Sonntag, 16. Juli 2017, 12:16h

Ein rechtlicher Betreuer im Schwarzen Block – Huch wie passt denn das zusammen?

behrens

…war meine erste Frage, als ich von einem rechtlichen Betreuer hörte, der im Schwarzen Block der Hamburger G20 Demos mitmarschierte. Nein, es handelt sich ausnahmsweise nicht um den Immobilien aufkaufenden Betreuer mit Sympathie für die RAF, dessen befremdliche Arbeitsweise ich hier schon einige Male beschrieb, sondern um jemanden, der mir nur flüchtig bekannt ist. Der allerdings genauso wie ausnahmslos jeder andere Betreuer im Auftrag des Amtsgerichts arbeitet und dessen Befugnisse mit einer enormen Machtfülle verbunden sind. Macht, die unter anderem auch die Veranlassung von Zwangseinweisungen beinhaltet, für die ein Betreuer übrigens das Ordnungsamt beauftragt und bei Schwierigkeiten die Hilfe der Polizei in Anspruch nimmt. Jene Polizei also, die vom Schwarzen Block als Schweine und Faschisten betitelt werden.

Das Merkwürdige ist jedoch nicht allein diese Ungereimtheit, sondern die Tatsache, dass auch dieser Betreuer einige Immobilien sein eigen nennt, sich aber trotzdem bitter über den viel zu geringen Verdienst rechtlicher Betreuer beklagt. Aber vielleicht stellt dies gar keine Ungereimtheit dar, sondern vielmehr eine plausible Erklärung? Schließlich sieht sich der Schwarze Block als einzig wirkliche Vertretung der Ausgebeuteten dieser Welt und anscheinend zählt sich der betreffende Betreuer dazu. Oder geht es vielleicht doch um das edle Motiv der Solidarität mit den gesellschaftlich Benachteiligten? Wohl kaum, denn dagegen spricht seine Äußerung, auf die von ihm empfundene Minderentlohnung in Zukunft mit höheren Betreutenzahlen zu reagieren, Zitat: „Dann ist eben weniger Qualität drin.“ Mit anderen Worten: die Qualität der Betreuung von Schwerkranken und Hilfsbedürftigen wird dem Wunsch nach Gewinnmaximierung geopfert. Und diese Haltung habe ich erschreckend oft bei denjenigen beobachtet, die sich als linksradikal bezeichnen – der konkrete und persönliche Umgang mit Menschen ist von beängstigender Gleichgültigkeit und Kälte geprägt.

Sicherlich ist ein im Schwarzen Block marschierender Betreuer die Ausnahme. Was jedoch keine Ausnahme darstellt, ist der Umstand, dass paradoxerweise ausgerechnet diejenigen Betreuer über ihren angeblich geringen Verdienst klagen, die äußerst gut verdienen – wer sich gleich mehrere Wohnungen leisten kann, verdient zweifellos besser als all jene, die zur Miete wohnen oder allenfalls die selbstbewohnte Wohnung ihr eigen nennen. Und das Selbstverständnis, mit dem jemand – ob nun Betreuer oder nicht – sich trotz seiner eindeutig privilegierten gesellschaftlichen Position gegen eben diese Gesellschaft radikalisiert, kann nur als völliger Realitätsverlust bezeichnet werden. Bei den Teilnehmern des Schwarzen Blocks handelt es sich mit Sicherheit nicht um diejenigen, die für einen Hungerlohn als Putzfrau, Kellnerin oder Taxifahrer malochen, sondern um Menschen, die erheblich besser gestellt sind und die die Vorteile unseres Gesellschaftssystems für sich zu nutzen wissen.

Besagter Betreuer aus dem Schwarzen Block steht exemplarisch für jene, die wahrscheinlich das erste Mal im Schwarzen Block mitmarschierten, als sie noch Studenten waren und nur vom BAföG lebten. Obwohl das Einkommen mittlerweile längst nach oben schoss und obwohl man längst bestens mit dem kapitalistischen System kooperiert, wird munter weitergekämpft, als wäre die Zeit stehengeblieben. Wenn jemand außerdem keinen Widerspruch darin sieht, einerseits eng mit Judikative und Exekutive zusammenzuarbeiten und andererseits im gegen Staat, Kapital und Polizeigewalt kämpfenden Schwarzen Block zu marschieren, dann zeugt dies von einem kompletten Mangel an Selbstreflexion.

Etty Hillesum* hat diesen Typus schon vor langer Zeit sehr treffend beschrieben:
"Am deprimierendsten ist, dass es fast niemanden gibt, dessen innerer Horizont sich erweitert hätte. Sie leiden auch nicht wirklich. Sie hassen, sie sind in Bezug auf ihre eigene Person optimistisch verblendet, sie intrigieren und verteidigen ehrgeizig ihre Pöstchen, das Ganze ein riesiger Saustall.

Eine Frage muss ich zum Abschluss doch noch loswerden: gab es nicht früher in der Szene die Parolen: „keine Macht für niemand“ und „Eigentum ist Diebstahl“ oder erinnere ich das falsch?

* die 1943 in Auschwitz ermordete jüdische Autorin von "Das denkende Herz"

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Samstag, 8. Juli 2017, 01:23h

Der einzig mögliche Kommentar zu den Staaten des G20 Gipfels und zum Schwarzen Block:

behrens

„Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“
Max Liebermann*(1847-1935)

Richtig gelesen: ich bin sowohl gegen die Politik der G20 Staaten als auch gegen die Aktionen des Schwarzen Blocks. Um es noch besser auf den Punkt zu bringen – ich finde beide zum Kotzen!

Man fragt sich unweigerlich, wieso sich die beiden Fronten bekämpfen – die könnten doch problemlos Jobsharing machen.

*Liebermann soll das beim Vorbeiziehen eines Fackelzugs der Nazis gesagt haben.

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Mittwoch, 28. Juni 2017, 13:08h

Opfermythos als verhängnisvolles Pendant zum Feindbild - warum Sozialarbeit auf der Stelle tritt

behrens

Ich möchte hier drei Begebenheiten aus meiner Arbeitspraxis schildern, die exemplarisch für eine Einstellung stehen, die Menschen grundsätzlich von jeglicher Verantwortung freispricht, sofern diese Menschen Minderheiten angehören. Statt Eigenverantwortlichkeit wird bei diesem Personenkreis die Verantwortung für Fehlverhalten ausnahmslos bei der Gesellschaft gesehen. Alle Begebenheiten ereigneten sich im Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit, was nachdenklich macht, denn gerade in diesem Sektor hat es verheerende Folgen, wenn Menschen in die engen Kategorien von Feind und Opfer gepresst werden.

Eine der Begebenheiten ereignete sich während meiner Arbeit im Frauenhaus. Es handelt sich um eine Diskussion, in der eine Kollegin uns den Wandel in ihrer Einstellung gegenüber Gewalttätern beschrieb. Sie erzählte, wie sie und auch andere Weggenossinnen vor Beginn ihrer Arbeit im Frauenhaus die Ansicht vertrat, „man müsse alle Straftäter aus den Gefängnissen freilassen." Erst durch die Konfrontation mit der brutalen Gewalt, welche die Frauenhausbewohnerinnen erlebt hatten, änderte sich die Einstellung der Kollegin und sie empfand die Inhaftierung von Gewaltverbrechern nicht mehr wie zuvor als Menschenrechtsverletzung. Mir fehlen die Worte für diese schon ins Groteske mündende Naivität, der zufolge jeder Straftäter ausschließlich als ein Opfer gesellschaftlicher Missstände angesehen wird, das in keiner Weise verantwortlich für seine Handlungen ist und somit auch auf keinen Fall zur Rechenschaft gezogen werden darf.

Außer Frage muss Kriminalität immer im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse gesehen werden und Verbrechensbekämpfung muss immer auch auf die Veränderung der ursächlichen Faktoren abzielen. Aber deswegen Menschen, die eine Bedrohung für andere darstellen, nicht zur Verantwortung zu ziehen, ist nicht nur naiv, sondern grob fahrlässig. Darüber hinaus werden die Interessen des Opfers völlig vernachlässigt und bagatellisiert.

Eine weitere Begebenheit ereignete sich ebenfalls während meiner Zeit im Frauenhaus. Während einer großen Fortbildungsveranstaltung in einem Landhaus standen unvermutet drei Männer vor uns, die uns um eine Auskunft baten. An Sprache und Aussehen war klar erkennbar, dass es sich nicht um Deutsche, sondern offensichtlich um türkisch- oder arabischstämmige Männer handelte. Einer der Männer fragte immer wieder „Wo ist Chef?“ und als wir dies nicht beantworten konnten, fragte er aufgeregt noch weitere Male: „Wo ist der große Chef vom Haus?“. Als die drei gegangen waren, entrüstete sich eine meiner damaligen Kolleginnen: „Wer hat diesen Männern bloß ihr Deutsch beigebracht?“, denn für sie stand außer Frage, dass eine derartige Wortwahl auf keinen Fall von den betreffenden Männern selbst stammen, sondern nur durch einen fragwürdigen Unterricht durch Deutsche vermittelt worden sein konnte. Hierbei ist die Hintergrundinformation sehr wichtig, dass im damaligen Selbstverständnis der Frauenhausbewegung Hierarchien und damit verbundene offizielle Leitungsfunktionen rigoros abgelehnt und als patriarchalisch verdammt wurden. Gleichzeitig herrschte allerdings auch die Ansicht, alle sozialen Probleme, die Migranten betreffen, seien ausschließlich auf deren Diskriminierung und Benachteiligung zurückzuführen. Mit anderen Worten: verhält sich ein Migrant in irgendeiner Weise fragwürdig oder vertritt inakzeptable Werte, können die Gründe dafür niemals bei ihm selbst liegen, sondern zwangsläufig ist ausschließlich die Gesellschaft dafür verantwortlich..

Allerdings spiegelt gerade diese Begebenheit eine völlige Unkenntnis wieder, was das Thema des hierarchischen Wertesystems betrifft, denn ich habe in meiner Arbeit als Sozialarbeiterin (und auch privat) immer wieder die gänzlich gegenteilige Erfahrung zu der Einschätzung meiner damaligen Kollegin gemacht, denn gerade unter türkisch- oder arabischstämmigen Mitbürgern spielt es oftmals eine entscheidende Rolle, wie die hierarchische Rangfolge verläuft und wer die Position des Chefs innehat. Selbst im Kindergarten löcherte mich ein kleiner Afghane endlos mit der Frage, wer von den drei in der Leitung arbeitenden Mitarbeitern denn nun, wie er sich ausdrückte, „der Boss“ ist. Von all dem wusste meine damalige Kollegin jedoch nichts, denn sowohl privat als auch beruflich hatte sie überhaupt keine Kontakte zu Nichtdeutschen.

Ein letztes Beispiel, das ich anführen möchte, wurde von mir schon mal hier erwähnt im Zusammenhang mit der Thematik sexueller Gewalt. Bei den Recherchen für ein Referat zum Thema Gewalt gegen Frauen stieß ich mehr oder weniger zufällig auf den überproportionalen Ausländeranteil in Bezug auf Vergewaltigung. Als ich einer Sozialarbeiterin davon erzählte, erntete ich nicht nur einen sehr bösen Blick, sondern auch den Kommentar: „Dieser hohe Anteil kommt sicherlich daher, dass Frauen eher bereit sind, einen Ausländer anzuzeigen als einen Deutschen“. Mit anderen Worten – nicht die Tatsache des erheblich höheren Ausländeranteils bei Vergewaltigungen bedarf der Thematisierung, sondern das Verhalten der vergewaltigten Frauen. Damit umgeht man geschickt ein ungeschriebenes Gesetz, nämlich das unumstößliche Tabu, Wertvorstellungen anderer Kulturen kritisch hinterfragen zu dürfen. Und was noch schlimmer ist: man macht die Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern.

Alle drei hier beschrieben Begebenheiten machen eine verheerende Entwicklung deutlich: das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit ist dem des Opfermythos gewichen. Es ist zum Tabu geworden, Menschen Verantwortung zuzumuten, solange es sich dabei um Menschen handelt, die in irgendeiner Form gesellschaftlich benachteiligt sind. Wer dieses Tabu bricht, riskiert den Vorwurf der Kollaboration mit denjenigen, die in der Sozialarbeit gern als "die Herrschenden“ bezeichnet werden oder aber gegebenenfalls den Vorwurf des Rassismus. Das möchte sich niemand unterstellen lassen und so trägt man stillschweigend seinen Teil dazu bei, dass in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen eine Opferrolle für sich beanspruchen und die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln regelrecht verlernt haben. Auch hier kann ich ein Beispiel nennen, eine Diskussion im Bereich der Drogenarbeit, in der es um afrikanische Asylsuchende ging, die beim Dealen mit Kokain nicht davor zurückschreckten, dieses auch Kindern anzubieten. Als ich mein Unverständnis darüber äußerte, dass Menschen, die in einem Land Asyl beantragen, sofort dessen Gesetze brechen, konterte eine Kollegin wortwörtlich, dass „solche Menschen wie ich verantwortlich für Rassismus und Nationalismus sein“.

Wir sind in unserem Handeln schon seit langem blockiert durch den verhängnisvollen Irrtum, soziale Randgruppen seien per se von jeglicher Eigenverantwortung freizusprechen, während die sogenannten „Herrschenden“ zu Allmächtigen fantasiert werden, die wiederum per se schuldig an allem Übel der Welt sind. Anscheinend ist es nicht mehr möglich, das Prinzip der Selbstverantwortung gleichermaßen sowohl für denjenigen anzuwenden, die an den Schalthebeln der Macht sitzen als auch für denjenigen, die dieser Macht ausgeliefert sind.

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