Dienstag, 3. Mai 2011, 02:56h

Westliche Überheblichkeit?

behrens

Gerade lief eine Diskussion mit Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour im Fernsehen. Thema war die Frage, was passieren muss, damit die Konflikte zwischen den westlichen und den islamischen Staaten nicht eskalieren. Helmut Schmidt sagt hierzu, dass der Westen seine Überheblichkeit gegenüber den islamischen Staaten beenden muss. Wir sollten bedenken, dass alle drei großen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – die gleichen Wurzeln haben. Auch im Islam sei Jesus als großer Prophet geachtet und respektiert. Wir müssten mehr einander zuhören anstatt uns für überlegen zu halten.

In dem Punkt der Überheblichkeit könnte ich vielleicht noch zustimmen. Aber bei den gleichen religiösen Wurzeln als Bindeglied bin ich skeptisch. Denn trotz gleicher Wurzeln kann eine Entwicklung eintreten, die zu grundlegenden Unterschieden führt. Die religiösen Wurzeln mögen sowohl in der abendländischen als auch in der orientalischen Kultur die gleichen sein, aber die Ablösung des mosaischen Rechts durch die christliche Offenbarung stellt eine entscheidende Wende dar, die es im Islam nicht gibt. Das christliche Prinzip der Gleichheit und der Feindesliebe unterscheidet sich grundlegend von dem Prinzip der Hierarchie und dem der Vergeltung, das im Islam eine so große Rolle spielt.

Die zweite große Wende war die der Aufklärung, die die Vernunft dem Glauben überordnete. Die Wissenschaft war nicht mehr wie im Mittelalter die „Magd der Theologie“, sondern existierte unabhängig von ihr. Und die französische Revolution mit ihrer Forderung nach „Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit“ hat dann endgültig der Religion ihre Vormachtstellung genommen. Der Mensch war an die vorderste Stelle gerückt – dort wo zuvor Gott stand.

Helmut Schmidt sagt klar, dass er mit der Religion nicht allzu viel anfangen kann, zumal er an einer göttlichen Gerechtigkeit zweifelt (mit diesen Zweifeln kämpfen übrigens auch viele Gläubige). Und er erzählt von seiner Frau Loki, die überzeugte Darwinistin war und sich deswegen immer mit dem Pfarrer stritt.

Auch für einige Christen ist es nicht so einfach, die Evolutionstheorie mit dem christlichen Glauben zu vereinen. Der Islam tut sich allerdings damit noch viel schwerer und ein großer Teil der Gläubigen lehnt die Evolutionstheorie als ketzerisch und unvereinbar mit dem Islam ab.

Und bevor ich lange Ausführungen mache, führe ich einfach mal ein Zitat eines schiitischen Geistlichen aus dem Iran an: „Die konstitutionelle Bewegung hat die Worte Freiheit und Gleichheit auf die Fahnen geschrieben. Diese beiden Forderungen widersprechen dem Islam. Der Islam verlangt Gehorsam und nicht Freiheit, Ungleichheit und nicht Egalität […] Was ich will, ist ein islamisches Parlament, das kein Gesetz verabschiedet, dessen Inhalt nicht mit den Gesetzen des Koran übereinstimmt. .

Diese Aussage stammt von Fazlollah Nuri, einem Gegner des Schah-Regimes. Und ich glaube, dass Nuri die Grundproblematik der Gegensätze westlicher und islamischer Kultur sehr treffend auf den Punkt bringt, wenn er ehrlich sagt, dass Gehorsam und Freiheit nicht zueinander passen. Und dass das Ziel des Islams eben nicht das der Gleichheit ist.

Helmut Schmidt äußert offen seine Zweifel am religiösen Glauben. Zu der von ihm kritisierten „Überheblichkeit des Westens“ gehört aber gerade die fundamentale Überzeugung, dass man Zweifel an einer Religion haben und diese auch laut äußern darf. Er kritisiert folglich etwas, das es ihm erst möglich macht, Kritik zu äußern. Kann dies wirklich etwas sein, das man als Überheblichkeit bezeichnen kann?

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