Montag, 17. März 2014, 13:53h
Magenschmerzen oder Selbstbeweihräucherung?
Wahrscheinlich haben die meisten schon von Inge Hannemann gehört, eine ehemalige Mitarbeiterin des Jobcenters, die durch ihre Weigerung bekannt wurde, die Sanktion der Kürzung des Arbeitslosengeldes auszusprechen, da ihrer Meinung nach ein Existenzminimum nicht noch weiter geschmälert werden dürfe. Gegen die daraufhin ausgesprochene Freistellung des Jobcenters, die sogar mit einem Hausverbot verbunden wurde legte sie Rechtsmittel ein. Der endgültige Ausgang des Verfahrens steht noch aus.
Es sei dahingestellt, ob es arbeitsmarktpolitisch tatsächlich unproblematisch ist, bei Ablehnung von Stellenvorschlägen grundsätzlich auf Sanktionen zu verzichten. Worum es mir hier in diesem Beitrag geht, sind die Reaktionen, die Hannemann in Teilen der Öffentlichkeit hervorrief. Denn bei diesen Reaktionen ging es erstaunlicherweise oftmals eben nicht um das Für und Wider in Bezug auf Sanktionen des Jobcenters, sondern um Spekulationen über Hannemanns Motive. Diese lägen nach Meinung einiger nicht in der Sache an sich, sondern in Geltungssucht und Profilierungsstreben. Bemerkenswert an dieser Einschätzung ist das völlige Unverständnis gegenüber Menschen, die sich offen gegen eine als Missstand empfundene Praxis aussprechen. Da hat jemand einen sicheren und halbwegs gut bezahlten Job und gefährdet diesen durch ein öffentliches Statement – kann man dies anders als mit einem Defekt in der Persönlichkeit erklären?
Ein wenig erinnert mich das an die Reaktionen einiger meiner ehemaligen Kollegen, wobei ich mir nicht anmaße, mich mit Inge Hannemann vergleichen zu wollen, denn die hat im Gegensatz zu mir ihre ganze berufliche Existenz aufs Spiel gesetzt und sich außerdem öffentlichen Angriffen weitaus mehr ausgeliefert als ich es tat. Allerdings ist die Reaktion trotz aller Unterschiede die Gleiche – bei offenem Äußern von Kritik wird die Sachebene verlassen und auf die Beziehungsebene gewechselt. Die Liste der Argumente ist lang und reicht von dem Vorwurf „Du willst immer die Gute sein“ bis zu der Annahme, man wolle „auf Konkurrenz“ machen oder wolle – Standardvorwurf meines früheren Kollegen – „mich beweihräuchern“. Um die Auseinandersetzung dann vollends im Keim zu ersticken, spricht man dann noch ein Hausverbot aus oder schließt jemanden von der Homepage aus.
Inge Hannemann hat Magenschmerzen dabei, Menschen unter das Existenzminimum rutschen zu lassen und mir ging es genauso, wenn ich mitbekam, wie dies mittellosen Betreuten dadurch widerfuhr, dass kostspielige und völlig unsinnige Mandate erteilt wurden oder wenn der Wunsch, mehr als ein Heimtaschengeld zur Verfügung zu haben als Anspruchsdenken abgewertet wurde.
Im Grunde bringt es nichts, mit Menschen zu diskutieren, deren Verständnis es hoffnungslos übersteigt, wenn jemand nicht nur einfach möglichst gut verdienen will, sondern sich auch für diejenigen einsetzen möchte, die am Rande der Gesellschaft stehen. Was glücklicherweise jedoch noch nicht bedeutet, dass es überhaupt keine Diskussionen mehr gibt, denn es bleiben ja noch all jene, die offen sind für eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik ohne dabei absurde Motivationen wie Selbstbeweihräucherung oder Geltungsdrang zu unterstellen. Denke ich beispielsweise an meine Studienzeit zurück, dann ist es nur schwer vorstellbar, dass jemand der Studenten den Vorwurf der Geltungssucht gegen Hannemann erhoben hätte, selbst wenn manche ihre Ansicht sicher nicht geteilt hätten. Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen einem sozialwissenschaftlichen Hintergrund und einem kaufmännischem, es geht genau darum – sich für diejenigen einzusetzen, die Benachteiligungen ausgesetzt sind. Mit anderen Worten, Positionen, die aus kaufmännischer Sicht als Ausdruck von Geltungsdrang oder Selbstbeweihräucherung bewertet werden, entsprechen aus sozialarbeiterischer Sicht ganz normalen Standpunkten, für die sich niemand rechtfertigen muss.
Bleibt also positiv festzuhalten, dass es neben denjenigen, die anderen Menschen unlautere Motive unterstellen auch immer jene geben wird, die ebenfalls Magenschmerzen dabei empfinden wenn Menschen ins Abseits gedrängt oder übervorteilt werden. Und sei's auch nur aus dem mehr oder weniger egoistischen Beweggrund heraus, dass man selbst vielleicht schon morgen auch dazugehören könnte...
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Mittwoch, 12. März 2014, 23:41h
Eine Untersuchung, die sehr viel Bedeutung haben kann - Schluckanalyse
In einem meiner früheren Beiträge habe ich schon einmal über die Problematik alter und kranker Menschen geschrieben, die die Nahrung verweigern und Außenstehende dabei nicht genau beurteilen können, was die Ursache dafür ist. Ist es das dementiell bedingte Unvermögen, den Prozess der Nahrungsaufnahme noch zu verstehen? Oder ist die Nahrungsverweigerung Ausdruck des Wunsches, nicht mehr leben zu wollen?
Dass eine von einer Logopädin durchgeführte sogenannte Schluckanalyse möglich ist, erfuhr ich vom Pflegeheim. Wie diese durchgeführt wird, war mir aber bisher nicht wirklich klar. Da ich jetzt vor kurzem Besuch von einer jungen Logopädin hatte, die ich während meines Urlaubs kennengelernt hatte, nutzte ich die Möglichkeit, mich näher zu informieren. Zuerst einmal war ich beeindruckt davon wie hochkomplex der Schluckvorgang ist und wie breit gefächert das Aufgabengebiet einer Logopädin. Es gibt mehrere Arten, wie eine Schluckanalyse durchgeführt wird, sie kann beispielsweise sogar durch Verabreichung eines Kontrastmittels in Verbindung mit einer Röntgung geschehen. Bei einer Analyse ist die zu klärende Frage längst nicht immer die des Wunsches zu sterben, sondern es gibt bestimmte Erkrankungen bzw. Anomalien zu deren Symptomatik die Schwierigkeiten beim Schlucken gehören und die Störung wird dann zwecks Abklärung der weiteren Behandlung untersucht. In Bezug auf die Fragestellung ob eine Nahrungsverweigerung organisch bedingt ist oder aber Ausdruck des Wunsches zu sterben, wird in erster Linie darauf geachtet, wie der Patient auf die angebotene Nahrung reagiert. Wird der Kopf abgewendet und die Lippen bewusst zusammen gepresst? Wird die Nahrung im Mund behalten oder wird versucht, diese wieder auszuspucken? Jede Bewegung und Reaktion wird genau beobachtet. Weiterhin muss erforscht werden, ob Nahrung generell verweigert wird oder ob dies nur auf bestimmte Nahrungsmittel zutrifft.
Auch nach einer Schluckanalyse wird man nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, wie stark die Nahrungsverweigerung durch einen eventuellen Sterbewunsch bedingt ist. Und man darf auch nicht davon ausgehen, dass das Prozedere und die letztendlich getroffenen Entscheidungen völlig unabhängig von der Person der Logopädin oder den Pflegekräften sind. Zu meinem Entsetzen erfuhr ich, dass manchmal künstliche Ernährungsformen befürwortet werden, obwohl diese aus medizinischer Sicht überhaupt nicht sinnvoll sind, nur weil diese für die Pflegeeinrichtung mit einer zusätzlichen Vergütung verbunden sind. Zwar hatte ich auch schon früher davon gehört, aber es für eine Übertreibung gehalten.
Wobei es bei dem Thema Schluckanalyse geht, ist letztendlich eine der existentiellsten Entscheidungen, die es für einen Menschen gibt, denn es geht um den Wunsch, wie jemand sterben möchte. Eine künstliche Ernährung verlängert nicht nur das Leben, sondern auch den Sterbeprozess und die Entscheidung darüber muss dem Betreffenden obliegen und nicht Dritten. Aber eben weil es aus den genannten Gründen nicht zwangsläufig der Fall sein muss, dass Nahrungsverweigerung gleichbedeutend mit dem Wunsch zu sterben ist, muss alles getan werden um sich Einblick über den Willen des Patienten zu verschaffen.
Im nachherein bereue ich es ein wenig, dass ich im Falle meiner Betreuten bei der Schluckanalyse nicht anwesend war um mir einen besseren Einblick in die Problematik zu verschaffen. Wenn jemand unter Betreuung steht, dann ist es der Betreuer, der gegebenenfalls die Entscheidung über künstliche Ernährung treffen muss. Und ich empfinde es auch als äußerst bedauerlich, dass unter Betreuern noch nie Interesse geäußert wurde, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
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Donnerstag, 6. März 2014, 13:46h
Ein positives Beispiel für die Darstellung in der Presse
Geht es um völlig verschmutze Messie-Wohnungen, ist es normalerweise für die Presse ein gefundenes Fressen, wenn der Betreffende unter Betreuung steht. Der Bericht stellt dann stets eine bittere Anklage dar gegen die angebliche Untätigkeit und das Desinteresse des verantwortlichen Betreuers.
Vor kurzem gab es jedoch in unserer Hamburger Tageszeitung ein positives Beispiel für eine differenziertere Art der Berichterstattung. Der Bericht über eine „Ekelwohnung“ war in gewohnter Manier mit einem Foto versehen, das in drastischer Weise deutlich macht, wie schlimm Wohnungen verdrecken können. Dann wurde ein wenig von der betreffenden Frau berichtet und von dem Leid der Nachbarn, die bisher vergeblich versucht hatten durch die Einschaltung behördlicher Stellen Abhilfe zu schaffen. Als dann die Existenz einer Betreuerin erwähnt wurde, hatte ich blitzschnell die Assoziation, dass jetzt eine heftige Klage darüber folgen wird, warum die Betreuerin nicht tätig wird. Zu meiner Überraschung war dies aber nicht der Fall. Die Betreuerin, die namentlich genannt wurde und die mir auch aus dem Kollegenkreis bekannt ist erklärte, dass sie bereits den psychiatrischen Dienst eingeschaltet hätte, aber es zu ihrem Bedauern trotzdem bisher keine Handhabe für eine Maßnahme gegen den Willen ihrer Betreuten geben würde.
Und das ist ein wichtiger Punkt, der oftmals in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet wird. Es gibt Betreute, die eine enorme Belastung für das Umfeld darstellen. Dabei kann es sich beispielsweise um extrem verdreckte Wohnungen handeln oder um völlig unsoziale Verhaltensweise wie nächtliches Sturmklingeln, Beleidigen oder Sachbeschädigungen. Obwohl niemand die Belastung so eines Verhaltens bestreiten wird, reicht es dennoch oftmals nicht aus, um deswegen jemanden gegen seinen Willen zwangsweise in eine Psychiatrie einweisen zu lassen. Es muss erst eine offensichtliche Eigengefährdung bestehen um entsprechende Maßnahmen durchzusetzen. Bei einer Fremdgefährdung ist dies zwar auch möglich im Rahmen des sogenannten PsychKG, aber auch hier reichen einfache Ruhestörungen oder Geruchsbelästigungen nicht aus.
Vor mehr als einem Jahr schränkte der Gesetzgeber die Möglichkeit der sogenannten Zwangsmedikation ein. Während es zuvor möglich war, jemanden gegen seinen Willen medikamentös zu behandeln, ist dies jetzt nur noch bei Selbstgefährdung der Fall. Wenn eine Situation eskaliert, können zwar unter bestimmten Bedingungen immer noch psychiatrische Einweisungen veranlasst werden, aber es gibt dann in der stationären Behandlung bei Weigerung des Patienten kaum noch Möglichkeiten, Medikamente einzusetzen. Während sich zuvor durch die medikamentöse Behandlung oftmals beim Patienten eine Kooperationsbereitschaft einstellte, ist es jetzt nicht selten der Fall, dass die Patienten auf Entlassung drängen, was zur Folge hat, dass es zuhause dann in gewohnter Weise weitergeht.
Ohne jetzt an dieser Stelle das Für und Wider der Zwangsmedikation zu thematisieren, sollte aber die genannte Problematik immer berücksichtigt werden, wenn psychisch kranke Menschen eine Belastung ihres Umfelds darstellen. Und deswegen ist der besagte Zeitungsartikel ein positiv zu wertender Schritt hin zur informativen Auseinandersetzung mit dem komplexen Problem des Zusammenlebens mit psychisch Kranken.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass so ein Bericht steht und fällt mit der Bereitschaft des Betreuers, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Es gibt in dieser Hinsicht konträre Standpunkte und es gibt durchaus auch Betreuer, die der Meinung sind, ihr Handeln grundsätzlich vor niemandem erklären zu müssen. Insofern ist neben der positiven Berichterstattung auch die Bereitschaft der Betreuerin positiv zu beurteilen, sich zu der Situation zu äußern.
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