Mittwoch, 10. April 2013, 02:47h

Die eigentlichen Gründe

behrens

In Kürze werde ich meine letzten Betreuungen abgegeben haben. Eine ziemlich lange Zeitspanne zwischen der Entscheidung zur Beendigung meiner Tätigkeit und dem tatsächlichen Abschluss, woran einmal mehr deutlich wird, in wie viel Bürokratie Betreuungsarbeit eingebunden ist.

Es sind ziemlich genau sechzehn Jahre, die ich mittlerweile als Betreuerin gearbeitet habe. In diesen sechzehn Jahren habe ich das ganze Spektrum der Probleme menschlichen Daseins miterlebt – psychische und körperliche Erkrankungen, Sucht, Altersgebrechlichkeit, Armut, Verschuldung, familiäre Konflikte und Tod. Oftmals musste ich vieles mit ansehen, ohne wirklich Hilfe anbieten zu können.

Vieles von dem Leiden, das ich aus nächster Nähe mit angesehen habe, ist existentielles Leid, das jeden Menschen unabhängig von sozialem Status trifft. Ich war noch nie ein Anhänger jener Ideologien, die menschliches Leid einzig und allein auf gesellschaftliche Machtverhältnisse zurückführen. Gleichwohl ist mir bewusst, dass es in unserer Gesellschaft dennoch sehr viel gibt, das man sehr wohl ändern könnte – wenn man es denn nur versuchen würde.

Und da beginnt dann das, was Berthold Brecht als die „Unzufriedenheit mit dem Änderbaren“ bezeichnet. Diese Unzufriedenheit ist bei mir mit den Jahren immer größer geworden, denn die soziale Verelendung mit allen ihren Begleiterscheinungen hat beängstigend zugenommen, ohne dass wirklich nach Antworten gesucht wird.

Man mag jetzt einwerfen, dass man sich bei dieser Einstellung für eine andere Ausbildung als die der Sozialarbeit entscheiden hätte müssen, denn Sozialarbeit ist nun einmal zwangsläufig mit menschlichen Problemen und gesellschaftlichen Missständen verbunden. Auch wenn dieses Argument nicht völlig von der Hand zu weisen ist, so gibt es im Bereich rechtlicher Betreuung Strukturen, die einer Mitgestaltung an gesellschaftlichen Prozessen entgegenstehen, denn statt des Prinzips der kollegialen Vernetzung gilt das Prinzip der Konkurrenz und volkswirtschaftliche Aspekte werden gänzlich durch betriebswirtschaftliche verdrängt. Auch in anderen Bereichen sozialer/gesellschaftlicher Arbeit mag es Unterschiede in der Zielsetzung geben, aber ich habe an meinen früheren Arbeitsplätzen nie erlebt, dass die eigene Einkommenssituation so im Mittelpunkt steht, wie dies bei Betreuern der Fall ist. Und mir sind dort nie Kollegen begegnet, die Menschen, die um ihr existentielles Auskommen und ihre Menschenwürde kämpfen, Anspruchsdenken vorwerfen. Außerdem war die Auseinandersetzung mit Kritik überall immer ein professionelles Muss. Auch wenn sich bei anderen sozialen Einrichtungen in Hinsicht auf Öffentlichkeitsarbeit mittlerweile einiges geändert hat, so steht immer noch die sachliche Information und nicht die – oftmals ins Peinliche abgleitende – Eigenwerbung im Mittelpunkt.

Um es einmal ganz deutlich zu sagen – Betreuungsarbeit kann eine sehr fordernde und belastende Tätigkeit sein. Immer wieder ist der Einsatz für die Rechte der Betreuten mit einem Berg bürokratischer Hürden verbunden, an denen man sich aufzureiben droht. Betreuungsarbeit ist gekennzeichnet durch eine enorme Komplexität der Aufgaben, die man in der Form in vergleichbaren Arbeitsbereichen kaum vorfindet. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass Betreuungsarbeit mit einem hohen Konfliktpotential verbunden ist, wodurch Betreuer oftmals trotz allen Engagements massiven Anfeindungen ausgesetzt sind. Aber gerade weil die Arbeit so belastend ist, sollte man nicht auch noch die Chance vergeben, gemeinsam Konzepte zur Behebung struktureller Probleme zu entwickeln.

Das Ausmaß an menschlichem Leid, mit dem ich in meiner Arbeit als Betreuerin konfrontiert bin, ist für mich unter den hier beschriebenen Umständen nicht mehr erträglich. Es gibt Bilder, die ich auch nach Feierabend nicht abschütteln kann. Von Menschen, deren Lebensgeschichte mit viel Leiden verbunden ist und denen ich kaum wirklich helfen kann. Bilder von Menschen, die in erbärmlichen Wohnverhältnissen leben oder von der Familie vergessen in Pflegeheimen. Ich muss – zumindest für eine Weile – Abstand nehmen, um mich von diesen Bildern nicht vereinnahmen zu lassen. Dies sind also meine Gründe.

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Danke
für die kritische und selbstkritische
Berichterstattung hier.

Respekt für die Entscheidung zum
vorläufigen Rückzug.

Mut für den erneuten Ritt gegen die
Windmühlen.

glg phw

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Lieber phw,
vielen Dank für die netten Worte. Ich werde wahrscheinlich noch ein wenig weiterschreiben, denn es gibt noch so manches, über das ich berichten möchte, wie z.B. über die Erfahrung mit dementen Betreuten. Und dann ist ja noch das Thema Alter, das mich - unabhängig von Betreuertätigkeit - interessiert.

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Deine Entscheidung verdient absolute Bewunderung. Du weißt, was Du ertragen kannst und was nicht, und auch, was Du unter welchen Umständen zu leisten bereit und fähig bist. Das ist sehr viel wert.

Dein Blog heißt ja "Betreuungen & Soziales". Auch beim Wegfall der Betreuertätigkeit würde ich hier gern weiterhin über Soziales lesen, denn das geht uns ja nun alle an, auch wenn oder gerade weil im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff "sozial" schon beinahe als Schimpfwort fungiert.

Ich werde auch weiterhin lesen, auch wenn ich hier in diesem Blog nicht so viel kommentiert habe.

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Du weißt, was Du ertragen kannst und was nicht
@Sturmfrau
Ich glaube, dass es allerhöchste Zeit war, die Entscheidung zu fällen. Es gibt aktuell im Kollegenkreis ein sehr bedrückendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man nicht rechtzeitig die Notbremse zieht. Dann eskaliert die Situation nämlich dermaßen, dass man die Betreuungen nicht mehr ordnungsgemäß abschließen/übergeben kann und dies wiederum kann schlimme Folgen haben (versäumte Antragstellungen, unbeglichene Rechnungen, mangelnde Kontodeckung e.t.c.). Was im Falle des besagten Kollegen ebenfalls sehr bezeichnend ist, ist die Reaktion der Kollegen, die schlichtweg gar nicht vorhanden ist, sondern nur aus dumpfem Schulterzucken besteht. Aber etwas anderes ist auch kaum zu erwarten beim Konkurrenzprinzip. Ein ziemliches Armutszeugnis für einen Berufsstand, der ständig betont, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Und deswegen bin ich tatsächlich heilfroh, meine Entscheidung rechtzeitig getroffen zu haben.

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Rückpass
Ich habe Ihren Betreuerblog immer mit großem Interesse gelesen. Ich weiß nicht in wiefern sich die deutschen Zustände sich mit den niederländischen vergleichen lassen. Auch wir kennen die traurigen Geschichten aus den Pflegeheimen und die beklemmende Bürokratie ist allgegenwärtig.
Scheiden Sie bitte nicht in Groll oder Hass. Sie haben vieles gutes für ihre Betreuten getan.
Und bleiben Sie darüber - oder über andere Themen - schreiben.
Gruss, T.

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Lieber Terra,
ich versuche es immer wieder, nicht in Groll und Hass zu scheiden, aber ehrlicherweise muss ich zugeben, dass mir dies nicht gerade leicht fällt. Sie haben natürlich Recht – die Situation in den Pflegeheimen und die beklemmende Bürokratie ist allgegenwärtig und somit nicht auf den Bereich der Betreuungen beschränkt. Auch bei einer neuen Arbeitsstelle kann ich mit derselben Problematik konfrontiert werden. Allerdings habe ich doch zumindest ein wenig Hoffnung, dass bei einer neuen Stelle das betriebswirtschaftliche Denken nicht so im Vordergrund steht und vor allem mehr Wert auf ehrliche Öffentlichkeitsarbeit gelegt wird, als auf Werbewirksamkeit. Warten wir’s ab.

Und wahrscheinlich werde ich auch ein wenig weiter schreiben, denn es gibt noch ein paar Schicksale, die es wert sind, dass man ihnen ein paar Zeilen widmet.

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