Dienstag, 31. Januar 2012, 02:02h

Unerwartete Rückendeckung

behrens

In der Arbeit als Betreuer kann es mitunter zu großen Anfeindungen kommen. Insbesondere im Bereich der Geldeinteilung kommt es in steter Regelmäßigkeit vor, dass nicht die knappe Bemessung des Hartz-IV-Bedarfssatzes als Ursache für den Geldmangel angesehen wird, sondern der Betreuer. Entweder es wird uns vorgeworfen, dass wir Geld veruntreuen oder es wird unterstellt, dass wir nicht alle Möglichkeiten der Beantragung von Zuschüssen ausschöpfen würden. Oftmals wird auch kritisiert, dass wir Geld ansparen für die notwendigen größeren Anschaffungen, anstatt das Geld sofort auf der Stelle auf einen Schlag auszuzahlen.

Vor einigen Wochen fand ein sogenanntes Hilfeplangespräch statt. Das ein Gespräch, zu dem alle, die an der Betreuung/Versorgung eines Menschen beteiligt sind, geladen werden. In diesem Fall waren es sehr viele Beteiligte, da es sich um eine Betreute mit einem kleinen Kind handelte. Anwesend waren die Hebamme, der Familienhelfer, die PPM-Betreuerin, die Mitarbeiterin des Jugendamtes, meine Betreute, ihr Mann, ihr kleines Kind, eine Übersetzerin und ich.

Obwohl der Mann meiner Betreuten kaum etwas von der deutschen Sozialgesetzgebung wusste, da er noch nicht allzu lange in Deutschland lebt, machte er mir massive Vorwürfe, weil ich seiner Meinung nach widerrechtlich das Kindergeld nicht auszahlen würde. Ich hatte ihm etliche Male geduldig erklärt, dass Hartz-IV eine nachrangige Hilfe ist und jede andere Leistung, wie z.B. Unterhalt, Rente oder Kindergeld auf jeden Fall angerechnet wird. Obwohl dieser Grundsatz eigentlich sehr einleuchtend ist, wollte der Mann ihn nicht verstehen und seiner Meinung nach war einzig und allein durch meine Unfähigkeit viel zu wenig Geld vorhanden. In der Tat gab es einen sehr krassen finanziellen Engpass, weil entscheidende Urkunden für die Anmeldung des Kindes fehlten, wodurch für das Kind auch kein Geld gezahlt wurde. Aber das war nicht meine Schuld, weil bestimmte Unterlagen erst angefordert werden mussten. Darüber hinaus wurde das Kindergeld natürlich voll und ganz als Einkommen angerechnet.

Ich wurde also vor der recht großen Versammlung als unfähige Betreuerin dargestellt, die nicht in der Lage ist, der Betreuten und ihrem Kind zu ihrem Recht zu verhelfen. Keine besonders angenehme Situation, zumal der Mann meiner Betreuten jede Menge Zahlen anführte, welche ich, da ich natürlich nicht alle Buchungsunterlagen dabei hatte, nicht so einfach widerlegen konnte.

Und dann passierte etwas, was für mich in meiner Tätigkeit als Betreuerin völlig neu war. Die PPM-Betreuerin erhob plötzlich das Wort und erklärte, dass ich als Betreuerin alles Mögliche unternommen hätte, um die schwierige Situation in den Griff zu bekommen. Sie betonte ausdrücklich, dass nicht ich an dem finanziellen Engpass Schuld war, sondern eine Verkettung von unglücklichen Umständen, angefangen von fehlenden Urkunden, die erst aus dem Heimatland angefordert werden mussten bis hin zu bürokratischen Vorschriften des Jobcenters, das ein Kind erst dann als ein Kind anerkennt, wenn die entsprechende Urkunde vorliegt.

Für mich war die unerwartete Rückendeckung etwas, was mich zutiefst überraschte. Nicht, dass mir eine derartige Situation völlig unbekannt wäre – in meinen früheren Stellen war es durchaus üblich, Kollegen bei ungerechtfertigten Angriffen nicht im Regen stehen zu lassen. Unter Betreuern ist dies allerdings etwas nahezu Unbekanntes. Ich selbst habe vor Jahren einmal einen Leserbrief geschrieben, als ein Betreuer von der Presse heftig auseinandergenommen wurde und hatte dabei auch um Mitunterzeichnung einiger Kollegen gebeten, was die dann auch – allerdings nicht sehr begeistert – getan hatten. Und wenn ich mir den Satz eines Kollegen „Andere Betreuer sind deine Konkurrenz“ vergegenwärtige, dann ist es auch nicht verwunderlich, dass das Unterzeichnen eines Leserbriefs als Maßnahme der Unterstützung für einen Betreuer als überflüssig und lästig empfunden wird.

Die mir Rückendeckung gebende Kollegin war keine rechtliche Betreuerin, sondern eine pädagogische Betreuerin. Das schmälert aber nicht meine Freude darüber, dass es Menschen gibt, für die es selbstverständlich ist, bei ungerechtfertigten Anschuldigungen auf den Tisch zu hauen. Gäbe es mehr davon, würde man sich eine Menge Zeit für unsinnige und unerfreuliche Auseinandersetzungen sparen, die man wesentlich sinnvoller in die Verbesserung der Arbeitsqualität investieren könnte. Darüber hinaus halte ich es für unverzichtbar, dass jemand, der andere beleidigt und diskreditiert, umgehend und konsequent in die Schranken gewiesen wird. Passiert dies nicht, ist menschliche Kommunikation kaum erträglich.

Und deswegen stellt das Verhalten der pädagogischen Betreuerin für mich weitaus mehr als nur eine Solidaritätsgeste dar. Es erinnert daran, dass die Welt nicht nur vom Homo Oeconomicus bevölkert ist.

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