Donnerstag, 19. Juni 2014, 01:03h

Geruchsbelästigung als Grund für Heimeinweisung gegen den Willen eines alten Menschen?

behrens

Wenn alte Menschen durch Demenz oder Gebrechlichkeit auffallen, kommt es im Umfeld immer wieder zu der Frage, ob das Verbleiben in der eigenen Wohnung noch vertretbar ist. Wie ich es hier schon früher einmal geschildert habe, ist es erschreckend, wie schnell Angehörige, Nachbarn, Pflegedienstmitarbeiter und selbst Behördenmitarbeiter das Urteil fällen, jemand müsse so schnell wie möglich ins Heim eingewiesen werden.

Ich erinnere mich an den Fall einer Betreuten eines früheren Kollegen, deren Vermieter hochempört darüber war, dass sich der Kollege sträubte, die alte Dame gegen ihren Willen in einem Heim unterzubringen. Was waren es für Vorfälle, die solche große Empörung hervorriefen? Im Wesentlichen ging es um zwei Dinge: zum einen spazierte die Betreute manchmal barfuß durchs Dorf und zum anderen war sie nicht mehr in der Lage, die Wasserspülung ihres WCs zu bedienen. Was das Barfußlaufen betraf, so muss man sagen, dass es sich nicht im tiefsten Winter abspielte, sondern bei annehmbaren Temperaturen. Und die Probleme mit der Toilettenspülung rührten daher, dass der Spülkasten ausgetauscht worden war und jetzt nicht mehr mit einer Spülkette sondern mit einer Spültaste betätigt wurde. Selbst bei jüngeren Menschen dauert es einige Zeit, ehe sich daran gewöhnt wird – bei einem älteren Menschen mit beginnender Demenz kann es manchmal unmöglich sein, sich an so eine Veränderung zu gewöhnen. So war es auch bei der Betreuten, was zur Folge hatte, dass sie nicht mehr spülte und es dadurch zu einer Geruchsbelästigung kam. Hätte sich die Toilette in der Wohnung befunden, wäre es wahrscheinlich niemandem aufgefallen, aber da sie sich im Hausflur ihrer Einliegerwohnung befand, bekam es der Vermieter mit.

Die Betreute wurde von einer sehr engagierten Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes versorgt, die neben ihren regulären Einsätzen nochmals zusätzlich bei der Betreuten vorbeischaute, nur um die Spülung zu betätigen. Die Mitarbeiterin war genauso wie mein Kollege der Meinung, dass weder das Barfußlaufen noch das Nichtbetätigen der WC-Spülung einen Grund darstellte, die alte Damen gegen ihren Willen aus der ihr vertrauten Umgebung herauszureißen und in einem Heim unterzubringen. Aber wie in so vielen anderen ähnlichen Fällen wurde dies nicht als Respekt vor der Selbstbestimmung eines alten Menschen angesehen, sondern als Verantwortungslosigkeit gedeutet. Es kam von Seiten des Vermieter zu sehr heftigen Anschuldigungen und zu unschönen Aktionen wie dem Fotografieren eines verschmutzen Bettes. Obwohl der Pflegedienst regelmäßig vorbeikam, kam es einmal dennoch dazu, dass durch die Inkontinenz der alten Dame das Bett völlig verschmutzt war. Natürlich wurde das Bett gesäubert, als der Pflegedienst in die Wohnung kam, aber der Vermieter war schneller und nutzte die Gelegenheit, um schnell Fotos zu machen, die dann als Beweis für die Anschuldigung der angeblichen Vernachlässigung der Betreuten herhalten mussten.

Da besagter Kollege und ich zum damaligen Zeitpunkt zusammen in einer Bürogemeinschaft arbeiteten und er gern eine zweite Meinung zu der Situation einholen wollte, suchten wir die Betreute gemeinsam auf. Ich traf eine quietschfidele alte Dame an, die offensichtlich mit sich und ihrem Leben zufrieden war. Ein gezieltes Gespräch war zwar nicht mehr möglich, aber die Betreute brachte durchaus zum Ausdruck, dass sie sich in ihrer Umgebung wohl fühlte. Diesen Eindruck hatte auch die Pflegedienstmitarbeiterin, die damit konfrontiert war, dass der Vermieter auch dem Pflegedienst feindlich gegenüberstand und massiven Druck ausübte.

Wie ist die Geschichte ausgegangen? Irgendwann kam ein Zeitpunkt, an dem mein damaliger Kollege ein passendes Heim suchte und den Versuch wagte, die Betreute dort vorzustellen. Wider Erwarten gefiel es der Betreuten dort und sie fand Zugang zu den anderen Bewohnern, so dass ein dauerhafter Wechsel ins Heim veranlasst wurde. Es ist aber außerordentlich wichtig zu betonen, dass diese Reaktion eine Ausnahme darstellt und viele Betreute an dem Verlust ihrer vertrauten Umgebung zerbrechen. Aus diesem Grund kann gar nicht oft genug betont werden, wie wichtig eine sorgfältige und gewissenhafte Abwägung dieser Entscheidung ist. Manchmal kommt die Bereitschaft, die vertraute Umgebung gegen eine bessere Versorgung einzutauschen nach einiger Zeit von alleine, denn auch ein dementer Mensch kann unter Umständen den Wunsch nach mehr Sicherheit entwickeln. Soweit es möglich ist, sollte man diesen Prozess abwarten.

Worauf es mir bei diesem Beitrag ankommt, ist der Appell an mehr Verständnis für die Eigenheiten und Einschränkungen alter Menschen. Es ist sicherlich nicht angenehm, wenn es zu Geruchsbelästigungen kommt. Und es ist auch zuerst einmal auch ungewöhnlich und befremdlich, dass ein alter Mensch barfuß spazieren geht. Aber beides sind keine ausreichenden Gründe um lauthals nach Heimeinweisung zu rufen und einem Menschen seine Wohnung zu nehmen. Und genauso unfair ist es auch, Betreuern generell Verantwortungslosigkeit und Ignoranz vorzuwerfen, nur weil nicht gleich bei den ersten Problemen eine Heimeinweisung veranlasst wird.

Es wäre schön, wenn diese Problematik mehr Interesse in der Öffentlichkeit erhalten und endlich ein Dialog beginnen würde.

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