Sonntag, 16. Mai 2010, 21:16h

24-Stunden-Pflege aus Osteuropa – zurück zur 168-Stunden-Woche?

behrens

Wäre sehr dankbar für Ihre Meinung (selbst wenn nur kurz!) zu diesem Thema:

Wenn wir Betreuer für unsere pflegebedürftigen Betreuten nach geeigneten Einrichtungen suchen, wird ab und zu untereinander nach empfehlenswerten Adressen gefragt. Dabei wurde auch schon eine sogenannte „24-Stunden-Betreuung aus Osteuropa“ genannt. Zufällig habe ich dies Video bei YouTube entdeckt und dadurch auch die zugehörige Website.

Die Kosten für eine „osteuropäische“ Pflegerin betragen zwischen 1.700,00 und 2.200,00 €. Es wird eine 24-Stunden-Anwesenheit garantiert. Im Vergleich zu einem entsprechenden ambulanten deutschen Dienst ist das ein wahres Schnäppchen.

Aber was ist mit den ganzen Arbeitnehmerrechten? Mit der 40-Stundenwoche, geregelten Pausenzeiten, ausreichende Nachtruhe, Urlaub, Weihnachtsgeld e.t.c.?

Zugegeben, die Versuchung ist groß, denn nichts ist wünschenswerter, als einem alten Menschen den Verbleib in der Wohnung zu sichern. Und das ist in einigen Fällen leider nicht möglich, wenn nicht die ständige Anwesenheit einer Pflegekraft garantiert ist. Da kommt so ein günstiger 24-Stunden-Service gerade richtig. Aber ist das nicht ein hoher Preis? Der Rückschritt in Zeiten, in denen Dienstpersonal einen Nachmittag in der Woche frei hatte und ansonsten immer verfügbar sein musste? Meine Oma und selbst meine Mutter haben dies noch erlebt, das hieß damals „In Stellung sein“.

Arbeitsmarktpolitisch ist so ein 24-Stunden-Service Preisdumping in Reinkultur. Kein deutscher Pflegedienst kann da mithalten – und deren Beschäftigte verdienen schon nicht besonders viel.

Ist es für mich als Betreuerin vertretbar, für das Wohl meiner Betreuten so einen Dienst in Anspruch zu nehmen? Jeder ist sich selbst der nächste ohne Rücksicht auf Verluste?

Da Betreuer sich in der Regel nicht für gesamtpolitische Zusammenhänge interessieren, würde mich unbedingt mal die Meinung der Leser interessieren. Und immer dran denken:

Alt und hilfebedürftig wird man schneller als man denkt!

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Samstag, 19. Dezember 2009, 01:07h

Rundum betreut

behrens

Neben der rechtlichen Betreuung gibt es auch noch andere Formen der Betreuung. Beispielsweise die der „PPM“ – personenbezogene Betreuung für psychisch kranke Menschen oder die der „PBW“ - pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum. Beides sind Maßnahen der Eingliederungshilfe nach § 53/54 SGB XII. Die Betreuung im Rahmen einer PPM wird psychisch kranken Menschen gewährt und die Betreuung einer PBW sind bestimmt für Menschen mit geistiger Behinderung. Im Rahmen des § 54 SGB XII gibt es für Menschen mit geistiger Behinderung auch noch die Maßnahme der Wohnassistenz.

Keine Betreuung im eigentlichen Sinn ist die Maßnahme HWW § nach 70 SGB – die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts. Eine ähnliche Hilfe, allerdings weniger umfassend, ist die hauswirtschaftliche Unterstützung, die nach § 11 SGB gewährt wird. Für Menschen mit Kindern gibt es dann schließlich noch die durch das Jugendamt gewährte Familienhilfe.

Für viele meiner Betreuten lasse ich diese verschiedenen Hilfeformen durchführen. Manche hatten diese Form der Betreuung schon bevor sie von mir gesetzlich betreut wurden, andere Betreute erhalten diese Hilfe erst durch meine Beantragung. Mit den meisten Trägern, die diese Hilfen der Betreuung anbieten, arbeite ich sehr gut zusammen.

Und dennoch – betrachtet man diese aus rechtlicher, pädagogischer und assistierender Hilfeleistung bestehende Betreuungslandschaft, macht es nachdenklich. Als ich beispielsweise vor rund 13 Jahren meine Arbeit als Betreuerin begann, waren mir gerade einmal zwei Anbieter dieser Hilfe bekannt. Inzwischen sprießen die Anbieter von PPM und PBW wie Pilze aus dem Boden.

Ein Grund für die enorme Zunahme der verschiedenen Betreuungsformen ist der Wandel der Institution Familie. Diese hat anscheinend ausgedient in Bezug auf die umfassende und verantwortungsbewußte Sorge für ihre einzelnen Mitglieder. Die Familie wurde als solche schon immer idealisiert im Hinblick auf das, was sie leistet und leisten kann. Familien waren nie so heil, wie sie gern dargestellt wurden und immer schon gab es auch vernachlässigte Kinder, Gewalt und Mißhandlung, Alkoholismus, Überlastung und Familien, in denen sich ein Elternteil – meist der Vater – einfach aus dem Staub gemacht hat.

Man mag darüber sinnieren, ob diese Probleme früher genauso oft vorkamen wie die sogenannte funktionierende Familie oder ob es sich um Ausnahmen handelte. Auf jeden Fall ist jetzt eindeutig eine Zunahme dieser gesellschaftlichen Probleme zu beobachten. Und unsere Gesellschaft antwortet auf diese Probleme mit dem Angebot und der Schaffung von vielfältigen Hilfsangeboten – was zweifellos richtig und angemessen ist.

Aber wie bereits gesagt – es macht nachdenklich, daß unsere Gesellschaft sich auf dem Weg in eine Betreuungsgesellschaft begibt und anscheinend immer weniger Menschen außerstande sind, ihr Leben eigenständig ohne Hilfestellung zu bewältigen.

Medizinische Probleme behandelt man immer auf zwei Arten: man sucht nach Medikamenten und nach Ursachen. Letzteres sollte man auch im Bereich der gesellschaftlichen Probleme tun. Es reicht nicht aus, immer neue Hilfsangebote zu konstruieren. Man sollte sich endlich einmal der Frage widmen, warum so viele Menschen ihre soziale Kompetenz eingebüßt haben. Warum es immer weniger Familien gibt, die den Ansprüchen der Erziehung ihrer Kinder gewachsen sind. Warum es immer mehr psychische kranke Menschen gibt und immer mehr Suchtkranke und eine stetig steigende Kriminalität.

Wenn man sich dieser Frage verschließt, dann wird die Gesellschaft irgendwann nur noch aus zwei Gruppen bestehen: aus Betreuten und Betreuern!

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Freitag, 19. Juni 2009, 18:23h

Wer sterben will, soll doch sterben

behrens

Gerade hatte ich wieder eine Diskussion, wie ich sie hasse. Es ging um das Thema Sterbehilfe. Und zwar nicht um irgendwelche Fälle von Sterbehilfe, sondern um diejenigen Menschen, die von Kopf bis Fuß gelähmt sind und für die es tatsächlich de facto nicht mehr möglich ist, ihr Leben von eigener Hand zu beenden.

Ich lehne die Sterbehilfe ab für Menschen, die noch in der Lage sind, selbst Hand an sich zu legen. Aber in dem Fall, in dem jemand tatsächlich daran gehindert ist, wäre es für mich vorstellbar, daß ich diesem Menschen den Wunsch nicht abschlagen könnte (was ich aber letztendlich auch nicht genau weiß, da ich diese Situation noch nicht erlebt habe).

Und dann kommt wieder diese leidige Diskussion um das "Recht auf Sterben" und wie gemein und egoistisch ich doch sei, weil ich - bis auf diesen eben geschilderten Fall - Menschen dieses Recht nicht zugestehen würde.

Diese Position wird verdächtig oft von Menschen vertreten, denen andere Menschen (die eigene Familie ausgenommen) schnurz-piepe-egal sind. Und die verdächtig gern etwas schnell und reibungslos und ohne großen Aufwand regeln. Und die verdächtig oft in ihrer Arbeit mit Menschen den Einwand äußern "zu zeitintensiv, zu kostenaufwändig, nicht meine Aufgabe". Und eben solche Menschen vertreten den Standpunkt, es reiche aus, wenn man über juristische oder kaufmännische Kennntnisse verfügt, um sich zu so einem hochsensiblen und kompliziertem Thema zu äußern.

Und genau das ist ein verhängnisvoller Irrtum! Es sollten sich nur Menschen zu diesem Thema äußern, die Interesse an anderen Menschen haben und die in der Lage sind, Menschen in ihrer Individualiät und ihrer Komplexität wahrzunehmen. Dazu gehört zwangsläufig auch die Fähigkeit, eigenen Positionen selbstkritisch gegenüber zu stehen; wer dazu nicht in der Lage ist, wird ständig Eigenanteile in andere hineinprojizieren und ständig nur von den eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen ausgehen. Das ist das schlimmste, was man anderen antun kann.

Vor allem gehört zu dem hochsensiblem Thema der Sterbehilfe auch die Fähigkeit, sich offen und direkt auseinander zu setzen. Menschen, denen ihre Außendarstellung wichtiger ist als Authentizität, sollen sich um Himmels Willen von diesem Thema fernhalten und sich Themen widmen, von denen kein Menschenleben abhängt. Betreuer, die Kritik an ihrer Person verbieten (oder die dieses Kritikverbot verteidigen), disqualifizieren sich selbst für diese existentiellen Themen.

Für GEZ-Anträge, Haushaltsauflösungen und Geldverwaltung braucht man weder Selbstkritik noch Rückgrat. Für die Entscheidung, ob jemand sterben oder leben soll, ist beides unverzichtbar.

Sterbehilfe versus Sterbebegleitung

Kusch und sein Sterbeautomat

Und nochmals Montaigne

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Sonntag, 16. März 2008, 17:26h

Rauchverbot in Heimen

behrens

Bei meinem letzten Besuch in einem Heim für MS-Kranke wurde auch über das Rauchen meiner Betreuten gesprochen. Dies stellte in ihrem Fall schon immer ein Problem dar, denn die Betreute ist schon lage nicht mehr in der Lage, ihre Zigarette verläßlich selbst in der Hand zu halten, was eine stete Brandgefahr bedeutet. Als sie noch eine eigene Wohnung hatte, mußte ich ihr aufgrund dieser Gefahr das Rauchen in Abwesenheit Dritter verbieten.Ein Verbot, über das ich sehr unglücklich war, denn obwohl ich schon lange nicht mehr rauche, weiß ich, wie fürchterlich ein Schmachter sein kann.

Beim Wechsel in das Heim habe ich ihr dann gesagt, daß sie dort auch wieder rauchen kann, weil ja immer Personal in der Nähe ist. Das hat meine Betreute auch sichtlich gefreut.

Seit Januar gibt es nun in Deutschlang das Rauchverbot. Für Gesunde Menschen, die gern in der Öffentlichkeit rauchen, ist dies eine umständliche und ärgerliche Sache. Aber ein gesunder Mensch kann sich noch nach draußern vor die Tür bewegen, kann allein in einen für Raucher reservierten Raum gehen. Meine Betreute kann das nicht mehr, denn sie kann den Rollstuhl nicht mehr selbst bewegen.

Vor dem Rauchverbot konnte man im Flur auf jeder Etage eine Zigarette rauchen. Und auch in der Caféteria durfte man das. Jetzt muß jemand vom ohnehin knappen Personal meine Betreute hinunter nach draußen begleiten und sie dort auch wieder abholen. In die Caféteria will meine Betreute jetzt nicht mehr, weil sie es nicht mehr so interessant findet.

Meine Betreute ist 48 Jahre alt, hat die Pflegestufe III,kann so gut wie keine Tätigkeit mehr ohne Hilfe verrichten und ist somit voll und ganz abhängig von der Unterstützung Dritter. Zu ihren starken Schmerzen in den Beinen kommt noch ein ebenfalls schmerzhafter Dekubius. Rauchen war eines der wenigen kleinen Vergnügen, das sie noch hatte. Als ihr Mann noch lebte, haben die beiden es genossen, gemeinsam eine Zigarette zu rauchen.

Nun wird sie zwangsweise zum Nichtraucher. Die Gesundheit geht vor und allgemeingültige Regeln müssen sein.

Muß es wirklich sein, daß man kranke und hilflose Menschen jetzt auch noch in ihrer Entscheidung zu rauchen bevormundet? Menschen, deren Lebensqualität ohnehin sehr viel eingeschränkter ist als die eines gesunden Menschen. Menschen, die sehr viel weniger machen und selbst bestimmen können als Gesunde. Muß das wirklich sein?

Wenn das so weitergeht mit den rigorosen und undiffernzierten Reglementierungen, fange ich vielleicht aus lauter Protest bewußt am 1. Januar wieder an zu rauchen!

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Freitag, 7. Dezember 2007, 07:07h

95 Euro müssen reichen

behrens

95 Euro müssen reichen

Wer irgendwann einmal nicht mehr in seiner eigenen Wohnung leben kann und in ein Heim ziehen muß, erhält den sogenannten „Barbetrag zur persönlichen Verfügung“, der rund 95,00 Euro (exakt sogar nur 93,69 Euro) beträgt. Von diesen 95,00 Euro muß dann all das bezahlt werden, was man außerhalb der im Heim angebotenen Verpflegung und Aktivitäten benötigt. Und das ist eine ganze Menge. Angefangen von den Zuzahlungen für Medikamente, die auch ein Heimbewohner erst nach der einmaligen Zahlung von genau 41,64 Euro erhält, bis zu täglichen und monatlichen Kosten für Zeitung und Telefongebühren.

Aber auch wenn man bei dieser Rechnung erstmal einfach nur auf das Notwendigste zusammen rechnet, kommt schon eine Menge zusammen. Nehmen wir einfach mal die Kosten, die im medizinischen Bereich anfallen, wie z.B. die vielen Medikamente, die zwar notwendig sind, aber trotzdem nicht verschrieben werden und somit selbst gezahlt werden müssen. Auch einige dringend erforderliche medizinische Hilfsmittel, wie z.B. speziell gepolsterte Hosen für gebrechliche Menschen, die oft stürzen, müssen selbst gezahlt werden. Brillen und Hörgeräte, deren Notwendigkeit wohl von niemandem bestritten werden, müssen ebenfalls aus eigener Tasche gezahlt werden. Vorsorge wie gynäkologische Ultraschalluntersuchungen oder prophylaktische Maßnahmen wie Zahnreinigung gehen auch auf eigene Kosten. Die Fahrkarte zum Arzt oder für sehr gebrechliche Menschen das Taxi muß auch auf eigene Kosten beglichen werden.

Im Bereich der Körperhygiene muß der Heimbewohner alles allein zahlen. Selbst wenn ganz spartanisch auf nicht unbedingt notwendige Dinge wie Creme, Deo, Haarpflegemittel e.t.c. verzichtet wird, bleiben immer noch die Kosten für Seife, Shampoo, Rasiermittel und Zahnpasta. Der Friseurbesuch und die Fußpflege, die die meisten alten Menschen nicht mehr selbst vornehmen können, kommen auch noch hinzu.

Kontakte außerhalb des Heimes gibt es natürlich nicht zum Nulltarif und so müssen Heimbewohner, die auch gern mal mit ihren Bekannten und Angehörigen telefonieren möchten, wie jeder andere auch die Grundgebühren für ein Telefon zahlen, die trotz Ermäßigung immerhin noch 17,00 Euro betragen. Sollten Heimbewohner gar den Wunsch nach persönlichen Kontakten haben, müssen die Kosten für die Fahrkarten auch von den 95,00 Euro gezahlt werden. Es gibt für Heimbewohner weder eine Ermäßigung für Einzelfahrscheine noch für Seniorenabonnements. In Hamburg muß beispielsweise für eine Tageskarte rund 5,00 Euro und für eine Seniorenmonatskarte 33,00 Euro gezahlt werden.

Wenn man zynisch sein will, könnte man entgegnen, daß Fahrkosten ja gar nicht notwendig sind, denn alle Aktivitäten außerhalb des Heims sind ja sowieso viel zu teuer für einen Heimbewohner, denn von 90,00 Euro können weder Theaterbesuche, noch Ausstellungen noch Restaurants gezahlt werden. Besuche von Verwandten und Bekannten kosten zwar nur das Fahrgeld, aber für kleine Mitbringsel wie Blumen, Geburtstagsgeschenke oder etwas zu Naschen für die Enkelkinder muß verzichtet werden.

Rechnet man einfach mal nur die Kosten für Fußpflege, Telefon, Medikamentenbefreiung und eine Fahrkarte zusammen, dann verbleiben weniger als 25,00 Euro für alles Restliche!

Wie schön, daß die jetzigen Alten noch Sparsamkeit und Verzicht gelernt haben, denn ohne diese Tugenden würde ein Heimleben wohl kaum erträglich sein. Bei den nachfolgenden konsumverwöhnten Generationen kann man sich allerdings auch mit viel Phantasie kaum vorstellen, wie diese den Einschränkungen eines Heimlebens gewachsen sein sollen und es wird dann wohl zwangsläufig Änderungen, welcher Art auch immer, geben müssen. Der jetzigen Generation wir dies allerdings nichts mehr nützen. Die jetzige Heimgeneration, die die Entbehrungen der Kriegszeiten, der Inflation und einer erheblich härteren Arbeitswelt erleben mußte, darf jetzt ihren Lebensabend wie gehabt mit weiteren Entbehrungen verbringen.

Interessieren tut die ganze Problematik der Armut von Heimbewohnern aber außer einigen wenigen Angehörigen kaum jemanden, denn von Heimbewohnern bekommt man in der Öffentlichkeit nur wenig mit, weil ihnen das heute so entscheidende Merkmal der Werbewirksamkeit fehlt. Heimbewohner taugen denkbar schlecht als Zielgruppe. Man kann sie im Fernsehprogramm weder in Nannyshows, noch in Einrichtungsserien noch in Modellbewerben präsentieren. Mit anderen Worten: in den Medien fehlt für die Heimbewohner jede praktische Verwendung. Und das ist nun mal die Vorraussetzung für ein öffentliches Interesse.

Es gibt Betreuer, die meine Kritik als Anspruchsdenken ansehen. Dies hat einen bitteren Beigeschmack, wenn man bedenkt, daß Betreuuer nicht gerade zu den Leichtlohngruppen zählen, auch wenn einige von ihnen das Gegenteil behaupten. Es ist kein Anspruchsdenken, wenn jemand, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hat, im Alter menschenwürdig leben möchte. Möglichkeiten hierfür gäbe es sicherlich, wenn man Heimarmut nur einmal thematisieren würde. Die Verkehrsverbände und die Telefongesellschaften könnten beispielsweise bezuschußt werden um spezielle Tarife für Heimbewohner anzubieten. Wie gesagt, Möglichkeiten gäbe es, wenn es Menschen geben würde, die sich mal Gedanken darüber machen. Und zwar nicht erst dann, wenn man selbst im Heim lebt. Dann hört nämlich keiner mehr hin!

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Mittwoch, 28. November 2007, 04:25h

Sozialarbeit als Ware

behrens

Sozialarbeit als Ware

Schon seit einigen Jahren macht sich ein sonderbarer Wechsel in der Alltagssprache bemerkbar. In Ämtern werden die Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger e.t.c nur noch als „Kunden“ bezeichnet. Auch Pflegedienste bezeichnen ihre Patienten seit einiger Zeit als Kunden und in Heimen gibt es mittlerweile keine Bewohner mehr sondern ebenfalls nur noch Kunden. Selbst einige Betreuer bezeichnen ihre Betreuten inzwischen als Kunden und nennen sich jetzt selbst „soziale Dienstleister“

Man hat jetzt offensichtlich dem Bereich der Sozialarbeit Begrifflichkeiten übergestülpt, die aus dem Bereich der Wirtschaft stammen. Das Verhältnis Berater – Ratsuchender wird nun auf die kaufmännische Ebene gebracht und die Beratung wird zur Ware; der Berater zum Anbieter und der Ratsuchende zum Kunden. So weit – so gut, aber worin soll der Vorteil in dieser Umbenennung liegen? Als Ziel läßt sich vermuten, die seit jeher in den roten Zahlen steckende Sozialarbeit wirtschaftlicher zu machen und hierbei sollen marktwirtschaftliche Kategorien und Kriterien helfen. Hat sich dadurch aber jetzt irgend etwas inhaltlich verändert oder gar verbessert? Die Frage muß leider mit einem klarem „Nein“ beantwortet werden.

Nach wie vor kostet der soziale Bereich eine Menge Geld. Sicher, es sind diverse Einsparungen vorgenommen worden, aber an anderer Stelle haben genau diese Einsparungen wieder neue Ausgaben verursacht, denn weniger Kosten in der Beratung und Prophylaxe provozieren unweigerlich Mehrkosten in den Spätfolgen. Sozialarbeit ist und bleibt ein subventionierter Bereich und somit ist es irreführend und Augenwischerei, ihn einfach auf die Ebene des markwirtschaftlichen Warentauschs zu reduzieren. Soziale Verelendung kann man nicht allein nach kaufmännischen Gesichtspunkten bekämpfen. Es gibt hier keine Kunden, die völlig freiwillig irgendeinen Service entgegennehmen, den sie auch noch selbst bezahlen, sondern es gibt Menschen, die auf bestimmte Hilfen existenziell angewiesen sind und die nicht mehr die Möglichkeit der Wahl haben. Werden die Hilfen nur unzureichend geleistet, muß man mit Folgen rechnen wie erhöhter Kriminalität, vollen Psychiatrien und fehlgeschlagenen Eingliederungsmaßnahmen und es entstehen die sogenannten Parallelgesellschaften.

Reformen in der Sozialarbeit und im Bereich der sozialen Hilfen sind grundsätzlich notwendig und auch schon lange fällig. Aber Reformen sollten immer vorrangig von denjenigen vorgenommen werden, die tagtäglich mit den damit verbundenen Problemen konfrontiert sind und nicht von Wirtschaftsberatern, die ja leider oft genug schon in dem ihnen vertrauten Genre keine besonders überzeugenden Leistungen erbringen.

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Samstag, 17. November 2007, 07:56h

Armut als sichere Einkommensquelle für Betreuer

behrens

Armut als sichere Einkommensquelle für Betreuer

Mehr als 90 % meiner Betreuten sind arm und leben am Rande des Existenzminimums. Grundsicherungsleistungen, Hartz 4 oder eine kleine Rente plus Wohngeld – Armut wird aus verschiedenen Töpfen finanziert. Armut bedeutet hier in Deutschland nicht Hunger und Frieren. Anders als in der Nachkriegszeit oder als beispielsweise in Kalkutta oder Kabul sind hier die Grundbedürfnisse erfüllt und die Menschen müßten also zufrieden sein. Sind sie aber nicht, denn unsere Gesellschaft gleicht mehr einem riesigen Shoppingcenter als einem sozialen Gefüge. Während die überall und jederzeit präsente Werbung geschickt und ausgeklügelt ständig neue Bedürfnisse weckt, sollen Arme hier den Gürtel enger schnallen.

Armut gab es schon immer und Armut hatte auch immer schon ein häßliches Gesicht und man darf die sogenannten „guten alten Zeiten“ nicht verklären. Aber früher wurde man für den Umgang mit Armut erzogen. So enthielt zum Beispiel jedes alte Schulkochbuch noch diverse Spartipps (echte und falsche Buttercreme! Die Resteküche!) und lehrte, den schmalen Geldbeutel auszutricksen. Schulunterricht enthielt noch Stricken, Nähen, Kochen - allerdings der Rollenverteilung entsprechend nur für Mädchen, die Jungen hatten „Werken“, was jedoch auch in Richtung Sparsamkeit ging, selber Lampen bauen und Nähkästen herstellen. Spielzeug für die Kinder kam oft aus Eigenproduktion; der Vater baute die Puppenstube, die Mutter kleidete die Puppen ein. Die ganze Schulklasse hat einmal wöchentlich Sparmarken (20 bis 50 Pfennig) geklebt, die am Weltspartag in der Bank eingezahlt wurden.

Auch Freizeit war früher kostenlos oder zumindest kostenarm, den es gab noch keine Eventmanager (heute tatsächlich ein Ausbildungsberuf!), die entdeckt haben, daß man aus Menschen, die ihre Feste selbst organisieren auch Menschen machen kann, die dies plötzlich nicht mehr können.

Doch Vorsicht: würden die Menschen heute plötzlich wieder so wie unsere Großeltern leben und nur das kaufen, was sie wirklich bräuchten, hätten wir binnen zwei Wochen Massenentlassungen und noch mehr Arme. Sparsame und unabhängige Lebensweise ist nämlich auch wirtschaftsschädigend, denn Wirtschaft funtioniert nur, wenn aus voller Kraft gekauft wird.

Wie bereits gesagt, Armut hatte immer schon ein häßliches Gesicht aber heute ist aus der Armut zusätzlich noch eine lächerliche Karikatur des Wohlstands geworden, denn Arme versuchen verzweifelt den Lebensstil derer zu imitieren, die mehr Geld haben. Auch die Kinder von Hartz 4 Empfängern haben selbstverständlich Handys und einen PC und manchmal tragen sie auch Markenkleidung. Das war’s dann aber auch schon – keine wirklichen Interessen, keine aktive Beteiligung am sozialen Leben und völlige Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen. Und nicht selten muß Mama die Lebensmittel von einer der vielen öffentlichen Essensausgabestellen holen, da das Budget für die Nahrungsmittel schon mal für die Telefonrechnungen herhalten muß.

Die Solidarität mit Armen verschwindet zunehmend und Arme stellen immer mehr eine Bedrohung für diejenigen dar, die momentan (noch nicht) arm sind. Das Bild des Armen hat sich vom Mitleidserreger zum Feindbild gewandelt. Und das ist noch nicht einmal völlig unverständlich, denn jetzt stellen die Armen die gleichen hohen Ansprüche wie alle andern auch, ohne anscheinend auch nur einmal daran zu denken, daß andere ja für sie mitarbeiten müssen. Das wurmt natürlich besonders diejenigen aus den unteren Lohnschichten, die oftmals kaum mehr Geld als ein Hartz 4 Empfänger haben, wobei letzterer zumindest über Freizeit verfügen kann.

Diese ganze Entwicklung läßt sich nicht mehr zurückdrehen. Die absolute Priorität des Wirtschaftswachstums in unserer Gesellschaft ist nicht zu trennen vom Wachstum der Bedürfnisse und somit wird alles getan, um möglichst viele und möglichst neue Bedürfnisse zu wecken. Und das ist etwas, was die Wirtschaft erschreckend perfekt beherrscht. Aber einmal geweckte Bedürfnisse sind wie die Geister aus Goethes Zauberlehrling: man kann sie zwar herbeirufen aber nicht wieder zum Verschwinden bringen. Wir müssen also wohl oder übel leben mit Armen, die sich nicht mehr benehmen wollen wie Arme.

Was hat das alles jetzt mit Betreuungsarbeit zu tun? Wie der Titel schon sagt, für uns als Betreuer ist die zunehmende Armut eine sichere Einkommensquelle. Die Armut unserer Zeit hat eben nicht wie die Armut aus früheren Zeiten als Begleiterscheinung die Entwicklung von sozialen Kompetenzen sondern das Gegenteil ist eingetreten, nämlich der Verlust sozialer Fähigkeiten. Früher lautete der Wahlspruch „Armut macht erfinderisch“ und aus der Not wurde eine Tugend gemacht. Die Armen unserer Gesellschaft sind nicht mehr erfinderisch sondern resigniert und sämtliche Tugenden sind abhanden gekommen. Dafür gibt es aber jetzt ja uns Betreuer.

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