Montag, 14. Juni 2010, 20:39h

Sterbehilfe – wer kann entscheiden?

behrens

Vor einiger Zeit habe ich mehrere Beiträge zum Thema Sterbehilfe geschrieben. Jetzt bin ich beim Googeln auf einen Leserbrief eines mir bekannten Arztes gestoßen, in dem es um das Thema Sterbehilfe ging. Und zwar in nachdenklicher Form, was die strikte Ablehnung betrifft. Es wird die persönliche Erfahrung beschrieben, in der die Verweigerung der Sterbehilfe bei einem schwer erkrankten und an Ateminsuffizienz leidenden Freund immer noch eine quälende Erinnerung ist. Der Arzt fordert einen anderen Umgang mit dem Thema Sterbehilfe, da die rigorose Ablehnung dem Einzelfall nicht gerecht wird.

Mich hat der Beitrag sehr nachdenklich gemacht. In diesem Beitrag geht es nicht um das platte Vertreten einer Position, sondern vielmehr um die Forderung eines sensiblen und differenzierten Umgangs mit dem Thema Sterben und Leiden. Und eben genau das ist es, was bei der momentanen Diskussion völlig fehlt. Es wird lediglich versucht, möglichst zeitsparend, möglichst verallgemeinernd und möglichst schnell eine allgemeingültige Antwort auf die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit der Sterbehilfe zu präsentieren. Um den einzelnen Menschen mit seinem Leiden geht es dabei überhaupt nicht mehr. Das Thema Sterbehilfe wird zum kaufmännischen Sujet degradiert, das man es möglichst schnell abhaken möchte, um sich lukrativeren Fragen zu widmen.

Vielleicht es genau das, was man sich vor Augen halten sollte: Nicht jeder ist geeignet und befähigt, sich zum Thema Sterbehilfe zu äußern. Wenn man eine Lösung finden will, die den betroffenen, oftmals an unerträglichen Schmerzen leidenden Menschen gerecht werden soll, dann muss man dieses Thema denjenigen überlassen, die dafür geeignet sind und die dieser Verantwortung auch gerecht werden. Die Thematik der Sterbehilfe ist zu komplex und zu bedeutsam, um sie pauschal rigoros abzulehnen oder rigoros zu befürworten. Meines Erachtens sollte ein Komitee gebildet werden aus erfahrenen und verantwortungsbewussten Menschen, denen es nicht um Ideologien geht, sondern immer nur um den einzelnen Menschen in seiner ihm eigenen Situation. Die die Sterbehilfe nicht voreilig und leichtfertig anwenden, sondern konsequent nur als Ultima Ratio. Ein Komitee aus Menschen, die bereit sind, sich immer wieder neu einzulassen auf die Frage nach der Zumutbarkeit von Leiden und die sich bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe immer wieder bewusst machen, dass es sich um eine existentielle Entscheidung geht, die nur dann gefällt werden kann, wenn man auch bereit ist, den Betroffenen die dafür erforderliche Zeit zu widmen.

Also bitte möglichst keine Betreuer!

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Es stimmt, das Thema ist zu komplex, um mit einer pauschalen Aussage erledigt zu werden.

Es tun sich Fragen über Fragen auf: Wer entscheidet zum Beispiel, wie viel Leiden aushaltbar ist und wann es genug ist? Wer entscheidet, woraus Leiden für den Einzelnen besteht? Wer weiß Bescheid über den Lebenswillen einer Person, wer ist qualifiziert, Entscheidungen zu treffen, wer, sie auszuführen?

Ich möchte an dieser Stelle nicht verschweigen, dass ich Sterbehilfe generell eher befürworte, auch wenn ich die ethischen Probleme, die damit einhergehen, nicht kleinreden möchte. Das mag daran liegen, dass wir vor nunmehr ziemlich genau fünf Jahren einen Freund sterben sehen mussten. Er hatte Krebs im Endstadium und war in zweierlei Hinsicht in diesem furchtbaren Zustand dennoch in einer "glücklichen" Situation: Er war noch in der Lage, selbst über sich zu entscheiden, und er lebte (und starb) in den Niederlanden. Kurz vor seinem Tod kündigte er uns an, "Hilfe" in Anspruch zu wollen - so drückte er sich damals aus.

Er war mit Morphin gegen die Schmerzen bestmöglich eingestellt, dennoch hatte sein Leiden eine Dimension, die ihn persönlich besonders traf: Seine Entwürdigung. In der Debatte um die Sterbehilfe fällt leider immer wieder unter den Tisch, dass Leiden nicht allein aus Schmerzen bestehen muss. Es wird argumentiert, dass eine gute Einstellung mit Schmerzmitteln viele Menschen von dem Wunsch abbringen würde, Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Dieser spezielle Mensch litt sehr unter der Entwürdigung und Entkräftung, die mit seiner Krebserkrankung einherging. Er wurde immer schwächer, immer dünner, seine Organe versagten (mit allen unschönen Nebenwirkungen, die das mit sich bringt) und er litt entsetzlich darunter, unter dem Einfluss des Morphins nicht mehr "klar denken" zu können. Letzteres trieb ihm häufig, auch in unserer Gegenwart, die Tränen in die Augen, und er schämte sich fürchterlich dafür. Der Tod war für ihn eine Erlösung, und er blickte ihm mit einer großen Bewusstheit entgegen.

So ist es nur eine persönliche Geschichte, die ich in diesem Zusammenhang beisteuern will, denn genau darum geht es ja: Jede Geschichte ist eine persönliche Geschichte.

Wenn es um die Sterbehilfe geht, dann braucht es Menschen, die sich mit persönlichen Geschichten auseinandersetzen wollen, die die Kraft dazu haben und Berührungen mit dem Tod selbst zulassen können und wollen. Das Thema Sterben ist ein Stiefthema. Polemisiert und polarisiert ist in diesem Bereich schnell, aber hinsehen will niemand wirklich. Auch Betroffene selbst sind sich manchmal nicht über ihre Gefühle im Klaren, wissen nicht, ob und wem sie sich anvertrauen könnten, und die Verwandten wissen es ohnehin immer am Besten. Ich halte es darum für wichtig, dass man sich zu gegebener Zeit auch über seine Haltung zum eigenen Tod klar wird. Kommen wird er ohnehin, die Frage ist nur, wie.

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Warum Sterbehilfe durch Dritte?
Deinem letzten Absatz kann ich nur von ganzem Herzen zustimmen. Und die Geschichte des Sterbens Deines Freundes gibt Einblick in die Dimension des Leidens, das Sterben mit sich bringen kann. Es gibt aber dennoch etwas, was ich nicht verstehe. So sehr ich den Wunsch nach Beendigung des Leidens nachempfinden kann, so wenig verstehe ich, dass man in der Situation die Hilfe Dritter erbittet und nicht einfach selbst durch das Einnehmen einer Überdosis sein Leben beendet. Letzteres wäre für mich auch durchaus für mich selbst vorstellbar, wenn ich mein Leiden nicht mehr ertragen könnte. Der Philosoph Wilhelm Schmidt hat dies mit dem Satz „Sich selbst Sterbehilfe leisten“ sehr gut ausgedrückt.

Die wenigen Fälle, in denen jemand von Kopf bis Fuß gelähmt ist und zwingend der Hilfe Dritter bedarf mal ausgenommen, warum muss das Sterben in die Hand Anderer gelegt werden?

Ich kann es mir nur so erklären, dass es im tiefsten Innersten doch eine Hemmschwelle oder moralische Skrupel für eine Selbsttötung gibt. Vielleicht ist es auch der Wunsch nach einem Sterben im Kreis von Familie und Freunden – was für mich durchaus verständlich wäre. Vielleicht haben viele Menschen moralische Bedenken, wenn ein todkranker Angehöriger seinen geplanten Selbstmord offiziell mitteilt und dafür um die deren Anwesenheit bittet. Und dies hätte dann unweigerlich zur Folge, dass der Betreffende beim Sterben allein wäre. Wenn dies tatsächlich so wäre, dann hieße dies auch, dass es Sterbeeinrichtungen wie die in Holland geben sollte.

Durch die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen erhalten unter Umständen auch Betreuer die Aufgabe, die Verfügung umzusetzen. Um so mehr möchte ich über die Gründe und Zusammenhänge des Wunsches nach Sterbehilfe wissen. Und in Kollegenkreisen gibt keinen Bedarf an einer Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema.

Mich würde deswegen sehr interessieren, was Deine Meinung zu der Frage ist, warum ein schwerstkranker Mensch seinen Wunsch nach dem Tod nicht selbst umsetzen möchte oder kann, sondern hierfür die Unterstützung einer Institution benötigt.

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Ob man dazu die Hilfe einer Institution benötigt, weiß ich nicht. Ich weiß, dass es in den Niederlanden so ist, dass man zwei Ärzte braucht, die sich darin einig sind, dass im aktuellen Fall ausreichend Bedarf zur Sterbehilfe besteht. Genaue rechtliche Grundlagen zum Verfahren in den Niederlanden kenne ich da leider nicht. Bei unserem Freund war es so, dass der Arzt zu ihm nach hause kam und er zuhause sterben durfte, und seine Frau war dabei. Ich habe keine Ahnung, wie behaglich oder unbehaglich manchen Verwandten dabei ist, wenn jemand Selbstmord begeht oder Sterbehilfe erlangt... Ich bin aber der Ansicht, dass der Wille des todkranken Menschen Priorität haben sollte.

Soweit ich weiß, ist Morphin, das dann als Überdosis gegeben wird, für den "normalen" Selbstmordwilligen nicht ohne weiteres erhältlich und darf auch nur von einem Arzt verabreicht werden (man korrigiere mich, wenn das auch für Pflegepersonal erlaubt ist).

Ein Problem, das ich sehe ist (auch wenn sich das sehr pragmatisch anhören mag), dass jemand, der sich umbringen will, nicht die Garantie hat, dass das auch möglichst effektiv und ohne zusätzliches Leid von der Bühne geht. Soweit ich das weiß, ist das mit Morphin, soweit dieser Begriff in dem Zusammenhang zulässig sein kann, recht human, weil dem Atemstillstand eine Betäubung vorausgeht. Ich formuliere es mal salopp: Ich würde mich weder mit Schlaftabletten vollschütten wollen, ohne zu wissen, ob es zuwenige waren und welche Auswirkungen das auf mich hat, noch würde ich (wäre ich dazu in der Lage) irgendwelche physikalischen Maßnahmen wählen wollen, die auf Gewalteinwirkung basieren...

Der Zugriff auf tödliche Medikamente ist ja streng reglementiert, weshalb da dann zwangsläufig entsprechend qualifizierte Menschen mit ins Boot kommen müssen, soll es für den Sterbenden nicht ausgesprochen hässlich werden.

Ob es Institutionen braucht? Meiner Auffassung nach nicht. Ich denke, die sind auch in der Schweiz erst entstanden, weil es aufgrund der Rechtslage einen regelrechten Tourismus gibt. Wenn man damit Geld machen kann, dann wird es sowas eben auch geben.

Interessant ist noch das hier und das hier.

Vom philosophischen Standpunkt her denke ich, es könnte eine Rolle spielen, dass Selbstmord zumindest in der katholischen Kirche noch als Sünde aufgefasst wird. Schnell wird auch derjenige, der sich nach dem Tod sehnt, als undankbar aufgefasst. Das Sterben jedenfalls bleibt in seiner Endgültigkeit für die meisten ein Nichtthema, was auch diejenigen mit suspekt macht, die sich damit auseinandersetzen. Man möchte halt einfach nicht gern hinsehen.

Patientenverfügungen bzw. generell die Wünsche von Sterbenden können dann schwierig werden, wenn Angehörige nicht loslassen wollen. Mir persönlich ist es zum Beispiel wichtig, diese Dinge wirklich noch einmal eindeutig zu regeln, damit sich im Ernstfall mein Mann nicht herumstreiten muss mit z.B. meinen Eltern, die möglicherweise meine Vorstellungen nicht akzeptieren möchten und für sich in Anspruch nähmen, mir aber doch näher gewesen zu sein als er. Alte Konflikte brechen oft an einer solchen schwierigen Lage wieder auf. Da kommt den Menschen dann Unerledigtes und Ungelebtes wieder hoch, oder sie können ihre eigene Auffassung beim besten Willen nicht mit der des Sterbenden überein bringen.

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