Mittwoch, 6. Januar 2016, 01:45h

Auch mir ist das schon passiert. Ein Tabuthema

behrens

Ein Übergriff wie der, der in der Silvesternacht den jungen Frauen in Köln, Stuttgart, Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt widerfahren ist, ist vor vielen Jahren auch mir passiert. Ich fuhr spät nachts von einer Fête nach Hause, als auf dem Hamburger Hauptbahnhof plötzlich ein dunkelhäutiger Mann hinter mir stand, der mir brutal zwischen die Beine griff. Ehe ich mich wehren konnte, hatte sich der Mann schon entfernt und lief mit einem zweiten Mann davon. Vorher brachen beide noch in brüllendes Gelächter aus.

Die Frage, worin der Bezug zu Thematik meines Blogs „Betreuungen & Soziales“ liegt, kann ich damit beantworten, dass ich mein Sozialpädagogikstudium noch zu einer Zeit absolvierte, in der es undenkbar war, gesellschaftliche Probleme nicht in die Arbeit mit einzubeziehen und diese Ansicht vertrete ich immer noch, auch wenn dies mittlerweile längst nicht mehr selbstverständlich ist. Abgesehen davon befand sich mein Betreuerbüro nicht auf dem Land oder in einem Stadtteil wie Hamburg-Blankenese (genauso wenig wie mein Wohnviertel), sondern in Hamburg-Wilhelmsburg. Die Probleme, die sich aus dem Zusammenleben zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und alteingesessenen Hamburgern ergeben kann man dort beim besten Willen nicht ausblenden.

Ich zögerte ein wenig, diese Thematik hier in diesem Blog zu behandeln, denn ich höre schon den gebetsmühlenartig erhobenen Vorwurf: „Muss das jetzt wirklich sein, dass man vor dem Hintergrund von Pegida und brennenden Flüchtlingsunterkünften ausgerechnet über das Thema Ausländer und Gewalt schreibt?“ Ja, es muss leider sein, denn wenn man jetzt nicht anfängt, dieses Thema endlich einmal jenseits der üblichen Polarisierungen zu behandeln, riskiert man eine Gewaltspirale, die niemand mehr stoppen kann.

Ist das tatsächlich Rassismus?
Als ich Ende der 80er Jahren während meines Studiums für meine Diplomarbeit zum Thema Gewalt gegen Frauen recherchierte, suchte ich auch die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums auf (damals gab es kein Internet) um mich über die konkreten Zahlen über Vergewaltigung zu informieren. Neben diversen Daten wurde in der Statistik auch der Ausländeranteil genannt und ich war erschrocken darüber, dass dieser Anteil fast ein Drittel betrug. Damals war der Ausländeranteil an der Hamburger Bevölkerung erheblich geringer als heute, so dass man die Überproportionalität kaum leugnen konnte. Dabei möchte ich nicht unerwähnt lassen, welch merkwürdige Erklärung eine Berufskollegin zu meiner Recherche abgab, als ich den überproportionalen Anteil von Ausländern erwähnte. Ich erntete einen sehr bösen Blick und die Antwort: „Dieser hohe Anteil kommt sicherlich daher, dass Frauen eher bereit sind, einen Ausländer anzuzeigen als einen Deutschen“. Mit anderen Worten – Frauen lassen sich nicht durch das Maß an erfahrener Gewalt bei der Erwägung zu einer Anzeige leiten, sondern für die Motivation spielen rassistische Motive eine Rolle.

Ich möchte auch noch eine weitere Begebenheit hier erwähnen, die nichts mit sexueller Gewalt zu tun hat, aber trotzdem eine sehr typische Reaktion beschreibt. Ich habe früher kurzzeitig in der niedrigschwelligen Drogenarbeit gearbeitet und bei einem Gespräch mit Kollegen aus den anderen Einrichtungen kam das Thema darauf, dass die Kokaindealer nicht nur Erwachsenen Kokain anboten, sondern in einer bestimmten Straße auch Kindern auf ihrem Schulweg. Bei den Dealern handelte es sich zum damaligen Zeitpunkt fast ausschließlich um aus Afrika stammende Männer im Asylstatus. Ich äußerte, dass ich es nicht nachvollziehen kann, dass jemand von einem Land Asylschutz erwartet, in dem er sofort die Gesetze bricht und selbst davor nicht zurückscheut, Kinder zum Drogenkauf zu verleiten. Eine Kollegin polterte mich daraufhin sofort mit hochrotem Kopf an, „dass es solche Menschen wie ich wären, die für Rassismus und Nationalismus verantwortlich sind.“

Wieviel Eigenverantwortung darf man von Menschen erwarten?
Menschen, die Opfer von Verfolgung, Krieg und Gewalt sind, können durchaus auch selbst Täter sein und dabei anderen Menschen die gleiche Grausamkeit, Brutalität und Menschenverachtung zufügen, die sie selbst erfahren haben. Aber jemand, der andere Menschen brutal und menschenverachtend behandelt, kann nicht wegen der am eigenen Leib erfahrenen Brutalität und Menschenverachtung Schutz und Hilfe beanspruchen. Es entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit, wenn ein Mensch für sich ein Recht auf Schutz vor Gewalt beansprucht, der selbst auch Gewalt gegen andere ausübt. Man hilft weder Menschen mit Migrationshintergrund noch Flüchtlingen damit, wenn man ihnen jegliche Eigenverantwortung abspricht – im Gegenteil, man stellt damit ihre Mündigkeit in Frage.

Generalverdacht und Generalvorwurf
Kulturelle Unterschiede bedingen auch unterschiedliche Wertvorstellungen. Nur weil die westliche Kultur patriarchalische und hierarchische Strukturen oder religiöse Werte als überwunden ablehnt, heißt das nicht, dass dies auch in anderen Kulturkreisen im gleichen Maß der Fall sein muss.

Es gibt Wertesysteme, in denen es für eine selbstbestimmt und ungebunden lebende Frau kaum Probleme gibt. Es gibt Wertesysteme, in denen – zumindest von einem Teil der Bevölkerung – ein derartiger Lebensstil negativ bewertet wird. Im Zusammenleben beider Kulturen entstehen hierdurch Konflikte, die unglücklicherweise nicht zu einer Auseinandersetzung führen, sondern lediglich zu dem steten Vorwurf, sein Augenmerk nicht auf diejenigen zu richten, die in diese Konflikte involviert sind, sondern auf jene, mit denen das Zusammenleben konfliktfrei verläuft.

Es gibt mit Sicherheit viele Menschen, die generalisieren und grundsätzlich jeden Menschen mit ausländischen Wurzeln als Gefahr ansehen. Aber es gibt mit Sicherheit auch viele Menschen, die durchaus in der Lage sind, zu differenzieren. Zu dieser Kategorie rechne ich mich, da ich viele Ausländer im Bekannten- und Freundeskreis habe, seit vielen Jahren mit einem Nichtdeutschen liiert bin und auch schon selbst im Ausland gelebt habe. Abgesehen davon befasse ich mich schon seit langem mit den verschiedenen Religionen und bin weit davon entfernt, Religiosität pauschal als übel oder dumm einzustufen.

Der immer wieder erhobene Vorwurf des „Generalverdachts“ trägt nicht gerade zu einer Lösung der Probleme bei, sondern entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine Art „Generalvorwurf“, mit dem man genauso plump jegliche Kritik hartnäckig sofort vereinheitlicht als rassistisch, islamophob oder faschistisch. Vor allem ändert dieser Vorwurf nichts daran, dass die durch unterschiedliche kulturelle Werte bedingten Auseinandersetzungen immer heftiger werden und irgendwann zu einer Katastrophe führen können.

In dieser zermürbenden Spirale der gegenseitigen Verdächtigungen und Vorwürfe drehen wir uns nun schon seit einiger Zeit. Es kracht an allen Ecken. Immer öfter und immer heftiger. Und es passiert nichts anderes als die Erhebung gegenseitiger Unterstellungen. Die haben’s dafür aber auch in sich.

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Montag, 16. November 2015, 00:38h

behrens

Je suis Paris2

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Montag, 2. November 2015, 13:09h

Fernsehsendung zum Thema Sterbehilfe

behrens

Heute gab es eine Sendung zum Thema Sterbehilfe mit dem Titel: "Sterbehilfe - von den Bürgern gewollt, vom Staat verboten?"

Die Diskussion verlief streckenweise so, wie ich es erwartet habe: diejenigen, die Strebehilfe befürworten, betrachten sich unhinterfragt als diejenigen, die für die freie Willensentscheidung eintreten und die Gegner der Sterbehilfe stehen stellvertretend für jene, die Sterbenden eine freie Willensentscheidung absprechen.

Vor meiner Arbeit als Betreuerin wäre ich vielleicht für diese Polarisierung empfänglich gewesen, aber durch meine Erfahrung mit dem Thema Sterben komme ich nicht umhin, es differenzierter sehen zu müssen. Da ich die Vertreter beider Seiten kennengelernt habe, kann ich eindeutig sagen, dass es bei weitem nicht immer der Respekt vor dem freien Willen ist, der das Motiv des Eintritts für die Legalisierung der Sterbehilfe darstellt, sondern in den meisten Fällen ist es schlichtweg schnödes Desinteresse. Es ist enorm zeitintensiv, Gespräche mit den Betroffen und deren Angehörigen zu führen und nach Alternativen zu suchen. Nur wer sich wirklich für den Betroffenen interessiert, wird die Bereitschaft zeigen, dies in Kauf zu nehmen.

Unter den Betreuern sind es paradoxerweise gerade diejenigen, die sich durch ausgeprägt autoritäres Verhalten auszeichnen, die plötzlich vom freien Willen des Betreuten reden. Gerade die, denen der freie Wille des Betreuten ansonsten ziemlich egal ist, rücken in Bezug auf Sterbehilfe auf einmal den freien Willen in den Focus. Und was das Thema Respekt angeht – man sollte sich auch dabei nicht die Illusion machen, dass dies eine Eigenschaft ist, die besonders auf die Vertreter der Legalisierung der Sterbehilfe zutrifft.

Ich habe übrigens in keinem einzigen Fall in Bezug auf die ärztliche Behandlung Schwerkranker und Sterbender erlebt, dass Ärzte darauf drängten, jedes Mittel einzusetzen, um den Betreffenden möglichst lange am Leben zu halten. Im Gegenteil – ich war überrascht, wie klar angesprochen wurde, ob lebensverlängernde Mittel tatsächlich sinnvoll wären. Dabei sei betont, dass hierbei die Entscheidung mir als rechtlicher Betreuerin überlassen wurde und nicht überprüft wurde, wie eingehend ich mich bei dem Betreffenden und seinen Angehörigen über dessen Vorstellungen informiert habe. Da genau liegt der Schwachpunkt, denn es sollte verbindliche Richtlinien geben, die vorschreiben, möglichst genau mit dem Betreffenden und auch mit seinen Angehörigen zu recherchieren, wie der Betreute sterben möchte. Wobei ich nicht außer Acht lassen möchte, dass es offensichtlich einigen Angehörigen vor der Vorstellung eines langen Sterbeprozesses mehr graut, als den Sterbenden selbst.

Mit den Pflegekräften und ambulanten und stationären Pflegekräften von Sterbenden habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Übrigens nicht nur hier, sondern auch in Frankreich, wie ich an anderer Stelle beschrieben habe. Es ist sehr berührend, mit welch hohem Maß an Engement und Empathie diese Menschen sich für andere einsetzten. Aber ich möchte nicht verschweigen, dass das Leiden eines Menschen dennoch so stark und unerträglich sein kann, dass auch ein Höchstmaß an Pflege und Fürsorge nicht ausreicht. Dann – und nur dann –muss darüber nachgedacht werden, ob man dem Betreffenden in seinem Wunsch nach Erlösung durch den Tod entspricht. Dies ist jedoch keine Entscheidung, die allein an juristischen Kriterien festgemacht werden kann, sondern es geht in erster Linie um Empathie und die Fähigkeit, Menschen die Hilfe zu geben, die sie benötigen.

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