Montag, 9. Mai 2011, 23:52h

Verknüpfung des Betreuungswesens mit dem Sozialrecht

behrens

Ich habe hier gekürzt einige interessante Gedanken zusammengefasst aus dem Artikel „Herausforderung Inklusion: Betreuung weiterentwickeln“. Der von Professor für Sozialpsychiatrie Dr. W. Crefeld verfasste Artikel stammt aus der Zeitschrift unseres Berufsverbandes

Bei der Entstehung des Betreuungsrechts lag von Anfang an der Schwerpunkt auf der zivilrechtlichen und justiziellen Ausgestaltung der Reform, während die sozialrechtlichen, sozialpolitischen und sozialgrundrechtlichen Inhalte vernachlässigt wurden. Dies ist besonders erstaunlich, da die entscheidenden Impulse, das alte Entmündigungsrecht grundlegend zu reformieren, nicht aus der Rechtspolitik, sondern aus der Ende der 60er Jahre einsetzenden Psychiatriereformbewegung und einigen Verbänden der Behindertenhilfe.

Bis heute existieren keine validen empirischen Untersuchungen über die Lebenslage der 1,3 Millionen von Betreuung betroffenen Menschen und der Probleme, die zur Feststellung der Betreuungsbedürftigkeit geführt haben. Außerdem hat das Betreuungsrecht bis heute keine Infrastruktur-Revision erlebt. Allerdings gibt es eine im Jahr 2009 erhobene ISG-Studie, die besagt, dass es trotz der Tatsache, dass psychische Beeinträchtigungen Menschen aller Schichten betreffen, die soziale Lage ist, die eine Berufsbetreuung erforderlich macht. Berufsmäßige Betreuung dient heute vorrangig Menschen, die wegen ihrer psychischen Beeinträchtigung mit den Angelegenheiten nicht ihres Vermögens, sondern ihres Lebensalltags nicht zurückkommen, keine Hilfe finden oder gar nicht erst danach suchen, verwahrlosen oder schließlich – oft gegen ihren Willen – in en Heim verpflanzt werden.

Zu den Gründen für den steigenden Bedarf an Betreuungen gehört auch die zunehmende Verrechtlichung von immer mehr Lebensbereichen und die Komplexität und Zergliederung unseres Sozialleistungsrechts. Es gibt einen Dschungel an vorhandenen wie auch der andernorts anzutreffenden Wüstengebiete fehlender psychosozialer und medizinischer Hilfeangebote. Es kann dazu kommen, dass rechtliche Betreuer zu Ausfallbürgen für unzureichende oder fehlende gemeindepsychiatrische Hilfen geworden ist.

Dies ist der Grund, warum jetzt ein „Paradigmenwechsel“ gefordert wird zu einer vorrangig sozialpolitischen Betrachtung des sich im gesellschaftlichen Wandel äußernden Bedarfs an Betreuung und damit auch zu einem Blick auf die Lebenslage der Menschen, bei denen die Gerichte Betreuungsbedürftigkeit feststellen. Angestrebt wurde damals nicht nur eine Verbesserung der Rechtsposition, sondern eine umfassende Verbesserung der Lebenslage der Betroffenen. Damit bekam die Reform auch eine sozialstaatliche Dimension. Damals war ein sozialrechtlicher Teil des Betreuungsrechts geplant, der aber durch die Ereignisse der Wende damals zurückgestellt wurde. Bis heute ist das damalige Anliegen nicht realisiert worden.

Viele Personen insbesondere mit psychisch bedingten Behinderungen bedürfen heute eines „Unterstützungsmanagements“, aber nicht unbedingt eines gerichtlich bestellten Vertreters. In jedem Fall des unzureichenden Selbstversorgungssvermögen sollte ein Anspruch auf diese Sozialleistung der Unterstützungsmanagements bestehen. Sollte dies den Bedarf an Betreuung nicht abdecken, könnte die Leistung des Unterstützungsmanagements zusätzlich durch die Anordnung einer rechtlichen Betreuung ergänzt werden.

Man darf nicht übersehen, dass die heute existierenden Leistungen des Sozialrechts wie z.B. das betreute Wohnen oder Soziotherapie (SGB V) ihre Existenz den Ideen verdanken, die im Rahmen der Psychiatriereformdiskussion entstanden sind.


Hier wird also doch einmal das thematisiert, was unter Betreuern meist kein Thema ist – gesamtpolitische und gesellschaftliche Veränderungen und Zusammenhänge. Die eigene Rolle als rechtlicher Betreuer wird reflektiert und eine Standortbestimmung vorgenommen. Der Standort ist allerdings immer noch der gleiche wie zu Beginn der Betreuungsreform, ohne auch nur im Geringsten auf den gesellschaftlichen Wandel reagiert zu haben. Eigentlich sehr unüblich für Sozialarbeit, deren Zielsetzungen und inhaltlichen Bestimmungen ja grundsätzlich immer eine Reaktion auf die Gesellschaft sind, bzw. sein sollten.

Und das ist es, was bei dem ansonsten sehr zutreffenden Artikel von Prof. Crefeld zu kurz kommt – die Beschäftigung mit der Rolle der rechtlichen Betreuer, die über das Alltagsgeschäft hinausgeht. Die Thematisierung der Frage, wie Betreuer die theoretischen Ansätze in die Praxis umsetzen. Nehmen Betreuer irgendwo Einfluss? Gibt es Fachausschüsse z.B. für einzelne Institutionen wie z.B. Heime, Psychiatrien? Gibt es Fachausschüsse für die einzelnen Rechtsgebiete wie SGB II oder SGB VII? Gibt es Fachausschüsse für spezielle Gruppen wie z.B. alte Menschen oder psychisch Kranke? Gibt es sozialpolitische Arbeitsgruppen, die sich bei sozialpolitischen Entscheidungen einklinken? All dies ist notwendig, um eine Reform lebendig zu erhalten.

Eine Reform steht oder fällt mit den Menschen, die sich für die Umsetzung und Verbesserung dieser Reform einsetzen.

Mit der von Betreuern geäußerten Zielformulierung „Wir möchten einen guten Eindruck machen“ oder „Andere Betreuer sind meine Konkurrenz" hält man Reformen nicht am Leben. Im Gegenteil - man läuft Gefahr, sie zu leblosen Mumien verkommen zu lassen.

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Dienstag, 3. Mai 2011, 02:56h

Westliche Überheblichkeit?

behrens

Gerade lief eine Diskussion mit Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour im Fernsehen. Thema war die Frage, was passieren muss, damit die Konflikte zwischen den westlichen und den islamischen Staaten nicht eskalieren. Helmut Schmidt sagt hierzu, dass der Westen seine Überheblichkeit gegenüber den islamischen Staaten beenden muss. Wir sollten bedenken, dass alle drei großen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – die gleichen Wurzeln haben. Auch im Islam sei Jesus als großer Prophet geachtet und respektiert. Wir müssten mehr einander zuhören anstatt uns für überlegen zu halten.

In dem Punkt der Überheblichkeit könnte ich vielleicht noch zustimmen. Aber bei den gleichen religiösen Wurzeln als Bindeglied bin ich skeptisch. Denn trotz gleicher Wurzeln kann eine Entwicklung eintreten, die zu grundlegenden Unterschieden führt. Die religiösen Wurzeln mögen sowohl in der abendländischen als auch in der orientalischen Kultur die gleichen sein, aber die Ablösung des mosaischen Rechts durch die christliche Offenbarung stellt eine entscheidende Wende dar, die es im Islam nicht gibt. Das christliche Prinzip der Gleichheit und der Feindesliebe unterscheidet sich grundlegend von dem Prinzip der Hierarchie und dem der Vergeltung, das im Islam eine so große Rolle spielt.

Die zweite große Wende war die der Aufklärung, die die Vernunft dem Glauben überordnete. Die Wissenschaft war nicht mehr wie im Mittelalter die „Magd der Theologie“, sondern existierte unabhängig von ihr. Und die französische Revolution mit ihrer Forderung nach „Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit“ hat dann endgültig der Religion ihre Vormachtstellung genommen. Der Mensch war an die vorderste Stelle gerückt – dort wo zuvor Gott stand.

Helmut Schmidt sagt klar, dass er mit der Religion nicht allzu viel anfangen kann, zumal er an einer göttlichen Gerechtigkeit zweifelt (mit diesen Zweifeln kämpfen übrigens auch viele Gläubige). Und er erzählt von seiner Frau Loki, die überzeugte Darwinistin war und sich deswegen immer mit dem Pfarrer stritt.

Auch für einige Christen ist es nicht so einfach, die Evolutionstheorie mit dem christlichen Glauben zu vereinen. Der Islam tut sich allerdings damit noch viel schwerer und ein großer Teil der Gläubigen lehnt die Evolutionstheorie als ketzerisch und unvereinbar mit dem Islam ab.

Und bevor ich lange Ausführungen mache, führe ich einfach mal ein Zitat eines schiitischen Geistlichen aus dem Iran an: „Die konstitutionelle Bewegung hat die Worte Freiheit und Gleichheit auf die Fahnen geschrieben. Diese beiden Forderungen widersprechen dem Islam. Der Islam verlangt Gehorsam und nicht Freiheit, Ungleichheit und nicht Egalität […] Was ich will, ist ein islamisches Parlament, das kein Gesetz verabschiedet, dessen Inhalt nicht mit den Gesetzen des Koran übereinstimmt. .

Diese Aussage stammt von Fazlollah Nuri, einem Gegner des Schah-Regimes. Und ich glaube, dass Nuri die Grundproblematik der Gegensätze westlicher und islamischer Kultur sehr treffend auf den Punkt bringt, wenn er ehrlich sagt, dass Gehorsam und Freiheit nicht zueinander passen. Und dass das Ziel des Islams eben nicht das der Gleichheit ist.

Helmut Schmidt äußert offen seine Zweifel am religiösen Glauben. Zu der von ihm kritisierten „Überheblichkeit des Westens“ gehört aber gerade die fundamentale Überzeugung, dass man Zweifel an einer Religion haben und diese auch laut äußern darf. Er kritisiert folglich etwas, das es ihm erst möglich macht, Kritik zu äußern. Kann dies wirklich etwas sein, das man als Überheblichkeit bezeichnen kann?

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Mittwoch, 27. April 2011, 12:56h

Auch das Private ist politisch - warum es Frauenhäuser gibt

behrens

Diese Frage hört sich naiv an und jeder wird sofort antworten „Weil es Schutzräume für Frauen geben muss, die vor Beziehungsgewalt flüchten“.

Aber mir geht es bei der Frage nicht um die gesellschaftliche Funktion von Frauenhäusern. Meine Frage nach dem „Warum“ bezieht sich auf die Frage nach der Entstehung. Nicht so sehr in soziologischer Hinsicht, sondern als Beispiel dafür, was möglich ist, wenn Menschen Missstände nicht einfach hinnehmen, sondern an Veränderungen arbeiten. Wenn Menschen Interesse daran haben, in gesellschaftliche Zusammenhänge einzugreifen und diese selbst mitzugestalten.

Sollte man die Entstehungsgeschichte in einem Satz zusammenfassen, so wäre dies die Aussage: „Auch das Private ist politisch“. Entstanden sind die Frauenhäuser in den 70er Jahren. Gewalt in der Familie gab und gibt es aber natürlich schon seit Menschengedenken, Neu war jedoch, dass man einen als rein privat bezeichnetem gesellschaftlichen Umstand aus der beschützten Sphäre des Privaten herausgeholt hat und ihn öffentlich gemacht hat. Und damit handelte es sich um nicht mehr und nicht weniger als einen riesigen Tabubruch.

Die alte Philosophie des Vertuschens und Beschwichtigens wich der völlig neuen Philosophie der Öffentlichmachung. Nestbeschmutzung wurde dies von so manchem genannt, dem es wichtig war, am Bild von der Familie als harmonischen und reibungslos funktionierenden Ort festzuhalten. Aber es kamen nicht nur Vorwürfe aus konservativen Kreisen. Auch der männliche Teil der linken Szene schüttelte den Kopf. Was hatte das noch mit Klassenkampf zu tun? Hatte man nicht Wichtigeres zu tun, als sich mit privaten Gefühlsduseleien zu befassen? Allen Ernstes wurde behauptet, dass der erfolgreiche Klassenkampf auch die Gewalt gegen Frauen beenden würde. Und allen Ernstes wurde vehement daran festgehalten, dass es in der DDR keine Frauenhäuser gäbe, weil sozialistische Männer nicht gewalttätig wären (ach, schön wär’s…).

Allen Anfeindungen aus konservativen und linken Kreisen zum Trotz etablierten sich Frauenhäuser. Schmutz wurde nicht mehr unter den Teppich gekehrt, sondern der Öffentlichkeit preisgegeben. Das, was als Nestbeschmutzung diffamiert wurde, war in Wirklichkeit ein Reinigungsprozess. Gewalt in der Familie wurde nicht mehr vertuscht sondern an den Pranger gestellt. „Seht her, das ist die Realität“. Und das war auch genau das, was die Zeit der Entstehung von Frauenhäusern prägte und auch für andere Bereiche galt. Ob Atomkraft, Umweltverschmutzung, Benachteilung von Randgruppen – lautstarke und wütende Thematisierung statt freundlicher Ignoranz. Dabei geht es mir nicht darum, diese Zeiten zu verklären, sondern darum, aufzuzeigen, auf welchem Weg erforderliche Veränderungen erfolgen.

Ich selbst habe im Zwischenpraktikum meines Studiums im Frauenhaus gearbeitet. Und wenn es auch so manches gab, was mir nicht gefiel und mit dem ich nicht übereinstimmte – das Grundgefühl der damaligen Zeit war das der Veränderung und des Vorgehens gegen Missstände. Und am Anfang stand das Öffentlichmachen. Rigoros und unversöhnlich. Ohne Wenn und Aber, denn ein Missstand muss zuerst einmal benannt werden, um ihn zu bekämpfen.

Mir kommt es vor, als lägen Äonen zwischen gestern und heute. Wie weit entfernt ist das „Seht her, das stinkt zum Himmel!“ vom „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“. Wie abgrundtief ist der Unterschied zwischen dem „Wir müssen auf Missstände aufmerksam machen“ vom „Wir müssen einen guten Eindruck machen“. Was für Welten liegen zwischen dem Begriff des „Klientels“ und dem des „Kunden“. Und last not least – wie schwer hatten es Alphamännchen zur damaligen Zeit. Kritikverbote oder Androhung von Unterlassungsklagen hätten damals wahrscheinlich eine kleine Revolte ausgelöst.

Meine Nichte sagt mir, dass ich nicht immer so negativ sein soll und deswegen schließe ich mit einer kleinen Anekdote. Unser Alphamännchen schilderte vor einiger Zeit empört, dass er früher bei einer Demonstration (daran hat er tatsächlich früher teilgenommen) aus dem Lesbenblock geworfen wurde. Abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, wieso ein Alphamännchen ausgerechnet im Lesbenblock mitmarschieren will (weil da keine anderen Alphas angetroffen werden?? Weil Frauen männliche Unterstützung brauchen??) genieße ich die Vorstellung, dass es Zeiten gab, in denen Frauen alles andere als nett und freundlich waren und man ab und zu mal ein schön lautes „Nein“ hören konnte.

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