Donnerstag, 21. Februar 2019, 10:36h

Thema vom 20.02.2019 bei Maischberger: Die Betreuungsfalle: hilflos, ausgenutzt, betrogen?

behrens



Ich bin gestern nur zufällig auf diese Sendung gestoßen und werde noch etwas dazu schreiben. Was auf jeden Fall interessant ist, ist der Umstand, dass der hier geschilderte Betreuungsfall nicht von einem Berufsbetreuer handelt, sondern von einer in einem Betreuungsverein angestellten Betreuerin.

26.04.19
So jetzt nehme ich mir endlich mal ein wenig Zeit für nähere Erläuterungen:
In der Sendung wird unter anderem ein Fall geschildert, in dem die Rentnerin Christa L. aufgrund einer falschen Demenz-Diagnose eine gesetzliche Betreuerin erhielt, die die Einweisung in ein Pflegeheim veranlasste, was zum Verlust der eigenen Wohnung führte. Erst nach sechs Jahren konnte Christa L. die Aufhebung der Betreuung erreichen.

Im Jahr 2009 erleidet die damals zweiundsechzigjährige Christa L. nach dem Tod des Lebensgefährten einen schweren Zusammenbruch und liegt mehrere Wochen im Koma. Die Ärzte diagnostizieren fälschlicherweise Demenz und es werden die falschen Medikamente verabreicht , woraufhin das Amtsgericht eine Betreuerin einsetzt, die die Wohnung auflöst und mit den Ersparnissen das Pflegeheim finanziert. Die Familie ist mit der Situation überfordert, aber nach einigen Jahren gelingt es den Freunden von Christa L. sie auch dem Pflegeheim zu holen. Nach zwei Jahren wird die Betreuung aufgehoben. Mittlerweile geht es Christa L. wieder besser und sie lebt wieder in einer eigenen Wohnung. Christa L. hat zum Zeitpunkt ihrer akuten Erkrankung nicht realisiert, dass die eigene Wohnung aufgelöst wurde und sie all ihr Hab und Gut verlor. Ihr Sohn wurde bei allen Entscheidungen völlig übergangen.

Im Pflegeheim gab es durchaus Mitarbeiter, die mitbekommen haben, dass Christa L. nicht dement ist. Und mit Unterstützung eines ehrenamtlich arbeitenden ehemaligen Richters gelingt es Christa L. schließlich, den Heimvertrag zu kündigen und sich wieder eine eigene Wohnung zu nehmen. Trotzdem hat es allerdings noch weitere zwei Jahre gedauert, bis sie mit Hilfe durch eine öffentliche Rechtsberatung die Aufhebung der Betreuung erwirken kann.

Sehr lapidar fiel die Stellungnahme des Betreuungsvereins aus, in dem die rechtliche Betreuerin angestellt war: „Wir haben, was die Veräußerung anbetrifft, das so gemacht, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist“. Damit ist dann die Sache abgehakt. Auf eine Stellungnahme zur Frage, warum nicht auf den Wunsch von Christa L. eingegangen wurde, wieder in eine eigene Wohnung zu ziehen, wartet man vergeblich. Warum auch Stellung nehmen? Das Gericht hat doch alles abgesegnet, was die Betreuerin veranlasst hat. Dass die Betreuerin genauso gut einen anderen Weg hätte einschlagen können, indem sie die Rückkehr in die Wohnung eben nicht von vorneherein ausgeschlossen hätte, wird geflissentlich gar nicht erwähnt.

Für eine objektive Beurteilung muss man natürlich auch die andere Seite hören, denn man weiß ja nicht, wie schwerwiegend Christa Ls psychische und physische Beinträchtigungen nach dem Zusammenbruch waren und und wie lange diese andauerten. War es tatsächlich so schlimm, dass man die Pflege nur stationär und nicht durch intensive ambulante Pflege geleistet werden konnte? Gab es wirklich keine Ersparnisse, mit denen die Wohnungsmiete hätte weiter gezahlt werden können? Das Sozialamt ist normalerweise verpflichtet, im Falle der Option einer Rückkehr in die eigene Häuslichkeit die Miete für einen gewissen Zeitraum zu übernehmen. Dies muss allerdings von der Betreuerin beantragt und durchgefochten werden.

Wenn eine Rückkehr in die Wohnung aus medizinischer Sicht tatsächlich auf keinen Fall zu verantworten gewesen wäre und wenn tatsächlich keine Ersparnisse vorhanden waren und außerdem das Sozialamt eine Kostenübernahme abgelehnt hat, dann – aber wirklich nur dann! – hatte die rechtliche Betreuerin kaum Alternativen zur Wohnungsauflösung gehabt. Aber um dies zu beurteilen, hätte die Betreuerin sich an dieser Diskussion beteiligen müssen, was jedoch bezeichnenderweise leider nicht der Fall war. Während es in ähnlichen Fällen, in denen es um Vorwürfe geht gegenüber Krankenhäusern, Behördenmitarbeitern oder auch Einrichtungen wie Heime oder Beratungsstellen, eine Selbstverständlichkeit ist, dass jemand Verantwortung übernimmt und sich öffentlich zu den erhobenen Vorwürfen äußert, drücken sich Betreuer grundsätzlich davor, Verantwortung zu übernehmen.

Demokratie sieht anders aus.

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Samstag, 10. November 2018, 16:06h

Endlich spricht es jemand aus: das Konzept der Berufsbetreuung ist gescheitert!

behrens

Ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich doch einmal jemand so direkt und unumwunden ausspricht: das Konzept des Berufsbetreuers ist gescheitert! Diese Aussage stammt nicht von einem Betreuten oder einem Angehörigen, sondern von jemand aus der Leitung des für Betreuungen zuständigen Fachamtes. Die Tatsache, dass es sich bei dieser Aussage nicht um ein offizielles Statement handelt, sondern um eine intern geäußerte Ansicht, verhindert zwar eine öffentliche Diskussion, aber ändert nichts am Wahrheitsgehalt.

Es ist eine sehr drastische Aussage – sogar noch ein wenig drastischer als ich selbst es formulieren würde. Ich würde es nicht als ein gescheitertes Konzept, sondern als ein falsches bezeichnen. Falsch deswegen, weil eine Tätigkeit, die enorme Machtbefugnisse und eine immense Entscheidungsgewalt über höchst existentielle Lebensbereiche beinhaltet, nicht auf der Grundlage von Freiberuflichkeit ausgeübt werden darf. Von einem gescheiterten Konzept würde ich sprechen, wenn dies ausnahmslos auf jeden Berufsbetreuer zutreffen würde. Aber vielleicht liegt der kleine Unterschied auch darin begründet, dass ich jetzt ja schon eine Weile raus bin aus dem Metier und erst vor kurzem von der beunruhigenden Tendenz vieler Betreuer erfahren habe, die Übernahme schwieriger Betreuungen wegen des höheren Zeitaufwands einfach abzulehnen.In der Tat stellt diese Haltung ein erhebliches gesellschaftliches Problem dar.

Auch wenn Berufsbetreuer immer wieder das Gegenteil behaupten – eine auf Grundlage der Freiberuflichkeit ausgeübte Tätigkeit lässt sich niemals ausreichend kontrollieren! Das Prinzip der Gewinnmaximierung darf bei dieser Tätigkeit nicht ausschlaggebend sein und wer diesen Beruf ausüben möchte, muss einen Status als Angestellter mit einem vorab festgelegtem Gehalt akzeptieren, bei dem er einer Fachaufsicht direkt vor Ort untersteht. Es reicht nicht aus, dass ein überlasteter Rechtspfleger die Rechnungsbelege auf ihre Richtigkeit prüft und ein Betreuungsrichter die beantragten Beschlüsse genehmigen muss. Hier kann einzig und allein ein direkter Vorgesetzter der Komplexität des Einzelfalls gerecht werden.

Der geeignete Rahmen, in dem rechtliche Betreuungen angesiedelt werden sollten, ist der Bereich freier Träger (z.B. Diakonie, AWO, etc.) oder die Trägerschaft durch eine Behörde. Dieses Prinzip hat sich in ähnlichen Bereichen konkurrenzlos bewährt, wie z.B. im Jugendamt bei der Führung von Vormundschaften oder Beistandschaften, bei der Bewährungshilfe, in der Psychosozialen Betreuung oder in der Familienhilfe. Niemand käme hier auf die Idee, diese verantwortungsvollen Tätigkeiten einem Freiberuflicher zu übertragen. Und die vorab erwähnte Tendenz, schwierige Betreuungen gar nicht erst anzunehmen, wäre gar nicht möglich, weil dies dem klar definiertem Arbeitsauftrag widersprechen würde, niemanden aufgrund der mit der Betreuung verbundenen Schwierigkeiten abzulehnen. Hier bildet niemals Zeitersparnis das ausschlaggebende Kriterium, sondern selbstverständlich die gesellschaftliche Notwendigkeit.

Auch wenn dies allein noch kein Garant für Qualität ist, so wird hierdurch zumindest eines sichergestellt: ein Fixgehalt wird grundsätzlich all diejenigen abschrecken, deren vorrangiges Ziel Gewinnmaximierung ist. Dadurch hält man Immobilien- und Versicherungsmakler fern, die ihre Tätigkeit für lukrative Insichgeschäfte missbrauchen und auch diejenigen Anwälte würden sich zurückhalten, die Betreuungen vorrangig deswegen führen, um eine sichere Ressource für Mandate (deren Erforderlichkeit oftmals zweifelhaft ist) zu haben. An dieser Stelle sei betont, dass dies natürlich nicht bei jedem Anwalt der Fall ist.

Ein weiteres entscheidendes Argument für die Einbindung der Betreuungstätigkeit in freie oder behördliche Trägerschaft ist der Stellenwert des Bezugs zur Sozialpolitik. Obwohl Betreuer täglich mit Hartz IV, Pflegenotstand, Überschuldung, Wohnungsnot etc. zu tun haben, findet man sie grundsätzlich weder in den betreffenden Arbeitsgruppen noch in Initiativen oder sonstigen Gremien. Die Begründung hierfür lautet immer gleich: „Das bezahlt mir ja keiner“. Von allen Berufsbetreuern unseres Bezirks war ich beispielsweise die einzige, die an der bezirklichen Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft teilnahm und all meine Versuche, eine regionale Betreuergruppe aufzubauen, stießen auf völliges Desinteresse. Würde die Betreuertätigkeit nicht mehr auf Basis der Freiberuflichkeit, sondern auf der Basis von Anstellung bei entsprechenden Trägern stattfinden, so wäre dieses Desinteresse an Sozialpolitik unvorstellbar, denn eben dieses Interesse bildet die Grundvoraussetzung für Menschen, die sich für die Berufswahl der Sozialen Arbeit entschieden haben.

Last-not-least – der Wechsel des Konzepts der rechtlichen Betreuung von der Freiberuflichkeit hin zur Einbindung in freie oder behördliche Trägerschaft würde auch zwangsläufig den längst überfälligen Abschied vom Typus des Alphamännchens bedeuten. Ein Betreuer, dessen Demokratieverständnis dem von Ludwig XIV gleicht (oder eine Betreuerin , deren Führungsstil beunruhigend an Erdogan erinnert…) würden nach maximal drei Wochen eine Kündigung wegen Ungeeignetheit erhalten. Und die Gesellschaft wäre endlich befreit von BetreuerInnen, die ihr Betreuungsbüro nach Art eines Kasernenhofs führen und damit nicht nur ihre Betreuten, sondern auch alle anderen Involvierten zu Befehlsempfängern degradieren.

Also liebes Fachamt: lasst der Erkenntnis Taten folgen!

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Sonntag, 2. September 2018, 18:37h

Nicht nur in Chemnitz. Nicht nur Pegida und AFD

behrens

Wie beurteilten eigentlich diejenigen Menschen die Flüchtlingsproblematik, die selbst Einwanderer sind oder die selbst aus einer Einwandererfamilie kommen? Kann man davon ausgehen, dass diejenigen, die sich oftmals selbst im Asylstatus befinden oder befanden aufgrund ihrer eigenen Situation mit Solidarität und Verständnis reagieren?

Nein, das kann man leider nicht. Besonders wenn es um das Thema Wohnungssuche geht, ist die Reaktion fast immer eindeutig ablehnend. Ich arbeite in einem Stadtteil, dessen Einwohner mittlerweile zu rund fünfzig Prozent aus Menschen mit Migratinshintergrund bestehen. Da folglich auch zu meinem Klientel viele Migranten gehören, bekomme ich immer wieder auch einen Einblick in deren Einstellung zu Flüchtlingen. „Erst kommen doch wir!“ drückte es beispielsweise ganz klar eine durch ein Asylverfahren nach Deutschland gekommene Kurdin aus. Ein anderer, aus einer türkischen Einwandererfamilie stammende Klient, der mittlerweile einen deutschen Pass besitzt, reagierte genauso rigoros: „Warum werden die Flüchtlinge mir als Deutschem vorgezogen? Das ist eine große Ungerechtigkeit“. Eine Roma, die sich noch im Asylstatus befindet äußerte sich dazu kurz und bündig: „Die (Flüchtlinge) sollte man alle sofort wieder zurückschicken“.

Sicher, es ist ein riesiger Unterschied, ob Menschen einfach nur empathielos und unsolidarisch sind, oder ob Menschen so wie jetzt in Chemnitz zur Hatz auf jeden aufrufen, der ausländische Wurzeln hat. Was die jedoch die grundlegende Einstellung betrifft, so ist der Unterschied erschreckend gering. In beiden Fällen geht es um das „Wir zuerst!“. Der in einem tristen Plattenbau wohnende arbeitslose Chemnitzer reagiert nicht viel anders als ein in einer Flüchtlingsunterkunft lebender arbeitsloser Afghane oder eine Kurdin, deren Zukunftsperspektive genauso hoffnungslos ist. Was aktive Solidaritätsbekundungen oder Unterstützung der Arbeit mit Flüchtlingen betrifft, so ist dies ebenfalls nicht unbedingt ein Terrain, in dem man viele Menschen findet, die einst selbst völlig mittellos aus einem anderen Land in ein ihnen völlig fremdes Deutschland kamen.

Und man sollte eines nicht vergessen: auch in Flüchtlingsunterkünften werden soziale Konflikte oftmals mit brutaler Gewalt gelöst. Für christliche Minderheiten dürfte das Leben in einer Flüchtlingsunterkunft nicht unbedingt so viel weniger gefährlich sein, als dies für Menschen mit ausländischen Wurzeln in Chemnitz oder anderen ostdeutschen Städten der Fall ist. Das Gleiche gilt für Frauen, die ohne männliche Begleitung in einer Flüchtlingsunterkunft leben.

Es ist mir wichtig, auch ein Gegenbeispiel zu nennen: Klientin Frau A., eine Albanerin, die im Frauenhaus wohnte und trotz Dringlichkeitsschein nahezu drei(!) Jahre verzweifelt vergeblich eine Wohnung suchte. Frau A. spricht kaum Deutsch und ist Analphabetin. Als die Sprache auf die zunehmende Zahl der Flüchtlinge kam, durch die sich die Aussicht auf eine Wohnung weiter verringerte, antwortete Frau A.: „Was sollen machen? Sind auch Menschen, brauchen auch Wohnung“. Mir ist die Nennung dieses Gegenbeispiel auch deswegen sehr wichtig, weil bei jeglicher kritischer Äußerung zum Verhalten von Migranten sofort die unzureichende Bildung als Hauptursache ins Feld geführt wird. Die sechzigjährige Frau A, der der Schulbesuch von ihren Eltern verboten wurde, hat erheblich weniger Bildung, als dies bei den von mir vorab zitierten Klienten der Fall ist. Trotz ihrer verzweifelten und hoffnungslosen Situation brachte Frau A. Mitgefühl und Verständnis auf für diejenigen, die sich in der gleichen Notlage wie sie sebst befanden.

Edit 04.09.18:
Der auf diesen Beitrag erfolgte Kommentar veranlasst mich, hier nochmals klarzustellen, worum es mir geht und worum es mir nicht geht. Fangen wir mit letzterem an:

Es geht mir in diesem Beitrag nicht um das Thema der moralischen Beurteilung derjenigen, die keine Flüchtlinge mehr aufnehmen wollen (das ist ein anderes komplexeres Thema).

Es geht mir hier in diesem Beitrag um die Thematisierung eines Phänomens, das in der Öffentlichkeit kaum Beachtung findet, nämlich die Tatsache, dass auch ein großer Teil der Migranten keine Flüchtlinge aufnehmen will. Wenn es eben nicht nur Menschen aus der Rechtsaußenszene sind, die Flüchtlinge ablehnen, sondern auch viele derjenigen, die eingewandert oder sogar selbst geflüchtet sind, dann geht es offensichtlich nicht unbedingt nur um Fremdenhass, sondern auch um anders begründete Ängste. Wie wäre es, wenn man es nicht bei „Nazis-Raus-Parolen“ und dem Zünden von Bengalos belassen, sondern sich stattdessen diese Ängste mal näher ansehen würde?

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