Mittwoch, 7. Oktober 2009, 21:36h
Betreute und Telefonsex – oder das Kreuz mit den neuen Kommunikationsmitteln
Die neuen Kommunikationsmittel haben in nahezu allen Lebensbereichen tiefgehende Veränderungen bewirkt. Man mag dem positiv oder negativ gegenüber stehen – auf jeden Fall kann nicht geleugnet werden, daß es einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung gibt, der mit der verantwortungsvollen Handhabung der Kommunikationsmittel völlig überfordert ist. Und dazu gehören leider auch viel Betreute. Dies ist im Grunde nicht allzu verwunderlich, denn wer schon mit der Einteilung seines Geldes sowie der Bearbeitung seines Schriftverkehrs Schwierigkeiten hat, ist mit der Handhabung von Handy und Internet oft genauso überfordert.
Bereits bei Beginn meiner Tätigkeit als Betreuerin war ich ziemlich schnell mit dem Thema Handymißbrauch konfrontiert. Vor etwa 12 Jahren hatten die meisten noch kein Handy, aber einer meiner damaligen Betreuten wollte unbedingt bei dem damals noch neuen Trend mitmachen und legte sich ein Handy zu. Als er dann in Geldschwierigkeiten kam, kam er auf die Idee, am Hauptbahnhof gegen ein paar Mark sein Handy an Ausländer auszuleihen, die dies dann nutzen, um endlich einmal kostengünstig in ihre Heimat zu telefonieren. Innerhalb weniger Tage kam es dann zu ungefähr 6.000,00 DM Handygebühren.
Dies war mein Einstieg in das Thema Handy. Inzwischen sind Rechnungen in schwindelnder Höhe Alltag. Zwar haben die meisten Betreuten jetzt Kartenhandys. Aber es gibt ja auch durch das Festnetz oder das Internet Möglichkeiten, hohe Rechnungen zu verursachen. Wenn ich bei einem meiner Betreuten einen neuen Telefonanschluß legen lasse, veranlasse ich mittlerweile grundsätzlich eine Sperrung der Nummern für Telefonsex, Gewinnspiele und Auskunftsdienste. Bei Betreuten, die schon lange einen Anschluß haben, vertraue ich darauf, daß es, wenn es in der Vergangenheit keine Schwierigkeiten gab, auch in Zukunft keine geben wird. Es käme mir etwas diktatorisch vor, automatisch Sperren zu veranlassen, wenn der Betreute bisher verantwortungsbewußt mit dem Telefon umging. Meine Einstellung ist für die meisten Betreuten richtig, aber bei einigen hat sie sich als blauäugig erwiesen. Manche kommen erst spät auf den Geschmack und hat jemand erstmal Spaß am Telefonsex gefunden, dann wird auch stundenlang telefoniert. Rechnungen mit einigen tausend Euro Gebühren und die Sperrung des Festnetzanschlusse sind nichts Ungewöhnliches.
Es gibt manchmal auch sehr schwierige Wohnkonstellationen. So wohnt beispielsweise einer meiner Betreuten mit seiner gebrechlichen Mutter zusammen und ein Festnetzanschluß sollte unbedingt zur Verfügung stehen, da immer die Möglichkeit bestehen muß, Arzt oder Pflegedienst anrufen zu können. Da mein Betreuter bereits vor einiger Zeit mehrere Tausend Euro Kosten für Telefonsex verursacht hat, habe ich eine Sperre einrichten lassen, die nur Stadtgespräche ermöglicht. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es gibt mittlerweile auch Telefonsexanbieter, die über ein Rückrufsystem ihre zweifelhaften Dienste anbieten. Oder über das System einer Mittelsnummer. Mein Betreuter hat all dies herausgefunden und jetzt mußte ich die Notbremse ziehen. Der Mutter habe ich ein Seniorenhandy besorgt, da auch ein normales Handy sofort vom Sohn für seine Telefonsexbedürfnisse genutzt werden könnte. Ob die alte Dame – die übrigens auch von mir betreut wird – sich an das Handy gewöhnen wird, bleibt abzuwarten.
Wie dem auch sei – es fällt eine Unmenge von Schriftverkehr mit Inkassobüros und Anwälten an, die dann die diversen Telefonsexanbieter vertreten. Teilweise ähneln die Briefköpfe den Formularen aus der Ausstattung der Kinderpost. Und teilweise handelt es sich um exotische Adressen wie Belize oder St. Petersburg. Aber manche Schuldeneintreiber sind durchaus seriös und so kommt es dann, wie es kommen muß – es flattern Mahn- und Vollstreckungsbescheide ins Haus, bzw. ins Büro. Dies wiederum kann zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung oder zur Kontopfändung führen.
Bei der ganzen Problematik kommt man nicht umhin, über die Zusammenarbeit mit der Telekom in Verzweiflung zu geraten. Will man beispielsweise zu einem anderen Anbieter wechseln, dann erfährt man plötzlich, daß beim letzten Tarifwechsel ohne vorherige Absprache ein befristeter Vertrag entstand, dem man genauso wenig entkommen kann wie einer Haftstrafe. Das aus Amerika importierte Callcenter-System hat zur Folge, daß man nie mit dem gleichen Sachbearbeiter spricht und daher auch niemand zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn etwas schief läuft.
Einigen meiner jüngeren Betreuten würde ich sehr gern die Möglichkeit des Internetzugangs verschaffen. Gerade Menschen mit sozialen Ängsten oder Behinderungen könnten enorm von den diversen Foren, Chats e.t.c. profitieren. Aber hier lauert leider die gleiche Gefahr wie beim Telefonieren.
Ich würde mich in meiner Arbeit gern mehr um die alten, kranken und vereinsamten Betreuten kümmern, für die ich manchmal der einzige Ansprechpartner bin. Aber in letzter Zeit spreche ich weitaus öfter mit den sogenannten Call-Agents von Telekom, und Hansenet & Co als mit meinen Betreuten. Und meine Korrespondenz mit Telefonsexanbietern sowie deren Inkassobüros nimmt einen besorgniserregenden Umfang an.
Ich habe gerade einem solchen Gläubiger eine Absage an seine Forderung geschrieben. Und mein Argument halte ich auch nicht für das schlechteste. Wenn man Telefonsex anbietet – worüber ich mir gar keine keine moralische Wertung anmaßen möchte – dann sollte man auf die in diesem Gebiet herrschende Zahlungspraxis zurückgreifen: Leistung erst nach Bezahlung! So wie jede Prostituierte erst Leistung erbringt, nachdem der Preis gezahlt wurde.
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