Donnerstag, 9. Mai 2013, 02:49h

Sind Kneipentreffen gemeinnützig?

behrens

Was macht eigentlich Gemeinnützigkeit aus? An und für sich nicht schwierig zu beantworten, denn der Begriff beinhaltet ja schon genau das, worum es geht: All-gemeinheit und Nutzen. Es geht also um eine Einrichtung, die für die Allgemeinheit in irgendeiner Form einen Nutzen darstellt, wie dies z.B. der Fall ist bei Beratungsstellen, Fortbildungsträgern, kulturellen Begegnungsstätten e.t.c. Entscheidend ist, dass der Nutzen nicht nur auf diejenigen beschränkt ist, die dieser Einrichtung angehören, sondern auch auf andere Teile der Bevölkerung.

Dass man den Begriff der Gemeinnützigkeit auch ganz, ganz anders deuten kann, fällt mir immer wieder ein, wenn ich an die Betreuertreffen denke, an denen ich bis vor ein paar Jahren teilnahm. Nach dem offiziellen, alle zwei Monate stattfindenden Treffen in den Räumen der behördlichen Betreuungsstelle hatte es sich ergeben, dass anschließend ein paar der Betreuer noch auf ein Glas Bier in eine nahegelegene Kneipe gingen, was sich dann für sieben von uns zu einem regelmäßigem Treffen gestaltete. Es wurde dabei über dies und das und natürlich auch über unsere Arbeit geredet. Irgendwann kam es dann dazu, für uns sieben eine gemeinsame Website anzulegen. Und einige Zeit später kam dann einer der Kollegen auf eine denkwürdige Idee: unser zwangloses Treffen könnte in einen gemeinnützigen Verein umfunktioniert werden und dadurch würden wir keine Gewerbesteuer mehr zahlen müssen.

Ich selbst war bei dem besagten Treffen nicht anwesend, aber ein anderer Kollege schilderte mir den Vorschlag. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass es sich um einen Scherz handeln würde, denn selbst mit viel Fantasie kann man aus regelmäßigen Kneipentreffen noch keinen Nutzen für die Allgemeinheit ableiten. Mein Kollege beteuerte allerdings, dass diese Idee tatsächlich durchaus ernst gemeint war, obwohl er selbst den Vorschlag auch als völlig absurd empfand. Natürlich fragte ich sofort danach, wie denn die Reaktion der anderen Kollegen ausgefallen war. Die war für die Gruppe sehr bezeichnend, denn obwohl offensichtlich niemand auch nur ansatzweise Interesse an der Umsetzung des Vorschlags zeigte, wagte andererseits niemand, offen Kritik zu äußern und somit wurde die Angelegenheit der Einfachheit halber vertagt, wodurch sie dann mehr oder weniger in Vergessenheit geriet.

Warum ist diese lang zurückliegende Begebenheit bei mir nicht in Vergessenheit geraten? Weil es meiner Ansicht nach kein besseres Beispiel dafür gibt, welche absurden Formen eine zwanghaft aufs Kaufmännische reduzierte Arbeitseinstellung annehmen kann. Da gibt es die Situation, dass ein paar Betreuer regelmäßig in eine Kneipe gehen, es wird dabei viel Wein und noch mehr Bier getrunken und nur weil während des Trinkens ab und zu auch mal Arbeitsthemen gestreift werden, wird dies schon als Arbeitsleistung eingestuft, die doch gefälligst auch bezahlt werden sollte. Worin das Gemeinwohl des gemeinsamen Wein- und Biertrinkens liegen soll, ist und bleibt eine geheimnisvolle Frage. Und wieder einmal wird deutlich, worum es in einem übersteigert kaufmännischen Denken geht: auf Biegen und Brechen nach Möglichkeiten zu suchen – und seien sie noch so absurd – um zusätzliche Einnahmequellen zu eröffnen. Dass dies dann oftmals nur in einem gewaltigen Etikettenschwindel münden kann, gibt dem Ganzen nicht nur einen bitteren Beigeschmack sondern lässt auch das Vertrauen in gemeinnützige Einrichtungen schwinden.

Bleibt der Vollständigkeit halber noch anzumerken, dass es die Gewerbesteuerpflicht für Betreuer schon seit einigen Jahren nicht mehr gibt, ich selbst schon vor einigen Jahren aus der Homepage ausgeschlossen wurde und sich die restliche Gruppe mittlerweile kaum noch trifft.

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Freitag, 26. April 2013, 11:58h

Eine ungewöhnliche Frage und ein ungewöhnlicher Anruf – Lichtblicke

behrens

Dass es doch auch immer wieder positive Beispiele in Hinsicht auf die Arbeitseinstellung von Betreuern gibt, habe ich gerade diese Woche erfahren.

Meine frühere Mitarbeiterin, die den größten Teil meiner Betreuungen übernommen hat, wird ihr Büro mit einer Kollegin teilen, die ebenfalls Berufsanfängerin ist. Ich habe immer noch mit der Abwicklung der Betreuungsübergaben zu tun, so dass ich ab und zu noch mein altes Büro aufsuche. Vorgestern stellte mir die Kollegin meiner früheren Mitarbeiterin dann eine für Betreuer sehr ungewöhnliche Frage. Es ging um ein Ehepaar, für dessen Betreuung sie demnächst vorgeschlagen werden soll. Wie so oft bei der Einrichtung einer Betreuung herrscht eine ziemliche Notlage und das Ehepaar befindet sich in einer äußerst misslichen Lage. Die Frage lautete:

„Darf ich auch vor der Einrichtung der Betreuung schon etwas für die beiden tun?“

Ich bejahte die Frage. Auch wenn Paragraphenreiter die Frage vielleicht verneinen mögen, so gibt es keinen Grund – das Einverständnis der Betroffenen vorausgesetzt – schon Dinge in Angriff zu nehmen, wie etwa nach einer Wohnung zu suchen, Unterlagen zu sichten, Recherchen zu machen, e.t.c. Allerdings bekommt man vor der Einrichtung der Betreuung noch nichts bezahlt. Und deswegen ist die Frage auch sehr ungewöhnlich. Es gilt unter vielen Betreuern die eiserne Regel: Mache niemals etwas vor Einrichtung der Betreuung. Genauso wie es die ebenfalls eiserne Regel gibt, niemals etwas nach Beendigung einer Betreuung für den Betreuten zu machen. Und da sind wir auch schon bei dem zweiten Lichtblick:

In der vergangenen Woche rief der Freund einer früheren Betreuten an, der sehr verzweifelt war, weil die ehemalige Betreute sich von ihm getrennt hatte und sich überhaupt nicht mehr meldete. Meine frühere Mitarbeiterin, die ja formal mit der schon beendeten Betreuung nichts mehr zu tun hat, rief den Freund und auch eine Beratungsstelle an, weil sie sich Sorgen machte. Zum einen wegen der verzweifelten Stimmung des Freundes, aber zum anderen auch, weil die frühere Betreute sehr labil und oftmals auch latent suizidal ist. Durch die Anrufe erfuhr sie dann allerdings, dass die Situation doch nicht so hoffnungslos war, wie es zuerst den Eindruck machte.

Vielleicht empfindet mancher diese beiden Reaktionen von zwei Betreuerinnen kaum erwähnenswert, denn in allen sozialen Einrichtungen ist es völlig selbstverständlich, dass die dortigen Mitarbeiter auch ehemaligen oder zukünftigen Klienten nicht völlig gleichgültig gegenüber stehen und einen Ratschlag oder eine kleine Hilfeleistung nicht von formaler Zuständigkeit abhängig machen, obwohl auch hier natürlich gilt, dass dies nicht mehr bezahlt wird. Betreuer blenden diesen Umstand allerdings gern aus und sind der Meinung, dass ihr Berufsstand der einzige ist, der bei formaler Nichtzuständigkeit nicht bezahlt wird. Entsprechend empört ist meist auch die Reaktion von vielen Betreuern, wenn es jemand wagt, doch mal vor oder nach der Betreuung um eine Auskunft zu bitten. Im kaufmännischen Wertesystem gilt das Interesse außerhalb der bezahlten Tätigkeit als größter Faux pas und dabei fällt dann auch schon mal der böse Vorwurf der „Unprofessionalität“.

Deswegen habe ich mir also doch die Mühe gemacht, über diese beiden Begebenheiten zu schreiben. Denn – es geht auch anders!

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Mittwoch, 10. April 2013, 02:47h

Die eigentlichen Gründe

behrens

In Kürze werde ich meine letzten Betreuungen abgegeben haben. Eine ziemlich lange Zeitspanne zwischen der Entscheidung zur Beendigung meiner Tätigkeit und dem tatsächlichen Abschluss, woran einmal mehr deutlich wird, in wie viel Bürokratie Betreuungsarbeit eingebunden ist.

Es sind ziemlich genau sechzehn Jahre, die ich mittlerweile als Betreuerin gearbeitet habe. In diesen sechzehn Jahren habe ich das ganze Spektrum der Probleme menschlichen Daseins miterlebt – psychische und körperliche Erkrankungen, Sucht, Altersgebrechlichkeit, Armut, Verschuldung, familiäre Konflikte und Tod. Oftmals musste ich vieles mit ansehen, ohne wirklich Hilfe anbieten zu können.

Vieles von dem Leiden, das ich aus nächster Nähe mit angesehen habe, ist existentielles Leid, das jeden Menschen unabhängig von sozialem Status trifft. Ich war noch nie ein Anhänger jener Ideologien, die menschliches Leid einzig und allein auf gesellschaftliche Machtverhältnisse zurückführen. Gleichwohl ist mir bewusst, dass es in unserer Gesellschaft dennoch sehr viel gibt, das man sehr wohl ändern könnte – wenn man es denn nur versuchen würde.

Und da beginnt dann das, was Berthold Brecht als die „Unzufriedenheit mit dem Änderbaren“ bezeichnet. Diese Unzufriedenheit ist bei mir mit den Jahren immer größer geworden, denn die soziale Verelendung mit allen ihren Begleiterscheinungen hat beängstigend zugenommen, ohne dass wirklich nach Antworten gesucht wird.

Man mag jetzt einwerfen, dass man sich bei dieser Einstellung für eine andere Ausbildung als die der Sozialarbeit entscheiden hätte müssen, denn Sozialarbeit ist nun einmal zwangsläufig mit menschlichen Problemen und gesellschaftlichen Missständen verbunden. Auch wenn dieses Argument nicht völlig von der Hand zu weisen ist, so gibt es im Bereich rechtlicher Betreuung Strukturen, die einer Mitgestaltung an gesellschaftlichen Prozessen entgegenstehen, denn statt des Prinzips der kollegialen Vernetzung gilt das Prinzip der Konkurrenz und volkswirtschaftliche Aspekte werden gänzlich durch betriebswirtschaftliche verdrängt. Auch in anderen Bereichen sozialer/gesellschaftlicher Arbeit mag es Unterschiede in der Zielsetzung geben, aber ich habe an meinen früheren Arbeitsplätzen nie erlebt, dass die eigene Einkommenssituation so im Mittelpunkt steht, wie dies bei Betreuern der Fall ist. Und mir sind dort nie Kollegen begegnet, die Menschen, die um ihr existentielles Auskommen und ihre Menschenwürde kämpfen, Anspruchsdenken vorwerfen. Außerdem war die Auseinandersetzung mit Kritik überall immer ein professionelles Muss. Auch wenn sich bei anderen sozialen Einrichtungen in Hinsicht auf Öffentlichkeitsarbeit mittlerweile einiges geändert hat, so steht immer noch die sachliche Information und nicht die – oftmals ins Peinliche abgleitende – Eigenwerbung im Mittelpunkt.

Um es einmal ganz deutlich zu sagen – Betreuungsarbeit kann eine sehr fordernde und belastende Tätigkeit sein. Immer wieder ist der Einsatz für die Rechte der Betreuten mit einem Berg bürokratischer Hürden verbunden, an denen man sich aufzureiben droht. Betreuungsarbeit ist gekennzeichnet durch eine enorme Komplexität der Aufgaben, die man in der Form in vergleichbaren Arbeitsbereichen kaum vorfindet. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass Betreuungsarbeit mit einem hohen Konfliktpotential verbunden ist, wodurch Betreuer oftmals trotz allen Engagements massiven Anfeindungen ausgesetzt sind. Aber gerade weil die Arbeit so belastend ist, sollte man nicht auch noch die Chance vergeben, gemeinsam Konzepte zur Behebung struktureller Probleme zu entwickeln.

Das Ausmaß an menschlichem Leid, mit dem ich in meiner Arbeit als Betreuerin konfrontiert bin, ist für mich unter den hier beschriebenen Umständen nicht mehr erträglich. Es gibt Bilder, die ich auch nach Feierabend nicht abschütteln kann. Von Menschen, deren Lebensgeschichte mit viel Leiden verbunden ist und denen ich kaum wirklich helfen kann. Bilder von Menschen, die in erbärmlichen Wohnverhältnissen leben oder von der Familie vergessen in Pflegeheimen. Ich muss – zumindest für eine Weile – Abstand nehmen, um mich von diesen Bildern nicht vereinnahmen zu lassen. Dies sind also meine Gründe.

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