Donnerstag, 31. Juli 2014, 02:43h

Einer der es wissen muss

behrens

„Je größer die Scheiße, desto größer sind die Summen für corporate sociability“
Rainer Voss in „Master of the universe“

Der Begriff der corporate sociability steht im weitesten Sinn für Beitrag zum Gemeinwohl. Der Ex-Banker Rainer Voss verwendet diesen Anglizismus im Zusammenhang mit dem Phänomen, dass viele Banken Stiftungen gründen. Als Insider hat Voss genug Einblick, um sich nicht darüber hinwegtäuschen zu lassen, dass dies nichts anderes als ein kläglicher und peinlicher Versuch ist, von den ausschließlich an Profitmaximierung orientierten Leitlinien abzulenken. Und je knallharter und rücksichtsloser diese umgesetzt werden desto größer fallen seiner Erfahrung nach die Stiftungen aus. Wie ich ja hier auch schon beschrieben habe, macht es auch mich stutzig, wenn Stiftungen von Leuten gegründet werden, die grundsätzlich nur über Geld reden und deren Ruf in Bezug auf den Umgang mit anderen Menschen denkbar schlecht ist

Wer sich für die Mechanismen und Hintergründe der Welt der Geldmanager interessiert, dem sei diese Doku wärmstens empfohlen.

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Mittwoch, 23. Juli 2014, 02:53h

Kranke Kinder und Hartz IV

behrens

Die Umstellung von Sozialhilfe auf Hartz IV war mit vielen Streichungen verbunden, von denen die Öffentlichkeit weitgehend gar nichts mitbekommen hat. So war es vor der Reform beispielsweise möglich, dass vom Sozialamt die Kosten für verordnete Brillen, rezeptfreie Medikamente, erforderliche Taxifahrten zum Arzt/zur Klinik oder für manche orthopädische Hilfsmittel übernommen wurden. Außerdem waren Verordnungen noch nicht generell mit einem Eigenanteil verbunden. Ich will nicht abstreiten, dass es in manchen Fällen auch zu Missbrauch kam, aber für viele war die Kostenübernahme unentbehrlich, wie z.B. für Heimbewohner, die ja gar keinen Regelsatz mehr erhalten, sondern nur ein Heimtaschengeld, von dem nur schwer die Kosten für eine Brille gezahlt werden können.

Wahrscheinlich machen sich diejenigen, denen ein normales Gehalt zur Verfügung steht keine Vorstellung davon, wie schwer es ist, die durch die Erkrankung eines Kindes entstehenden Mehrkosten zu bewältigen. Ich habe gerade aus nächster Nähe mitbekommen, was dies für Eltern bedeutet, deren frisch operierter Säugling noch zur Nachbehandlung ins Krankenhaus gefahren werden muss. Da Hartz IV-Empfänger in der Regel kein Auto haben und öffentliche Verkehrsmittel von den behandelnden Ärzten als zu gefährlich und belastend eingestuft werden, bleibt nur das Taxi für den Transport. Liegt das Krankenhaus am anderen Ende der Stadt, kann dies mal eben 100,00 € für Hin- und Rückweg kosten. Aber auch schon die durch die Besuche im Krankenhaus anfallenden Fahrtkosten sind nicht unerheblich, wenn man bedenkt, dass beispielsweise eine Tageskarte für einen Erwachsenen schon fast 6,00 € kostet.

Aber es gibt auch noch andere Schwierigkeiten. Die Wohnungen, in denen Hartz IV Empfänger leben, sind oftmals sehr beengt und so kann die dringende Empfehlung des Arztes, das Kinderbett im Schlafzimmer unterzubringen nicht immer erfüllt werden. Bei all dem muss man sich vor Augen halten, welcher psychischen Belastung Eltern ausgesetzt sind, deren neugeborenes Kind gerade eine lebensbedrohende Erkrankung nur knapp überlebt hat. Sich dann noch den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, wie man die finanziellen Mehrkosten irgendwie in den Griff bekommt, kann die ohnehin hohe Anspannung noch weiter erhöhen.

Manchmal berührt es mich eigentümlich, wenn ich in irgendeinem Fernsehfilm ein geräumiges nett ausgestattetes Kinderzimmer sehe, in dem eine entzückende Wiege vor einem großen hellen Fenster mit Blick auf den eigenen Garten steht. Mir fallen dann die vielen winzigen Kinderzimmer ein, die ich im Rahmen meiner Arbeit kennengelernt habe, die allenfalls halb so groß sind und die sich von mehreren Geschwistern geteilt werden müssen. Zimmer mit zur Straße gelegenen Fenstern, die oft geschlossen gehalten werden, weil der Straßenlärm kaum auszuhalten ist. Einen Garten, in den man die Kinder auch spielen lassen kann, ohne jede Minute dabei sein zu müssen, gibt es so gut wie nie.

Sicher, eine glückliche Kindheit ist nicht von der Größe des Kinderzimmers abhängig. Aber eine belastende Situation – und dazu zähle ich eine schwere Erkrankung eines Kindes – wird noch schwieriger, wenn sich alle auf die Füße treten und das Haushaltsbudget so gering ist, dass selbst geringe Mehrkosten schon bedenkliche Einschränkungen verursachen.

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Donnerstag, 17. Juli 2014, 02:25h

Schein und Sein

behrens

Gestern habe ich einen Anruf einer Angehörigen eines Betreuten erhalten, die dringend einen neuen Betreuer für ihren Sohn sucht. Ich war äußerst erstaunt, dass mich jemand auf einer Nummer erreichte, die nur wenigen bekannt ist. Der Sohn der Betreffenden befindet sich zur Zeit in einer psychiatrischen Einrichtung und die Mutter und der Sohn sind mit der jetzigen Betreuerin nicht zufrieden. Meinen Namen hat sie von den behandelnden Ärzten erhalten, da diese anscheinend nicht wussten, dass ich nicht mehr als Betreuerin arbeite. Ich kann nicht leugnen, dass ich ein wenig stolz darauf war, vom Krankenhaus weiterempfohlen zu werden. Allerdings ist dies nicht der Grund, warum ich diese Begebenheit hier erwähne, auch wenn mir dies mit Sicherheit von einigen Kollegen unterstellt werden wird.

Was die Beschwerde über einen Betreuer betrifft, so ist es auch mir schon passiert, dass Betreute oder Angehörige mit meiner Arbeit nicht zufrieden waren und einen Betreuerwechsel wünschten. Wenn ich nachrechne, müsste dies so um die drei bis vier Mal passiert sein. Und ich selbst habe in Bezug auf meine Arbeit im nachherein auch längst nicht bei allen Betreuten das Gefühl, dass ich alles so gemacht habe, wie es optimal gewesen wäre.

Mit der Betreuerin, mit der der Betreute und seine Mutter nicht zufrieden waren, hatte ich früher schon zu tun gehabt. Als ich vor etwa einem Jahr ein Fernsehinterview gab, machte sie mir anschließend bitterste Vorwürfe, da ich in dem Interview auch erwähnte, dass es so manches gibt, das dringend verbessert werden sollte. Ich erinnere mich noch an den Wortlaut der Vorwürfe: „Kritik darf nicht in einer solchen Sendung vorgetragen werden, jeder Betreute hat schließlich die Möglichkeit, sich bei Gericht zu beschweren“. Abgesehen davon, dass ein Großteil der Betreuten definitiv nicht in der Lage ist, sich für seine Rechte einzusetzen und sich selbst zu beschweren (sonst hätten diejenigen wohl kaum eine Betreuung erhalten) steht diese Einstellung für eine Überzeugung, die davon ausgeht, dass es grundsätzlich keinen Grund zur Kritik gibt, da Betreuer ausnahmslos mit allerhöchsten Qualitätsanforderungen an sich selbst und somit fehlerfrei arbeiten. Diesen Eindruck hat man übrigens sofort, wenn man sich die Homepage – die es selbstverständlich gibt – ansieht. Diverse Fortbildungen und Abschlusse werden aufgelistet und als Leitbild wird formuliert „Der betreute Mensch steht im Focus“. Alles weist darauf hin, dass die Arbeit so qualifiziert und vorbildlich gemacht wird, dass es niemals einen Grund für berechtigte Kritik geben wird.

Aber wie passt dieses Bild absoluter Perfektion damit zusammen, dass es anscheinend doch vorkommt, dass jemand sich nicht gut betreut fühlt? Ein Einzelfall ist dies übrigens nicht, denn auch eine meiner früheren Betreuten, die ich zufällig traf und die nach Beendigung meiner Tätigkeit von besagter Betreuerin übernommen wurde, hatte einen Betreuerwechsel beantragt und wird inzwischen von jemanden betreut, bei dem sie sich nach eigenen Aussagen wohler fühlt. Man könnte jetzt anführen, dass es sich vielleicht bei der Mutter des Betreuten um eine besonders quenglige und renitente Angehörige handelt. Den Eindruck machte die Betreffende beim Telefonat jedoch nicht, denn sie erhob weder überhöhte Ansprüche noch äußerte sie sich in irgendeiner Form abfällig über die Betreuerin. Der Angehörigen ging es lediglich darum, dass nicht über den Kopf ihres Sohnes hinweg entschieden werden soll, sondern er mitbestimmen möchte.

Um es nochmals zu betonen – es geht mir nicht darum, Urteile darüber zu fällen, ob jemand seine Arbeit gut oder schlecht macht. Was mir jedoch immer ein großes Anliegen war und auch weiterhin sein wird, ist die Auseinandersetzung mit der Frage, in wieweit Anspruch und Realität des Betreuungsgesetzes übereinstimmen und wie man der zunehmenden Kritik an Betreuern konstruktiv begegnen könnte. Die Inszenierung eines Bildes der Perfektion ist dabei genauso wenig hilfreich wie das Totschweigen von Kritik, denn beides verhindert den dringend erforderlichen Dialog mit der Öffentlichkeit.

Während all der Jahre, die ich als Betreuerin gearbeitet habe, habe ich immer wieder festgestellt, dass sich gerade diejenigen Kollegen engagiert und mit dem Ansatz eines demokratischen Führungsstils um ihre Betreuten kümmern, denen die Inszenierung einer Außendarstellung gleichgültig ist und die kein Problem damit haben, dass aus den eigenen Reihen auch Kritik geäußert wird. Und auf der anderen Seite sind gerade mit denjenigen Betreuern, die Auseinandersetzung mit Kritik vehement ablehnen und die sehr viel Wert auf ein ausschließlich positiv inszeniertes Außenbild legen, viele nicht besonders zufrieden.

Ich habe diesem Beitrag den Titel „Schein und Sein“ gegeben, denn genau darum geht es – um das Bild, das nach außen vermittelt wird und um das, was tatsächlich dahinter steckt. Dies ist beileibe kein Thema, dass nur den Bereich der Betreuungen betrifft, denn inzwischen werben auch Pflegeheime, Jungendeinrichtungen, Beratungsstellen etc mit Selbstdarstellungen, die keinerlei Informationen mehr enthalten, sondern stattdessen lediglich aus Aneinanderreihungen positiver Attribute und hochkarätiger Zielformulierungen bestehen. Eigentlich müsste man überall nur noch hochzufriedene überglückliche Menschen antreffen, wenn all dies tatsächlich zuträfe – was natürlich nicht der Fall ist.

Gehen wir doch wieder ein wenig mehr ins Sein, anstatt uns dem Schein zu widmen. Lassen wir doch einfach Kritik zu, anstatt uns als perfekt darzustellen. Die Betroffenen würden es uns sicher danken…

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