Mittwoch, 28. Mai 2014, 12:23h

Ein Angebot, das ich lange vermisst habe – Reisen für arme Senioren

behrens

Wer nur über ein Existenzminimum verfügt, hat keine Möglichkeit, zu reisen. Dies gilt nicht nur für diejenigen, die im Bezug von Hartz-IV-Leistungen stehen, sondern auch für all jene, die im Alter so wenig Rente haben, dass mit Grundsicherungsleistungen aufgestockt werden muss. Bei manchem beruht die geringe Rente darauf, dass zur Zeit der Erwerbsfähigkeit nur wenig gearbeitet wurde, aber bei vielen resultiert die geringe Rente allein auf dem Umstand, dass immer nur ein geringes Gehalt bezogen wurde. Mit anderen Worten – für diejenigen, die zu Erwerbszeiten an der Armutsgrenze lebten, ändert sich dies auch im Alter nicht. Wer also schon zu Erwerbszeiten nie über das Geld zum Reisen verfügte, wird auch im Alter keine Reisen machen können.

Gestern las ich in unserem Lokalblatt eine Anzeige, die ich unbedingt hier wiedergeben möchte:
Die Deutsche Hilfsgemeinschaft Hansestadt Hamburg organisiert seit einigen Jahren einwöchige Seniorenreisen nach Polen (Ostseekurort Kolberg) und Tschechien (Riesengebirge). Die Reisen finden im Oktober statt und kosten nur einen Eigenanteil von 30,00 €! In dem Preis sind die Bahn- und Busfahrten, die Übernachtung im Doppelzimmer, Voll- und Halbpension und sämtliche Ausflüge enthalten. Bedingung ist das Alter von mindestens 65 Jahren, Hamburger Wohnsitz und Grundsicherungsbezug. Kontakt: 040-2506620 oder info@dhghh.de oder 0178-7186913.

Ich komme nicht umhin, dass mir ein früherer Betreuerkollege einfällt, der mit Sicherheit entrüstet sein wird über die Verwendung von Steuergeldern für so ein Projekt, weil es für ihn reines Anspruchsdenken darstellt, dass auch alte und mittellose Menschen verreisen möchten. Aber viele andere werden wahrscheinlich genauso wie ich begeistert über dieses Angebot sein. Zumal auch gerade diejenigen alten Menschen, die nur über eine geringe Rente verfügen, meist in sehr kleinen Wohnungen ohne Balkon oder Garten wohnen und es zumindest ein kleines bisschen zur Lebensqualität beiträgt, dass diese Menschen wenigstens für eine Woche im Jahr die Möglichkeit haben, einmal aus ihren vier Wänden herauszukommen.

Ich würde mir mehr solcher Projekte wünschen. Wer weiß - vielleicht gäbe es ja sogar irgendwann die Möglichkeit, große Reiseveranstalter für besonders günstige Reiseangebote für dieses Klientel zu motivieren und eventuell das Angebotsspektrum damit zu erweitern.

Edit
Den Titel „Reisen für arme Senioren“ habe ich übrigens direkt aus dem betreffenden Artikel übernommen. Es ist eigentlich eher unüblich, Dinge noch beim Namen zu nennen und normalerweise würden bei besagter Thematik eher Titel wie „Reisen für Grundsicherungsempfänger“ oder „Reisezuschüsse für Mittellose“ verwendet werden. Umso erstaunter war ich über die Wortwahl, die ich dann auch so übernahm.

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Freitag, 23. Mai 2014, 16:21h

Patchworkfamilien II – „Du hast mir gar nichts zu sagen!"

behrens

Ich habe vor kurzem hier ein wenig über meine Erfahrung mit den speziellen Probleme von Patchworkfamilien geschrieben. Dabei hatte ich mich mit der Problematik der Folgen von Trennungen befasst. Allerdings gibt es auch Probleme, die völlig unabhängig von Trennungssituationen existieren. Probleme, die beispielsweise darauf beruhen, dass es Unterschiede gibt zwischen jenen Auseinandersetzungen von Kindern mit ihren leiblichen Eltern und jenen Auseinadersetzungen zwischen Kindern mit den Lebensgefährten eines Elternteils.

Kommt es beispielsweise in der Pubertät zum Versuch der Abgrenzung gegenüber den Eltern, dann hat es der nichtleibliche Elternteil oftmals schwerer sich durchzusetzen, als der leibliche Elternteil. Grundsätzlich geht es zwar sowohl bei leiblichen als auch bei nichtleiblichen Eltern um das Gleiche, nämlich um die Infragestellung der Autorität der Erwachsenen. Allerdings wird der leibliche Elternteil nicht grundsätzlich in seiner Position als Vater oder Mutter in Frage gestellt, wohingegen die Position des Lebensgefährten weniger klar und gefestigt ist. „Du hast mir gar nichts zu sagen“ lautet dann nicht selten das Argument der Kinder. Die Dynamik eines solchen Konfliktes ist dann ungleich komplizierter, da sich der Konflikt auch auf die Beziehung zwischen leiblichem Elternteil und dessen Lebensgefährten auswirkt, denn der leibliche Elternteil kann sehr schnell zwischen die Fronten geraten und sich dabei zu der Entscheidung gedrängt fühlen, für die eine oder die andere Seite Partei ergreifen zu müssen.

Natürlich gibt es auch in Familien, die aus leiblichen Eltern und deren gemeinsamen Kindern bestehen, unterschiedliche Parteilichkeit gegenüber den Kindern. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass Kinder ihren leiblichen Eltern keinen Vorwurf darüber machen, dass diese eine Beziehung eingegangen sind. Geht es jedoch um einen Lebensgefährten, der von einem Kind nicht akzeptiert wird, kann es jedoch sehr wohl zu einem mehr oder weniger bewussten Vorwurf gegenüber dem leiblichen Elternteil kommen, dass dieser sich für jemanden entschieden hat, mit dem das Kind überhaupt nicht einverstanden ist. Das kann dann wiederum in dem Appell an die Mutter/den Vater münden, sich gegen den Partner zu stellen. Nicht jede Beziehung hält diesen Konflikt aus und manchmal kommt es dadurch zu Trennung.

Ein weiterer Aspekt ist, dass auch die härtesten und schwierigsten Auseinandersetzungen zwischen Eltern und deren leiblichen Kindern nur selten dazu führen, dass die Eltern ihre leiblichen Kinder nicht mehr lieben und den Kontakt gänzlich abbrechen. Es mag eine Hassliebe sein, aber dennoch sind Gefühle vorhanden. Bei den Lebensgefährten hingegen besteht die Gefahr, dass diese vor dem Konflikt kapitulieren und die Einstellung gegenüber dem Kind nur noch negativ besetzt ist, bzw. sich im Falle einer Trennung in völliger Gleichgültigkeit ausdrückt. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich während einer medizinischen Anwendung mit einem Masseur führte, der sich bitter über die pubertierende Tochter seiner Lebensgefährtin beklagte. Und ich werde nie die Aussage vergessen: „Über die müsste man einfach mal mit dem Auto drüberfahren, das wäre nicht schade drum“.

Sicher, auch Auseinandersetzungen in „normalen“ Familien, die aus den leiblichen Eltern und deren Kinder bestehen, können eskalieren und auch dort kann es zu Gewalt kommen. Und natürlich gibt es auf der anderen Seite auch diverse Patchworkfamilien, in denen tragfähige Beziehungen entwickelt wurden und in denen die Kinder den neuen Lebenspartner voll und ganz akzeptieren. Man darf weder das eine idealisieren noch das andere dämonisieren. Aber dennoch ist es ein Erfahrungswert, dass Patchworkfamilien in mancher Hinsicht mit schwierigeren Bedingungen zu rechnen haben. Diese Beobachtung habe ich nicht nur im Rahmen meines Berufes gemacht, sondern auch im privaten Kreis. Kinder, die einen neuen Partner der Mutter/des Vaters nicht akzeptieren, können sehr viel Energie darauf verwenden, diesem das Leben schwer zu machen. Und auf der anderen Seite ist es für Kinder Kind alles andere als einfach, ein neues Familienmitglied vor die Nase gesetzt zu bekommen, das sie nicht mögen und das als Fremdkörper oder Konkurrent um die Liebe des leiblichen Elternteils empfunden wird.

Vielleicht ist das das Entscheidende – die Beziehung zu den leiblichen Eltern besteht von Anfang an. Auch wenn es sich um eine schwierige und unharmonische Beziehung handelt, so ist diese Beziehung eine Gegebenheit, in die das Kind hineingewachsen ist. Und auch die Eltern hatten die Chance, ihr Kind vom ersten Tag an in seiner Entwicklung zu erleben.

Ich habe heute ein langes Gespräch mit einer Klientin geführt, die eine sehr schwierige Kindheit mit viel Gewalt durchlebt hatte, in der beide Eltern mehrere Partner hatten. Mit der kleinen Tochter der Freundin ihrer Mutter verstand sie sich sehr gut und sie liebte diese „heiß und innig wie eine eigene Schwester.“ Dennoch riss im Erwachsenenleben die Beziehung ab. Als nachfragte, woran dies läge, antwortete sie nachdenklich: „Das weiß ich eigentlich gar nicht, es gibt keinen bestimmten Grund.“

Auch mich hat dies nachdenklich gemacht. Sind es vielleicht erlernte Konventionen, die uns daran hindern, Menschen, mit denen wir leiblich verwandt sind, nicht so leicht fallen zu lassen und kann man daraus ableiten, dass uns dies bei fremden (= nichtverwandten) Menschen sehr viel leichter fällt? Fühlen wir uns vielleicht doch mehr verpflichtet und in der Verantwortung, wenn unser Verhältnis zu Menschen durch die Konstellation „Mutter, Vater, Tochter, Sohn, Schwester, Bruder“ etc definiert ist? Und überfordert es vielleicht den Menschen, tragfähige und verantwortungsbewusste Beziehungen zu Menschen aufzubauen, wenn diese Beziehungen ihren Bezugsrahmen durch die Beendigung einer Partnerschaft verlieren?

Ich würde gern Idealistin sein und daran glauben können, dass ein Mensch uns auch dann viel bedeuten kann oder uns zumindest nicht völlig gleichgültig ist, wenn die Beziehung zu ihm nicht durch irgendein Verwandtschaftsverhältnis definiert ist. Aber meiner Erfahrung nach scheint dies leider nur in Ausnahmen der Fall zu sein. So sehr verwundert dies im Grunde nicht, denn dieses Verhaltensmuster findet man längst nicht nur in Familienkonstellationen. Auch in meiner Tätigkeit als Betreuerin war ich immer wieder erstaunt darüber, welch himmelweiter Unterschied zwischen denjenigen Maßstäben liegt, die Kollegen für das Wohl der eigenen Angehörigen anlegen und jenen Maßstäben, die sie für Menschen anlegen, mit denen sie nicht verwandt.

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Sonntag, 11. Mai 2014, 14:22h

Etwas, worum man die Franzosen beneiden muss – Mindestlohn

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Während man es in Deutschland immer noch nicht geschafft hat, einen definitiven Mindestlohn festzulegen, gibt es in Frankreich das Salaire minimum interprofessionnel de croissance, kurz SMIC. Dessen Vorgänger, das salaire minimum interprofessionnel garanti, sprich SMIG gibt es sage und schreibe schon seit 1950! Mit anderen Worten – Deutschland, das so stolz auf sein Sozialsystem ist, hängt Frankreich in diesem Punkt runde 64 Jahre hinterher.

Was fällt mir so ein beim Thema Mindestlohn? Zum Beispiel meine erste Arbeitstelle in einem Zahnlabor, für die ich in den 70er Jahren einen Monatslohn von 450,00 DM erhielt. Auch wenn dies schon ewig zurückliegt, so war es auch damals schon so wenig, dass man, wenn man eine eigene Wohnung hatte, kaum davon leben konnte.

Als ich anschließend die Fachoberschule besuchte, war im Politikunterricht Tarifpolitik das Thema und ich brannte darauf, endlich etwas darüber zu erfahren, wieso Löhne möglich sind, von denen man gar nicht leben kann. Allerdings wurde meine Hoffnung enttäuscht. Es wurde über die Montan-Mitbestimmung, die IG-Metall und andere Gewerkschaften geredet, aber nicht über diejenigen, die wie ich in einem Zahnlabor arbeiteten. Als ich dann dieses Thema anschnitt, war die Antwort mehr als dürftig: „Betriebe, die sich keinem Arbeitgeberverband und keinen Tarifverträgen anschließen, verfügen über keine Lohntarife.“ Für meinen – ansonsten von mir sehr geschätzten – Politiklehrer war das Thema damit abgehakt. Ähnlich erging es mir dann auch während meines Studiums im Fach Sozialpolitik. Es wurden eingehend das Betriebsrätegesetz und Tarifbestimmungen besprochen, aber wieder wurde die Situation all derer, die in nicht tarifgebundenen Betrieben arbeiten, schlichtweg weggelassen.

Was hat es eigentlich zu bedeuten, dass man genau diejenigen völlig ignoriert, die ganz tief unten in der Lohnliste stehen und die somit am dringlichsten der Unterstützung bedürfen? All die Kellnerinnen, Friseusen, Putzfrauen, Taxifahrer arbeiten oftmals für so wenig Geld, dass der Lohn nicht selten noch mit Hartz IV (früher Sozialhilfe) aufgestockt werden muss, damit das Existenzminimum erfüllt ist. Und hierbei sollte deutlich betont werden, dass es in Deutschland beim Thema Mindestlohn nicht um 30, 20 oder 10 Euro geht, sondern um ganze 8,50 Euro!! Wieso findet diese Problematik trotzdem weder im Politikunterricht noch im Sozialpolitikseminar Beachtung?

Ich bin seit über dreißig Jahren Gewerkschaftsmitglied und habe die Mitgliedschaft auch während meiner Selbständigkeit beibehalten. Es ist bemerkenswert, dass ich äußerst selten Kollegen getroffen habe, die ebenfalls in der Gewerkschaft waren. Wenn ich meine Erinnerungen an die Ansichten zur Gewerkschaft Revue passieren lasse, dann fallen mir vor allen in Bezug auf meine Tätigkeiten in kaufmännischen Bereichen bemerkenswerte Äußerungen ein. Die am meisten vertretene Meinung unter kaufmännischen Kollegen war: „Wieso soll ich in der Gewerkschaft sein, ich kriege doch auch so das gleiche Gehalt. Da wäre ich ja schön doof, wenn ich dafür etwas bezahlen würde“. In einem Gespräch mit einer Pflegedienstleiterin machte diese kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen die Gewerkschaftsbeauftragte: „Die Gewerkschaft macht mit ihren Forderungen unser Sozialsystem kaputt“ war ihre Meinung. Bedenkt man, dass Pflegedienstleiterinnen vergleichsweise gut bezahlt werden, hätte man eigentlich fragen müssen, ob ihr dann nicht konsequenterweise das eigene Gehalt ein schlechtes Gewissen bereiten würde.

Als ich dann endlich im Alter von dreißig Jahren meine erste Stelle in meinem Beruf als Sozialpädagogin antrat, ging ich davon aus, dass zumindest Sozialarbeiter einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft positiv gegenüberstehen würden. Aber da hatte ich mich geirrt. Meine damalige Kollegin kündigte sofort nach Erhalt der ersten Gehaltsabrechnung ihre Mitgliedschaft, da infolge der relativ guten Entlohnung natürlich auch der Beitrag angehoben wurde. Kichernd erklärte sie mir: „ Ja, ich weiß, dass Du das blöd findest, aber ich bin nun mal nicht so politisch “.

Allerdings möchte ich auch eine positive Erfahrung nicht verschweigen, die ich während meiner Tätigkeit als Kellnerin machte. Es bestand ein ausgesprochen gutes Betriebsklima und es ergab sich, dass ein Kollege mich ansprach, ob ich nicht Lust hätte, einen Betriebsrat zu initiieren. Ich war sofort Feuer und Flamme und mein Kollege überredete die meisten der Kollegen zum Eintritt in die Gewerkschaft, damit wir von dort die entsprechende Unterstützung erhalten könnten. Es lief auch alles gut an, aber dann erhielt ich ein Angebot in meinem Beruf als Sozialpädagogin und verließ den Betrieb. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen, meinen Kollegen mit der Arbeit allein zu lassen, aber er hatte vollstes Verständnis dafür, dass ich die Stelle nicht ausschlagen würde. Der Kollege stand der Chefin – eine bekannt FDP-Politikerin und entschiedene Gewerkschaftsgegnerin – dann ziemlich allein gegenüber, so dass ich meine Möglichkeiten in meiner neuen Stelle im Arbeitsamt nutzte, um ihm so schnell wie möglich eine neue Stelle zu besorgen. Der Betriebsrat war damit ziemlich schnell ad acta gelegt, denn niemand hatte die Energie und die Lust, sich gegen die Firmenleitung durchzusetzen. Im nachherein betrachtet, war die Erfahrung also nur am Anfang positiv, betreffend das Interesse und den Einsatz, letztendlich aber negativ, da das Projekt Betriebsratgründung scheiterte.

Aber wieder zurück zu den Franzosen, die seit über einem halben Jahrhundert das haben, was für einen Sozialstaat unerlässlich ist – einen festgeschriebenen Mindestlohn. Was läuft anders in der Grande Nation?

Was sagt mein französischer Lebensgefährte (natürlich seit ewigen Zeiten Mitglied im „Syndicat“ = Gewerkschaft) zu diesem Problem: „Les allemands acceptent trop l’autorité. Ils ne sont pas du tout solidaire, en Allemagne les collègues me laissent très souvent seul avec mes problèmes. Le syndicat cherche trop les compromis.

Und wahrscheinlich ist es tatsächlich so: wir sind zu autoritätsgläubig, unsolidarisch, lassen Kollegen mit ihren Problemen allein und die Gewerkschaft ist zu kompromissbereit.

Ein irgendwie deutsches Problem also. Oder nicht?

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