Donnerstag, 25. März 2010, 11:46h

Das Bonmot zum Mittag

behrens

"Ich entscheide, wer mich beleidigt"
Klaus Kinski

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Mittwoch, 24. März 2010, 00:00h

Solidarität - ein lang vermisstes Verhalten

behrens

Momentan gibt es in unserem Berufsstand große Diskussionen darüber, dass wir Berufsbetreuer eventuell unsere seit Jahren gezahlte Mehrwertsteuer erstattet bekommen. Dies wäre gleichbedeutend mit einer mehrere Tausend Euro betragenden Finanzspritze – worüber verständlicherweise jeder mehr als froh wäre. Allerdings hängt alles davon ab, ob ein vor dem Europäischen Gerichtshof gefälltes Einzelurteil auch auf nationaler Ebene Anerkennung findet. Wenn dies der Fall wäre, würden wir gleichgestellt werden und eine Menge Geld erstattet bekommen. Aber ob es tatsächlich eine entsprechende Rechtssprechung geben wird, steht noch in den Sternen.

Anstatt sich allerdings darüber ganz normal auszutauschen, wird jetzt der Berufsstand in Schwarzmaler und in Richtigdenker eingeteilt. Momentan gibt es noch keinen genauen Verfahrensweg, der eindeutig eingeschlagen wurde. Voraussetzung ist auf jeden Fall eine Einspruchseinlegung – die allerdings erstmal zu einer Ablehnung führt, da die entscheidende Rechtsprechung ja wie erwähnt noch aussteht. Die meisten der Kollegen haben erstmal prophylaktisch Einspruch eingelegt und warten ab. Ohne mir etwas Böses dabei zu denken, habe ich den von mir eingeschlagenen Rechtsweg in unserer Mailliste dargestellt und dabei auch betont, dass ich einfach nur meinen Weg vorstellen möchte. Das hätte ich lieber nicht tun sollen, denn Folge war eine ziemliche harte Zurechtweisung durch eine Kollegin, die anscheinend meinen Weg ideologisch in die Schwarzmaler-Kategorie einordnete.

Ich hatte mich über den Rüffel der Kollegin geärgert, aber ließ die Sache erstmal auf sich beruhen, zumal weder negative noch positive Reaktionen kamen. Heute habe ich dann allerdings doch ein – weitgehend nettes – kleines Statement abgegeben. Dann kam überraschenderweise eine Resonanz. Eine mir nicht bekannte Berufsbetreuerin hinterließ eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter, in der sie mir mitteilte, dass sie genau meiner Meinung sei und die besagte Reaktion überhaupt nicht nachvollziehen konnte.

„Ich möchte Ihnen dies nur mitteilen, damit Sie wissen, dass sie nicht allein dastehen“. Diesen Satz habe ich während der letzten 13 Jahren meiner Tätigkeit als Berufsbetreuerin nicht mehr gehört. Wenn irgendwelche ungerechtfertigten Angriffe kamen, sei es von Angehörigen, Kollegen, Rechtspflegern oder meinen früheren Chefs, stand ich dem immer völlig allein gegenüber. Allein in der Auseinandersetzung um die Betrügereien des Betreuungsvereins, allein vor dem Sozialgericht, als meine früheren Chefs mir einen Teil meines Lohns streitig machten und allein bei ziemlich heftigen Beleidigungen von KollegInnen. Und jetzt, bei einer relativ harmlosen Angelegenheit, ruft mich plötzlich ein Wildfremder an, um mir den Rücken zu stärken. Ob mein gegenüber dem Finanzamt eingeschlagener Weg richtig oder falsch ist, sei dahingestellt – auf jeden Fall gibt es keinen Grund, mir dabei öffentlich irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen ideologischen Gründe zu unterstellen.

Ich glaube, man kann bestimmte Ziele und Ideale in seiner Arbeit nur dann durchhalten, wenn man ab und zu den Rücken gestärkt bekommt. Und plötzlich kommen mir Erinnerungen an frühere Zeiten, in denen ich Rückhalt erhalten habe. Erinnerungen an Kollegen, Klienten – manchmal sogar Arbeitgeber – mit denen man sich wechselseitig darin unterstützt hat, für seine Meinung einzutreten und keine faulen Kompromisse zu machen. Menschen, die Lust haben, etwas zu verändern und denen es nicht ausreicht, ständig nur den Weg des kleinsten Widerstands zu gehen.

Übrigens hatte ich ursprünglich gar nicht die Absicht gehabt, die von mir eingeschlagene rechtliche Vorgehensweise anderen mitzuteilen. Aber jemand aus dem Kollegenkreis fand meine Vorgehensweise plausibel und sinnvoll und riet mir zum Einbringen in die öffentliche Mailliste. Nachdem ich den öffentlichen Rüffel der Kollegin erhalten hatte, hatte ich insgeheim natürlich die Hoffnung auf ein wenig Solidarität, die sich aber leider nicht erfüllte, sondern mir nur den Vorwurf der Abhängigkeit von Bestätigung durch Dritte einbrachte. Aber dann macht sich doch plötzlich jemand die Mühe, der mich gar nicht kennt, mir ein paar ermutigende Worte aufs Band zu sprechen.

Fazit: Man sollte in der Lage sein, ohne die Bestärkung anderer auskommen und arbeiten zu können. Aber wenn ich mich an die Zeiten zurückerinnere, in denen Solidarität und gegenseitige Unterstützung und Bestärkung selbstverständlich waren, dann kann ich nicht umhin zu sagen: Es hat mehr Spaß gemacht, war weniger anstrengend und man hat viel mehr erreicht!

Damit Sie wissen, dass sie nicht allein dastehen“ - ein toller Satz. Ein Satz, den man viel zu selten hört und den man bitter nötig hat, wenn es für wichtig hält, auch die unbequemen und lästigen Dinge anszusprechen. Ein Satz, den man ab und zu mal hören muss, wenn man sich nicht verbiegen will...

Edit:
Habe mich heute bei der Kollegin telefonisch bedankt und das erste Mal seit ewigen Zeiten ein 1 1/2 stündiges Fachgespräch über Betreuungsarbeit geführt (NICHT über Vergütungsfragen) - es gibt noch Wunder!

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Samstag, 20. März 2010, 01:01h

Das Milgram Experiment in neuer Auflage – man kann alles noch steigern

behrens

Wahrscheinlich kennen viele das Milgram-Experiment. Der Psychologe Stanley Milgram hat in den 60er Jahren ein Experiment durchgeführt, in dem er die Gehorsamkeitsbereitschaft untersuchen wollte. Er hat dabei Probanden angewiesen, ein Schaltpult zu bedienen, mit dem Stromstöße in Versuchspersonen geleitet wurden. Bei den Versuchspersonen handelte es sich jedoch um Schauspieler, die die Schmerzreaktionen nur vortäuschten. Dies allerdings je nach simulierer Stromstärke äußerst überzeugend. Das Ergebnis war mehr als erschütternd, denn viele der Versuchspersonen hatten keine Skrupel, Menschen Schmerzen zuzufügen, wenn ihnen von einer Autoritätsperson immer wieder gesagt wurde, dass dies seine Ordnung hätte. Das Gewissen wurde gewissermaßen abgegeben oder besser gesagt: delegiert an eine Autoritätsperson.

Jetzt wurde in Paris dieses Experiment wiederholt. Allerdings nicht auf wissenschaftlicher Grundlage, sondern als Reality-show vor Publikum in Form eines Quiz, bei dem für falsche Antworten Stromschläge erteilt wurden. Bilanz: wie damals waren fast alle Kandidaten (81 %) bedingungslos gehorsam und hatten keinerlei Gewissensbisse.

Der Unterschied des ersten wissenschaftlichen Experiments und der jetzigen öffentlichen Vorführung bestand in Anwesenheit eines Publikums. Und wie war dessen Reaktion? Niemand stoppte den Gewaltexzess und die Kandidaten wurden auch noch angefeuert.

Es gibt wohl nicht allzu viele Erklärungen für die Beweggründe des Produzenten Christophe Nicks – wahrscheinlich einfach nur die der hohen Sendequoten und der Medienwirksamkeit. Also kein zweiter Stanley Milgram, der sich sehr intensiv und ausgiebig mit dem Thema Autoritätsgläubigkeit im Hinblick auf die Verbrechen des Nationalsozialismus beschäftigt hat. Aber dennoch – die Reaktion wäre mit Sicherheit auch bei einem erneuten Experiment unter wissenschaftlichen Bedingungen nicht viel anders ausgefallen.

Und dies ist das Besorgniserregende. Ich habe das Milgram-Experiment ausgiebig in meiner Schulzeit im Soziologieunterricht behandelt. Dabei ging es ausschließlich um die Bedingungen, die zu extremer Gehorsamkeitsbereitschaft führen. Mit Spaß für irgendwelche Dritten hatte dieses Experiment nichts zu tun. Und ich erinnere auch noch, dass es auch einige Probanden gab, die ab einer bestimmten Stromstärke zunehmend Bedenken hatten und denen es offensichtlich schwer fiel, anderen Schmerzen zuzufügen.

Bei der besagten Reality-show wurde jetzt ein schon an sich perfides menschliches Verhalten um den Spaßfaktor ergänzt. Jetzt finden sich Menschen bereit, im Schutze eines großen Publikums eine Foltervorstellung anzusehen. Jetzt wird gequält in einer Atmosphäre von „Let’s have fun“. Aber wundern tut es eigentlich nicht mehr, denn wenn das Filmen von Gewalt mittels Handy und das anschließende Veröffentlichen im Netz schon zum Alltag gehören, dann ist eine Foltersendung eigentlich nur noch das passende professionelle „event“ für diejenigen Menschen, die gern zusehen,wenn Menschen gequält werden. Und das schockierende Ergebnis des Milgram-Experiments – nämlich die extreme Gehorsamsbereitschaft – wird jetzt ergänzt um ein weiteres schockierendes Ergebnis: der gnadenlose Spaß am Leid anderer.

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