Donnerstag, 2. Dezember 2010, 01:21h

Thema Einsparungen - der Unterschied zwischen betriebswirtschaftlichem und volkswirtschaftlichem Denken

behrens

Einmal im Monat treffen sich Vertreter von verschiedenen sozialen Einrichtungen und behördlichen Stellen unseres Bezirks zum Austausch in der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft – kurz PSAG. Es geht um einen Informationsaustausch über die den sozialen Bereich betreffenden Neuigkeiten. Neue Einrichtungen, neue Rechtssprechungen, Veränderungen in Verfahrensabläufen, politische Hintergründe und vieles mehr. Heute fand unser jährliches Weihnachtsfest statt, das traditionsgemäß von den Elbewerkstätten, einer Werkstatt für Menschen mit psychischen Erkrankungen, veranstaltet wird.

Diesmal ging es unter anderem um das Problem, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen die erforderliche Hilfeleistung verweigert wird, indem die Kriterien für die Hilfegewährung als nicht erfüllt angesehen werden. Im Klartext: jemand möchte Hilfe, wird aber als zu gesund eingestuft. Dies kann sowohl bei psychosozialen Hilfeleistungen wie PPM (personenbezogene Hilfe für psychisch kranke Menschen) als auch bei rechtlicher Betreuung passieren. Staatliche Hilfen – egal aus welchem Topf – kosten Geld und nach Meinung der Politiker eben viel zuviel. Also werden die Maßstäbe enger angelegt.

Man dreht sich bei diesen Diskussionen im Kreis. Denn wenn eine beantragte erforderliche Hilfeform abgelehnt wird, bleibt der Hilfebedarf natürlich nach wie vor bestehen, so dass sich die Situation meist irgendwann verschlimmert und andere Hilfen erforderlich werden. Hinzu kommt die merkwürdige politische Tendenz, soziale Einrichtungen immer mehr in private Unternehmen zu wandeln. Aus Beratungsstellen werden dann plötzlich GmbHs, Holdings oder KGs.

Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn dies auch zum gewünschten Erfolg führen würde. Aber leider ist das nicht so. Und einer der Kollegen hat dies auf den Punkt gebracht: die sozialen Einrichtungen werden immer mehr betriebswirtschaftlich geführt anstatt volkswirtschaftlich. Es werden Heime oder Krankenhäuser privatisiert, weil man sich davon wirtschaftlicheres Arbeiten verspricht, was sich jedoch meist nicht erfüllt. Konsequenz dieser Umwandlung ist aber außerdem, dass sich durch strukturelle Veränderungen Defizite in anderen Bereichen ergeben können. Auf betriebswirtschaftlicher Ebene ist das dann schnurz-piepe-egal, auf der volkswirtschaftlichen aber eben nicht. Wenn man z.B. die Aufnahmekriterien für eine Arbeitsstelle in einer Werkstatt für Behinderte erhöht, mag es sein, dass die Werkstatt dann wirtschaftlicher arbeitet. Es fallen dann aber Menschen aus dieser Einrichtung heraus, für die dann irgendwann eine andere Hilfe erforderlich wird.

Eine wahre Hiobbotschaft ist die Absicht der Stadt, die bezirkliche Seniorenberatung einzusparen. Die Seniorenberatung ist eine eng an das Sozialamt angeschlossene Stelle, die für die älteren Menschen zuständig ist, wenn diese Hilfe bei der Organisation ihrer Versorgung benötigen. Ältere Menschen haben oftmals noch nie etwas mit dem Sozialamt zu tun gehabt und wissen daher überhaupt nicht, wo und wie man einen Antrag stellt. Meist ist die bezirkliche Seniorenberatung nur mit einer, manchmal auch mit zwei Personen besetzt, die die älteren Menschen in ihrer Wohnung aufsuchen. Oftmals geht es um die Beauftragung eines ambulanten Pflegedienstes und die damit verbundenen finanziellen Hilfen, oder es geht um die Beantragung eines Platzes in einer Tagespflegestätte oder in einem Heim. Auf jeden Fall geht es meist um sehr existentielle Probleme.

Und diese Stellen will die Stadt nun einsparen. Wer kümmert sich dann um hilfebedürftige alte Menschen? Wahrscheinlich erstmal niemand, bis die Situation so eskaliert, dass jemand eine rechtliche Betreuung benötigt, die alles weitere veranlasst. Oder aber jemand muss dann ins Heim, wodurch die Versorgung gewährleistet ist. Aber das sind ja andere Finanzierungstöpfe und deswegen interessiert es schlichtweg niemanden.

Wir haben alle diese unerfreulichen Neuigkeiten mit Galgenhumor aufgenommen – schließlich war es ja unser Weihnachtsfest und wir wollten ein wenig feiern. So negativ der Anlass zur Diskussion auch war – immerhin gab es wenigstens eine Diskussion. Es wäre unvorstellbar, die besprochenen Themen beim Treffen der Berufsbetreuer zu diskutieren. Niemand ist daran auch nur ansatzweise interessiert, da diese Themen nicht unmittelbar mit unserer Vergütung zusammenhängen. Und dies ist genau das, worum es in im Grunde bei der Diskussion ging – der Unterschied zwischen betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Denken.

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