Freitag, 30. Mai 2014, 18:00h
Aus aktuellem Anlass – nochmals das Thema Kunde versus Klient
Zu meiner Verwunderung wird seit einigen Wochen einer meiner älteren Beiträge täglich mehrmals angeklickt. Es handelt sich um den Beitrag „Sprachliche Verwirrungen – aus Klienten werden Kunden.“ Ich habe daraufhin mal ein wenig gegoogelt und dabei wurde ersichtlich, dass es mittlerweile sehr viele Artikel zu der Thematik des Begriffswandels gibt und es wurden auch schon entsprechende Hausarbeiten hierzu verfasst.
Obwohl mich das Thema nach wie vor interessiert, habe ich mir die meisten Artikel ganz bewusst nicht angesehen. Dies ist nicht durch Desinteresse begründet, sondern dadurch, dass ich es mir schlichtweg nicht antun möchte, mich mit den haarsträubenden Theorien der Befürworter der Verwendung des Begriffs des „Kunden“ in der sozialen Arbeit auseinanderzusetzen. Da werden so absurde Argumente angeführt wie die, dass die herkömmliche Verwendung des Begriffs des Klienten den Betreffenden zu einem Objekt degradiert, indem er ihn in eine „defizitäre“ Rolle drängen würde. Hierbei werden sämtliche geschichtliche Entwicklungen in der sozialen Arbeit wie zum Beispiel das Leitbild des klientenzentrierten Arbeitens und der Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe hartnäckig ignoriert.
Was ebenfalls gänzlich ignoriert wird, ist die Tatsache, dass ein Hilfebedarf nicht das Gleiche ist wie ein Konsumbedürfnis. Wer dringend Hilfe braucht, weil er beispielsweise schwerkrank ist und sich sowie gegebenenfalls seine Angehörigen nicht mehr ausreichend versorgen kann, befindet sich nicht in derselben Situation wie jemand, der in ein Kaufhaus geht, weil er ein Konsumprodukt benötigt. Noch weitaus absurder ist jedoch die Ansicht, dass ausgerechnet „Kunden“ nicht den Status eines Objektes innehätten. Hierbei wird der betriebswirtschaftliche Hintergrund dieses Begriffes völlig ausgeblendet, der nicht zum Ziel hat, einen Kunden optimal zu behandeln, sondern darauf ausgerichtet ist, an einem Kunden maximal viel Geld zu verdienen. Wäre dies nicht so, dann würden wohl kaum Unsummen für das riesige Heer von Werbepsychologen ausgegeben werden, deren Aufgabe einzig und allein darin besteht, zu mehr Konsum zu verleiten.
Wird der bisherige sozialpolitische Begriff des Klienten tatsächlich gegen den wirtschaftspolitischen Begriff des Kunden ausgetauscht, dann passt auch der Begriff Sozialarbeit nicht mehr und müsste konsequenterweise neu definiert werden. Aber welcher Begriff wäre geeignet? Soziales Geschäftswesen? Soziale Dienstleistung – oder für diejenigen, die Anglizismen für unverzichtbar halten: Social Business? Steht dabei dann tatsächlich noch der Hilfeempfänger im Mittelpunkt wie ja so gern behauptet wird oder geht es dabei nicht vielmehr um diejenigen, die ein Interesse daran haben, die Arbeit mit möglichst geringem Zeitaufwand auszuführen? Weitere Fragen, die bei der Verwendung von rein wirtschaftlichen Begrifflichkeiten auftauchen: Was wird aus der wissenschaftlichen Begleitung, die für soziale Arbeit so unverzichtbar ist? Wird die dann durch „Markforschung“ ersetzt? Und was wird aus der ebenfalls unverzichtbaren Öffentlichkeitsarbeit? PR-Aktionen und Werbecampagnen?
Das eigentlich Interessante bei der Frage nach Sinn und Unsinn der Verwendung des Begriffs des Kunden wäre natürlich eine konkrete Überprüfung der Folgen, die sich durch die Begriffsänderung ergeben.Hierbei muss man jedoch zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass sich die Verwendung des Begriffs noch längst nicht überall etabliert hat. Außerdem gibt es auch unter all jenen, die einheitlich den Begriff des Klienten verwenden, gravierende Unterschiede im Umgang mit dem Klientel. Allein die Verwendung des Begriffs des Klienten sagt noch überhaupt nichts über dessen Behandlung aus. Aber ungeachtet dessen wird vermutlich irgendwann die Entwicklung zum Übergang zu neuen Begrifflichkeiten und Definitionen einsetzen.
Die entscheidende Frage wird dann sein: verhalten sich diejenigen, die den Begriff des Kunden verwenden, tatsächlich respektvoller und weniger autoritär als diejenigen, die den Begriff des Klienten verwenden? Wird einem „Kunden“ tatsächlich mehr Autonomie und Mitspracherecht eingeräumt als einem Klienten? Der Logik der Theorie des „Kunde = selbstbestimmtes Subjekt“ und „Klient = abhängiges Objekt“ zufolge müssten sich die „Kunden“ sehr viel besser behandelt fühlen als die Klienten. Aber genau daran habe ich Zweifel.
Ich habe in meinem früheren Kollegenkreis bereits das genaue Gegenteil erlebt. So tituliert ausgerechnet ein Betreuer, dessen Verhalten überall als ausgesprochen autoritär und respektlos beurteilt wird, seine Betreuten als Kunden. Auch wenn man diesen Einzelfall natürlich nicht verallgemeinern kann, so wird dadurch immerhin exemplarisch deutlich, dass die Verwendung des Begriffs des Kunden überhaupt nichts damit zu tun haben muss, ob der Klient respektvoll und auf Augenhöhe behandelt wird. Es ist nicht auszuschließen, dass der Hintergrund des Begriffswechsels eher auf das Gegenteil hinweist, nämlich auf eine Haltung, die die Komplexität einer sozialen Aufgabe auf den rein wirtschaftlichen Aspekt reduziert. Es geht dann folglich dabei nicht um die Aufhebung des angeblichen Status eines Objekts, sondern vielmehr um die Reduzierung auf die Funktion eines Käufers (denn genau das ist ein Kunde), die nur einen geringen Teilaspekt einer komplexen Sichtweise erfasst. Das ist dann weniger eine Frage des Respekts als vielmehr ein Frage der Arbeitsersparnis.
Um wieder auf den Ausgangspunkt meines Beitrags zurückzukommen, nämlich die Auseinandersetzung um den Hintergrund des Austauschs des Begriffs des Klienten gegen den des Kunden im Bereich der sozialen Arbeit – das unerwartet große Interesse an diesem Thema macht deutlich, dass es eben nicht nur um Begrifflichkeiten geht, sondern um nichts Geringeres als um die Vereinnahmung sozialer Arbeit durch rein wirtschaftliche Aspekte. Dies allein ist schon beunruhigend. Aber man erweist der Sozialpolitik einen Bärendienst, wenn man das Ganze dann noch als eine Verbesserung im Sinne von mehr Ebenbürtigkeit und mehr Mitbestimmung deklariert. Und last-not-least – das, was sich in der Wirtschaft abspielt, hat nicht unbedingt den Vorbildcharakter, an dem man sich kritiklos orientieren sollte…
Hier noch ein Tipp für diejenigen, die zur Thematik ein wenig weiterlesen wollen:
http://www2.fhstp.ac.at/~webmaster/equal_template/content/Downloads/03_Qualit%E4t-in-der-Beratung-Betreuung/Kundenbegriff_der_Sozialen-Arbeit.pdf
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Mittwoch, 28. Mai 2014, 12:23h
Ein Angebot, das ich lange vermisst habe – Reisen für arme Senioren
Wer nur über ein Existenzminimum verfügt, hat keine Möglichkeit, zu reisen. Dies gilt nicht nur für diejenigen, die im Bezug von Hartz-IV-Leistungen stehen, sondern auch für all jene, die im Alter so wenig Rente haben, dass mit Grundsicherungsleistungen aufgestockt werden muss. Bei manchem beruht die geringe Rente darauf, dass zur Zeit der Erwerbsfähigkeit nur wenig gearbeitet wurde, aber bei vielen resultiert die geringe Rente allein auf dem Umstand, dass immer nur ein geringes Gehalt bezogen wurde. Mit anderen Worten – für diejenigen, die zu Erwerbszeiten an der Armutsgrenze lebten, ändert sich dies auch im Alter nicht. Wer also schon zu Erwerbszeiten nie über das Geld zum Reisen verfügte, wird auch im Alter keine Reisen machen können.
Gestern las ich in unserem Lokalblatt eine Anzeige, die ich unbedingt hier wiedergeben möchte:
Die Deutsche Hilfsgemeinschaft Hansestadt Hamburg organisiert seit einigen Jahren einwöchige Seniorenreisen nach Polen (Ostseekurort Kolberg) und Tschechien (Riesengebirge). Die Reisen finden im Oktober statt und kosten nur einen Eigenanteil von 30,00 €! In dem Preis sind die Bahn- und Busfahrten, die Übernachtung im Doppelzimmer, Voll- und Halbpension und sämtliche Ausflüge enthalten. Bedingung ist das Alter von mindestens 65 Jahren, Hamburger Wohnsitz und Grundsicherungsbezug. Kontakt: 040-2506620 oder info@dhghh.de oder 0178-7186913.
Ich komme nicht umhin, dass mir ein früherer Betreuerkollege einfällt, der mit Sicherheit entrüstet sein wird über die Verwendung von Steuergeldern für so ein Projekt, weil es für ihn reines Anspruchsdenken darstellt, dass auch alte und mittellose Menschen verreisen möchten. Aber viele andere werden wahrscheinlich genauso wie ich begeistert über dieses Angebot sein. Zumal auch gerade diejenigen alten Menschen, die nur über eine geringe Rente verfügen, meist in sehr kleinen Wohnungen ohne Balkon oder Garten wohnen und es zumindest ein kleines bisschen zur Lebensqualität beiträgt, dass diese Menschen wenigstens für eine Woche im Jahr die Möglichkeit haben, einmal aus ihren vier Wänden herauszukommen.
Ich würde mir mehr solcher Projekte wünschen. Wer weiß - vielleicht gäbe es ja sogar irgendwann die Möglichkeit, große Reiseveranstalter für besonders günstige Reiseangebote für dieses Klientel zu motivieren und eventuell das Angebotsspektrum damit zu erweitern.
Edit
Den Titel „Reisen für arme Senioren“ habe ich übrigens direkt aus dem betreffenden Artikel übernommen. Es ist eigentlich eher unüblich, Dinge noch beim Namen zu nennen und normalerweise würden bei besagter Thematik eher Titel wie „Reisen für Grundsicherungsempfänger“ oder „Reisezuschüsse für Mittellose“ verwendet werden. Umso erstaunter war ich über die Wortwahl, die ich dann auch so übernahm.
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Freitag, 23. Mai 2014, 16:21h
Patchworkfamilien II – „Du hast mir gar nichts zu sagen!"
Ich habe vor kurzem hier ein wenig über meine Erfahrung mit den speziellen Probleme von Patchworkfamilien geschrieben. Dabei hatte ich mich mit der Problematik der Folgen von Trennungen befasst. Allerdings gibt es auch Probleme, die völlig unabhängig von Trennungssituationen existieren. Probleme, die beispielsweise darauf beruhen, dass es Unterschiede gibt zwischen jenen Auseinandersetzungen von Kindern mit ihren leiblichen Eltern und jenen Auseinadersetzungen zwischen Kindern mit den Lebensgefährten eines Elternteils.
Kommt es beispielsweise in der Pubertät zum Versuch der Abgrenzung gegenüber den Eltern, dann hat es der nichtleibliche Elternteil oftmals schwerer sich durchzusetzen, als der leibliche Elternteil. Grundsätzlich geht es zwar sowohl bei leiblichen als auch bei nichtleiblichen Eltern um das Gleiche, nämlich um die Infragestellung der Autorität der Erwachsenen. Allerdings wird der leibliche Elternteil nicht grundsätzlich in seiner Position als Vater oder Mutter in Frage gestellt, wohingegen die Position des Lebensgefährten weniger klar und gefestigt ist. „Du hast mir gar nichts zu sagen“ lautet dann nicht selten das Argument der Kinder. Die Dynamik eines solchen Konfliktes ist dann ungleich komplizierter, da sich der Konflikt auch auf die Beziehung zwischen leiblichem Elternteil und dessen Lebensgefährten auswirkt, denn der leibliche Elternteil kann sehr schnell zwischen die Fronten geraten und sich dabei zu der Entscheidung gedrängt fühlen, für die eine oder die andere Seite Partei ergreifen zu müssen.
Natürlich gibt es auch in Familien, die aus leiblichen Eltern und deren gemeinsamen Kindern bestehen, unterschiedliche Parteilichkeit gegenüber den Kindern. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass Kinder ihren leiblichen Eltern keinen Vorwurf darüber machen, dass diese eine Beziehung eingegangen sind. Geht es jedoch um einen Lebensgefährten, der von einem Kind nicht akzeptiert wird, kann es jedoch sehr wohl zu einem mehr oder weniger bewussten Vorwurf gegenüber dem leiblichen Elternteil kommen, dass dieser sich für jemanden entschieden hat, mit dem das Kind überhaupt nicht einverstanden ist. Das kann dann wiederum in dem Appell an die Mutter/den Vater münden, sich gegen den Partner zu stellen. Nicht jede Beziehung hält diesen Konflikt aus und manchmal kommt es dadurch zu Trennung.
Ein weiterer Aspekt ist, dass auch die härtesten und schwierigsten Auseinandersetzungen zwischen Eltern und deren leiblichen Kindern nur selten dazu führen, dass die Eltern ihre leiblichen Kinder nicht mehr lieben und den Kontakt gänzlich abbrechen. Es mag eine Hassliebe sein, aber dennoch sind Gefühle vorhanden. Bei den Lebensgefährten hingegen besteht die Gefahr, dass diese vor dem Konflikt kapitulieren und die Einstellung gegenüber dem Kind nur noch negativ besetzt ist, bzw. sich im Falle einer Trennung in völliger Gleichgültigkeit ausdrückt. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich während einer medizinischen Anwendung mit einem Masseur führte, der sich bitter über die pubertierende Tochter seiner Lebensgefährtin beklagte. Und ich werde nie die Aussage vergessen: „Über die müsste man einfach mal mit dem Auto drüberfahren, das wäre nicht schade drum“.
Sicher, auch Auseinandersetzungen in „normalen“ Familien, die aus den leiblichen Eltern und deren Kinder bestehen, können eskalieren und auch dort kann es zu Gewalt kommen. Und natürlich gibt es auf der anderen Seite auch diverse Patchworkfamilien, in denen tragfähige Beziehungen entwickelt wurden und in denen die Kinder den neuen Lebenspartner voll und ganz akzeptieren. Man darf weder das eine idealisieren noch das andere dämonisieren. Aber dennoch ist es ein Erfahrungswert, dass Patchworkfamilien in mancher Hinsicht mit schwierigeren Bedingungen zu rechnen haben. Diese Beobachtung habe ich nicht nur im Rahmen meines Berufes gemacht, sondern auch im privaten Kreis. Kinder, die einen neuen Partner der Mutter/des Vaters nicht akzeptieren, können sehr viel Energie darauf verwenden, diesem das Leben schwer zu machen. Und auf der anderen Seite ist es für Kinder Kind alles andere als einfach, ein neues Familienmitglied vor die Nase gesetzt zu bekommen, das sie nicht mögen und das als Fremdkörper oder Konkurrent um die Liebe des leiblichen Elternteils empfunden wird.
Vielleicht ist das das Entscheidende – die Beziehung zu den leiblichen Eltern besteht von Anfang an. Auch wenn es sich um eine schwierige und unharmonische Beziehung handelt, so ist diese Beziehung eine Gegebenheit, in die das Kind hineingewachsen ist. Und auch die Eltern hatten die Chance, ihr Kind vom ersten Tag an in seiner Entwicklung zu erleben.
Ich habe heute ein langes Gespräch mit einer Klientin geführt, die eine sehr schwierige Kindheit mit viel Gewalt durchlebt hatte, in der beide Eltern mehrere Partner hatten. Mit der kleinen Tochter der Freundin ihrer Mutter verstand sie sich sehr gut und sie liebte diese „heiß und innig wie eine eigene Schwester.“ Dennoch riss im Erwachsenenleben die Beziehung ab. Als nachfragte, woran dies läge, antwortete sie nachdenklich: „Das weiß ich eigentlich gar nicht, es gibt keinen bestimmten Grund.“
Auch mich hat dies nachdenklich gemacht. Sind es vielleicht erlernte Konventionen, die uns daran hindern, Menschen, mit denen wir leiblich verwandt sind, nicht so leicht fallen zu lassen und kann man daraus ableiten, dass uns dies bei fremden (= nichtverwandten) Menschen sehr viel leichter fällt? Fühlen wir uns vielleicht doch mehr verpflichtet und in der Verantwortung, wenn unser Verhältnis zu Menschen durch die Konstellation „Mutter, Vater, Tochter, Sohn, Schwester, Bruder“ etc definiert ist? Und überfordert es vielleicht den Menschen, tragfähige und verantwortungsbewusste Beziehungen zu Menschen aufzubauen, wenn diese Beziehungen ihren Bezugsrahmen durch die Beendigung einer Partnerschaft verlieren?
Ich würde gern Idealistin sein und daran glauben können, dass ein Mensch uns auch dann viel bedeuten kann oder uns zumindest nicht völlig gleichgültig ist, wenn die Beziehung zu ihm nicht durch irgendein Verwandtschaftsverhältnis definiert ist. Aber meiner Erfahrung nach scheint dies leider nur in Ausnahmen der Fall zu sein. So sehr verwundert dies im Grunde nicht, denn dieses Verhaltensmuster findet man längst nicht nur in Familienkonstellationen. Auch in meiner Tätigkeit als Betreuerin war ich immer wieder erstaunt darüber, welch himmelweiter Unterschied zwischen denjenigen Maßstäben liegt, die Kollegen für das Wohl der eigenen Angehörigen anlegen und jenen Maßstäben, die sie für Menschen anlegen, mit denen sie nicht verwandt.
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