Montag, 2. Dezember 2013, 15:21h

Subjektives Empfinden als Gradmesser für Qualität? – Betreuungspäpste und Betreuungspäpstinnen

behrens

Die Diskussion über die Frage, bis zu welcher Fallzahlhöchstzahlgrenze die Qualität für die Führung einer Betreuung noch als gesichert gelten dauert an und zwischen Gerichten, Betreuungsbehörde, Angehörigen und Betreuern bestehen nach wie vor sehr kontroverse Ansichten. Auch ich habe die Thematik hier schon erörtert. Und immer gab und gibt es Kritik daran – selbst aus den eigenen Reihen – wenn jemand sehr viele Betreuungen führt. Ich erinnere mich noch daran, wie es zu Beginn meiner Betreuungstätigkeit von der Betreuungsbehörde heftig kritisiert wurde, dass jemand aus unserem Betreuerkreis 120 Betreuungen führte und ich entsinne mich an den Ausdruck „Betreuungspapst“. Damals wurde dann auch konsequent auf die Abgabe einiger Betreuungen gedrängt.

Jetzt habe ich erfahren, dass die hohe Zahl von 120 Betreuungen noch erheblich getoppt werden kann, denn eine frühere Kollegin teilte mir (ziemlich entrüstet) mit, dass eine Betreuerin aus unserem Bezirk es zur Betreuungszahl von 160 (!) gebracht hat. Auch ich war erstaunt über eine derart hohe Zahl, bin mir aber im Klaren darüber, dass nicht jeder mein Erstauen teilt, denn auch in diesem Fall wird es Stimmen unter den Betreuern geben, die darauf hinweisen, dass es einzig und allein die Entscheidung des einzelnen Betreuers ist, ob er wenig oder viele Betreuungen führt. Nur der Betreuer selbst soll entscheiden, ob die Qualität seiner Arbeit noch gewährt ist. Dies deckt sich auch mit der Schilderung der früheren Kollegin, dass bei jedem Betreuertreffen der Unmut über die Aufforderung der Mitteilung der Betreuungszahlen geäußert wird.

Es mutet sehr seltsam an, dass die Qualität einer so verantwortungsvollen Tätigkeit ausschließlich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Betreuers abhängig sein soll und selbst die Bitte um Information über die Betreutenzahl Protest auslöst. Reicht subjektives Empfinden tatsächlich aus als Richtlinie für eine mit einer enormen Machtfülle ausgestatteten Aufgabe, die zudem oftmals mit existentiellen Entscheidungen verbunden ist?

Der Berufsverband der Berufsbetreuer setzt sich schon seit langem für eine Anhebung des aktuellen Stundensatzes von 44,00 € ein und führt dabei auch in seiner Öffentlichkeitsarbeit das Argument an, dass Qualität seinen Preis haben muss. Wenn man dieser – zweifellos nicht falschen – Argumentation gegenüberstellt, dass ein 160 Betreuungen führender Betreuer einen monatlichen Umsatz von rund 22.500,00 € (!) hat, wird die Öffentlichkeit dafür allerdings wenig Verständnis haben.

In der Diskussion über diese Problematik werden jetzt wahrscheinlich so manche Betreuer kontern, dass es sich bei einer derart hohen Zahl doch nur um eine Ausnahme handelt. Selbst wenn dies zuträfe, so sind es aber eben gerade diese Ausnahmen, die in der Argumentation für eine berechtigte Stundensatzerhöhung ein Eigentor darstellen, denn die sogenannten Ausnahmen bergen nun mal das Gegenargument in sich, dass eine zu geringe Vergütung doch problemlos durch das Steigern der Betreuungszahl angehoben werden kann. Dies muss dann ja noch nicht einmal die Zahl von 160 Betreuungen sein, sondern auch bei 100, 90 oder selbst 80 Betreuungen ergibt sich doch noch ein ausreichendes Einkommen.

Als weiteres Argument aus den eigenen Reihen für die Akzeptanz hoher Betreuungszahlen wird natürlich auch angeführt werden, dass jemand mit 160 Betreuungen ja selbstverständlich auch Angestellte hat, die zum einen eine ausreichende Bearbeitung der anfallenden Aufgaben garantieren und zum anderen auch den Umsatz um Lohnkosten verringern. Hierbei sollte man jedoch nicht außer Acht lassen, dass sich bei 160 Betreuungen immerhin eine Zahl von 512 Monatsstunden ergibt (ausgehend von 3,2 Stunden als Durchschnitt). Wenn man hierbei wiederum von einer Arbeitszeit von 137 Monatsstunden bei einer Vollzeitstelle (165 Stunden reduziert um Urlaub, Krankheit, Fortbildung) ausgeht, müssten mindestens 2,5 Mitarbeiter angestellt sein. Dabei bleibt noch unberücksichtigt, ob der Betreuer noch anderen Tätigkeiten neben der Betreuungstätigkeit nachgeht, die das Zeitbudget weiter schmälern (was bei diesem Beispiel der Fall ist).

Nun gut, vielleicht sind in diesem Fall tatsächlich die erforderlichen 2,5 Mitarbeiter vorhanden und somit ist Kritik an der hohen Betreuungszahl doch eigentlich überflüssig und unangemessen. Eigentlich. Allerdings ist mir die besagte Betreuerin nicht unbekannt, ich habe hier schon einmal zwei nicht sehr erfreuliche Begebenheiten beschrieben. Zum einen ging es um eine Bekannte, die sich als Hartz-IV Empfängerin und alleinerziehende Mutter von drei Kindern in einer finanziell katastrophalen Situation befand und deren anwaltliche Beratung trotz der staatlichen Kostenübernahmeerklärung von einem Vorschuss abhängig gemacht wurde. Zum anderen sprach mich ein Sozialarbeiter darauf an, dass er mit betreffender Betreuerin die Erfahrung eines sehr arroganten und ignoranten Umgangs gemacht hat.

Es stellt sich die Frage, wie all dies zusammen passt. Im Grunde wird sehr deutlich, dass eine derartig hohe Zahl – und ich halte daran fest, dass diese Zahl sehr hoch ist – nur möglich ist, wenn man rigorose Abstriche im Umgang mit anderen und bei der Mitbeteiligung an Entscheidungsprozessen macht. Eindeutig sind auch die Gründe, aus denen heraus jemand trotz eines nicht gerade geringen Verdienstes auf einen Vorschuss von einer Hartz-IV-Empfängerin besteht. Bei einem Umsatz von 22.500,00 € wird das soziale Gefälle zu einem Hartz-IV-Empfänger so groß, dass jemand Gefahr läuft, das Gefühl dafür zu verlieren, welche Bedeutung die Summe von 100,00 € für eine Hartz-IV-Empfängerin hat.

Wie immer man zu einer derart hohen Fallzahl auch stehen mag – Betreuer mit extrem hohen Betreuungszahlen erweisen ihrem Berufsstand damit einen Bärendienst, denn in der Öffentlichkeit wird darin wohl kaum jemand das in der Selbstdarstellung betonte „Engagement“ sehen, sondern vielmehr nur die Absicht, möglichst viel zu verdienen. Dies jedenfalls ist meine konkrete Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den sozialen Diensten, Heimen, Behörden oder anderen Involvierten.

Um den üblichen Fehlinterpretationen vorzubeugen – es geht mir nicht darum, Betreuer in schlechte und gute Betreuer einzuteilen, sondern um die Auseinandersetzung mit dem Thema Qualität im Betreuungswesen. Welche Strukturen und Vorgaben sind erforderlich, damit Menschen optimal betreut werden? Welche Maßnahmen sind nötig, um die zunehmende Kritik an Betreuern ernst zu nehmen und konstruktiv umzusetzen? Ist es wirklich im Sinne des Wohls der Betreuten, wenn die Anzahl der Betreuten beliebig hochgefahren werden kann und einzig von der subjektiven Einschätzung des jeweiligen Betreuers abhängig ist?

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