Dienstag, 24. Juni 2014, 20:29h

Späte Einsichten

behrens

Die vollständige Privatisierung öffentlicher Dienste war eine Verwirrung, von der wir uns stückweise verabschieden.“
Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen beim SPD-Parteitag

Energieversorgungsunternehmen, Heime, Krankenhäuser – aus unerklärlichen Gründen hat man sich von der Privatisierung mehr Effektivität versprochen. Das mag im Einzelfall ja durchaus mal funktionieren, aber die Regel ist es nicht und die große Verbesserung blieb aus. AGs, GmbHs, Agenturen – alles keine Garantie für bessere Resultate.

Auch im Bereich der rechtlichen Betreuungen wird schon seit längerem der Ruf nach behördlicher Einbindung laut. Wobei die Frage, ob dies letztendlich weniger Kosten verursachen würde, entscheidend von der zu Grunde liegenden Fallzahl abhängt. Warten wir’s ab.

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Freitag, 30. Mai 2014, 18:00h

Aus aktuellem Anlass – nochmals das Thema Kunde versus Klient

behrens

Zu meiner Verwunderung wird seit einigen Wochen einer meiner älteren Beiträge täglich mehrmals angeklickt. Es handelt sich um den Beitrag „Sprachliche Verwirrungen – aus Klienten werden Kunden.“ Ich habe daraufhin mal ein wenig gegoogelt und dabei wurde ersichtlich, dass es mittlerweile sehr viele Artikel zu der Thematik des Begriffswandels gibt und es wurden auch schon entsprechende Hausarbeiten hierzu verfasst.

Obwohl mich das Thema nach wie vor interessiert, habe ich mir die meisten Artikel ganz bewusst nicht angesehen. Dies ist nicht durch Desinteresse begründet, sondern dadurch, dass ich es mir schlichtweg nicht antun möchte, mich mit den haarsträubenden Theorien der Befürworter der Verwendung des Begriffs des „Kunden“ in der sozialen Arbeit auseinanderzusetzen. Da werden so absurde Argumente angeführt wie die, dass die herkömmliche Verwendung des Begriffs des Klienten den Betreffenden zu einem Objekt degradiert, indem er ihn in eine „defizitäre“ Rolle drängen würde. Hierbei werden sämtliche geschichtliche Entwicklungen in der sozialen Arbeit wie zum Beispiel das Leitbild des klientenzentrierten Arbeitens und der Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe hartnäckig ignoriert.

Was ebenfalls gänzlich ignoriert wird, ist die Tatsache, dass ein Hilfebedarf nicht das Gleiche ist wie ein Konsumbedürfnis. Wer dringend Hilfe braucht, weil er beispielsweise schwerkrank ist und sich sowie gegebenenfalls seine Angehörigen nicht mehr ausreichend versorgen kann, befindet sich nicht in derselben Situation wie jemand, der in ein Kaufhaus geht, weil er ein Konsumprodukt benötigt. Noch weitaus absurder ist jedoch die Ansicht, dass ausgerechnet „Kunden“ nicht den Status eines Objektes innehätten. Hierbei wird der betriebswirtschaftliche Hintergrund dieses Begriffes völlig ausgeblendet, der nicht zum Ziel hat, einen Kunden optimal zu behandeln, sondern darauf ausgerichtet ist, an einem Kunden maximal viel Geld zu verdienen. Wäre dies nicht so, dann würden wohl kaum Unsummen für das riesige Heer von Werbepsychologen ausgegeben werden, deren Aufgabe einzig und allein darin besteht, zu mehr Konsum zu verleiten.

Wird der bisherige sozialpolitische Begriff des Klienten tatsächlich gegen den wirtschaftspolitischen Begriff des Kunden ausgetauscht, dann passt auch der Begriff Sozialarbeit nicht mehr und müsste konsequenterweise neu definiert werden. Aber welcher Begriff wäre geeignet? Soziales Geschäftswesen? Soziale Dienstleistung – oder für diejenigen, die Anglizismen für unverzichtbar halten: Social Business? Steht dabei dann tatsächlich noch der Hilfeempfänger im Mittelpunkt wie ja so gern behauptet wird oder geht es dabei nicht vielmehr um diejenigen, die ein Interesse daran haben, die Arbeit mit möglichst geringem Zeitaufwand auszuführen? Weitere Fragen, die bei der Verwendung von rein wirtschaftlichen Begrifflichkeiten auftauchen: Was wird aus der wissenschaftlichen Begleitung, die für soziale Arbeit so unverzichtbar ist? Wird die dann durch „Markforschung“ ersetzt? Und was wird aus der ebenfalls unverzichtbaren Öffentlichkeitsarbeit? PR-Aktionen und Werbecampagnen?

Das eigentlich Interessante bei der Frage nach Sinn und Unsinn der Verwendung des Begriffs des Kunden wäre natürlich eine konkrete Überprüfung der Folgen, die sich durch die Begriffsänderung ergeben.Hierbei muss man jedoch zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass sich die Verwendung des Begriffs noch längst nicht überall etabliert hat. Außerdem gibt es auch unter all jenen, die einheitlich den Begriff des Klienten verwenden, gravierende Unterschiede im Umgang mit dem Klientel. Allein die Verwendung des Begriffs des Klienten sagt noch überhaupt nichts über dessen Behandlung aus. Aber ungeachtet dessen wird vermutlich irgendwann die Entwicklung zum Übergang zu neuen Begrifflichkeiten und Definitionen einsetzen.

Die entscheidende Frage wird dann sein: verhalten sich diejenigen, die den Begriff des Kunden verwenden, tatsächlich respektvoller und weniger autoritär als diejenigen, die den Begriff des Klienten verwenden? Wird einem „Kunden“ tatsächlich mehr Autonomie und Mitspracherecht eingeräumt als einem Klienten? Der Logik der Theorie des „Kunde = selbstbestimmtes Subjekt“ und „Klient = abhängiges Objekt“ zufolge müssten sich die „Kunden“ sehr viel besser behandelt fühlen als die Klienten. Aber genau daran habe ich Zweifel.

Ich habe in meinem früheren Kollegenkreis bereits das genaue Gegenteil erlebt. So tituliert ausgerechnet ein Betreuer, dessen Verhalten überall als ausgesprochen autoritär und respektlos beurteilt wird, seine Betreuten als Kunden. Auch wenn man diesen Einzelfall natürlich nicht verallgemeinern kann, so wird dadurch immerhin exemplarisch deutlich, dass die Verwendung des Begriffs des Kunden überhaupt nichts damit zu tun haben muss, ob der Klient respektvoll und auf Augenhöhe behandelt wird. Es ist nicht auszuschließen, dass der Hintergrund des Begriffswechsels eher auf das Gegenteil hinweist, nämlich auf eine Haltung, die die Komplexität einer sozialen Aufgabe auf den rein wirtschaftlichen Aspekt reduziert. Es geht dann folglich dabei nicht um die Aufhebung des angeblichen Status eines Objekts, sondern vielmehr um die Reduzierung auf die Funktion eines Käufers (denn genau das ist ein Kunde), die nur einen geringen Teilaspekt einer komplexen Sichtweise erfasst. Das ist dann weniger eine Frage des Respekts als vielmehr ein Frage der Arbeitsersparnis.

Um wieder auf den Ausgangspunkt meines Beitrags zurückzukommen, nämlich die Auseinandersetzung um den Hintergrund des Austauschs des Begriffs des Klienten gegen den des Kunden im Bereich der sozialen Arbeit – das unerwartet große Interesse an diesem Thema macht deutlich, dass es eben nicht nur um Begrifflichkeiten geht, sondern um nichts Geringeres als um die Vereinnahmung sozialer Arbeit durch rein wirtschaftliche Aspekte. Dies allein ist schon beunruhigend. Aber man erweist der Sozialpolitik einen Bärendienst, wenn man das Ganze dann noch als eine Verbesserung im Sinne von mehr Ebenbürtigkeit und mehr Mitbestimmung deklariert. Und last-not-least – das, was sich in der Wirtschaft abspielt, hat nicht unbedingt den Vorbildcharakter, an dem man sich kritiklos orientieren sollte…

Hier noch ein Tipp für diejenigen, die zur Thematik ein wenig weiterlesen wollen:
http://www2.fhstp.ac.at/~webmaster/equal_template/content/Downloads/03_Qualit%E4t-in-der-Beratung-Betreuung/Kundenbegriff_der_Sozialen-Arbeit.pdf

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Sonntag, 11. Mai 2014, 14:22h

Etwas, worum man die Franzosen beneiden muss – Mindestlohn

behrens

Während man es in Deutschland immer noch nicht geschafft hat, einen definitiven Mindestlohn festzulegen, gibt es in Frankreich das Salaire minimum interprofessionnel de croissance, kurz SMIC. Dessen Vorgänger, das salaire minimum interprofessionnel garanti, sprich SMIG gibt es sage und schreibe schon seit 1950! Mit anderen Worten – Deutschland, das so stolz auf sein Sozialsystem ist, hängt Frankreich in diesem Punkt runde 64 Jahre hinterher.

Was fällt mir so ein beim Thema Mindestlohn? Zum Beispiel meine erste Arbeitstelle in einem Zahnlabor, für die ich in den 70er Jahren einen Monatslohn von 450,00 DM erhielt. Auch wenn dies schon ewig zurückliegt, so war es auch damals schon so wenig, dass man, wenn man eine eigene Wohnung hatte, kaum davon leben konnte.

Als ich anschließend die Fachoberschule besuchte, war im Politikunterricht Tarifpolitik das Thema und ich brannte darauf, endlich etwas darüber zu erfahren, wieso Löhne möglich sind, von denen man gar nicht leben kann. Allerdings wurde meine Hoffnung enttäuscht. Es wurde über die Montan-Mitbestimmung, die IG-Metall und andere Gewerkschaften geredet, aber nicht über diejenigen, die wie ich in einem Zahnlabor arbeiteten. Als ich dann dieses Thema anschnitt, war die Antwort mehr als dürftig: „Betriebe, die sich keinem Arbeitgeberverband und keinen Tarifverträgen anschließen, verfügen über keine Lohntarife.“ Für meinen – ansonsten von mir sehr geschätzten – Politiklehrer war das Thema damit abgehakt. Ähnlich erging es mir dann auch während meines Studiums im Fach Sozialpolitik. Es wurden eingehend das Betriebsrätegesetz und Tarifbestimmungen besprochen, aber wieder wurde die Situation all derer, die in nicht tarifgebundenen Betrieben arbeiten, schlichtweg weggelassen.

Was hat es eigentlich zu bedeuten, dass man genau diejenigen völlig ignoriert, die ganz tief unten in der Lohnliste stehen und die somit am dringlichsten der Unterstützung bedürfen? All die Kellnerinnen, Friseusen, Putzfrauen, Taxifahrer arbeiten oftmals für so wenig Geld, dass der Lohn nicht selten noch mit Hartz IV (früher Sozialhilfe) aufgestockt werden muss, damit das Existenzminimum erfüllt ist. Und hierbei sollte deutlich betont werden, dass es in Deutschland beim Thema Mindestlohn nicht um 30, 20 oder 10 Euro geht, sondern um ganze 8,50 Euro!! Wieso findet diese Problematik trotzdem weder im Politikunterricht noch im Sozialpolitikseminar Beachtung?

Ich bin seit über dreißig Jahren Gewerkschaftsmitglied und habe die Mitgliedschaft auch während meiner Selbständigkeit beibehalten. Es ist bemerkenswert, dass ich äußerst selten Kollegen getroffen habe, die ebenfalls in der Gewerkschaft waren. Wenn ich meine Erinnerungen an die Ansichten zur Gewerkschaft Revue passieren lasse, dann fallen mir vor allen in Bezug auf meine Tätigkeiten in kaufmännischen Bereichen bemerkenswerte Äußerungen ein. Die am meisten vertretene Meinung unter kaufmännischen Kollegen war: „Wieso soll ich in der Gewerkschaft sein, ich kriege doch auch so das gleiche Gehalt. Da wäre ich ja schön doof, wenn ich dafür etwas bezahlen würde“. In einem Gespräch mit einer Pflegedienstleiterin machte diese kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen die Gewerkschaftsbeauftragte: „Die Gewerkschaft macht mit ihren Forderungen unser Sozialsystem kaputt“ war ihre Meinung. Bedenkt man, dass Pflegedienstleiterinnen vergleichsweise gut bezahlt werden, hätte man eigentlich fragen müssen, ob ihr dann nicht konsequenterweise das eigene Gehalt ein schlechtes Gewissen bereiten würde.

Als ich dann endlich im Alter von dreißig Jahren meine erste Stelle in meinem Beruf als Sozialpädagogin antrat, ging ich davon aus, dass zumindest Sozialarbeiter einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft positiv gegenüberstehen würden. Aber da hatte ich mich geirrt. Meine damalige Kollegin kündigte sofort nach Erhalt der ersten Gehaltsabrechnung ihre Mitgliedschaft, da infolge der relativ guten Entlohnung natürlich auch der Beitrag angehoben wurde. Kichernd erklärte sie mir: „ Ja, ich weiß, dass Du das blöd findest, aber ich bin nun mal nicht so politisch “.

Allerdings möchte ich auch eine positive Erfahrung nicht verschweigen, die ich während meiner Tätigkeit als Kellnerin machte. Es bestand ein ausgesprochen gutes Betriebsklima und es ergab sich, dass ein Kollege mich ansprach, ob ich nicht Lust hätte, einen Betriebsrat zu initiieren. Ich war sofort Feuer und Flamme und mein Kollege überredete die meisten der Kollegen zum Eintritt in die Gewerkschaft, damit wir von dort die entsprechende Unterstützung erhalten könnten. Es lief auch alles gut an, aber dann erhielt ich ein Angebot in meinem Beruf als Sozialpädagogin und verließ den Betrieb. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen, meinen Kollegen mit der Arbeit allein zu lassen, aber er hatte vollstes Verständnis dafür, dass ich die Stelle nicht ausschlagen würde. Der Kollege stand der Chefin – eine bekannt FDP-Politikerin und entschiedene Gewerkschaftsgegnerin – dann ziemlich allein gegenüber, so dass ich meine Möglichkeiten in meiner neuen Stelle im Arbeitsamt nutzte, um ihm so schnell wie möglich eine neue Stelle zu besorgen. Der Betriebsrat war damit ziemlich schnell ad acta gelegt, denn niemand hatte die Energie und die Lust, sich gegen die Firmenleitung durchzusetzen. Im nachherein betrachtet, war die Erfahrung also nur am Anfang positiv, betreffend das Interesse und den Einsatz, letztendlich aber negativ, da das Projekt Betriebsratgründung scheiterte.

Aber wieder zurück zu den Franzosen, die seit über einem halben Jahrhundert das haben, was für einen Sozialstaat unerlässlich ist – einen festgeschriebenen Mindestlohn. Was läuft anders in der Grande Nation?

Was sagt mein französischer Lebensgefährte (natürlich seit ewigen Zeiten Mitglied im „Syndicat“ = Gewerkschaft) zu diesem Problem: „Les allemands acceptent trop l’autorité. Ils ne sont pas du tout solidaire, en Allemagne les collègues me laissent très souvent seul avec mes problèmes. Le syndicat cherche trop les compromis.

Und wahrscheinlich ist es tatsächlich so: wir sind zu autoritätsgläubig, unsolidarisch, lassen Kollegen mit ihren Problemen allein und die Gewerkschaft ist zu kompromissbereit.

Ein irgendwie deutsches Problem also. Oder nicht?

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Samstag, 29. März 2014, 01:00h

Die tiefe Sehnsucht nach Demokratie und ihre Gegenspieler

behrens

Den vor kurzem gesendeten Film „Burning Bush“, in dem es um die Selbstverbrennung Jan Palachs im Jahr 1969 während des tschechischen Widerstands gegen die russische Besetzung geht, möchte ich nicht unkommentiert lassen. Mich beschäftigt die Frage, was in jemandem vorgeht, der sein Leben auf so grausame Art für eine Idee hingibt. Wie tief muss die Sehnsucht nach Demokratie sein und wie groß die Abneigung gegen die Diktatur, um so einen entsetzlichen Entschluss zu fassen?

Für manche mag sich das Thema des Films einzig auf den tschechischen Widerstand beziehen und somit besteht scheinbar kein wirklicher Bezug mehr zur Gegenwart. Für mich geht der Film jedoch über die damalige politische Situation hinaus, denn es geht um die Sehnsucht nach Demokratie schlechthin. Demokratie als Anti-Pol zur Diktatur und Machtmissbrauch. Diese Sehnsucht ist zeitlos und an keine bestimmte Epoche gebunden. Das, was jedoch in heutiger Zeit unwirklich anmutet, ist die Tatsache, dass jemand sein eigenes Leben auf grausame Art für diese Sehnsucht nach Demokratie opfert. Eine Zeit, in der Opportunismus schon fast zum guten Ton gehört und Anpassung als probates und intelligentes Mittel gilt, um gesellschaftlich voranzukommen.

Die Zeitlosigkeit des verzweifelten Wunsches nach Demokratie wird umso deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Demokratie nicht nur ein Terminus der politischen Ebene darstellt, sondern auch im gesellschaftlichen Feld des sozialen Miteinanders unverzichtbar ist. Auf der sozialen Ebene findet der in der Politik fungierende Diktator seine Entsprechung im autoritären Charakter. Man mag die politischen Diktatoren überwunden haben – der autoritäre Charakter ist ungebrochen da, er ist an keine bestimmte Epoche gebunden, sondern durchwandert alle Zeiten und alle Orte*. Ähnlich wie der Diktator umgibt er sich mit denjenigen, die ihm widerspruchslos und bedingungslos folgen. Er besitzt die unerschütterliche Überzeugung, dass ausnahmslos alle seiner Taten einen Segen für die Menschheit darstellen und seine Entscheidungen die einzig richtigen sind – wozu braucht man da noch Meinungsfreiheit und Mitbestimmung?

Mich hat die Geschichte Jan Palachs zutiefst berührt und ich schwanke zwischen Bewunderung und dem Gedanken, warum er die Gewalt nicht lieber gegen die Aggressoren richtete anstatt gegen sich selbst. Aber genau das macht Menschen wie ihn aus – der Verzicht auf Gewalt gegen Dritte.

Wie singt Joan Baez in der Ballade über Joe Hill: „Takes more than that to kill a man said Joe – I didn’t die.

Das tröstet zumindest ein wenig – nicht nur die autoritären Charaktere sind unsterblich, die Idealisten sind es auch.

* so auch im beruflichen Umfeld, wie ich ja ab und an hier schon geschildert habe.

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Montag, 17. März 2014, 13:53h

Magenschmerzen oder Selbstbeweihräucherung?

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Wahrscheinlich haben die meisten schon von Inge Hannemann gehört, eine ehemalige Mitarbeiterin des Jobcenters, die durch ihre Weigerung bekannt wurde, die Sanktion der Kürzung des Arbeitslosengeldes auszusprechen, da ihrer Meinung nach ein Existenzminimum nicht noch weiter geschmälert werden dürfe. Gegen die daraufhin ausgesprochene Freistellung des Jobcenters, die sogar mit einem Hausverbot verbunden wurde legte sie Rechtsmittel ein. Der endgültige Ausgang des Verfahrens steht noch aus.

Es sei dahingestellt, ob es arbeitsmarktpolitisch tatsächlich unproblematisch ist, bei Ablehnung von Stellenvorschlägen grundsätzlich auf Sanktionen zu verzichten. Worum es mir hier in diesem Beitrag geht, sind die Reaktionen, die Hannemann in Teilen der Öffentlichkeit hervorrief. Denn bei diesen Reaktionen ging es erstaunlicherweise oftmals eben nicht um das Für und Wider in Bezug auf Sanktionen des Jobcenters, sondern um Spekulationen über Hannemanns Motive. Diese lägen nach Meinung einiger nicht in der Sache an sich, sondern in Geltungssucht und Profilierungsstreben. Bemerkenswert an dieser Einschätzung ist das völlige Unverständnis gegenüber Menschen, die sich offen gegen eine als Missstand empfundene Praxis aussprechen. Da hat jemand einen sicheren und halbwegs gut bezahlten Job und gefährdet diesen durch ein öffentliches Statement – kann man dies anders als mit einem Defekt in der Persönlichkeit erklären?

Ein wenig erinnert mich das an die Reaktionen einiger meiner ehemaligen Kollegen, wobei ich mir nicht anmaße, mich mit Inge Hannemann vergleichen zu wollen, denn die hat im Gegensatz zu mir ihre ganze berufliche Existenz aufs Spiel gesetzt und sich außerdem öffentlichen Angriffen weitaus mehr ausgeliefert als ich es tat. Allerdings ist die Reaktion trotz aller Unterschiede die Gleiche – bei offenem Äußern von Kritik wird die Sachebene verlassen und auf die Beziehungsebene gewechselt. Die Liste der Argumente ist lang und reicht von dem Vorwurf „Du willst immer die Gute sein“ bis zu der Annahme, man wolle „auf Konkurrenz“ machen oder wolle – Standardvorwurf meines früheren Kollegen – „mich beweihräuchern“. Um die Auseinandersetzung dann vollends im Keim zu ersticken, spricht man dann noch ein Hausverbot aus oder schließt jemanden von der Homepage aus.

Inge Hannemann hat Magenschmerzen dabei, Menschen unter das Existenzminimum rutschen zu lassen und mir ging es genauso, wenn ich mitbekam, wie dies mittellosen Betreuten dadurch widerfuhr, dass kostspielige und völlig unsinnige Mandate erteilt wurden oder wenn der Wunsch, mehr als ein Heimtaschengeld zur Verfügung zu haben als Anspruchsdenken abgewertet wurde.

Im Grunde bringt es nichts, mit Menschen zu diskutieren, deren Verständnis es hoffnungslos übersteigt, wenn jemand nicht nur einfach möglichst gut verdienen will, sondern sich auch für diejenigen einsetzen möchte, die am Rande der Gesellschaft stehen. Was glücklicherweise jedoch noch nicht bedeutet, dass es überhaupt keine Diskussionen mehr gibt, denn es bleiben ja noch all jene, die offen sind für eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik ohne dabei absurde Motivationen wie Selbstbeweihräucherung oder Geltungsdrang zu unterstellen. Denke ich beispielsweise an meine Studienzeit zurück, dann ist es nur schwer vorstellbar, dass jemand der Studenten den Vorwurf der Geltungssucht gegen Hannemann erhoben hätte, selbst wenn manche ihre Ansicht sicher nicht geteilt hätten. Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen einem sozialwissenschaftlichen Hintergrund und einem kaufmännischem, es geht genau darum – sich für diejenigen einzusetzen, die Benachteiligungen ausgesetzt sind. Mit anderen Worten, Positionen, die aus kaufmännischer Sicht als Ausdruck von Geltungsdrang oder Selbstbeweihräucherung bewertet werden, entsprechen aus sozialarbeiterischer Sicht ganz normalen Standpunkten, für die sich niemand rechtfertigen muss.

Bleibt also positiv festzuhalten, dass es neben denjenigen, die anderen Menschen unlautere Motive unterstellen auch immer jene geben wird, die ebenfalls Magenschmerzen dabei empfinden wenn Menschen ins Abseits gedrängt oder übervorteilt werden. Und sei's auch nur aus dem mehr oder weniger egoistischen Beweggrund heraus, dass man selbst vielleicht schon morgen auch dazugehören könnte...

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Montag, 17. Februar 2014, 14:54h

Parteipolitisches Schmierentheater

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Seit Tagen verfolge ich nun schon die Ereignisse rund um Edathy und es ist kaum noch erträglich, was sich da abspielt. Gleichzeitig ist es eine Lektion über die Mechanismen politischen Handelns. Handeln, welches sich nicht primär an gesellschaftlichen Zielen orientiert, sondern sich auf politisches Kalkül reduziert.

Wann und wo und wer hat etwas gesagt? Bei der Beantwortung dieser Frage versucht momentan nicht nur jeder, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen sondern gleichzeitig auch noch parteipolitisch auszuteilen.

Warum gibt ein Innenminister streng vertrauliche Informationen an eine Partei weiter, der er nicht angehört? Weil er im Hinblick auf die große Koalition verhindern will, dass Posten mit jemandem besetzt werden könnten, der aufgrund von nachgewiesener Straftaten dafür ungeeignet ist? Oder aber, weil er lediglich den guten Ruf gefährdet sieht und hofft, dass seine Information das Vordringen an die Öffentlichkeit verhindert?

Warum gibt ein Franktionsvorsitzender die Information über die Verletzung der Geheimhaltung weiter? Aus der (wenig glaubwürdigen) Vorstellung heraus, dass dies keine weiteren Konsequenzen haben wird? Oder weil er dadurch den Fokus vom vermeintlich straffälligen Parteigenossen auf die vermeintliche Strafvereitelung des Ministers einer anderen Partei lenken will?

Was mir bei alldem so bitter aufstößt, ist der Umstand, dass es zu keinem Zeitpunkt wirkliche Empörung über den Tatbestand der Kinderpornographie gab, sondern es einzig um die Absicht der Schadensbegrenzung in Hinsicht auf den guten Ruf geht.

Der Beschuldigte selbst sieht sich jetzt in der Opferrolle, da es sich bei dem bei ihm gefundenem Material nicht um kinderpornographische Schriften handeln würde, sondern um Schriften aus der Grauzone der legal zugänglichen Fotos. Selbstverständlich gilt auch für einen Politiker die Unschuldsvermutung, aber die Tatsache des Besitzes von Fotos, auf denen Kinder als Sexware vermarktet werden zu ignorieren und letztendlich die Aufmerksamkeit nur noch auf die vermeintlichen Ermittlungsfehler anderer zu lenken, mag in Machtpositionen eine anerkannte Strategie sein, von Verantwortungsbewusstsein zeugt sie nicht. Dabei geht es nicht darum, jemanden für seine pädophilen Neigungen anzuprangern, sondern um den Umgang damit und um deren Aufarbeitung.

Vielleicht ist dies das Charakteristische an der ganzen Angelegenheit: die ganze Herrenriege – denn es ist eine reine Herrenriege – sieht sich in der Opferrolle und übertrifft sich gegenseitig im Anführen juristischer Spitzfindigkeiten. Und bei alle dem geht es allein um eins: den guten Ruf in der Öffentlichkeit zu wahren.

Wichtig zu betonen, dass dieses Verhalten nicht auf Politiker begrenzt ist, sondern überall dort anzutreffen ist, wo es um Geld und Macht geht. Der gleiche Vorfall würde sich in einem beliebigen anderen Tätigkeitsfeld genauso abspielen. Auch dort würde es sofort um nichts anderes als um die Bewahrung des guten Rufs und somit einzig um Machterhalt gehen. Wenn es allein um Gewinn geht, wird sowohl bei Straftatbeständen als auch bei grenzwertigen Praktiken immer Vertuschung und nie Aufklärung das Ziel sein.

Kinder, die man auf entwürdigende und unmenschliche Weise für die kranke Sexualität Erwachsener missbraucht und denen damit nicht nur die die Kindheit, sondern auch das Leben als Erwachsener zerstört wird – das scheint bei alldem keine wirkliche Empörung hervorzurufen. Dies wäre wohl nur dann der Fall, wenn es die eigenen Kinder beträfe.

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Montag, 3. Februar 2014, 02:19h

Ein krönender Abschluss durch eine Stiftung – der späte Gesinnungswandel des Michael-Corleone-Prinzips

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Manche lügen schon beim Denken.
Hans-Horst Skupy

Wahrscheinlich kennen die meisten Francis Ford Coppolas Trilogie „Der Pate“. Während es bei den beiden ersten Teilen um die Darstellung des Aufstiegs eines Mafia-Clans geht, geht es im dritten Teil um das genaue Gegenteil, nämlich um einen Ausstieg und den Versuch einer Kehrtwende hin zur gesellschaftlichen Anerkennung. Diese Wandlung setzt bezeichnenderweise erst ein, nachdem alles, was man erreichen kann, auch erreicht ist – keine Minute eher. Die Karriere, in der es bisher ausschließlich um die eigene Person ging, erhält den krönenden Abschluss durch die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung. Altruismus statt Egoismus heißt die neue Devise.

Mir gefällt gerade der dritte Teil der Trilogie deswegen so gut, weil dessen Thema längst nicht nur die Gefilde der großen Kriminalität und der Kapitalverbrechen betrifft, sondern auch die ganz normale Geschäftswelt. Dort, wo es ohne Rücksicht auf Verluste um Profit um jeden Preis geht, aber immer gekonnt an den Grenzen der Straffälligkeit vorbeijongliert wird. Dort, wo die Möglichkeiten des Gewinns grundsätzlich bis zur Schmerzgrenze ausgereizt werden und andere Menschen immer nur Mittel zum Zweck sind.

Jetzt könnte man einwerfen, dass Kapitalverbrechen nicht so einfach mit Gewinnsucht gleichgesetzt werden kann, schließlich sind die Auswirkungen der organisierten Kriminalität ungleich schlimmer als die des Profitstrebens, selbst wenn dieses noch so extrem ist. Das mag auch zutreffen, aber man vergisst bei dieser Argumentation, dass beide Bereiche diese Gesellschaft schädigen und beide fast immer auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Was die Wandlung zum Altruisten betrifft, um die es in diesem Beitrag geht, so ist es sowohl für den Bereich der Kriminalität als auch für die Grauzone des reinen Profitstrebens gleichermaßen bezeichnend, dass bei diesem Typus die Wandlung erst eintritt, nachdem weitaus mehr angehäuft wurde, als überhaupt jemals verbraucht werden könnte und das Abgeben somit überhaupt nicht mehr ins Gewicht fällt. Beiden Fällen ist die Haltung gemeinsam des „Schaut her! Ich habe es nicht nur zu etwas gebracht, ich tue der Gesellschaft dabei auch noch etwas Gutes!" Während diese Gesinnungswandler einen derartigen Umschwung bei anderen sofort spöttelnd als inszenierten Selbstbetrug erkennen würden, unterliegen sie im Hinblick auf sich selbst einer bemerkenswerten Selbsttäuschung und scheinen tatsächlich der festen Überzeugung zu sein, die Gesellschaft durch ihr Dasein zu bereichern.

Eine Stiftung, deren Gelder durch Kriminalität oder durch auf Ellbogenmentalität beruhenden grenzwertigen Praktiken verdient wurden, entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit, denn das Motiv für die Kehrtwende zum Altruismus besteht nicht in der guten Absicht als solche, sondern lediglich in dem Wunsch nach einer positiven Außenwirkung, die das bisherige Handeln vergessen lässt und somit die Funktion einer Art Absolution erfüllt. Daran ändert auch das Argument nichts, eine Kehrtwende sei doch immerhin besser, als wenn so wie bisher weitergemacht werden würde. Dies ist ein Trugschluss, denn es kommt nicht darauf an, irgendwann in ferner Zukunft ein lobenswertes Ziel zu erreichen, sondern es ist entscheidend, auf welche Weise dieses Ziel erreicht wird. Auf dem langen Weg zum „Irgendwann“ kann nämlich sehr viel Schaden angerichtet werden und dies kann empfindlich lange dauern für all diejenigen, die auf dieser Wegstrecke als Mittel zum Zweck missbraucht wurden. So etwas wird nicht einfach dadurch ungeschehen gemacht, dass von viel zusammengerafftem Überfluss ein kleines bisschen abgegeben wird.

Und ehe ich jetzt auf den konkreten Bezug eingehe, der mich zu diesem Beitrag bewegt hat (den gibt es nämlich…) schließe ich mit dem weisen Kommentar, mit dem Michael Corleones Ex-Frau May auf die feierliche Huldigung der Stiftungsgründung reagiert. Im Gegensatz zu der Begeisterung der anderen Teilnehmer lautet ihre Bemerkung lapidar: „Es ist unerträglich!“

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Montag, 6. Januar 2014, 02:11h

Der Stoff, aus dem Gewalt ist

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Die Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt als politische Aktion besteht in dem Umstand, dass Gewalt per se schon die Ablehnung von Auseinander- setzungen beinhaltet. Gewalt bezieht ihre Existenz aus dem Schwarzweißdenken und Differenzierung jeglicher Art ist ihr verhasst oder zumindest fremd. Dies hat die fatale Folge, dass Ablehnung von Gewalt gleichgesetzt wird mit der Leugnung der Missstände, gegen die sich die Gewalt wendet. Dieser Logik zufolge werden unterschiedslos all jene, die Gewalt als Mittel zur Behebung gegen gesellschaftliche Missständen ablehnen, sofort denjenigen zugeordnet, die die Missstände bestreiten.

Ich spreche von den Auseinandersetzungen um die Rote Flora, ein autonomes Zentrum in einem Hamburger Stadtteil, das verkauft werden soll. Die Gewalttätigkeit der Aktionen gegen den Verkauf hat erheblich zugenommen. Es gibt sehr gute Gründe für die Ablehnung des geplanten Verkaufs, der nicht auf die Situation der in dem Stadtteil lebenden Menschen ausgerichtet ist, sondern in erster Linie auf kommerzielle Interessen. Zu oft hat man es erlebt, wie Städteplanung Menschen regelrecht aus ihren Stadtteilen vertreibt und es gibt diverse Beispiele dafür, wie man an den Interessen von Menschen vorbeiplant und dadurch die soziale Kluft weiter vergrößert.

Die Diskussion um Gewalt zur Durchsetzung politischer Forderungen ist vom Grundsatz her nicht auf die Rote Flora begrenzt – es könnte sich genauso gut auch um Hausbesetzungen, Atomkraftwerke oder Aufrüstung handeln. Worum es im Wesentlichen geht, ist die Frage, mit welchen Mitteln für oder gegen etwas gekämpft werden soll. Und dabei kommt es dann zu dem genannten Dilemma, dass es kaum möglich ist, Gewalt abzulehnen ohne dabei sofort als Befürworter der Gegenseite eingestuft zu werden und dadurch grundsätzlich als diskussionsunwürdig zu gelten. Ein bisschen scheint dies übrigens auch ein typisch deutsches Problem zu sein, unter den Ausländern meines Bekanntenkreises geht es bei dieser Thematik meist weniger polarisierend zu.

Ich habe gerade einen Artikel über die Kriegseuphorie unter den deutschen Intellektuellen zu Beginn des ersten Weltkriegs gelesen und manches ist der Thematik der Gewaltaktionen durchaus ähnlich. Es ist die Überzeugung des "Wir sind die Guten“, die den Soldaten mit dem Revolutionär oder dem Straßenkämpfer eint. Eine Überzeugung, die von Schuld- oder Reuegefühlen befreit, denn schließlich setzt man sich für etwas ein, das für alle gut ist und bekämpft somit das Böse. Menschen, die auf Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung setzen sind grundsätzlich davon überzeugt, im Recht zu sein und fühlen sich berufen, der Gerechtigkeit mit Gewalt Nachdruck zu verleihen. Das Tragische daran ist, dass durch die Legitimierung jeglicher Form von Gewalt dem Gegner das Menschsein abgesprochen wird.

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Friede ist der Weg“ formulierte Mahatma Gandhi. Dieser Ansicht folgend kann man nur zu dem Schluss kommen, dass der konkrete Weg das Entscheidende ist und nicht das in ferner Zukunft liegende Ziel. Gewalt als Mittel zur Auseinandersetzung ist Selbstzweck. Vielleicht erinnert sich mancher an das Foto von Joschka Fischer, das vor einigen Jahren durch die Presse wanderte und ihn bei einer Straßenschlacht auf einen Polizisten einprügelnd zeigt. Nun, inzwischen hat sich vieles geändert und Herr Fischer schlägt nicht mehr auf Polizisten ein, sondern arbeitet unter anderem als Unternehmensberater für Firmen, deren Ziele nicht gerade auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sind und weit entfernt liegen von dem, was Herr Fischer früher einmal anstrebte. Oder sehen wir uns Horst Mahler an, der früher aus voller Überzeugung die RAF vertrat und mittlerweile ganz rechtsaußen steht. Oder erinnern wir uns an die Entebbe-Entführung, die sich nur gegen jüdische Passagiere richtete. Die Entführer kamen nicht aus dem rechten Umfeld, sondern aus den revolutionären Zellen. Eben jene Organisation die für sich in Anspruch nahm, die Verantwortlichen für die Greueltaten des zweiten Weltkriegs zur Rechenschaft zu ziehen.

Aber man muss gar nicht prominente Beispiele zitieren, oftmals finden sich auch schon im eigenen Bekanntenkreis Menschen, deren vorgeblich auf Gerechtigkeitssinn basierende Gewaltbejahung sich später als reiner Selbstzweck entpuppt. Ein früherer Bekannter von mir hat Gewalt gegen die Staatsmacht vehement damit gerechtfertigt, dass der Staat sich nur für die Wohlhabenden einsetzt und seine Verpflichtung gegenüber den sozial Schwachen gänzlich vernachlässigt. Mit den eigenen Verpflichtungen nahm es der Betreffende allerdings nicht so genau; er hatte noch nie einen Cent Unterhalt für sein Kind gezahlt, geschweige denn die Mutter seines Kindes in der Erziehung unterstützt. Auch der Kollegenkreis ist nicht frei von jenem Typus. „Ich war kurz davor, mir eine Waffe zu nehmen und zur RAF zu gehen“, sagte mir ein Kollege, der dies dann allerdings doch nicht tat, sondern stattdessen lieber Betreuer wurde. Das eigentlich Interessante an dieser Wandlung ist, dass aus jemanden, der einst den Staat mit Gewalt bekämpfen wollte, jemand geworden ist, der mittlerweile bei Konflikten eben jene einst so verhasste Staatsmacht zur Hilfe ruft, indem er selbst bei Lappalien die Polizei einschaltet und bei dem leisesten Anflug von Kritik rechtliche Schritte androht. Dies Verhalten wird durch ein autoritäres Auftreten abgerundet, mit dem derjenige jeden Feldwebel in den Schatten stellt.

Resümee meiner Erfahrungen mit gewaltbereiten Menschen ist, dass Gewalt keinen anderen Grund hat als Lust an Gewalt und Macht. Alle anderen Auslegungen sind Augenwischerei. Auch wenn das Argument der Wirkungslosigkeit friedlichen Widerstands oftmals schmerzhafte Realität ist und mancher Amoklauf als Reaktion auf soziale Missstände allzu nachvollziehbar scheint – es ist durch nichts zu rechtfertigen, einem Menschen das Gesicht mit einem Stein zu zertrümmern. Derartige Aktionen sind Ausdruck einer tiefen Menschenverachtung und werden nichts anderes bewirken als eine Eskalation der Gewalt, die letztendlich auch völlig Unbeteiligte ausbaden müssen.

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Dienstag, 5. November 2013, 16:20h

Standesdünkel – Seelenverwandter des Rassismus

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Schon seit längerem schiebe ich es vor mich her, etwas über die Gemeinsamkeiten von Standesdünkel und Rassismus zu schreiben. Was mich zögern ließ, ist der Umstand, dass der Begriff des Rassismus mittlerweile äußerst inflationär benutzt wird, wodurch dieser Begriff so verwässert wurde, dass es schwierig ist, ihn einem Vergleich zu unterziehen. Ist es also überhaupt möglich, auf der einen Seite Kritik an der undifferenzierten Verwendung des Begriff Rassismus zu üben und auf der anderen Seite diesen Begriff einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen? Ja, ich glaube, dass das eine dem anderen nicht widerspricht, denn es stellt einen erheblichen Unterschied dar, ob auf jegliches Problem im Zusammenleben verschiedener Kulturen mit dem Vorwurf des Rassismus reagiert wird oder ob man die diskriminierenden Merkmale des Rassismus anderen gesellschaftlichen Diskriminierungen vergleichend gegenüberstellt. Und obwohl momentan oftmals eine wirkliche Auseinandersetzung von vorneherein durch den Vorwurf des Rassismus verhindert wird, ist es unbestreitbar, dass es nach wie vor die rassistische Einstellung gibt, derzufolge Menschen aufgrund von körperlichen Merkmalen auf psychosoziale Eigenschaften festgelegt und abgewertet werden. Eine Einstellung, die schon immer jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt hat und einzig und allein der Legitimation von Herrschaftsverhältnissen dient.

Was eben nicht mit Rassismus gleichgesetzt werden darf, ist die Tatsache, dass es natürlich kulturelle Unterschiede gibt, die vielfache Auswirkungen im gesellschaftlichen Miteinander haben und die oftmals ein erhebliches Konfliktpotential darstellen. Wie gesagt – die pauschalierende und undifferenzierte Gleichsetzung jeglicher Kritik mit Rassismus macht es nicht gerade leicht, sich dem Thema der gemeinsamen Wurzel von Rassismus und Standesdünkel zu widmen. Ich will es trotzdem versuchen.

Rassismus bewegt sich immer zwischen den beiden Polen der Herabwürdigung anderer und der Überhöhung der eigenen Person und steht für eine Weltsicht, die nie den Menschen an erster Stelle sieht, sondern nur dessen fragwürdige Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe. Rassismus lebt vom Festhalten an vermeintlichen Unterschieden und ist nicht ohne die Ideologie des hartnäckig verteidigten Rechts auf Privilegien denkbar. Und genau dies macht seine Seelenverwandtschaft zum Standesdünkel deutlich. Während Zuordnungen zu vermeintlichen Rassen ein theoretisches Konstrukt sind, stellt die Beanspruchung von Privilegien dessen praktische Umsetzung dar. Darin besteht das Bindeglied zum Standesdünkel. Was Rassismus und Standesdünkel gemein ist, ist das Messen mit zweierlei Maßstäben.

Während ich früher der Meinung war, Standesdünkel findet man in erster Linie in aristokratischen Familien oder in den Chefetagen von Konzernen und Banken, so wurde ich längst eines besseren belehrt, denn auch andere Bereiche sind davon infiziert und leider ist auch der Bereich sozialer Arbeit nicht frei davon. Letzteres ist besonders tragisch, denn das Kennzeichnende einer Tätigkeit in sozialen Arbeitsfeldern ist ja gerade die Unterstützung von gesellschaftlich Benachteiligten und die Grundlage ist Solidarität und nicht Distanzierung. Soziale Arbeit darf und kann nur im Rahmen der humanistischen Maxime der Gleichheit ausgeführt werden und ist daher weder mit rassistischen Einstellungen noch mit Standesdünkel vereinbar. Und daraus folgt zwingend auch die Unvereinbarkeit mit dem vermeintlichen Recht auf Privilegien.

Und genauso wenig wie ein humanistischer Ansatz mit dem Anspruch auf Privilegien vereinbar ist, genauso wenig ist ein humanistischer Ansatz vereinbar mit der äußerst zweifelhaften Ideologie der Unterschiede der Bedürftigkeit. Um dies an einem Beispiel zu veranschaulichen: wenn sich ein Betreuer in steter Regelmäßigkeit über sein zu geringes Einkommen und die zu geringe Altersversorgung beschwert, obwohl sein Einkommen ausreichend ist für den alle 2 bis 3 Jahre erfolgenden Erwerb einer neuen Immobilie, so ist es völlig unverständlich, dass gerade dieser Betreuer Menschen Anspruchsdenken vorwirft, die ihren Altersabend nach einem Leben harter Arbeit nicht mit 100,00 € Taschengeld fristen wollen. Verständnis werden dafür nur diejenigen aufbringen, die das Recht auf Privilegien vertreten, also all jene, in deren fragwürdiger Weltsicht es je nach Herkunft, Berufsgruppe oder Rasse zwingend Unterschiede geben muss.

Ein weiteres Beispiel für diese zweifelhafte Haltung stellt jemand dar, der Meinung vertritt, dass eine sogenannte „hochqualifizierte“ Arbeit mehr wert ist als eine mit weniger Qualifikation verbundene Arbeit und der folglich mit strikter Selbstverständlichkeit auf Privilegien besteht, die er anderen auf keinen Fall zugestanden wissen will. Wie bereits erwähnt – in Chefetagen verwundert so eine Einstellung nicht, im Bereich der sozialen Arbeit stellt dies jedoch ein Armutszeugnis da. Die Sichtweise, derzufolge Arbeit zwingend in hochwertig und minderwertig eingeteilt werden muss, befindet sich in gefährlicher Nähe zu einer Einstellung, aufgrund der nicht nur die Arbeit, sondern auch die Menschen als solche in hochwertig und minderwertig eingeteilt werden.

Standesdünkel bezieht sich natürlich nicht nur auf den beruflichen Lebensbereich, sondern auch auf den familiären und auch hier gilt, dass es jeglichen humanistischen Grundsätzen widerspricht, wenn für die eigenen Angehörigen vehement Bedingungen eingefordert werden, die man bei anderen als grundsätzlich verzichtbar einstuft. Um jeden Preis eine gute Schulausbildung für das eigene Kind anzustreben, aber völlig gleichgültig gegenüber den Ausbildungsmöglichkeiten des restlichen Teils der Gesellschaft zu sein – das ist eine Einstellung wie sie in der Kolonialherrschaft bestand, in der man Menschen in zwei Klassen einteilte und Rechte für die Einheimischen als völlig überflüssig einstufte. Dabei wird deutlich, dass die Problematik des Standesdünkels sich nicht nur auf die Fragen des Zugangs zu gesellschaftlichen Möglichkeiten beschränkt, sondern auch immer mit einem Defizit an zwischenmenschlichen Respekt verbunden ist.

Man könnte noch etliche Beispiele anführen und ich habe dieses Thema ja auch schon in früheren Beiträgen des Öfteren angeschnitten. Worauf es mir in diesem Beitrag ankommt, ist die Verdeutlichung der Menschenverächtlichkeit des Standesdünkels und der damit verbundenen verheerenden gesellschaftlichen Auswirkungen, wobei ich deutlich machen möchte, dass diese Auswirkungen denen des Rassismus in keiner Weise nachstehen. Erst wenn man zur Kenntnis nimmt, dass Standesdünkel die gleiche Gefahr wie Rassismus beinhaltet, wird man in der Lage sein, ihm auch genauso entschieden zu begegnen.

Man mag zu Bedenken geben, dass Standesdünkel im Gegensatz zum Rassismus nicht zu Vernichtungslagern und Versklavung führt und deswegen harmloser ist. Dabei wird allerdings ausgeblendet, wie gefährlich die soziale Verelendung inzwischen vorangeschritten ist und welch ein Gewaltpotential dadurch entsteht. Ein Gewaltpotential, das durch Strukturen bedingt wird, die ethische Grundsätze auf den eigenen beruflichen oder familiären Gesellschaftsstand beschränken.

Für mich stellt es einen erschreckenden Umstand dar, dass die mühsam erkämpften Grundsätze der Gleichheit und der Menschenwürde nicht nur in der Geschäftswelt verloren gegangen sind, sondern mittlerweile auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen und letztendlich auch der Bereich der sozialen Arbeit nicht davon verschont blieb. Bisher war soziale Arbeit noch ein Refugium, dem zwar wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch durch Sparzwänge enge Grenzen gesetzt wurde, aber in dem dennoch die Motivation immer am humanistischen Ziel der Verringerung von sozialer Benachteiligung orientiert war.

Um auf das Ausgangsthema der Seelenverwandtschaft von Standesdünkel und Rassismus zurückzukommen – es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Rassismus und Standesdünkel. Beides ist in höchster Weise menschenverachtend und gefährlich und somit mit humanistischen Werten in keiner Weise vereinbar. Im Klartext stellt Standesdünkel genauso wie Rassismus nichts anderes dar als das Einteilen der Menschheit in Unter- und Herrenmenschen. Wo dies hinführt, sollte uns noch gut im Gedächtnis sein. Und deswegen erfordert beides gleichermaßen höchste Achtsamkeit und ein entschiedenes und lautes: Nein!

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Samstag, 16. März 2013, 15:33h

Gründe für das Ansteigen der Betreuungszahlen

behrens

Bereits zweimal wurde jetzt in Fernsehsendungen darauf hingewiesen, dass seit Verabschiedung des Betreuungsgesetzes die Zahlen dramatisch angestiegen sind. Während es 1992 nur 600.000 Vormundschaften gab, gibt es mittlerweile rund 1.300.000 Millionen Betreuungen. Diese Zahlen wurden meist angeführt im Kontext von Schilderungen über vermeintlich gegen den Willen der Betreuten/Angehörigen durchgeführten Heimeinweisungen, so dass man rückschließen könnte, es gäbe jetzt erheblich mehr Menschen, bei denen Zwangsmaßnahmen angeordnet werden, als zur Zeit des Vormundschaftsgesetzes.

Mit diesem Rückschluss muss man jedoch vorsichtig sein, denn auch zur Zeit, als Menschen nicht im Rahmen von gesetzlicher Betreuung betreut wurden, sondern im Rahmen von Vormundschaften, gab es nach bestimmten Kriterien Zwangsmaßnahmen und man muss außerdem betonen, dass es heute bei einem großen Teil der Betreuungen gar nicht zu Zwangsmaßnahmen kommt.

Der Anstieg der Betreuungszahlen macht etwas ganz anderes deutlich, nämlich die Tatsache, dass immer mehr Menschen Hilfe bei der Bewältigung ihres Alltags benötigen. Wenn es bei meinen Betreuten beispielsweise um die Frage der Verlängerung der Betreuung geht und ich dies gemeinsam bespreche, dann möchte ein nicht unerheblicher Teil der Betreuten die Betreuung unbedingt beibehalten. Ich habe über dieses Thema hier auch schon geschrieben, denn natürlich gibt es zu denken, dass viele Menschen sich nicht mehr selbst helfen können, sondern professioneller Hilfe bedürfen.

Gerade weil eine rechtliche Betreuung nicht so rigoros geführt wird wie eine Vormundschaft, stellt sie auch für viele Betreute eine Hilfe und keine Einschränkung dar. Die Unterteilung der Befugnisse in verschiedene Aufgabenbereiche wie z.B. den der Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Behördenangelegenheiten e.t.c. kommt einer individuellen Problemlage viel mehr entgegen als die Vertretung in grundsätzlich allen Lebensbereichen. Die Möglichkeit des Beschwerderechts ist dabei ein weiterer Punkt, den es früher in der Form nicht gab.

Natürlich gibt es nach wie vor auch diejenigen Betreuungen mit einem umfassenden Aufgabenkreis, die auch bei Beschwerde von Seiten des Betreuten weiter geführt werden. Aber die Differenz der Steigungsrate, die ja immerhin 2.700.000 Betreuungen beträgt, setzt sich nicht vorrangig aus den gegen den Willen geführten Betreuungen zusammen.

Ein Rechtspfleger hat vor längerem mir gegenüber geklagt: „Jetzt kommen die Menschen schon zu uns ins Gericht, um für sich selbst eine Betreuung zu beantragen!“ Und das ist eine sehr bezeichnende Aussage, die deutlich macht, dass das Problem ganz woanders liegt, als in der Zunahme staatlicher Repression. Wobei andererseits aber auch unbedingt betont werden muss, dass es auch bei den sogenannten „einvernehmlich“ eingerichteten Betreuungen vielschichtige Machtstrukturen gibt, die für den Betreuten ein Abhängigkeitsverhältnis darstellen, dem er in gewisser Weise auch ausgeliefert sein kann.

Zusammenfassend kann man sagen, der Anstieg der Betreuungszahlen macht deutlich, dass heute viele Menschen Unterstützung durch rechtliche Betreuung benötigen, die früher ohne diese Hilfe auskamen, bzw. auskommen mussten. Dadurch wiederum ist ein Bereich des Lebens, der früher weitgehend von der Familie wahrgenommen wurde, institutionalisiert worden und somit ist ein Berufstand entstanden, den es früher in dieser Form nicht gab. Private Ressourcen wurden gewissermaßen ersetzt durch professionelle Hilfe. Und hierdurch hat sich auch das Konfliktpotential verlagert vom innerfamiliären privaten Bereich hin in den Bereich der rechtlichen Betreuung.

Der drastische Anstieg der Betreuungszahlen – da sind wir wieder beim Ausgangsthema – muss also in Bezug auf die entstandenen Abhängigkeitsstrukturen nicht zwangsläufig als etwas Nachteiliges angesehen werden, solange Betreuungsarbeit im Dialog mit der Öffentlichkeit steht und Kritik nicht als Bedrohung, sondern als Chance begriffen wird.

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