, um mir den Rücken zu stärken. Ob mein gegenüber dem Finanzamt eingeschlagener Weg richtig oder falsch ist, sei dahingestellt – auf jeden Fall gibt es keinen Grund, mir dabei öffentlich irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen ideologischen Gründe zu unterstellen.
Ich glaube, man kann bestimmte Ziele und Ideale in seiner Arbeit nur dann durchhalten, wenn man ab und zu den Rücken gestärkt bekommt. Und plötzlich kommen mir Erinnerungen an frühere Zeiten, in denen ich Rückhalt erhalten habe. Erinnerungen an Kollegen, Klienten – manchmal sogar Arbeitgeber – mit denen man sich wechselseitig darin unterstützt hat, für seine Meinung einzutreten und keine faulen Kompromisse zu machen. Menschen, die Lust haben, etwas zu verändern und denen es nicht ausreicht, ständig nur den Weg des kleinsten Widerstands zu gehen.
Übrigens hatte ich ursprünglich gar nicht die Absicht gehabt, die von mir eingeschlagene rechtliche Vorgehensweise anderen mitzuteilen. Aber jemand aus dem Kollegenkreis fand meine Vorgehensweise plausibel und sinnvoll und riet mir zum Einbringen in die öffentliche Mailliste. Nachdem ich den öffentlichen Rüffel der Kollegin erhalten hatte, hatte ich insgeheim natürlich die Hoffnung auf ein wenig Solidarität, die sich aber leider nicht erfüllte, sondern mir nur den Vorwurf der Abhängigkeit von Bestätigung durch Dritte einbrachte. Aber dann macht sich doch plötzlich jemand die Mühe, der mich gar nicht kennt, mir ein paar ermutigende Worte aufs Band zu sprechen.
Fazit: Man sollte in der Lage sein, ohne die Bestärkung anderer auskommen und arbeiten zu können. Aber wenn ich mich an die Zeiten zurückerinnere, in denen Solidarität und gegenseitige Unterstützung und Bestärkung selbstverständlich waren, dann kann ich nicht umhin zu sagen: Es hat mehr Spaß gemacht, war weniger anstrengend und man hat viel mehr erreicht!
„Damit Sie wissen, dass sie nicht allein dastehen“ - ein toller Satz. Ein Satz, den man viel zu selten hört und den man bitter nötig hat, wenn es für wichtig hält, auch die unbequemen und lästigen Dinge anszusprechen. Ein Satz, den man ab und zu mal hören muss, wenn man sich nicht verbiegen will...
Edit:
Habe mich heute bei der Kollegin telefonisch bedankt und das erste Mal seit ewigen Zeiten ein 1 1/2 stündiges Fachgespräch über Betreuungsarbeit geführt (NICHT über Vergütungsfragen) - es gibt noch Wunder!
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