Dienstag, 9. Februar 2010, 00:15h
Es geht auch anders – die Bücher „Wendepunkte“ und „Sehnsüchtig-Sehnsüchtig“
Daß Öffenlichkeitsarbeit nicht zwangsläufig nur aus Werbefloskeln (Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt) bestehten muß, möchte ich hier an zwei Beispielen deutlich machen. Ich möchte hier die beiden Bücher „Wendepunkte“ und „Sehnsüchtig-Sehnsüchtig“ vorstellen. Gleich vorab die Information: beide Bücher sind leider nicht mehr erhältlich. Das Buch Wendepunkte wurde im Verlag „Frauen helfen Frauen“ im Jahr 1982 verlegt und das Buch „Sehnsüchtig-Sehnsüchtig“ im Jahr 1995 im Steidl Verlag.
„Wendepunkte“ hatte ich mir gleich zu Beginn meines Zwischenpraktikums im 3. Hamburger Frauenhaus gekauft um mir einen Einblick in die Arbeit im Frauenhaus zu verschaffen. „Sehnsüchtig-Sehnsüchtig“ wurde während meiner Arbeit im Café Sperrgebiet – einer Einrichtung für jugendliche drogenabhängige Prostituierte – verfaßt, so daß ich die Entstehungsgeschichte miterleben konnte.
Fangen wir mit „Wendepunkte“ an: in dem Buch erzählen Bewohnerinnern von Frauenhäusern aus ihrem Leben und vom Alltag im Frauenhaus. Ein großer Teil des Buches widmet sich dem gesellschaftlichen Hintergrund von Gewalt gegen Frauen und der Entstehungsgeschichte der Frauenhäuser, die untrennbar mit der Frauenbewegung verbunden ist. In dem Buch wird daher deutlich, daß Gewalt gegen Frauen nicht als etwas Privates eingestuft wird, sondern als gesellschaftliches Symptom. Das Buch verbindet die persönlichen Schilderungen von betroffenen Frauen mit dem gesellschaftlichen Kontext. Wichtig war auch die Schilderung der MitarbeiterInnenstruktur, die heute wahrscheinlich etwas merkwürdig anmutet, denn in den damaligen Frauenhäusern gab es keine Chefin oder Leiterin, sondern das Arbeitskonzept war ausdrücklich basisdemokratisch – was auch gern hervorgehoben wurde.
„Sehnsüchtig-Sehnsüchtig“ ist ein ganz anderes Buch. Die textliche Grundlage des Buches wird allein von den Tagbuchaufzeichnungen einer inzwischen verstorbenen Drogenabhängigen gebildet, die nicht kommentiert werden. Das Beeindruckende des Buches sind die Fotos von den jungen Frauen. Es gab zur Zeit der Entstehung die schärfsten Kontroversen darüber, wie weit die Fotos gehen dürfen, denn die Frauen und Mädchen wurden auch direkt in ihrer Arbeitssituation – also unbekleidet – fotografiert. Bei einem Teil der Mitarbeiterinnen stieß dies auf Ablehnung, da sie damit eine Zur-Schaustellung der zum Teil noch Minderjährigen verbanden. Nach vielen Diskussionen wurde letztendlich das Buch aber doch verlegt und heraus kam ein schonungsloses und authentisches Dokument des Elends der Drogenprostitution. Die erschütternden Bilder der ausgemergelten und oftmals schwerkranken Frauen sagen mehr aus als jeder Kommentar dies könnte.
Auch im Frauenhaus gab es ständig wiederkehrende Diskussionen darüber, ob man die Lebensgeschichten von Frauen veröffentlichen dürfe, da man sie damit zum Objekt, beziehungsweise zur Fallgeschichte machen würde. Die ganzen Wenn-und-Aber, die die Veröffentlichungen derartiger Werke mit sich brachten, sollen hier aber nicht Thema sein. Vielmehr möchte ich einfach mal auf etwas hinweisen, das mittlerweile fast verschwunden ist: Öffentlichkeitsarbeit im Interesse des Klientels. Öffentlichkeitsarbeit, für die persönliche Betroffenheit und gesellschaftlicher Kontext untrennbar sind. Die mit Sicherheit nicht den Anspruch der Neutralität erheben kann, aber die sich in ihrer Absicht voll und ganz dem Ziel der Information über Mißstände verschreibt.
Eine Öffentlichkeitsarbeit, die alles andere als aalglatt und angenehm ist. Weil die zugrundeliegende Thematik dies nämlich auch nicht ist. Und die auf überflüssige Werbefloskeln verzichtet und stattdessen Fakten bietet. Ob diese Form der Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich war, ist im nachherein nicht eindeutig zu beantworten. Ich kann mich allerdings an viele positive Reaktionen aus der Bevölkerung erinnern, sowie an viele Geld- und Sachspenden, so daß unsere Arbeit doch den einen oder anderen erreicht zu haben scheint.
Wenn man sich jetzt fragt, warum diese Form der informativen und engagierten Öffentlichkeitsarbeit fast verschwunden ist, kann man nur spekulieren. Meine Kollegen würden sofort erwidern, daß wir Betreuer ja kein Geld für Öffentlichkeitsarbeit erhalten. Wenn ich jedoch das Einkommen von Betreuern mit dem der damaligen Sozialarbeiter vergleiche, schneiden letztere schlechter ab. Mit anderen Worten – Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen unserer Arbeit würde noch nicht das Abrutschen in eine Leichtlohngruppe bedeuten.
Edit: natürlich sind Bücher nicht das wirklich geeignete Medium für Öffentlichkeitsarbeit, denn nur wenige haben soviel Interesse, daß sie ein ganzes Buch zu einer speziellen Thematik lesen. Aber die Machart ist durchaus übertragbar auf Zeitungsartikel, Infobroschüren, Flyer, filmische Dokumentationen und natürlich Homepages.
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