Sonntag, 26. Oktober 2008, 17:47h

„Authentisch leben“ von Erich Fromm

behrens

Es tut immer wieder gut, mal wieder ein Buch von Erich Fromm zu lesen. Sein Werk „Authentisch leben“ hat nichts an Aktualität eingebüßt, obwohl Erich Fromm schon 1980 verstarb und einige Thesen von ihm schon 1937 (!) formuliert wurden.

Sein Plädoyer für ein authentisches Leben wendet sich gegen die von ihm als „Pseudo-Selbst“ bezeichnete Existenz. Diese ist die Konsequenz, wenn sich der Mensch nur noch daran orientiert, sich gewinnbringend auf dem Markt zu verkaufen. Das Gefühl für die eigene Identität wird nicht durch die Bezogenheit auf andere erlebt sondern durch das Gefühl des Besitzens. Das Haben besitzt eine stärkere Realität als das Sein.

Ein Pseudo-Selbst ist aber auch die Folge, wenn ein Mensch nur die Erwartungen erfüllt, welche andere in ihn setzen und sein Selbstgefühl nur das Spiegelbild seiner gesellschaftlichen Rolle darstellt. Diese Menschen sind durch tiefe Angst und Unsicherheit geprägt und haben ein zwanghaftes Bedürfnis nach Konformität.

Die Möglichkeit eines authentischen Lebens hängt von vielen Faktoren ab. Von Gleichberechtigung und von der Freiheit der Wahl. Wobei mit Freiheit nicht die Scheinfreiheit in einer durch Medien manipulierten Gesellschaft gemeint ist, sondern die wirkliche Freiheit, die es nur da geben kann, wo die Wirklichkeit nicht inszeniert ist. Eine wichtige Voraussetzung ist die Fähigkeit, Konflikte und Polaritäten zu akzeptieren, anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen. Erich Fromm sieht Konflikte als die Quelle der Entwicklung der eigenen Kraft und dessen, was man als „Charakter“ zu bezeichnen pflegt. Konfliktfähigkeit ist die Bedingung für die Überprüfung des eigenen Standpunktes und des eigenen Weltbildes. Jedes geistige Wachstum hat seine Ursache in der Konfrontation mit den eigenen Widersprüchen.

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Nichtauthentizität im Wandel
Genauso wie Authentizität nicht eine für sich genommene unabhängige Größe darstellt und von gesellschaftlichem Wandel und Wertvorstellungen abhängt, trifft dies auch zwangsläufig für Nichtauthentizität zu.

Früher führten die engen kleinbürgerlichen Moralvorstellungen dazu, daß viele Menschen ein Doppelleben in Bezug auf die nach außen verkörperten Werte führten. Obwohl beispielsweise nach außen die Ehe als alleinige Lebensform proklamiert wurde, zog es doch nicht wenige der glücklichen Ehemänner des öfteren mal ins Bordell. Und obwohl die Mutterschaft und Ehe für die Frauen als alleiniger Garant für Glück galt, litten viele Frauen an Depressionen und waren mit ihrem Leben unzufrieden, was sich unter anderem niederschlug in Folgegenerationen, die viel Geld für Psychotherapeuten und Analytiker ausgaben (oder für Drogen und Diätprogramme).

Heute haben sich viele moralische Vorstellungen verändert oder sind ganz verschwunden. Eigentlich könnten wir jetzt ganz authentisch leben. Aber eben nur eigentlich, denn es sind zwar Faktoren verschwunden, aber leider sind dafür neue hinzugekommen. Es ist heute nicht mehr die enge kleinbürgerliche Moral, die uns zur Nichtauthentizität verführt. Heute regiert das allgegenwärtige Marketing und die damit verbundene um sich greifende inszenierte Wirklichkeit, in der alles und jeder zum Produkt gemacht wird. Marketing ist an Echtheit nicht interessiert – wer gut verkaufen will, wird wohl kaum die Wahrheit über das betreffende Produkt verkünden, sondern es einfach nur geschickt mit Unmengen von positiven Attributen versehen.

Für die normalen Konsumprodukte gibt es das schon seit langem. Aber da jetzt auch der soziale Sektor kostendeckend arbeiten soll (eine Unmöglichkeit an sich!), wird auch der vom Marketing vereinnahmt und jetzt führen nicht mehr Fachleute mit entsprechender Ausbildung und Motivation das Wort, sondern zunehmend Menschen mit rein finanziellen Interessen. Was dann dabei herauskommt, hat groteske Züge angenommen. Obwohl es primär einzig und allein um Gewinn geht, wird ständig mit der Floskel vom „Mensch im Mittelpunkt“ geworben.

Jemandem, der Autos oder Modeartikel verkauft und hierzu werbewirksame Mittel nutzt, kann man dies nicht verübeln, denn Konsumartikel und Werbung gehören von jeher eng zusammen. Und schließlich würde auch wohl kaum jemand von einem Autoverkäufer oder einem Boutiquebesitzer erwarten, daß er seiner Arbeit aus einem anderen Grund als dem des Gelderwerbs nachgeht.

Jemand, der im sozialen Bereich arbeitet und der versucht, trotz seiner eindeutig primär finanziellen Interessen nach außer hin das Bild sozialen Engagement zu verkörpern, wirkt auf der ganzen Ebene unglaubwürdig.

Und das ist sie - die neue Nichtauthentizität: obwohl es primär um nichts anderes als um Geld geht, wird die Fassade sozialen Interesses vorgeschoben. Obwohl jede berufliche Aktivität allein nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung geplant wird, wird das Interesse am Menschen vorgegaukelt. Vorbei die Zeiten, wo man nur zwischen engagierten oder nicht engagierten Sozialarbeitern unterscheiden mußte. Jetzt muß man sich mit der dritten Form abplagen: der Sozialgeschäftsmann, der sein Klientel wie Aktien behandelt.

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