Donnerstag, 10. April 2014, 01:00h
Ein Vorher-Nachher-Gespräch und eine unbequeme Frage, um die man nicht herum kommt
Vor kurzem traf zufällig eine frühere Mitarbeiterin der Betreuungsstelle meines Bezirks. Zur Information: jeder Bezirk hat eine Betreuungsstelle, bei der die Anregungen für die Einrichtung einer Betreuung eingehen und deren Mitarbeiter, die in der Regel Sozialpädagogen sind, daraufhin zu einem geeigneten Betreuer Kontakt aufnehmen und ihn gegebenenfalls für die Führung der Betreuung vorschlagen.
Als ich meine Arbeit als rechtliche Betreuerin im Jahr 1997 begann, war das Betreuungsgesetz erst fünf Jahre in Kraft. Bis zum Jahr 1992 galt das Vormundschaftsgesetz und Vormundschaften wurden unter anderem auch in behördlichen Stellen geführt. Entsprechend waren die damaligen Mitarbeiter der für mich zuständigen Betreuungsstelle zuvor alle als Vormund tätig. In einer mehrjährigen Übergangsphase wurden dann von den Mitarbeitern die ehemaligen Vormundschaften als Betreuungen geführt, während dann später alle behördlich geführten Betreuungen an freiberufliche Betreuer übertragen wurden. Die Mitarbeiter hatten also alle auch selbst Erfahrungen sowohl im Führen von Betreuungen als auch im Führen von Vormundschaften.
Die inzwischen berentete Frau X. sprach mich sofort an und es entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch über die Veränderungen in der Betreuungsarbeit im Verlauf seiner Einführung bis zum jetzigen Zeitpunkt. Dabei sprach ich eine Bemerkung von Frau X. an, die sie gleich zu Beginn meiner Tätigkeit mir gegenüber gemacht hatte und bei der es um die die monatlich stattfindenden Betreuertreffen ging. Zur damaligen Zeit durften an den Betreuertreffen nur freiberufliche Betreuer teilnehmen, so dass für mich als angestellte Betreuerin keine Teilnahme möglich war. Frau X. sagte mir damals wörtlich, dass ich nichts versäumen würde, denn es ginge bei den Treffen doch mehr oder weniger nur um Vergütungsfragen und sie äußerte dabei auch ihren Unmut über manche Vergütungsabrechnungen, die unglaubwürdig und extrem überhöht waren. Ich habe diese Bemerkung nie vergessen, zumal sie die Meinung von jemanden wiedergab, der selbst jahrelang in der Betreuungsarbeit tätig war und der somit bestens beurteilen kann, wie hoch der tatsächliche Aufwand im Führen einer Betreuung ist.
Jetzt kamen wir wieder auf die Veränderungen in der Arbeitsweise vieler Betreuer zu sprechen und Frau X. erwähnte, dass zu Beginn des Betreuungsrechts bei den Betreuern noch die Bereitschaft bestand, bei der anstehenden Einrichtung einer Betreuung die Betreuten zuvor aufzusuchen, damit diese mitentscheiden können, ob sie den betreffenden Betreuer möchten oder nicht. Dies sei in den letzten Jahren aber immer rigoros abgelehnt worden, da es ja unnötig Zeit kosten würde, die nicht vergütet wird. Dadurch kommt jedoch ein wichtiger Aspekt der Reform nicht mehr zum Tragen, nämlich der der Mitbestimmung des Betreuten. Es ist eindeutig, dass der Grund für die Ablehnung eines Vorgesprächs in dem Umstand begründet ist, dass viele Betreuer, die damals maximal 40 Betreuungen führten, inzwischen mindestens 60 Betreuungen führen, wodurch zwangsläufig Abstriche in der Qualität gemacht werden.
Ich habe bei Beginn meiner Selbständigkeit insgesamt fünf Betreuungen von Mitarbeiterinnen der Betreuungsstelle übernommen. Und es war bei der Übernahme eine Selbstverständlichkeit, dass sich vor dem Betreuerwechsel die betreffende Mitarbeiterin mit mir zu einem gemeinsamen Gespräch bei dem Betreuten traf, damit die Entscheidung nicht über den Kopf des Betreuten gefällt wurde. Eine weitere Selbstverständlichkeit bestand auch darin, dass ich bei noch zu klärenden Fragen grundsätzlich einen Rückruf erhielt. Heute ist das Gegenteil der Fall - es ist selbstverständlich, dass der vorherige Betreuer nicht zurückruft. Argumentiert wird hierbei: „Abgegebene Betreuungen gehen mich nichts mehr an, das kriege ich ja nicht vergütet“. Aber auch abgesehen von der Möglichkeit der Rücksprache waren die Betreuungen von Behördenmitarbeitern immer einwandfrei geführt und es gab keine Versäumnisse, die aufgearbeitet hätten werden müssen. Bei den Übernahmen von freiberuflichen Kollegen war dies leider nicht immer der Fall.
Bei dem Vergleich der Arbeit der behördlichen und der freiberuflichen Betreuer kommt man um eine wichtige Frage nicht herum::
Wieso war damals den Behördenmitarbeiterinnen eine Arbeitsweise möglich, die heute von den freiberuflichen Betreuern vehement als zu zeitaufwendig abgelehnt wird?
Auch die Mitarbeiter der Betreuungsstellen haben 60 Betreuungen geführt und hatten dabei zusätzlich noch die sehr umfangreiche Aufgabe der Vorermittlung bei Betreuungseinrichtungen sowie die der Bearbeitung von Beschwerden über laufende Betreuungen.
Wer jetzt mit der guten personellen Ausstattung durch Verwaltungskräfte argumentiert, erliegt einem Irrtum, denn für fünf bis sechs Mitarbeiter standen weniger als zwei Vollzeitverwaltungskräfte zur Verfügung. Und wer hartnäckig daran festhält, dass freiberufliche Betreuer ja wesentlich weniger verdienen, der möge sich vergegenwärtigen, dass bei 60 Betreuungen immerhin rund 8.500,00 € monatlicher Umsatz anfällt. Zieht man die Kosten für Personal und Büromiete etc ab und legt eine Altersversicherung zugrunde, die der eines vergleichbaren Angestelltenverhältnis entspricht, dann stellt man unschwer fest, dass ein Behördenbetreuer auf keinen Fall mehr verdient hat als ein freiberuflicher Betreuer, sondern eher weniger. Vergessen sollte man bei dieser Rechnung auch nicht, dass bei einem nicht unerheblichen Teil der Betreuer inzwischen die Tendenz zur Führung von mehr als 60 Betreuungen besteht.
Aber zurück zu meinem Gespräch mit Frau X, die mir erzählte, dass die Einführung des Betreuungsgesetztes auch ein Ergebnis der Arbeitsgruppen der Behördenmitarbeiter war, in denen immer wieder an Vorschlägen und Ideen für eine Reform des Vormundschaftsgesetzes gearbeitet wurde. Ein sehr wichtiger Aspekt, denn Reformen sind nicht vorstellbar ohne das Interesse an Entwicklung von Konzepten zur Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen. Entsprechend groß ist der Stellenwert, den dieser Aspekt innerhalb eines Sozialpädagogikstudiums einnimmt - ohne Entwicklung von Konzepten ist jede Arbeit unweigerlich zum Stillstand verurteilt.
Frau X. erzählte mir außerdem, dass sie nach ihrer Berentung eine Zeitlang als Besuchsdienst für einen Betreuer gearbeitet hat. Allerdings übernahm sie dabei zusehends Arbeiten, die eigentlich zum Aufgabenbereich des Betreuers gehört hätten. Dies deckt sich wiederum mit dem Vorhergesagten – die Tendenz, möglichst viele Betreuungen zu führen, führt zwangsläufig dazu, möglichst wenig für den einzelnen Betreuten zu tun und hierbei an Dritte Aufgaben zu delegieren, die eigentlich dem Betreuer obliegen.
Fasst man die hier geschilderten Aspekte zusammen und vergegenwärtigt sich dabei die steigende Kritik an Betreuern, die bei weitem nicht nur von Angehörigen, sondern auch von sozialen Einrichtungen, Pflegediensten und Behörden kommt, dann führt kein Weg vorbei an der Erkenntnis, dass die Arbeit der behördlichen Betreuer im Vergleich mit der Arbeit der freiberuflichen Betreuer in vielen Fällen besser abschneidet. Und es führt ebenfalls kein Weg vorbei an der Erkenntnis, dass man hierfür nicht einfach die besseren Arbeitsbedingungen oder die bessere Bezahlung ins Feld führen kann, weil beide Argumente einer Überprüfung nicht standhalten.
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