Freitag, 9. Juli 2010, 01:20h

Das Bonmot zur Nacht

behrens

Diesmal nicht von Tucholsky oder Nietzsche sondern nur von mir:

Nur weil man nicht duckt, bedeutet dies noch nicht, dass man sich größer als die anderen macht. Aufrecht gehen zu wollen, ist noch keine Anmaßung, sondern die einzige dem Menschen entsprechende Fortbewegungsart.


Dieses Bonmot widme ich meinem früheren Kollegen, der mir in steter Regelmäßigkeit vorwirft, mich größer als andere machen zu wollen, wenn ich etwas an der gängigen Praxis mancher Kollegen kritisiere

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Sonntag, 27. Juni 2010, 11:39h

Das Urteil zur Sterbehilfe – Ein Schritt nach vorn mit Wermutstropfen

behrens

Jetzt hat Karlsruhe endlich eine Grundsatzentscheidung zur Sterbehilfe gefällt. Es ist demnach nicht strafbar, wenn medizinische Behandlungen, die den natürlichen Sterbeprozess hinauszögern, aktiv beendet werden, wenn dies in einer Patientenverfügung so bestimmt wurde. Der schwammige Begriff der „passiven Sterbehilfe“ wird jetzt durch den konkreteren Begriff des gewollten „Behandlungsabbruch“ ersetzt.

Für die Fälle, in denen es keine Patientenverfügung gibt, muss der mutmaßliche Wille ergründet werden – was sich in der Praxis nicht immer als einfach erweisen wird. Daher kann in diesen Fallen zur Findung der Entscheidung ein Betreuer bestellt werden, bzw. ein schon vorher bestellter Betreuer kann diese Entscheidung fällen.

Ich persönlich habe schon vor langer Zeit gemeinsam mit meinem Freund eine Patientenverfügung aufgesetzt, da wir aufgrund der Tatsache, dass wir nicht verheiratet sind, noch nicht einmal ein Anrecht auf ärztliche Auskunft hätten. Unsere Verfügungen müssen aber jetzt auf jeden Fall überarbeitet werden, weil das Gesetz inzwischen möglichst konkrete Formulierungen verlangt. Und wir haben auch über den Fall der Fälle gesprochen, bei dem ein medizinischer Zustand eintritt, der völlige Abhängigkeit bedeutet, wie z.B. bei einer vollständigen Lähmung oder einem Wachkoma. Und auch ohne das jetzt gefällte Urteil hätte jeder von uns beiden dem anderen den Wunsch nach Beendigung des Leidens erfüllt. Ich erwähne dies hier so ausdrücklich, um deutlich zu machen, dass ich kein prinzipieller Gegner der Sterbehilfe bin.

Allerdings bin ich nach wie vor ein prinzipieller Gegner der Auffassung, dass man jeden mit so einer verantwortungsvollen und schwerwiegenden Entscheidung betrauen kann. Mir wird unbehaglich zumute, wenn ich mir vorstellte, dass ein Betreuer, der an die 60, 70 oder noch mehr Betreute hat und seine Betreuten kaum besucht und nie persönlich mit dem Arzt oder den Angehörigen spricht, so eine existentielle Entscheidung fällen darf. Wenn ich mir dann noch die gängige Praxis vorstelle, in der pedantisch nachgerechnet wird, ob man denn um Himmelswillen nicht über die monatliche Stundenpauschale kommt, dann tritt mir im wahrsten Sinne des Wortes der Angstschweiß auf die Stirn.

Für mich ist es ein Albtraum, mir vorzustellen, dass über das Leben von Menschen, die mir nahestehen, nach kaufmännischen Gesichtspunkten entschieden wird. Von Menschen, die erschreckend oft nicht in der Lage sind, sich auch nur ansatzweise vorzustellen, dass jemand andere Normen als die eigenen haben könnte und die folglich grundsätzlich bei jedem die eigenen Maßstäbe anlegen. Menschen, für die auf jeden Fall immer die zeitsparendste Maßnahme die beste ist.

Und noch andere Aspekte machen mir große Angst. Erfahrungsgemäß kann es bei schwerwiegenden Entscheidungen - zu denen zweifellos auch die Sterbehilfe zählt - zu erheblichen Differenzen mit Ärzten oder Angehörigen kommen. Und hier braucht man ein enormes Rückgrat, um die Entscheidung, die dem Willen des Schwerkranken entspricht, auch durchzusetzen. Und mit dem Rückgrat ist es leider bei manchen Betreuern nicht gerade gut bestellt. Außerdem muss man in einem Entscheidungsprozeß, in dem es letztendlich um Leben und Tod geht, eigene Positionen immer wieder kritisch hinterfragen – und leider ist auch Selbstkritik keine Eigenschaft, die man oft bei Betreuern findet.

Obwohl es sich um ein existentielles Thema handelt – was ist schließlich existentieller als das Sterben? – gibt es noch nicht einmal ansatzweise Diskussionen unter Betreuern. In einem Gespräch mit einem Kollegen wurde mir – wie fast immer - Arroganz und Selbstgefälligkeit vorgeworfen, da ich nun mal nicht jeden Kollegen für fähig halte, der schwierigen Aufgabe der Entscheidungsfindung über Sterbehilfe gerecht zu werden. Was mich daran sprachlos macht, ist die Gleichsetzung von Besorgnis mit Arroganz und von Kritik mit Selbstgefälligkeit.

Ist es wirklich so arrogant, wenn man nicht jeden für fähig hält, alles zu machen? Ist es wirklich selbstgefällig, wenn man Angst davor hat, irgendjemandem in die Hände zu fallen? Niemand käme auf die Idee, eine Zahnbehandlung von einem Klempner durchführen zu lassen, niemand würde sein Auto zur Inspektion zum Friseur bringen und niemand würde für eine Rechtsberatung eine Bäckerei aufsuchen. Und genauso fehl am Platz ist kaufmännisches Denken im Bereich der Sterbehilfe.

Ob ich selbst der schwierigen und belastenden Aufgabe der Entscheidungsfindung bei dem Thema Sterbehilfe gerecht werden würde – ich weiß es nicht. Aber ich würde zumindest nicht das entsetzliche Zeitsparprinzip dabei anwenden, sondern ich würde versuchen, von Familie, Freunden und Verwandten Information über den Sterbenden zu erlagen. Und ich würde mir immer vergegenwärtigen, dass das, was für mich das Richtige ist, für jemand anderen genau das Falsche sein kann. Und es wäre mir in jedem Moment bewusst, dass ich mich bei der Entscheidung irren könnte.

Sterben ist qualvoll, Sterben macht Angst und ein Sterbender sollte daher die größtmögliche Hilfe erhalten. Und kaufmännisches Denken ist dabei ganz sicher fehlt am Platz.

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Freitag, 25. Juni 2010, 16:35h

Der Faktor Zeit im Umgang mit Menschen – die Betreuungsfallzahl

behrens

Auch wenn sich die Ansichten über Ziel und Methodik in der Arbeit und im Umgang mit Menschen völlig unterscheiden mögen, es gibt ein Kriterium, das die Basis für alle weiteren Ansatzpunkte bildet und dieses Kriterium ist die Menge an Zeit, die ich jemandem widme. Der Mensch, dessen Wohl mir anvertraut ist, beansprucht Zeit. Und die Menge der Zeit ist gleichbedeutend mit der Menge an Hilfe und Unterstützung, die ich jemandem zukommen lasse.

Und Zeit steht nicht unbegrenzt zur Verfügung, Zeit muss auf die Anzahl der Betreuten verteilt werden. Da freiberufliche Betreuer nicht angestellt sind und der Verdienst sich nach der Höhe der Fallzahl richtet, besteht schon von vorneherein ein grundsätzlicher Konflikt zwischen den Interessen der Betreuten und denen des Betreuers. Für letzteren ist eine große Fallzahl – gleichbedeutend mit viel Einkommen – von Vorteil, für die Betreuten selbst ist eine niedrige Fallzahl – gleichbedeutend mit intensiver Betreuung – von Vorteil. Eine hohe Fallzahl kann nur erreicht werden, wenn ein möglichst geringer Zeitaufwand für den einzelnen Betreuten besteht. Eine qualitativ gute Betreuung ist allerdings mit minimalem Zeitaufwand kaum möglich.

Um Missverständnisse zu vermeiden: ein Betreuer mit geringer Betreutenzahl muss nicht zwangsläufig ein guter Betreuer sein, denn auch trotz großen Zeitaufwands können Fehler gemacht und falsche Entscheidungen getroffen werden. Und auch trotz hoher Fallzahl können, wenn die Arbeitabläufe gut und professionell organisiert sind, Betreute die ihnen zustehende und erforderliche Unterstützung erhalten. Nur – irgendwo gibt es zwangsläufig eine Grenze. Und dieses „irgendwo“ ist genau dort, wo Qualität aufhört und in reine Abfertigung übergeht.

Niemand schreibt einem Berufsbetreuer vor, wie viele Betreuungen er führen darf und entsprechend variiert die Zahl der zu betreuenden Personen zwischen 20 und 70 (manchmal auch erheblich mehr) Personen. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass manche Betreuer auch noch andere Tätigkeiten wahrnehmen, so dass man kaum ermitteln kann, wie viel Zeit denn nun tatsächlich für den einzelnen Betreuten übrig bleibt.

Um nochmals auf das von mir eingangs Gesagte zurückzukommen – Zeit ist die Basis für den Umgang mit Menschen. Das ständige und allgegenwärtige Bestreben, möglichst wenig Zeit aufzuwenden um möglichst viele Menschen zu betreuen, hat erschreckende Auswirkungen auf den Umgang mit Menschen. Dieser selbstauferlegte Zeitdruck bedeutet das Ende des Prinzips des Bestmöglichen zu Gunsten des Prinzips des Mindestmasses.

Vielleicht hat der Ein- oder Andere das Buch „Momo“ von Michael Ende gelesen. In dieser Erzählung treiben sogenannte „graue Herren“ ihr Unwesen, die versuchen, überall und immerzu Zeit einzusparen. Was übrig bleibt, ist eine rein auf Zweckmäßigkeit ausgerichtete menschliche Maschinerie, in der so ziemlich alles fehlt, was Menschen für ein menschenwürdiges Leben brauchen. Gott-sei-Dank gelingt es am Ende der kleinen Momo, die Zeiträuber in die Flucht zu schlagen. Das reale Leben unterscheidet sich leider immer weniger von Michael Endes Zukunftsvision – bleibt zu hoffen, dass es auch irgendwann jemanden gibt, der es Momo gleichtut und den Zeitdiebstahl verhindert.

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