Dienstag, 5. April 2011, 00:46h

Warum explodieren Kosten? Ein verspäteter Aprilscherz

behrens

In meinem Beitrag darüber, wie wir Betreuer unser Geld verdienen, hatte ich das der Betreuungsarbeit zugrundeliegende Vergütungssystem näher erläutert und dabei geschildert, dass seit 2005 die detaillierte Einzelvergütung durch eine Pauschalvergütung abgelöst wurde.

Am Ende des Beitrags habe ich darauf hingewiesen, dass die Umstellung auf eine Pauschalvergütung die Konsequenz der Kostenexplosion im Betreuungswesen war. Und ich hatte angekündigt, einmal einen Vergleich zweier Rechnungen anzustellen. Denn es ist ja eine spannende Frage, ob die Kostenexplosion darauf zurückzuführen ist, dass Betreuer früher mehr (zuviel?) Zeit in ihre Arbeit investiert haben oder ob es vielleicht auch daran gelegen haben könnte, dass manche Betreuer den Umstand der Schwierigkeit einer Kontrolle zu ihrem Vorteil ausgenutzt haben.

Und hier jetzt einmal zwei Gegenüberstellungen zum Vergleich:

Ein Betreuer hat im Jahr 2001/2002 für die Betreuung eines Heimbewohners einen Aufwand von 4,7 Stunden pro Monat geltend gemacht, was eine Jahresrechnung von etwa 2.070,00 € ergab.

Meine eigenen Rechnungsbeträge für die Betreuung von Heimbewohnern lagen in der Zeit vor der Pauschalierung in einer Spanne von 400,00 € bis 1.500,00 € bei Heimbetreuungen, die schon länger als ein Jahr bestanden. Eine Rechnung in Höhe von 2.070,00 € für Betreuungen bei Heimbewohnern hatte ich noch nie, obwohl ich in der Zeit meine Betreuten alle 4 bis 8 Wochen besucht habe. Die Rechnungsummen meiner damaligen Büropartner waren mit meinen vergleichbar.

Was könnte die Ursache sein für eine um einige hundert Euro höhere Rechnungssumme? Da gibt es so manches. Zum Beispiel ein erheblicher zeitlicher Mehraufwand, weil eine Erbschaft angetreten wurde, ein Haus geräumt und veräußert werden musste, eine schwere chronische Erkrankung ständige Kontakte mit den Ärzten erforderlich machte oder eine psychische Erkrankung ständig Kriseninterventionen erforderte. Die Liste könnte man noch um einiges verlängern. Oder die hohe Rechnungssumme könnte vielleicht auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich um einen Betreuer handelt, der sehr viel Wert auf regelmäßige monatliche Besuche legte oder der ständigen Kontakt zu den Angehörigen pflegt.

All dies trifft aber bei der besagten Rechnung in keiner Weise zu – die Gründe für eine derartig hohe Rechnungssumme bleiben geheimnisvoll im Dunkeln. Was jedoch nicht heißt, dass sich niemand Gedanken darüber macht. Angehörige, Pflegepersonal, Besuchsdienste oder vielleicht auch der Betreute selbst stellen die Seriosität solcher Rechnungen in Frage. Und ab und zu kommt es zu einer Beschwerde. Auf diese Weise ist auch die hier zitierte Rechnung zu mir, bzw. zu meiner damaligen Bürogemeinschaft gelangt, denn ein Angehöriger war hochempört über diese Rechnung - zumal der Betreuer den Betreuten kein einziges Mal besucht hat - und fragte uns nach unserer Meinung. Ich kramte daraufhin einige meiner Rechnungen heraus, die sich aber alle in der Höhe (bei gleichwertigem Aufwand) erheblich unterschieden. Meine beiden damaligen Kollegen waren genau wie ich der Meinung, dass eine derartige Rechnungssumme nicht plausibel ist. Trotzdem haben wir alle schön brav den Mund gehalten – ein Betreuer hackt dem anderen schließlich kein Auge aus. Das so oft zitierte Wohl des Betreuten blieb das, was es in Wahrheit ist – eine leere Floskel. Und nebenbei bemerkt: einen positiven Eindruck, auf den einige Kollegen ja so immensen Wert legen, macht solche Arbeitspraxis mit Sicherheit auf niemanden.

Warum ich jetzt nach so langer Zeit darüber schreibe? Weil ich inzwischen so meine Erfahrungen gemacht habe, mit Betreuern vom Schlage derer, deren gesamtes Denken um die Gewinnmaximierung kreist und denen dabei jedes Mittel recht ist, ihr Handeln zu verteidigen. Und nicht zu vergessen all diejenigen, die nicht müde werden, genau diesen Betreuern mit ganzer Kraft den Rücken zu stärken.

Und mit so einem Kollegen habe ich heute gesprochen. Auf meine Frage, ob man nicht zumindest einen Hauch von schlechten Gewissen haben sollte, wenn man solchen Arbeitspraktiken tatenlos zusieht, bekam ich dann prompt eine denkwürdige Antwort:

„Betreute haben die Möglichkeit, sich bei Gericht zu beschweren und da die Angelegenheit dann überprüft wird, sind sie auch nicht rechtlos“.

Auweia – es bleibt wirklich nur zu hoffen, dass so eine Einstellung nicht Schule macht, denn dies wäre gleichbedeutend mit einem Freibrief für muntere Phantasierechnungen. Mit dem dumpfen Hinweis auf die Möglichkeit der Beschwerde und der Überprüfung wäre dann jeder Handwerker, Zahnarzt, Steuerberater und wer-auch-immer dazu berechtigt, seine Rechnungen ein wenig aufzustocken. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass viele Betreute gar nicht mehr in der Lage sind, sich zu beschweren und die Gerichte auch so schon überlastet sind und eben auch diese Arbeitspraxis zu der Umstellung auf eine Pauschalierung geführt hat – wie kann man allen Ernstes grünes Licht geben für den Missbrauch einer Vertrauensstellung?

Aber egal wie viele begründete Bedenken es gegen so eine fragwürdige Einstellung auch geben mag – man wird sie alle einzig und allein darauf zurückführen, dass diejenigen, die diese Bedenken äußern, sich moralisch überhöhen wollen (oder wie besagter Kollege es gern ausdrückt: „beweihräuchern)“. Und last und least kommt dann mit absoluter Sicherheit das Totschlagargument: jeder hat doch schon mal irgendwo geschummelt! Jeder ist schon mal schwarzgefahren, jeder hat schon mal bei der Steuererklärung gemogelt, in der Pubertät eine Telefonzelle demoliert oder ein paar Stunden schwarz nebenbei gearbeitet. Warum also aufregen?

Ich kann so einen Unsinn nur damit entschuldigen, dass es sich irgendwie um einen verspäteten Aprilscherz handeln muss...

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