Sonntag, 27. April 2014, 15:47h
Patchworkfamilien - nicht so nett, wie es sich anhört
Sowohl in meinem beruflichen Tätigkeitsfeld als auch im privaten Umkreis habe ich immer wieder mit Familienstrukturen zu tun, die mit dem Ausdruck Patchworkfamilie bezeichnet werden. Damit sind Familien gemeint, in denen Kindern nicht mehr mit beiden leiblichen Eltern zusammenleben, sondern ein leiblicher Elternteil einen neuen Partner hat.
Der Ausdruck Patchworkfamilie hört sich eigentlich ganz optimistisch an, man assoziiert damit etwas Positives wie Vielfältigkeit oder Buntheit. Der früher verwandte Ausdruck Sieffamilie hingegen erweckt eher die Assoziation an etwas Unvollkommenes, das nur einen Ersatz für eine richtige Familie darstellt. Das abgeleitete Adjektiv „stiefmütterlich“ macht die negative Besetzung sehr gut deutlich.
Aber entspricht die vornehmlich positive Darstellung einer Familiensituation, in der die Kinder mit dem neuen Lebenspartner eines Elternteils zusammenleben, tatsächlich der Realität? Ich habe daran Zweifel. Bei den Patchworkfamilien, die ich kennengelernt habe, habe ich zunehmend die Erkenntnis gewonnen, dass diese Familienkonstellation oftmals mit großen Problemen für die Kinder verbunden ist. Dabei stellt insbesondere eine Situation für Kinder eine besonders große Belastung dar: die Situation einer erneuten Trennung.
Wenn es bei einer „normalen“ Familie – sprich eine Familie, die aus Eltern und deren leiblichen gemeinsamen Kindern besteht – zu einer Trennung kommt, bestehen die familiären Bindungen in den meisten Fällen (allerdings auch hier nicht immer) trotzdem weiter. Für die leiblichen Eltern besteht die Elternschaft für die Kinder auch nach einer Scheidung fort und auch wenn die Trennung für alle Beteiligten schwer und schmerzhaft verläuft, so ändert dies nichts an der Verantwortlichkeit der Eltern.
Bei einer Patchworkfamilie ist die Situation eine andere. Die Beziehung zu den nichtleiblichen Kindern steht und fällt mit der Bindung zwischen dem leiblichen und dem neuen Partner. Auch in der Situation, in der Kinder einen neuen Partner voll und ganz als Mutter oder Vaterersatz akzeptieren, ist es im Falle einer Trennung nur in seltenen Ausnahmen der Fall, dass der nichtleibliche Elternteil die Bindung zum Kind des früheren Partners verlässlich aufrechterhält.
Ich glaube, dass sich viel zuwenig Gedanken darüber gemacht wird, wie tragisch sich eine erneute Trennung in einer Patchworkfamilie für die Kinder auswirkt. Kinder brauchen stabile Beziehungen, auf die sie sich verlassen können, für ein Kind stellt der plötzliche Verlust des Partners der Mutter/des Vaters fast immer ein äußerst schmerzhaftes Trauma dar. Ich erinnere mich noch an die Presseberichte über die Trennung unseres früheren Bundeskanzlers, die – genau wie auch zuvor die Ehe – eine hohe Medienpräsenz hatte. Dabei wurde auch eine der Töchter der Ex-Frau zitiert, die davon berichtete, dass sie wochenlang weinte, weil der Mann, der für sie zuvor einen Vaterersatz darstellte, von einem Tag auf den anderen aus ihrem Leben verschwand. Für sie war überhaupt nicht verständlich, warum sie so behandelt wurde. Der verschwundene Vater verschwendete keine Zeit mehr für sein altes Leben, zumal die Situation eintrat, die es öfter bei Patchworkfamilien gibt - es gab schon ein neues Kind, das Zuwendung einforderte.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – ich plädiere nicht dafür, dass Beziehungen um jeden Preis aufrechterhalten werden müssen. Eine schlechte Partnerschaft kann die Hölle für alle Beteiligten – also auch die Kinder – bedeuten, die oftmals nur durch eine Trennung beendet werden kann. Aber es ist Augenwischerei, dass das Eingehen neuer Partnerschaften die Lösung aller Probleme darstellt.
Auch ich habe keine Lösung für die Probleme, denen Kindern aus Patchworkfamilien ausgesetzt sind, wenn die Eltern sich erneut trennen. Aber ich bin der Meinung, dass diese Problematik stärker thematisiert werden sollte. Schon seit langem hat sich die Form der Beziehungen geändert und Trennungen erfolgen schneller als früher. Oftmals bleibt es auch nicht bei einer Trennung, sondern auch neue Partnerschaften werden wieder gelöst. Bisher reagiert man auf diese Thematik erst dann, wenn sich bei den betroffenen Kindern Störungen manifestieren. Es werden dann sozialpädagogische Familienhilfen zur Seite gestellt, Beratungsangebote gemacht oder den betroffenen Elternteilen sozialpsychiatrische Hilfsangebote gemacht. Diese Hilfen sind ihrer Natur nach so konzipiert, dass sie erst dann ansetzen, wenn der Hilfebedarf offensichtlich wird.
Vielleicht müsste ein Umdenken erfolgen und schulische Einrichtungen sowie Kindertagesheime sollten einen viel höheren Anteil an psychosozialer Beratung und Betreuung beinhalten. Wenn sich Schulen nicht nur auf Wissensvermittlung beschränken und Kindertagesheime nicht nur auf Aufbewahrung, dann kann ein Raum entstehen, der Kindern Halt und Sicherheit gibt. Je besser Kinder bei familiären Problemen von ihrem Umfeld aufgefangen werden, desto größer ist die Chance, dass die Traumatisierung einer Trennung aufgearbeitet werden kann. Ich weiß, dies alles kostet sehr viel Geld. Aber das kosten die zahlreichen sozialpädagogischen Interventionsangebote auch. Und leider ist es eine Realität, dass der Erfolg dieser Hilfen sehr gering ist.
„Patchwork ist ein Albtraum. Man kann nie gerecht seine Zeit und Liebe verteilen. Und Ex-Partner können nie wirklich liebevoll miteinander umgehen, weil die Verwundung stattgefunden hat. Und die Narbe wird es immer geben.“
Matthias Reim
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(... hätte auch manches dazu zu sagen, komme aber nicht dazu, es in eine passende Form zu tun - vielleicht demnächst ...)
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Auf jeden Fall werde ich noch einen weiteren Beitrag schreiben, denn die Schwierigkeiten in Patchworkfamilien beginnen nicht erst bei erneuten Trennungen, sondern auch schon zuvor, wenn die „angeheirateten“ Elternteile bei Konflikten mit den Kindern des Partners damit konfrontiert werden, dass diese jede Anteilnahme als unberechtigte „Einmischung“ rigoros ablehnen.
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