Freitag, 19. Juni 2009, 18:23h

Wer sterben will, soll doch sterben

behrens

Gerade hatte ich wieder eine Diskussion, wie ich sie hasse. Es ging um das Thema Sterbehilfe. Und zwar nicht um irgendwelche Fälle von Sterbehilfe, sondern um diejenigen Menschen, die von Kopf bis Fuß gelähmt sind und für die es tatsächlich de facto nicht mehr möglich ist, ihr Leben von eigener Hand zu beenden.

Ich lehne die Sterbehilfe ab für Menschen, die noch in der Lage sind, selbst Hand an sich zu legen. Aber in dem Fall, in dem jemand tatsächlich daran gehindert ist, wäre es für mich vorstellbar, daß ich diesem Menschen den Wunsch nicht abschlagen könnte (was ich aber letztendlich auch nicht genau weiß, da ich diese Situation noch nicht erlebt habe).

Und dann kommt wieder diese leidige Diskussion um das "Recht auf Sterben" und wie gemein und egoistisch ich doch sei, weil ich - bis auf diesen eben geschilderten Fall - Menschen dieses Recht nicht zugestehen würde.

Diese Position wird verdächtig oft von Menschen vertreten, denen andere Menschen (die eigene Familie ausgenommen) schnurz-piepe-egal sind. Und die verdächtig gern etwas schnell und reibungslos und ohne großen Aufwand regeln. Und die verdächtig oft in ihrer Arbeit mit Menschen den Einwand äußern "zu zeitintensiv, zu kostenaufwändig, nicht meine Aufgabe". Und eben solche Menschen vertreten den Standpunkt, es reiche aus, wenn man über juristische oder kaufmännische Kennntnisse verfügt, um sich zu so einem hochsensiblen und kompliziertem Thema zu äußern.

Und genau das ist ein verhängnisvoller Irrtum! Es sollten sich nur Menschen zu diesem Thema äußern, die Interesse an anderen Menschen haben und die in der Lage sind, Menschen in ihrer Individualiät und ihrer Komplexität wahrzunehmen. Dazu gehört zwangsläufig auch die Fähigkeit, eigenen Positionen selbstkritisch gegenüber zu stehen; wer dazu nicht in der Lage ist, wird ständig Eigenanteile in andere hineinprojizieren und ständig nur von den eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen ausgehen. Das ist das schlimmste, was man anderen antun kann.

Vor allem gehört zu dem hochsensiblem Thema der Sterbehilfe auch die Fähigkeit, sich offen und direkt auseinander zu setzen. Menschen, denen ihre Außendarstellung wichtiger ist als Authentizität, sollen sich um Himmels Willen von diesem Thema fernhalten und sich Themen widmen, von denen kein Menschenleben abhängt. Betreuer, die Kritik an ihrer Person verbieten (oder die dieses Kritikverbot verteidigen), disqualifizieren sich selbst für diese existentiellen Themen.

Für GEZ-Anträge, Haushaltsauflösungen und Geldverwaltung braucht man weder Selbstkritik noch Rückgrat. Für die Entscheidung, ob jemand sterben oder leben soll, ist beides unverzichtbar.

Sterbehilfe versus Sterbebegleitung

Kusch und sein Sterbeautomat

Und nochmals Montaigne

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Was man alles sagen könnte
Wenn man sagen könnte was man sagen könnte
Wenn man wissen dürfte, daß schon alle wissen
Was man sagen könnte oder zeigen.
Würden alle allen alles sagen,
würden alle sagen, daß sie alles sagen.
Wenn sie wissen, daß schon alle wissen,
was man sagen könnte oder schweigen.
Alle wissen, was man sagen könnte
Und durch Fragen vieles leichter ertragen könnte,
aber alle wissen, daß man wissen könnte,
daß sie wissen könnten, man weiß.
Jeder blickt herum in seinem Kreis,
jedem wird ein bisserl heiß.
Klein ist der Inhalt und groß der Verschleiß.
Wenn man nur mit jedem reden könnte
Wie man reden könnte, wenn man reden könnte,
wenn man einfach jeden überreden könnte,
seine Fäden nicht so straff zu ziehen.
Aber da doch jeder ahnen könnte,
jedem schwanen könnte was man planen könnte,
ihn an irgendeine Pflicht gemahnen könnte,
sagt man gar nichts außer: Wien bleibt Wien.
Da die Donau, da der Wienerwald
Und im Wienerwald bist du.
Da der Prater, da der Stephansturm.
Im Helenental find’st Ruh.
Wo der Fink blüht und der Fliederbusch,
wo ein Hund bellt, Grund zum Glücklichsein,
wo der Wein einen Strich durch die Schwüre macht
spielt ein Streichquartett ganz allein.
Wo der Neid rauscht und der Zeit lauscht,
wo die Uhr steht, weil’s nicht weiter kann,
wo's Ballett vor Begeisterung nicht tanzen will,
kommts auf ein Wörterl mehr gar nicht an.
Wenn man alle nur begreifen könnte
Sich vergreifen könnte und sie kneifen könnte,
aber alle warten auf das Gleiche.
Wenn man darüber einfach lächeln könnte,
wenn die Luft so wär’, daß man sich fächeln könnte,
nicht ersticken müßte, nicht mehr röcheln könnte,
aber alle wollen nur die Leiche.

Jeder weiß, daß man ertrinken könnte,
doch bevor man ganz und gar versinken könnte
glaub ich fest, daß jeder einmal winken könnte
oder rufen könnte: geh doch noch nicht fort.
Gibt’s denn einen besseren Ort
Freunde hast du keine dort
klein ist der Sinn, aber groß ist das Wort.
Wenn man noch einmal erwachen könnte
Drüber lachen könnte
und was machen könnte
Wie sie alle dich am liebsten hängen würden
Oder dich drängen würden, geh und stirb,
und wenn man dann schließlich sterben würde
und zerfallen würde und verderben würde
wie dann jeder freudig sich verfärben würde
und behaupten würde: er war liab.

Georg Kreisler (1922, österreichischer Dichter und Kabarettist)

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Das ist er - der Unterschied zwischen Betreuern und engagierten Menschen.

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Die Sache mit der Toleranz
"Die größte Ungerechtigkeit gegenüber unglücklichen Selbstmördern ist das Wort "Selbstmord". Wir, die kollektiven Mörder leben befreit weiter, der Gemordete darf sich nicht einmal Opfer nennen. Das tödliche Unglück läßt alles Glück als Kartenhaus erscheinen. Wir lassen ihn morden, um ihn loszuwerden. Dann verscharren wir ihn unter dem Namen "Selbst"-Mord. "Selbst" schuld. Jeder ist seines Glückes Schmied. "Und der Selbstmörder?" "Er ist der Amboß."
Rainer Kohlmayer, (*1940)

"Wir lassen ihn morden, um ihn loszuwerden".
Das mag polemisch klingen, aber es bringt es haargenau auf den Punkt: hinter mancher nach außen hin stolz proklamierten Toleranz gegenüber Selbstmördern steckt nichts anderes als pure Bequemlichkeit. Ich betone nochmals ausdrücklich: hinter mancher! Natürlich gibt es viele Menschen, die aus Emphatie und Achtung vor der Selbstbestimmung eines Menschen dessen Wunsch nach dem Tod respektieren. Denen es tatsächlich um den anderen und nicht um sich selbst geht.

Aber dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch diejenigen gibt, denen es ausschließlich um eins geht – keine Zeit für andere aufwenden zu müssen. Denn potentielle Selbstmörder kosten unsere kostbare Zeit. Wir müssen zuhören, wir müssen vielleicht mit Angehörigen sprechen, wir müssen uns auf die Suche nach geeigneten Hilfsangeboten machen und dabei vielleicht viele bürokratische Hürden überwinden. Und letztendlich kann dann das passieren, was einige – ausdrücklich nicht alle, aber eben definitiv einige – Betreuer heftig fürchten: über die Pauschale von 3,5 Stunden pro Monat zu kommen.

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