Sonntag, 13. Mai 2012, 20:15h
Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker
Im Februar habe ich an einem Treffen des Landesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker teilgenommen. Es waren unter anderem eine Psychiatrieärztin, ein Betreuungsrichter und ein Psychiater eines Gesundheitsamtes geladen. Thema der Veranstaltung war rechtliche Betreuung.
Bei dem größten Teil der Angehörigen handelt es sich um die Eltern von psychisch Kranken. Was durch die Wortbeiträge auf dem Treffen deutlich wurde, ist die oftmals tiefe Verzweiflung der Eltern, die den Problemen ihrer erwachsenen Kinder meist hilflos gegenüber stehen, wie zum Beispiel in der Situation, in der es aufgrund psychischer Erkrankung zum Wohnraumverlust kommt und die Eltern damit konfrontiert sind, dass ihre Kinder auf der Straße leben. Oder aber die Situation eines psychotischen Schubs, bei dem sämtliches Geld verschenkt wird und die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind, sich um die Sicherstellung ihrer Einkünfte zu kümmern.
Rechtliche Betreuung könnte eine Entlastung für die Angehörigen darstellen, da die Befugnisse eines Betreuers größer sind als die der Angehörigen. Um ein Beispiel zu nennen: der Situation, in der jemand in der Phase eines psychotischen Schubs durch Aussetzungen der Mietzahlungen seine Wohnung zu verlieren droht, kann durch einen Betreuer vorgebeugt werden, indem von vorneherein ein spezielles Betreuungskonto eingerichtet wird, von dem die laufenden Kosten automatisch abgebucht werden. Auch bei Situationen, in denen es zu massiven Selbstschädigungen kommt, kann ein Betreuer schneller reagieren als Angehörige.
Ein Problem, das kaum zu lösen ist, sind die Grenzfälle, in denen zwar eindeutig eine psychische Erkrankung vorliegt und diese auch zu massiven Selbstschädigungen führt, aber dennoch die Gründe für die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung noch nicht ausreichen. Zwangsläufig hat dies Auswirkungen auf alle Personen, die dem Betroffenen nahestehen. Dies trifft nicht nur auf die Eltern psychisch Kranker zu, sondern auch auf erwachsene Kinder, Geschwister oder Lebenspartner.
Ein Argument, das auch von Betreuern bei dieser Thematik oft angeführt wird, zumindest, wenn es um die Eltern psychisch Kranker geht, ist, dass diese „doch wohl auch nicht ganz unbeteiligt“ an der Erkrankung sind. Ohne diese Ansicht hier als richtig oder falsch zu bewerten, muss aber dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine psychische Erkrankung in ihren Folgen oftmals die ganze Familie betrifft und es Bereiche gibt, wie Wohnraumsicherung, Sicherung des Lebensunterhalts, die geregelt werden müssen und die dann meist an den Angehörigen hängen bleiben, die daran manchmal zu zerbrechen drohen.
Das, was über die Erwartungen der Angehörigen an rechtliche Betreuer deutlich wurde, ist der Wunsch, durch den Umstand einer rechtlichen Betreuung nicht automatisch ausgegrenzt zu werden. Viele Familienangehörige übernehmen trotz eines rechtlichen Betreuers diverse Aufgaben für den Betroffenen, wodurch sich immer wieder Schnittstellen ergeben, für die Kooperation wünschenswert ist. Um es auf einen Punkt zu bringen – es geht um Miteinbeziehung.
Bleibt noch anzumerken, dass ich die Behauptung eines früheren Kollegen, „alle Angehörigen sind Psychopathen“ als nicht bestätigt empfand. Und dass ich es schade fand, dass außer mir trotz des Themas rechtliche Betreuung kein weiterer Betreuer anwesend war.
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Weil sich sein Zustand bisweilen auch auf Wahnideen erstreckt, die teilweise schon an paranoide Schizophrenie denken lassen, wird es für uns wohl ohne einen gewissen Einsatz nicht zu machen sein. Ich habe in diesem Zusammenhang schon oft an eine Betreuung für ihn gedacht, zumal er auch schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, sein Geld zusammen zu halten. Das Thema ist also nicht so fern, wie man im Alltag gern glauben möchte. Sich einfach für "nicht zuständig" zu erklären geht nicht.
Die Schuldfrage ist, wie Du treffend anmerkst, in dem Kontext unangemessen. Natürlich sind Eltern an der psychischen Erkrankung ihrer Kinder selten völlig unbeteiligt. In dem Fall mit meinem Onkel bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die grenzüberschreitende, beinahe schon symbiotische und dennoch stark moralisch gefärbte Beziehung zu seiner Mutter eine enorme Rolle spielt. Nützt aber leider in der Realität rein gar nichts, denn Oma ist Mitte Achtzig und lebt im Altenheim. Ein "Sollen die das doch machen" scheitert also auch oft an den Umständen. So verwurschtelt sich dann der Betroffene in den Abgründen seines Daseins und wird schließlich vielleicht doch zum Sozialfall, der er nicht hätte werden müssen.
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Was die Kontrolle der Instanzen angeht, so ist dies tatsächlich ein Schwachpunkt. Es scheint ein Urvertrauen darin zu geben, dass Menschen in weißen Kitteln und schwarzen Roben nicht irren können. Aber das trifft bei weitem nicht nur auf den Bereich der Betreuungen zu, sondern auch auf viele andere Bereiche. Bei so manchem Urteil, über das in der Presse berichtet wird, fasse ich mir an den Kopf. Und wenn man manchmal mitbekommt, welch völlig unterschiedlichen Diagnosen Ärzte stellen, kann einem Angst und Bange werden.
Dass es auch um Geld geht, ist ebenfalls unleugbar. Ob dies ein Aspekt ist, der zur Einrichtung einer Betreuung führt, kann ich nicht beurteilen, da ich fast nie für vermögende Betreute vorgeschlagen werde. Allerdings habe ich selbst erfahren, dass in dem Betreuungsverein, in dem ich tätig war, für vermögende Betreute grundsätzlich nur die Ehefrauen oder aber die Geschäftsführer vorgeschlagen wurden – nicht gerade sehr vertrauenerweckend, denn das Kriterium sollte ja einzig und allein das der Eignung sein.
Dennoch sehe ich die von Ihnen als „Betreueritis“ bezeichnete Betreuungspraxis nicht so negativ wie Sie. Ich habe etliche Betreute, die die Betreuung auch unbedingt haben möchten, weil sie ohne fremde Hilfe völlig überfordert wären. Manche Betreute sind zwar nicht begeistert von der Bestellung eines Betreuers, aber dennoch sehen sie die Tatsache als solche ein, denn wie soll zum Beispiel jemand, der schwerkrank ist, sich noch um seine Behörden- und Bankangelegenheiten kümmern oder um die Auflösung seiner Wohnung?
@Sturmfrau
Was die Betreuung von eigenen Verwandten betrifft, muss man genau abwägen, was man sich zutraut. Ich selbst habe dies in meiner eigenen Familie so geregelt, dass ich mir einfach nur Vollmachten erteilen lassen habe, mit denen ich dann Finanzen, Wohnungsangelegenheiten e.t.c. regeln konnte. Wenn es allerdings um die Frage geht, ob man jemanden gegen seinen Willen in ein Krankenhaus einweisen lässt, ist es heikel, wenn dies innerhalb eines Verwandtschaftsverhältnisses geschieht. Ich habe eine Betreute, bei der ich nur für diesen einen Teilbereich beauftragt bin und für alles andere ist der Sohn zuständig. Ich halte dies für einen guten Kompromiss, denn so wird zum einen nicht alles aus der Hand gegeben und zum anderen kommt der Sohn auch nicht in die unangenehme Situation, seine eigene Mutter einweisen zu lassen.
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Mein Vater beispielsweise ist der Auffassung, mein Onkel müsse bloß ein bisschen Sinnfindung betreiben und sich zusammenreißen, damit alles klappt (meine Schwester und ich nennen das etwas zynisch "Bäume umarmen"). Damit stiehlt er sich auch aus der Verantwortung für seinen Bruder und blendet dessen Krankheit aus. Es spürt deutlich, er will sie nicht tragen, und im Endeffekt schadet er damit seinem Bruder. Dabei gäbe es noch ganz andere Lösungen.
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Es spricht sehr für Dich, dass Du Dir um Deinen Onkel Gedanken machst. Aber achte darauf, dass Du Dir nichts vornimmst, was die eigene Kraft übersteigt.
Das Ideale wäre, wenn nicht gleich so einschränkende und umfassende Hilfen wie rechtliche Betreuung in Anspruch genommen werden, sondern wenn eine Einbindung in soziale Einrichtungen gelingt. Zum Beispiel die psychosozialen Kontaktstellen, die oftmals sehr unbürokratisch Hilfe leisten. Oder die Seniorentreffs für ältere Menschen. Meist gibt es dort auch Ansprechpartner für soziale Probleme und Hilfen bei Antragstellungen. Wir haben mittlerweile im Stadtteil ein sehr dichtes Netz von Beratungsstellen. Gerade wenn jemand zu vereinsamen droht, gibt es gute Anlaufstellen.
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Mein Onkel ist insgesamt recht eingebunden in gute Strukturen. Da ist schon einiges vorhanden. Soweit ich im Bilde bin, geht er regelmäßig in eine Einrichtung hier am Ort, die für psychisch beeinträchtigte Menschen gedacht ist. Er nimmt auch verschiedene Aufgaben wahr, spielt Orgel in der Kirchengemeinde und ist im Behindertenbeirat. Ich bin auch sehr froh darüber, dass ihm das möglich ist und er das selbst auch will. Das lässt allerdings beispielsweise seine persönlichen Finanzen unberührt: Er besitzt außer seiner eigenen noch eine weitere Wohnung, um deren Vermietung er sich nicht ordentlich kümmern kann, so dass dann Mieter Zahlungen schuldig bleiben oder ähnliche Dinge. Auch hat er eine recht ausgeprägte Spendenbereitschaft und lässt sich Mitgliedschaften und auf Kaffeefahrten auch allerhand Kram aufschwatzen, ohne wirklich zu begreifen, dass er dann kein Geld für sich hat. Das ist schon ein ausgeprägtes Problem, zumal letzten Endes meine Schwester und ich für ihn gerade stehen müssten, wenn er seine Ressourcen mal aufgebraucht hat und meine Eltern möglicherweise nicht mehr leben. Das sind so Gedanken, die ich mir mache, auch wenn natürlich das alles lediglich im Bereich des Möglichen liegt und auch noch zeitlich in weiterer Ferne.
Wir reiben uns (noch) nicht auf. Und ich werde dabei auch sehr darauf achten, meine Kräfte zu schonen. Versprochen.
Edit: Ich lese gerade, dass Nichten/Neffen ihren Onkels/Tanten gegenüber nicht unterhaltspflichtig sind. Das relativiert natürlich so einiges...
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Die Abläufe erinnern ein wenig an Hexenprozesse
vergangen geglaubter Zeiten und an die Stasi-Phase
des letzten Jahrhunderts.
Welche Psychiater begutachten in regelmäßigen Abständen die Entscheidungsträger, wie Richter, Gutachter, Betreuer, Ärzte, Anwälte, Denunzianten oder auch die "Anreger" von Betreuungsverfahren?
Wieviel Euro Vermögensmasse entscheiden über die
Betreuungswürdigkeit des "Betroffenen"?
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