Montag, 4. Januar 2010, 02:09h

Ich bin O.K. – Du bist O.K. – Toleranz oder einfach nur Gleichgültigkeit?

behrens

05.01.2010
Vor einiger Zeit habe ich an einer Supervision teilgenommen und wurde dabei mit der Theorie Thomas A. Harris’ „Ich bin O.K. – Du bist O.K. konfrontiert. Harris ist Begründer der sogenannten Transaktionsanalyse, in der versucht wird, sich in der Kommunikation mit anderen von den in der Kindheit erlernten Mustern zu lösen und mit seinem Gegenüber frei von Projektionen umzugehen.

Hört sich gut an und ist im Großen und Ganzen auch das, worum es im Erwachsenensein geht. Denn erwachsen werden heißt – zumindest wenn man den Anspruch hat, sich weiterzuentwickeln – sich von den Traumen der Kindheit zu lösen um nicht in eine Wiederholungsfalle zu geraten.

Aber in der tagtäglichen Kommunikation mit einem zum Dogma stilisierten „Ich bin O.K. – Du bist O.K. zu leben ist dennoch eine andere Sache. Dies hieße in der Konsequenz nichts anderes, als sich mit allem und jedem zu arrangieren. Selbst wenn man anheim stellt, ob dies tatsächlich erstrebenswert ist, kann nur derjenige so leben, der frei von eigenen Zielen ist. Der immer alles und jeden so nimmt, wie es oder er nun mal eben ist.

Ich kann mich damit nur schwer anfreunden. Obwohl sicherlich ein jenseits von allen Wertmaßstäben geführtes Denken weniger Leiden verursacht als ein Leben mit strengen und einengenden Wertvorstellungen. Toleranz ist die einzige Möglichkeit des friedlichen Miteinanders. Aber Toleranz kann auch gefährlich in die Nähe der Gleichgültigkeit geraten.

Was letztendlich das Ausschlaggebende am Umgang mit der Maxime „Ich bin O.K. – Du bist O.K. ist, ist der Umstand, ob man eigentlich etwas verändern möchte oder aber lieber alles so lassen möchte, wie es ist. Und ich für meinen Teil möchte Dinge verändern. Ich bin bis zu einem gewissen Grad in der Lage, mir das „Warum“ und „Weshalb“ negativer Verhaltensweisen durch Berücksichtigung der Gründe und Umstände zu erklären. Ist beispielsweise jemand ausländerfeindlich, so kann ich mir erklären, warum und wieso dies wahrscheinlich so ist. Und wenn mir das gelingt, gehe ich mit weniger Abneigung und Frust auf den Betreffenden zu, was auf jeden Fall besser ist, als ein haßerfüllter Umgang.

Das heißt für mich aber eben noch lange nicht, daß dies auch tatsächlich O.K. ist. Weil ich nun mal Wertmaßstäbe habe – und auch haben will – in denen Ausländerfeindlichkeit etwas Abzulehnendes darstellt, bzw. als etwas angesehen wird, das Unfrieden und Schaden anrichtet. Ich möchte Ausländerfeindlichkeit nicht hinnehmen und auf Veränderung hinwirken, wo ich dieser begegne.

Der Prototyp des „Ich bin O.K. – Du bist O.K.“-Menschen ist der beliebige Mensch. Der Mensch, der tatenlos zusieht, wenn Unrecht geschieht, wenn Gewalt ausgeübt wird und wenn Menschen Leid zugefügt wird. Der Mensch, der an jedem belieben Ort mit jeden beliebigen Menschen jede beliebige Sache ausführen kann. Der nie leidenschaftlich für oder gegen etwas kämpft. Leidenschaftlicher Kampf ist ja auch nicht notwendig denn: „Ich bin O.K. – Du bist O.K.“

"Ich bin O.K. - Du bist O.K." mag ein wichtiger Schritt zur zwischenmenschlichen Toleranz sein. Aber diese Haltung kann auch als bequeme Entschuldigung mißbraucht werden, um sich jedem Konflikt zu entziehen und anderen die unangenehme Aufgabe zu überlassen, heikle Probleme anzugehen.

Aber in Bezug auf Arbeit bekommt die Maxime des „Ich bin O.K. – Du bist O.K.“ noch eine andere Bedeutung – je nachdem, was Arbeit für einen Stellenwert hat. Geht es in der Arbeit einfach nur darum, etwas gut und oft zu verkaufen, stellt Toleranz gegenüber anderen Einstellungen keine große Schwierigkeit dar. Ob jemand nun lieber das Produkt A oder aber lieber das Produkt B verkauft, ob jemand lieber einen rund-um-Service oder aber einen partiellen Service anbieten möchte – dies alles hat keine weltbewegenden Auswirkungen und sollte tatsächlich jedem selbst überlassen sein.

Anders ist es jedoch, wenn man mit Menschen arbeitet, so wie dies unter anderem bei Betreuungen der Fall ist. Dann geht es nicht nur um Produktabsatz sondern darum, ob die uns anvertrauten Menschen gut versorgt werden.

Kann man es in der Arbeit mit Menschen wirklich tolerieren, wenn jemand seine Betreuungen im Massenabfertigungsverfahren führt? Wenn jemand Vetternwirtschaft betreibt und vorzugsweise Bekannten Aufträge oder Mandate verschafft? Wenn jemand seine Vergütungsabrechnungen in schwindelnde Höhen treibt und dies der Staat oder aber der Betreute selbst zahlen muß? Oder wenn man seinen Betreuten gegenüber einen Umgangston wie in der Bundeswehr pflegt?

Gemäß Thomas A. Harris ist auch dies alles O.K. Und das ist genau das, was mich bedenklich stimmt.

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