Dienstag, 23. Februar 2010, 01:34h

Thema Anspruchsdenken – Vorsicht vor den Guidos...

behrens

Es ist bei weitem nicht nur unser Außenminister, der Hartz-IV-Empfängern Anspruchsdenken vorwirft, sondern dieser Vorwurf hat sich mittlerweile in allen gesellschaftlichen Schichten etabliert. So leider auch bei einigen Berufsbetreuern. Dies stimmt schon ein wenig bedenklich, da wir ja in einem sozialen Beruf arbeiten und somit eigentlich eine Lobby für unser Klientel darstellen sollten.

Was jedoch äußerst bemerkenswert ist, ist daß dieser Vorwurf gerade von denjenigen Betreuer/innen geäußert wird, die in eigener Sache alles andere als anspruchslos sind. Mir fällt in diesem Zusammenhang eine völlig überhöhte Rechnung eines/r Betreuers/in ein, die ich zu Zeiten vor der Pauschalierung durch einen Angehörigen erhalten hatte. Das war vor etwa 8 Jahren, als Betreuer noch jede einzelne Tätigkeit detailliert auflisten mußten. Ein Angehöriger eines Betreuten kam zu mir, um mich nach meiner Meinung zu fragen, weil seines Erachtens die Rechnung für die Betreuung viel zu hoch sei. Hierfür könnte es nun allerdings auch reale Gründe geben: etwa beim Eintreten eines Erbfalls mit unklaren Verwandtschafts- verhältnissen, bei einer umfangreichen Wohnungsauflösung oder bei ständig erforderlichen Konfliktgesprächen mit Angehörigen. All dies traf aber in diesem Fall definitiv nicht zu. Es waren alle Angelegenheiten weitgehend geregelt, der Betreute lebte im Heim und der/die Betreuer/in hat für den Betreuten im abgerechneten Zeitraum keine Zeit für Besuche aufgewendet.

Ich verglich die besagte Rechnung mit meinen eigenen Rechnungen. Zu der Zeit habe ich meine Betreuten noch regelmäßig etwa alle 6 bis 8 Wochen besucht. Dies bedeutet, daß meine Rechnungen eigentlich summa summarum höher hätten sein müssen - was aber nicht der Fall war. Im Gegenteil, viele meiner Rechnungssummen betrugen nur die Hälfte! Auch meine damaligen Kollegen hatten die Rechnung gesehen und empfanden diese genauso wie ich als unrealistisch hoch. Allerdings hat niemand von uns etwas gesagt und obwohl der Angehörige mit seiner Kritik der Rechnungshöhe Recht hatte, gaben wir ihm nicht den Rat, sich bei Gericht zu beschweren.

Und ausgerechnet bei diesem/r Betreuer/in handelt es sich um jemanden, der den Hartz-IV-Empfängern Anspruchsdenken vorwirft! Das ist er – der seltsame Unterschied in der Bewertung des Anspruchsdenkens der Hartz-IV-Empfänger und der Bewertung des eigenen Anspruchsdenken. Einem Hartz-IV-Empfänger, der mehr Geld möchte, wird Anspruchsdenken vorgeworfen. Ein Berufsbetreuer, der unverschämt überhöhte Rechnungen stellt, beurteilt zwar das Verhalten des Hartz-IV-Empfängers als Anspruchsdenken, nicht aber sein eigenes. Bezeichnenderweise empfinden diese Kolleg/innen noch nicht einmal die Spur von Unrechtsverhalten, sondern vielmehr wird zur Erklärung eine merkwürdige Art von kaufmännischer Rechnung aufgestellt, die sich nicht an den objektiv vorgegebenen Regeln orientiert, sondern stattdessen an dem subjektiven Wertempfinden für die eigene Arbeit. Zusammen mit dem Gefühl des Unterbezahltseins bildet dies dann die Richtlinie und stellt gleichzeitig einen Freibrief für Phantasierechnungen dar.

Genauso seltsam ist die Reaktion der Kollegen, mit denen ich über diesen Vorfall sprach. Es wurde niemals der/die Betreuer/in kritisiert, sondern stattdessen wurde sofort gekontert und versucht, jede Menge Entschuldigungen zu finden. Zum Beispiel die, daß der betreffende Angehörige doch falsche Informationen gegeben haben könnte und darüber hinaus Angehörige im Allgemeinen doch überhaupt keinen Überblick haben. Nun ja, zumindest in diesem Fall kenne ich aber den Angehörigen persönlich und die Rechnung ans Amtsgericht lag mir im Original vor. Auch weiß ich von der/dem betreffenden Betreuer/in, daß er/sie tatsächlich fast nie Besuche macht.

Trauriges Resümee: Vorsicht vor Menschen, die anderen Anspruchsdenken vorwerfen! Nimmt man diese ein wenig unter die Lupe, kann es Überraschungen geben. Und man sollte sich davor hüten, das auf ein Existenzminimum ausgerichtete Anspruchsdenken eines Hartz-IV-Empfängers als schlimmer einzustufen als das Anspruchsdenken derer, denen ihr normales, bzw. sogar weit über dem Durchschnitt liegendes Gehalt nicht ausreicht.

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