Mittwoch, 23. Juni 2010, 03:18h

Kant für Betreuer – oder was ist ein Interessenkonflikt?

behrens

Bevor ich als Berufsbetreuerin tätig wurde, hatte ich eigentlich niemals mit dem Begriff des Interessenkonflikts zu tun. Über Methodik in sozialpädagogischer Arbeit wurde und wird oft und heftig gestritten, aber über das Ziel war und ist man sich so gut wie immer einig: Das Wohl des Klientels. Ganz anders bei der Betreuungsarbeit. Hier konkurriert das Wohl des Betreuten mit dem des Betreuers. Und es ist äußerst schwierig, eindeutige Kriterien dafür zu finden, ob bei Entscheidungen das Wohl des Betreuten den Ausschlag gab, oder aber der Vorteil für den Betreuer.

Beispiele gibt es viele. Nehmen wir beispielsweise die Einschaltung eines Anwalts. Es kann durchaus sinnvoll und sogar zwingend erforderlich sein, bei bestimmten rechtlichen Problemen einen Anwalt zu beauftragen. Aber es kann genauso gut auch völlig überflüssig sein und für den Betreuten (oder die Staatskasse) nur unnötige Kosten verursachen. Und bei denjenigen Betreuern, die neben ihrer Funktion als Betreuer auch Anwalt sind, entsteht der Interessenkonflikt dadurch, dass die Erteilung eines Mandats eben auch Geld bringt. Es muss also immer wieder von neuem sorgfältig erwogen werden, ob eine Mandatserteilung auch wirklich für den Betreuten einen Vorteil bringt.

Ein anderer Interessenkonflikt kann dadurch entstehen, dass Pflegedienste, Besuchsdienste, Handwerker und Pflegeheime um die Aufträge von Betreuern werben und es dabei auch schon mal zu kleinen „Werbegeschenken“ kommen kann. Diese müssen gar nicht unbedingt materieller Art sein, sondern können auch einfach in dem Angebot von ein paar Extra-Serviceleistungen bestehen, die das Leben eines Betreuers ein bisschen einfacher machen. Auch hier steht und fällt die Entscheidung für oder gegen den Anbieter damit, ob die Eignung für den Betreuten oder aber die Eignung für den Betreuer im Vordergrund steht.

Nicht unbedenklich ist auch die Frage von freundschaftlichen Verbindungen zwischen Betreuern und anderen Dienstleistern. Wird jemand beauftragt, weil derjenige vom Anbieterprofil her genau auf die Bedürfnisse des Betreuten zugeschnitten ist, oder aber weil der Betreuer mit ihm befreundet ist und mit einer Beauftragung einen Freundschaftsdienst leisten will? Aber auch wenn letzteres nicht der Fall ist, wird immer ein leiser Makel an einer derartigen Zusammenarbeit haften, da die tatsächliche Motivation für die Beaufragung niemals völlig eindeutig ist. Was diese Problematik erschwert, ist allerdings die Tatsache, dass Freundschaften manchmal auch im Laufe der Jahre erst entstehen. Auch ich arbeite mit Pflegediensten, Besuchsdiensten e.t.c. zusammen, von denen mir einige besser als andere gefallen und bei denen es zu freundschaftlichen Kontakten gekommen ist. Ich versuche, dieses Problem zu lösen, indem ich grundsätzlich nicht nur mit einem Pflegedienst oder Besuchsdienst zusammen arbeite, sondern möglichst immer mit mehreren.

Ob es für den Betreuten wirklich von Vorteil ist, wenn der Betreuer neben seiner Funktion als Betreuer auch noch Immobilien- oder Versicherungsmakler ist, ist fraglich. Wird ein Haus nur deswegen verkauft, weil der Besitzer auf keinen Fall mehr darin leben kann und will, oder spielt bei der Entscheidung für einen Verkauf auch die Aussicht auf eine Courtage eine Rolle? Braucht und will ein Betreuter wirklich zwingend bestimmte Versicherungen oder aber ist es die Möglichkeit einer Provision, aufgrund der bestimmte Versicherungen abgeschlossen werden?

Was würde nun Kant zu dem Problem des Interessenkonflikts sagen? Kant formulierte in seiner Grundlegung der Metaphysik der Sitten: „Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgendeines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen an sich gut“. Einfacher ausgedrückt: nicht das, was jemand tut, sondern warum er es tut, ist das Kriterium für die moralische Bewertung einer Tat. Auf die Arbeit als Betreuer bezogen heißt dies, nicht die Tatsache des Vorteils einer Maßnahme ist das Entscheidende, sondern der Grund für das Ergreifen einer Maßnahme. Liegt der Grund für die Erteilung eines anwaltlichen Mandats, die Beauftragung eines Pflege- oder Besuchsdienstes, den Verkauf einer Immobilie oder den Abschluss einer Versicherung einzig und allein in dem Wunsch nach dem Vorteil für den Betreuten, ist dies moralisch nicht verwerflich - selbst wenn dies auch einen Vorteil für den Betreuer mit sich bringt.

So exakt Kant sein Kriterium für moralische Bewertbarkeit von Handlungen auch formuliert hat, so wenig hilfreich ist dies aber in der Arbeitspraxis. Bei Menschen, die grundsätzlich ihren Vorteil suchen und prinzipiell die eigenen Interessen vor die aller anderen stellen, ist dieser Wesenszug oftmals so erstarrt und verselbständigt, dass diese Menschen gar nicht mehr in der Lage sind, diesen Mechanismus überhaupt noch zu erkennen. Das Eigeninteresse ist so dominierend und so allseits präsent, dass das Eigeninteresse fälschlicherweise schon mit dem Wohl aller gleichgesetzt wird.

Fazit? Wenn die Bedingungen und die Voraussetzungen für die Arbeit als Betreuer es zulassen, dass das Eigeninteresse so bestimmend für die Arbeit werden kann, dann brauchen wir zwingend Kontrollinstanzen. Weil wir eben nicht immer durch den „kantschen guten Willen“ bestimmt werden, sollten gesetzliche Schranken uns daran hindern, Entscheidungen zu fällen, die in erster Linie uns und nicht unseren Betreuten Vorteile bringen.

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Ich kann dazu nur sagen: Gut gemeint ist längst nicht immer gut getan...

Wer nicht in der Lage ist, die Konsequenzen seines Handelns zu sehen und nur die eigene Absicht erkennt, ist ein Stück weit narzisstisch. Der Blick über den eigenen Tellerrand darauf, wie das, was man tut, sich auswirkt, wie es wahrgenommen wird, tut sicher nicht nur für Betreuer Not, sondern für uns alle.

Ich denke, dass Sorgfalt und Achtsamkeit im Umgang mit den Mitmenschen, besonders den uns anvertrauten, ganz besonders wichtig ist, aber leider zunehmend aus dem Portfolio der anzustrebenden Charaktereigenschaften herausfällt. Wer immer erst fragt "Was habe ich davon?" sollte meiner Ansicht nach nicht beruflich mit ihm unterlegenen, abhängigen Menschen zu tun haben. Das Problem dabei ist wohl, dass auf diese Weise die Zahl der Menschen, die sich dieser doch recht moralischen Maxime unterwerfen und trotzdem mit solchen Menschen arbeiten wollen, immer kleiner wird. Und sicher ist es für so manchen verführerisch, wenn der eine oder andere kleine Vorteil am Wegesrand lauert. Dann unterwegs mal schwach zu werden scheint ja wenn ich Dich recht verstehe irgendwie legitim zu sein.

Ob entsprechende Regeln geschaffen werden, hängt ja immer von der Gesellschaft ab, die sich diese gibt. Wenn generell eher eine Wildwest-Mentalität vorherrscht, wird wohl kaum jemand die Notwendigkeit sehen - bis er selbst in der Position des Schwächeren sitzt.

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Auch ich stoße mich an Kants Vorstellung, dass gute Absichten gleichbedeutend mit guten Taten sein sollen. Letztendlich geben ja die meisten Menschen vor, das Beste zu wollen - und sind davon oftmals meilenweit entfernt. Aber manchmal kann etwas, das für jemanden anderen gut ist, auch einen eigenen Vorteil bringen.

Ich habe schon oft einen Anwalt eingeschaltet, weil ich der Meinung war, dass es für den Betreuten unverzichtbar ist, da sonst erhebliche Nachteile drohen. Meinen Anwalts-Kollegen habe ich damit aber auch gleichzeitig einen Auftrag verschafft. Aber das ist dann eben etwas, woraus man niemanden einen Vorwurf machen sollte. Erst wenn mir der „Freundschaftsdienst“ wichtiger wird als die Frage nach dem Nutzen für die Betreuten, ist es nicht mehr vertretbar.

Dann unterwegs mal schwach zu werden scheint ja wenn ich Dich recht verstehe irgendwie legitim zu sein. . Nein, das habe ich gerade nicht gemeint! Man sollte im Rahmen unserer Tätigkeit – und im Grunde ansonsten auch – eine Entscheidung grundsätzlich nur davon abhängig machen, ob sie auch zum Wohle des Betreuten ist. So wie beispielsweise ein Arzt nur die Behandlung verordnen sollte, die die beste für seinen Patienten ist – und nicht für das eigene Portemonnaie (was aber leider doch öfter mal vorkommt). Dieses „schwach werden“ ist etwas, was latent immer eine Versuchung darstellt – der man aber eben auf keinen Fall nachgeben sollte.

Der Blick über den eigenen Tellerrand darauf, wie das, was man tut, sich auswirkt, wie es wahrgenommen wird, tut sicher nicht nur für Betreuer Not, sondern für uns alle. - das eben ist es, um was man Kant erweitern muss, damit aus den guten Absichten auch gute Ergebnisse werden können.

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Oh herrje, da habe ich mich wohl etwas schwammig ausgedrückt...

"Dann unterwegs mal schwach zu werden scheint ja wenn ich Dich recht verstehe irgendwie legitim zu sein." - damit wollte ich nicht etwa unterstellen, dass Du diese Ansicht vertrittst, sondern eher in den Raum stellen, dass Du in Deiner Betreuertätigkeit häufig auf Menschen zu treffen scheinst, die das so praktizieren. Dass Du selbst so nicht tickst oder doch zumindest Dein eigenes Verhalten permanent auf unbewusste Fehler überprüfst, merkt man sämtlichen Beiträgen hier deutlich an.

Bitte um Entschuldigung also dafür, dass ich da nicht eindeutiger war.

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