Montag, 12. April 2010, 23:46h
Das Bonmot zur Nacht
Jeder schließt von sich auf andere und vergisst dabei, dass es auch anständige Menschen gibt.
Heinrich Zille
1858 – 1929
...passt wie die Faust aufs Auge!
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Sonntag, 11. April 2010, 19:59h
Die Missbrauchsfälle in den katholischen Einrichtungen – dort und anderswo Wegsehen als Lebensstrategie
Es hört einfach nicht auf – das Bekanntwerden immer neuer Fälle von Missbrauch in katholischen Erziehungseinrichtungen. Hoffentlich wird dies endlich zu der längst überfälligen Diskussion und Reformierung des Umgangs mit Sexualität führen. Und hoffentlich wird man es nicht bei der Bitte um Verzeihung belassen, denn die wird den zukünftigen Schülern überhaupt nichts nützen. Nur das Verändern von Strukturen und Richtlinien wird etwas bewirken können.
Aber mir jetzt es an dieser Stelle nicht um die Thematisierung der dem Missbrauch zugrunde liegenden speziellen Thematik – Zölibat, Machtgefälle und klerikale Strukturen. Mir geht es um etwas, das mich fast ebenso wie der eigentliche Missbrauch schockiert. Mir geht es darum, dass zweifellos und konsequent weggesehen wurde. Ohne diesen Umstand hätte Missbrauch in diesem Ausmaß nicht jahrelang bestehen können.
Es gibt nicht nur Täter und Opfer, sondern auch noch jede Menge Menschen drum herum: Kollegen, Mitschüler, Untergebene, Vorgesetzte, Nachbarn, Besucher, Freunde, Familienangehörige, Besucher e.t.c. Wie ist es möglich, dass Massen von Menschen über Jahrzehnte lang nichts gesehen haben? Das ist eben nicht möglich. Denn es gibt nicht nur die Tragödie im Stillen, sondern auch jede Menge Zuschauer. Aber eigentlich ist Zuschauer nicht das richtige Wort. Besser passt: Wegschauer. Und so wie die Tragödien in den Theatern ihre Zuschauer haben, haben die Tragödien im alltäglichen Leben ihre Wegschauer.
Es kann kein Unrecht geschehen, ohne dass nicht irgend jemand darüber hinwegsieht und schweigt. Und das ist nicht auf Kindesmissbrauch beschränkt sondern auf jedes Unrecht.
Und dass ich mich zu dieser Thematik hier in meinem Betreuerblog äußere, ist auch nicht ohne Bezug zu meiner Arbeit. Denn eben dieses hartnäckige und konsequente Wegsehen hat die Betrügereien in dem Betreuungsverein, in dem ich zwei Jahre arbeitete, möglich gemacht. Und obwohl ich Kindesmissbrauch als sehr viel folgenschwerer und tragischer ansehe als finanziellen Betrug, ist die Grundproblematik die Gleiche: Macht wird zum eigenen Vorteil missbraucht und es wird profitiert davon, dass es sich um Abhängige – denn das sind Betreute nun mal – handelt, die sich nicht wehren können. Und dies wird erst ermöglicht durch das verlässliche Wegschauen aller Mitwisser.
Ich kann nichts über die Menschen sagen, die stillschweigend dem Missbrauch von Kindern zugesehen haben. Aber ich kann sehr wohl etwas über das stillschweigende Mitansehen meiner Kollegen und mir aussagen. Da gibt es zwei, drei unterschiedliche Typen von Wegsehern. Dem ersten ist es schlichtweg schnurz-piepe-egal und falls die Betrügereien doch einmal erwähnt werden, dann wird nur dumpf mit den Schultern gezuckt und lakonisch geantwortet „Is’ doch nicht mein Problem, ich mach’ das wofür ich bezahlt werde“. Im Gegensatz zu diesem Typus verursachen dem zweiten Typus die Missstände Magenschmerzen. Aber dabei bleibt es dann auch. Es wird zwar versucht, durch viel Einsatz für die Betreuten einen Ausgleich zu schaffen, aber es wird weiterhin tatenlos zugesehen, wie Menschen Schaden zugefügt wird.
Ach ja, und zu dem dritten Typus rechne ich mich selbst. Ich habe zwar meinen damaligen Chef lautstark die Meinung gesagt, aber genau wie bei dem Magenschmerztypus blieb es dann dabei. Ich bin weder zur Polizei, noch zur Presse gegangen, noch habe ich umgehend (sondern erst zwei Jahre später) gekündigt. Stattdessen werde ich hier wohl bis ans Ende meiner Tage in diesem Blog oder auch auf meiner Homepage schreiben um damit mein schlechtes Gewissen und meine Verbitterung in den Griff zu bekommen.
Und wie reagieren eigentlich Typus 1 und 2 in der Retrospektive auf das Geschehene? Beim Typus 1 ist es klar: der wiederholt weiterhin stereotyp seinen Satz „Is’ doch nicht mein Problem, ich hab’ das gemacht, wofür ich bezahlt wurde“ – zu einer differenzierteren Sichtweise wäre er auch gar nicht in der Lage. Typus 2 lässt sich zwar nicht zu solchen Dumpfheiten hinreißen, aber würde auch nie den Gedanken an eine Aufarbeitung haben. Stattdessen konstruiert er jedes nur erdenkliche Argument für mildernde Umstände und kontert vehement damit, dass man selbst auch nicht ohne Tadel ist. Damit hat er zweifellos auch Recht, nur ist dies eine mehr als faule Ausrede, um sich vor der Auseinandersetzung mit der Übernahme von Verantwortung zu drücken.
Und wenn man jetzt von der speziellen, jeweils sehr unterschiedlichen Problematik des Wegsehens übergeht zur exemplarischen Problematik des Wegsehens, die für alle Bereiche des täglichen Lebens gleichermaßen gilt, dann sollte man jetzt endlich mal das tun, was schon lange getan hätte werden müssen: sich zu der eigenen Feigheit bekennen. Das ist das Mindeste, was man den Geschädigten schuldig ist. Anstatt sophistisch ausgeklügelte Rechenschaftsargumente zu konstruieren sollte man schlicht und einfach nur eins sagen:
Mea culpa – ich bin schuldig!
Wer Unrecht duldet, stärkt es.
Willy Brandt
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Freitag, 26. März 2010, 07:03h
Krisensituation in der Jugendwohngruppe
Vor ein paar Tagen kam es in der Jugendgruppe, in der mein Freund als Erzieher arbeitet, zu einer Schlägerei zwischen zwei Jugendlichen. Einer der beiden Jugendlichen ist dunkelhäutig und wurde bei einem Streit von dem anderen mit dem Ausdruck "Nigger" beschimpft. Dieser Jugendliche geriet dann so in Rage, dass er ein Messer holte und auf den anderen losging. Mit viel Mühe gelang es meinem Freund, die beiden zu trennen.
Am nächsten Morgen nahm sich mein Freund jeden der beiden Jugendlichen einzeln vor. Dem dunkelhäutigen Jugendlichen erklärte er, dass er zu Recht über die Beleidigung aufgebracht war, aber dies noch kein Grund sei, mit einem Messer auf den anderen loszugehen. Zu dem anderen Jugendlichen sagte er, dass der Grund für dessen Wut – die Tatsache, dass der andere sich überhaupt nicht an den Gemeinschaftsarbeiten beteiligte – zwar berechtigt sei, aber dennoch Ausdrücke wie Nigger oder Bimbo im Haus absolut verboten seien. Wenn andere Schimpfwörter in einem Streit genannt werden, würde sich keiner darüber aufregen, aber rassistische Beschimpfungen sind in der Jugendwohngruppe absolut tabu.
Zwei Dinge fallen mir auf, wenn ich mir diese Situation näher ansehe. Den beiden Jugendlichen hatte es anscheinend sehr imponiert, dass mein Freund sich allein der Auseinandersetzung gestellt und weder Vorgesetzte noch die Polizei geholt hatte. Ich möchte unbedingt betonen, dass ich es für absolut legitim halte, in einer bedrohlichen Situation Hilfe von Dritten zu holen. Aber wenn man in der Lage ist, es auch allein durchzustehen und auf fremde Hilfe verzichten kann, ist die Auseinandersetzung eine andere. Man stellt sich dem anderen Kraft seiner Person entgegen und nicht im Schlepptau von Autoritäten. Dadurch verläuft die Konfrontation Auge in Auge und nimmt den anderen als Gegenüber ernst. Und eben das macht eine wirkliche Auseinandersetzung erst möglich.
Ich habe in der letzten Zeit oftmals Auseinandersetzungen erlebt, in denen es nur darum geht, einen Konflikt möglichst schnell und ohne viel Aufwand zu beenden. Erklärtes Ziel: Zeit sparen, die eigenen Positionen durchdrücken und sich zum Herrn über die Situation machen. Die meisten meiner Berufskollegen würden es sicherlich höchstens zwei Tage in einer Jugendwohngruppe aushalten. Jugendliche lassen sich nicht durch eine berufliche Position beeindrucken. Und mit autoritärem Gebaren zieht man meist den Kürzeren. Für die Auseinandersetzungen mit Jugendlichen muss man sich Zeit nehmen und es geht dabei um einen Lernprozess und nicht um Machtanspruch. Und mit dem Zeitsparprinzip kann man bei Jugendlichen sehr schnell auf den Bauch fallen.
Das zweite, was mir auffällt, ist die Tatsache, dass von Jugendlichen erwartet wird, rassistische Äußerungen zu unterlassen und es kann für die Jugendlichen heftige Konsequenzen haben, wenn dies nicht befolgt wird. Rassistische Äußerungen gibt es auch unter Betreuern. Allerdings gibt es eine Art ungeschriebens Gesetz, dies höflich zu überhören und auf keinen Fall anzusprechen. Hält man sich nicht daran, muss man sich Unkollegialität und Schädigung des Ansehens unseres Berufsstands vorwerfen lassen. Es macht nachdenklich, dass man von Jugendlichen die Auseinandersetzung mit dieser Thematik erwartet während man bei Betreuern nicht die geringste Veranlassung für eine Thematisierung sieht.
Alles in allem zwei Arbeitsbereiche, die verschiedener nicht sein könnten. Die sehr verschiedene Menschen anziehen. Und auch sehr verschiedene Menschen hervorbringen.
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