Freitag, 11. Juli 2014, 14:44h
„Denn ich bin gut dort wo ich bin“ – Statement zur Sterbehilfe von jemandem, der Glück im Unglück hatte
Durch den Film „Ziemlich beste Freunde“ wurde ich aufmerksam auf die Lebensgeschichte des Franzosen Philippe Pozzo di Borgo, der seit über zwanzig Jahren aufgrund eines Unfalls querschnittgelähmt ist. Im Film steht fast allerdings fast ausschließlich die Freundschaft zu seinem Pfleger Abdel Sellou im Mittelpunkt, während in der zugrunde liegenden Biographie, die ich bisher noch nicht gelesen habe, auch eingehend der Lebensalltag eines Querschnittsgelähmten und seine Zeit vor dem Unfall beschrieben wird.
Bei Stöbern im Internet fand ich auch ein aktuelles Interview mit Philippe Pozzo di Borgo, in dem er sich zur Sterbehilfe äußert. In Frankreich ist die Gesetzeslage ähnlich wie in Deutschland, das Einstellen lebenserhaltender Maßnahmen ist unter gewissen Umständen erlaubt, aber aktive Sterbehilfe ist verboten. Und ähnlich wie in Deutschland wird darüber diskutiert, ob nicht im Interesse der unheilbar Kranken auch aktive Maßnahmen erlaubt werden sollten („Leonetti-Gesetz“).
Wie beurteilt nun jemand wie Philippe Pozzo di Borgo die aktive Sterbehilfe? Dieser Mann, der vor seinem Unfall ein überaus aktives und selbstbestimmtes Leben geführt hat. Er äußert sich hierzu ganz konkret:
"Man stellt mir die Frage: "Hättest du gewünscht, dass man die Maschinen abschaltet, als es dir nach deinem Unfall so schlecht ging?" Sicher, ich habe daran gedacht, mich nach meinem Unfall umzubringen, aber 20 Jahre danach bin ich jetzt ziemlich zufrieden, dass man die Maschinen nicht abgestellt hat. Man darf diese Dinge nicht überstürzen, ich hätte es lieber, dass die Leute sich die Zeit nehmen, diese Frage zu betrachten, anstatt in einer Aufregung an ein Thema heranzugehen, die nur so lange wie eine Fernsehsendung andauern wird, bevor man dann diese Angelegenheit mit einem unglücklicherweise endgültigen Gesetz beerdigt.
(…) Und ich finde, dass das Leonetti-Gesetz diese Weisheit hat, viele nach ihrer Meinung zu fragen anstatt auf monolithische Art Gesetze zu erlassen. Wenn Sie mich gebeten hätten, als ich noch gesund war, ein Papier zu unterzeichnen, dass man die Maschinen abstellen sollte, wenn ich in so einem so katastrophalen Zustand geraten würde, hätte ich es unterschrieben genauso wie es heute 92 % der Franzosen tun würden. Nett, dass Sie mir jetzt nicht die Maschinen abstellen, denn ich bin gut dort wo ich bin.“
Dann wird ein älteres Interview zitiert, in dem Philippe Pozzo di Borgo sich zu dem Recht äußert, den Schmerz zu unterbrechen:
"Was meinen Schmerz betrifft, mischen Sie sich bitte nicht ein. Ich möchte so lange wie ich es kann selbst darüber bestimmen. Und ich möchte nicht, dass jemand für mich entscheidet. Unsere keimfrei gemachte Gesellschaft spricht ungern über Schmerz. Dennoch gibt es einen Reichtum im Schmerz. Sie investieren wieder in die Gegenwart. Sie leben nicht in Bedauern und Erinnerungen, Sie machen keinen Plan über unseren Planeten, weil Sie von dem Schmerz beansprucht werden. Unsere Gesellschaft gleitet durch die Gegenwart, immer mit einem Kalender von 24 Stunden im Voraus im Kopf. Legen Sie ein wenig mehr Gewicht auf den gegenwärtigen Augenblick.“
Während im neueren Interview deutlich betont wird, dass es sehr wohl auch unter größten körperlichen Einschränkungen möglich sein kann, sein Leben zu lieben, betont Philippe Pozzo di Borgo im älteren Interview, wie wichtig die Selbstbestimmung in Bezug auf das Aushalten des eigenen Leidens ist. Interessant ist jedoch, dass er nicht den Bogen zieht zum allgemein postulierten: „Jeder hat ein Recht, seinen Schmerz zu beenden“ sondern er kritisiert im gleichen Atemzug das Bedürfnis nach Tabuisierung des Schmerzes und des Leidens. Man könnte sich jetzt fragen: „Ist er denn nun für oder gegen das Recht auf Sterbehilfe?“ Aber wenn man seine Aussagen genau liest, dann erkennt man, dass er aus gutem Grund eine Festlegung ablehnt und stattdessen auf die Bandbreite der Thematik hinweisen will und dabei betont, wie enorm wichtig es ist, sich für eine so existentielle Entscheidung viel Zeit zu nehmen und möglichst viele Meinungen einzuholen.
Respekt vor dem Leiden eines Menschen und seiner Autonomie äußert sich eben gerade nicht in vorschneller und eigenmächtiger Befürwortung des Wunsches nach Sterbehilfe, sondern in der Bereitschaft, sich mit dessen Leiden vor dem Hintergrund seiner individuellen Biographie auseinanderzusetzen.
„Es gibt einen Reichtum im Schmerz“ – diese Aussage aus dem Munde eines Menschen zu hören, der mit Sicherheit ein Höchstmaß an Schmerz am eigenen Leib ertragen muss, öffnet die Sicht auf den existentialistischen Bereich des Daseins, ein Bereich, der durch unsere extrem materialistisches Weltauffassung kaum noch wahrgenommen wird. Und Philippe Pozzo di Borgo trifft mit seiner Formulierung der „keimfrei gemachten“ Gesellschaft genauso ins Schwarze wie mit seiner Kritik an einer überschnell getroffenen Entscheidung zugunsten der Sterbehilfe,
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – niemand darf gezwungen werden, über das Erträgliche hinausgehende Schmerzen zu erdulden. Aber es ist eine Anmaßung, beurteilen zu wollen, ob das Leben eines anderen Menschen für diesen noch lebenswert ist oder nicht. Erst wenn alles getan wurde, um dem Betreffenden sein Leiden zu erleichtern und erst wenn alle Menschen zu Rate gezogen wurden, die dem Betreffenden nahe stehen, werden die Voraussetzungen geschaffen, um den Wunsch nach Sterbehilfe – so dieser unverändert weiterbesteht – erfüllen zu dürfen.
Wie gut, dass es Menschen wie Philippe Pozzo die Borgo gibt, die uns an ihrer Lebensgeschichte teilhaben lassen. Und welch Glück hatte er, dass es niemanden gab, der – mit dem Blick zur Uhr – jegliche Entwicklungsprozesse verhindert hätte durch das lapidare „Wer sterben will, soll doch sterben“.
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Donnerstag, 3. Juli 2014, 01:55h
Betreuer und Pflegedienste – wenn aus Zusammenarbeit fragwürdige Alliancen entstehen
Können es Betreuer eigentlich beeinflussen, ob ihnen Betreuungen zugewiesen werden? Eigentlich nicht, denn im Grunde gibt es hierfür einen klar geregelten Ablauf: die behördliche Betreuungsstelle schlägt für die einzurichtenden Betreuungen einen aus ihrer Sicht geeigneten Betreuer vor. Seltener, aber durchaus auch möglich ist der direkte Vorschlag durch einen Betreuungsrichter. Näheres habe ich hier schon früher beschrieben.
Allerdings habe ich jetzt von einer dritten Variante gehört, die wenig vertrauenerweckend wirkt: für den Patienten eines Pflegedienstes wird eine Betreuung beantragt und die Betreuungsstelle kontaktet einen Betreuer, den sie als geeignet erachtet und es wird die Übernahme der Betreuung eingeleitet. Dann passiert jedoch etwas eher Unübliches, denn ein anderer Betreuer meldet sich bei der Betreuungsstelle und empfiehlt sich selbst als geeigneten Betreuer, obwohl die Wahl schon auf jemand anderen gefallen ist. Der ihm bekannte Pflegedienst hat über die anstehende Betreuungseinrichtung informiert und offenbar bestand Einigkeit darüber, dass man die Chance nutzen sollte, um die Auswahl der Betreuungsstelle zu beeinflussen.
Was ist daran so heikel? Pflegedienste und Betreuer arbeiten oftmals eng zusammen. Mit der Zeit kristallisiert sich auf beiden Seiten heraus, mit welchen Betreuern und mit welchen Pflegediensten man gut und kooperativ zusammen arbeitet. Daran gibt es prinzipiell auch überhaupt nichts auszusetzen, sondern es ist der ganz normale Lauf der Dinge, wenn ein Betreuer sich einen Pflegedienst sucht, bei dem er seine Betreuten als gut versorgt empfindet und wenn ein Pflegedienst es befürwortet, dass seine Patienten einen Betreuer erhalten, der sich optimal um seinen Betreuten kümmert. Heikel wird es allerdings in dem Moment, wo es gar nicht um die gegenseitige gute Zusammenarbeit und um die gleichen Vorstellungen von Arbeitsqualität geht, sondern darum, dass man sich quasi gegenseitig mit „Kunden“ versorgt. Frei nach dem Motto „Ich schlage dich als Betreuer vor und du beauftragst mich mit der Pflege.“
Auch ich habe im Laufe meiner Arbeit Pflegedienste kennengelernt, mit denen die Zusammenarbeit besonders gut war und deren Vorstellung einer optimalen Versorgung der meinen entsprach. Ehrlicherweise muss ich auch zugeben, dass auch ich schon von Pflegediensten vorgeschlagen wurde, wobei man allerdings betonen muss, dass es ein Vorschlagsrecht im eigentlichen Sinne gar nicht gibt. Es gibt lediglich die Möglichkeit, bei der Recherche der Betreuungsstelle eigene Erfahrungen mit Betreuern zu erwähnen und natürlich wird jeder Pflegedienst dann diejenigen Betreuer nennen, mit denen gute Erfahrungen gemacht wurden.
Aber genau darum geht es eben nicht, wenn es sich lediglich um einen Deal handelt, der einzig und allein zum Ziel hat, neue „Kunden“ zu erhalten. Auch wenn sich die Betreuungsstelle in ihrer Auswahl eines geeigneten Betreuers vielleicht in einem Einzelfall irren kann, so stellt sie dennoch eine neutrale Instanz dar, deren alleiniges Ziel es ist, für einen Menschen, der eine rechtliche Betreuung benötigt, den für ihn am besten geeigneten Betreuer auszusuchen.
Es ist auch für die Betreuungsstelle kein Geheimnis, dass so mancher Betreuer hauptsächlich mit einem bestimmten Pflegedienst zusammenarbeitet und dabei längst nicht immer primär das Wohl des Betreuten im Mittelpunkt steht. Ein Betreuer, der sehr oft den gleichen Pflegedienst für seine Betreuten einsetzt, kann mit Sicherheit mit sehr viel Entgegenkommen rechnen. Kein Pflegedienst wird sich das Verhältnis zu einem Auftraggeber verscherzen, wenn dieser ein „Großkunde“ ist. So kommt es dann dazu, dass so manches an Extraservice geleistet wird, was normalerweise nicht üblich wäre. Natürlich stellt dieser Aspekt keinen Nachteil für den Betreuten dar. Problematisch ist es jedoch, wenn der Pflegedienst sich aufgrund seiner verstärkten wirtschaftlichen Abhängigkeit gezwungen sieht, auch solche Verhaltensweisen des Betreuers zu akzeptieren, die völlig inakzeptabel sind. Und genau dies machen sich gerade denjenigen Betreuer gezielt zunutze, die für ihren autoritären Führungsstil bekannt sind. Sicher, dieser Typus stellt glücklicherweise nicht die Mehrheit der Betreuer dar. Aber dennoch darf dieses Problem nicht verharmlost werden, zumal es in diesen Fällen sogar dazu kommt, dass Betreuer den Pflegedienst gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten wechseln.
Es ist weder akzeptabel, wenn Betreuer sich mithilfe eines Pflegedienstes selbst vorschlagen und damit die neutrale Instanz der Betreuungsstelle aushebeln und einen von dort vorgeschlagenen Kollegen ausbooten, noch ist es akzeptabel, wenn Betreuer unselige Alliancen mit Pflegediensten eingehen, die nicht auf das Wohl des Betreuten ausgerichtet sind, sondern der Festigung der eigenen Machstellung dienen. Letztendlich hat dies nur einen einzigen Grund – erforderliche Auseinandersetzungen zu vermeiden um Zeit zu sparen und hierdurch mehr Betreuungen führen zu können. Das oft zitierte Wohl des Betreuten bildet bei der Rangfolge dieser Prioritäten das traurige Schlusslicht.
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Dienstag, 24. Juni 2014, 20:29h
Späte Einsichten
„Die vollständige Privatisierung öffentlicher Dienste war eine Verwirrung, von der wir uns stückweise verabschieden.“
Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen beim SPD-Parteitag
Energieversorgungsunternehmen, Heime, Krankenhäuser – aus unerklärlichen Gründen hat man sich von der Privatisierung mehr Effektivität versprochen. Das mag im Einzelfall ja durchaus mal funktionieren, aber die Regel ist es nicht und die große Verbesserung blieb aus. AGs, GmbHs, Agenturen – alles keine Garantie für bessere Resultate.
Auch im Bereich der rechtlichen Betreuungen wird schon seit längerem der Ruf nach behördlicher Einbindung laut. Wobei die Frage, ob dies letztendlich weniger Kosten verursachen würde, entscheidend von der zu Grunde liegenden Fallzahl abhängt. Warten wir’s ab.
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